2019 hatten die Richter:innen in Luxemburg bereits entschieden, dass Unternehmen in der EU zukünftig ein System schaffen müssen, mit dem Mitarbeiter:innen ihre Arbeitszeit messen können. Die Ausgestaltung und Umsetzung blieben den nationalen Gesetzgebern überlassen. Bislang wurde in Deutschland nichts in dieser Sache unternommen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt hat am 13. September 2022 allerdings – etwas überraschend – entschieden, dass es eine Pflicht für Arbeitgeber:innen gibt, diese Systeme einzuführen. Ursprünglich ging es eigentlich darum, ob Betriebsräte ein Initiativrecht haben, um ein Zeiterfassungssystem bei Arbeitgeber:innen einzuführen. In dem Urteil, dessen Begründung Anfang Dezember 2022 nachgereicht wurde, hat das BAG eine Norm aus dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) herangezogen, die besagt, dass Arbeitgeber:innen eine geeignete Organisation und die erforderlichen Mittel bereitstellen müssen, um Arbeitsschutzvorschriften einzuhalten. Was bedeutet dieses Urteil nun konkret? Genau diese Frage hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter der Führung des Ministers Hubertus Heil nun zu klären.
Aus dem Ministerium ist zu vernehmen, dass die konkrete Ausgestaltung nun in einem gesetzgeberischen Verfahren erarbeitet wird. Reicht es zum Beispiel aus, eine Excelliste zu führen oder kommt die Stechuhr wieder? Diese Fragen beschäftigen Arbeitnehmer:innen wie Arbeitgeber:innen. „Die Stechuhr passt nicht ins Homeoffice – und sie läuft den Interessen vieler Unternehmen und ihrer Beschäftigten zuwider. Deutschland braucht keine auf die Minute festgelegten Acht-Stunden-Schichten, sondern Freiräume für eine selbstbestimmte und flexible Einteilung der Arbeit. Dazu gehört auch, zwischendurch ein privates Telefonat zu führen, zwischendurch Besorgungen zu machen, im Homeoffice für die Kinder da zu sein oder auch mal eine Runde zu joggen. Sich für solche Aktivitäten jeweils einige Minuten aus einer Arbeitszeiterfassung auszubuchen, hilft niemandem und nervt alle“, erklärt beispielsweise Bitkom-Präsident Achim Berg.
Alexander Hesse, Justiziar des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik (BIV-OT), schätzt die Lage für den Spitzenverband des Fachs ein: „Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat nunmehr die Rechtsauffassung und deren Begründung an die Hand bekommen und ist gehalten, die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung im Detail zu regeln. Zahlreiche Detailfragen müssen beantwortet und Abläufe konkretisiert werden. Die von Arbeitsrechtlern bundesweit erwartete Begründung der Entscheidung des BAG enthält diese zur tatsächlichen Umsetzung der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung erforderlichen Klarstellungen nicht, sodass das Ergebnis der gesetzgeberischen Bemühungen abzuwarten bleibt. Dieses ist frühestens im ersten Quartal 2023 zu erwarten.“
Theoretisch besteht bereits jetzt die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung, da sich das BAG in seinem Urteil auf Paragraph 3 Abs. 2 Nr. 1 des Arbeitsschutzgesetzes bezieht – eines Gesetzes, das ursprünglich bereits 1996 erlassen wurde. Aufgrund der fehlenden Bestimmungen und Konkretisierungen gibt es aus Sicht der Expert:innen derzeit keinen Anlass, in Panik und in Aktionismus zu verfallen. Hesse rät: „In Vorbereitung auf die Umsetzung der Pflicht können in jedem Fall die eigenen betriebsinternen Abläufe dahingehend beleuchtet werden. Von einem Schnellschuss ist allerdings abzuraten, um gegebenenfalls umfangreiche Korrekturen nach der Verabschiedung einer gesetzlichen Regelung zu vermeiden.“
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