Ein­satz von Osseo­in­te­gra­ti­on und TMR in der trans­hu­me­ra­len funk­tio­nel­len Pro­the­tik – ein Fallbeispiel

H.-M. Holzfuß
Vorausschauendes Handeln über einen Zeitraum von ca. zwei Jahren, fachgruppenübergreifendes Arbeiten in einem Versorgungs-Kompetenzteam, langjährige Erfahrung im Versorgungsbereich „Prothetik der oberen Extremität“ und eine besondere Hingabe gegenüber der eigenen Arbeit – dies sind aus Sicht des Autors die notwendigen Voraussetzungen, um eine komplexe Versorgung wie jene zu erarbeiten, die in diesem Beitrag vorgestellt wird. Dabei steht ein Patient im Mittelpunkt, der nach einem Unfall seinen linken Arm oberhalb des Ellbogens verloren hat. Schon bei einer „klassischen“ prothetischen Versorgung ist ein solcher Befund eine große Herausforderung, da es bei einer solchen Amputationshöhe besonders schwierig ist, die Funktionen der fehlenden Gliedmaße zu ersetzen. In diesem Fall wurde aufgrund der besonderen Lebenssituation des Patienten die neueste Versorgungsmöglichkeit gewählt – eine Kombination aus Targeted Muscle Reinnervation (TMR) [Ottobock SE & Co. KGaA. Dialog. Magazin für Techniker, Ärzte und Therapeuten. Sonderausgabe zum Thema TMR. Duderstadt: Ottobock, o. J. ­https:// www.tmr-rehabilitation.de/fileadmin/fussheberschwaeche/images/ en_version/Dialog_-_Magazin_fuer_Techniker__Aerzte_und_Therapeuten _-_Sonderausgabe_zum_Thema_TMR.pdf(Zugriff am 10.05.2022)] und Osseointegration. Ziel aller Beteiligten war es, mit dieser anspruchsvollen Versorgung und der damit verbundenen hohen interdisziplinären Verantwortung ein optimales Ergebnis für den Anwender zu erzielen.

Ein­lei­tung

Wenn, wie im hier erör­ter­ten Fall­bei­spiel, ein Pati­ent bei einem Unfall einen Arm ober­halb des Ell­bo­gens ver­liert, stellt eine sta­bi­le Anbin­dung der Pro­the­se oft­mals eine gro­ße Her­aus­for­de­rung bei der Ver­sor­gung dar 1. Im All­ge­mei­nen ver­zeich­nen Stu­di­en bei Men­schen mit Ampu­ta­tio­nen der obe­ren Extre­mi­tät trotz neu­es­ter tech­ni­scher Ent­wick­lun­gen im Bereich der myo­elek­tri­schen Pro­the­sen immer noch eine hohe Abbruch­ra­te 2. Als Grün­de wer­den oft­mals die pro­ble­ma­ti­sche Stumpf­si­tua­ti­on, das hohe Gewicht der Pro­the­se und „Bequem­lich­keit“ genannt 3. Des­halb ist zu ver­mu­ten, dass es im Fal­le der Ver­sor­gung eines Stump­fes ober­halb des Ell­bo­gens noch her­aus­for­dern­der sein könn­te, eine für den Pati­en­ten zufrie­den­stel­len­de Lösung zu fin­den. Nach­tei­lig könn­te sich ins­be­son­de­re die Schaft­si­tua­ti­on dar­stel­len, die die Beweg­lich­keit des Schul­ter­ge­lenks ein­schränkt, oder die Ver­sor­gung mit einem Gurt über der gesun­den Schul­ter zur Sta­bi­li­sie­rung der Pro­the­se, die wei­te­re Ein­schrän­kun­gen der Mobi­li­tät zur Fol­ge hat.

Eine endo-exo-pro­the­ti­sche Ver­sor­gung in Kom­bi­na­ti­on mit TMR bei trans­hu­me­ra­len Ver­sor­gun­gen ist anders als bei trans­fe­mo­ra­len Endo-Exo-Ver­sor­gun­gen in Deutsch­land noch rela­tiv neu 3, wird aber in eini­gen Kli­ni­ken bereits erfolg­reich umge­setzt 4. Unbe­dingt not­wen­dig für den Erfolg einer sol­chen Ver­sor­gung ist nach Auf­fas­sung des Autors eine beson­ders enge Abstim­mung aller am Pro­zess Betei­lig­ten unter Berück­sich­ti­gung der Bedürf­nis­se und Wün­sche des Pati­en­ten. Gemein­sam müs­sen der poten­zi­el­le Nut­zen und die mit der Ver­sor­gung ein­her­ge­hen­den Risi­ken gegen­ein­an­der abge­wo­gen wer­den. Wie eine sol­che inter­dis­zi­pli­nä­re Abstim­mung und die Umset­zung einer so anspruchs­vol­len Ver­sor­gung in drei Schrit­ten 5 erfolg­reich umge­setzt wer­den kann, zeigt das fol­gen­de Fallbeispiel.

Fall­bei­spiel

Anamnese/Diagnose

Der Pati­ent war bei sei­nem Unfall 47 Jah­re alt. Er war zu die­ser Zeit ein akti­ver Tri­ath­let und wur­de beim Schwimm­trai­ning im Juli 2020 von einem Motor­boot erfasst und über­fah­ren. Die Boots­mo­tor­schrau­be ver­ur­sach­te eine trau­ma­ti­sche Abtren­nung des lin­ken Oberarms.

Ope­ra­tio­nen

Not­ver­sor­gung und anschlie­ßen­de ers­te Ope­ra­tio­nen (Abb. 1) wur­den in der Uni­ver­si­täts­me­di­zin Greifs­wald vor­ge­nom­men. Zwei Wochen nach dem Trau­ma wur­de in der Uni­ver­si­täts­me­di­zin Greifs­wald durch das Team von Univ.-Prof. Dr. med. h. c. Axel Ekkern­kamp nach Abspra­che im Team eine Lap­pen­plas­tik (Abb. 2) am Pati­en­ten vor­ge­nom­men. Ziel war es hier­bei, das dista­le Stump­fen­de für den spä­te­ren Ner­ven­trans­fer (Tar­ge­ted Mus­cle Rein­ner­va­ti­on – TMR) vor­zu­be­rei­ten, um wei­te­re Myo­si­gna­le zur Ansteue­rung der myo­elek­tri­schen Pro­the­se zu erhal­ten. Not­wen­dig war die­se OP auch, um das dista­le Stumpf­ende mit einem Mus­kel­lap­pen zu decken, damit der spä­te­re Implan­tat­durch­tritt durch die Weich­tei­le und die Haut gut vor­be­rei­tet wer­den konn­te. Schon zu die­sem Zeit­punkt wur­de bei der Ope­ra­ti­on die Mög­lich­keit eines spä­te­ren Haut­durch­tritts des Implan­ta­tes für die Endo-Exo-Ver­sor­gung berücksichtigt.

Ver­sor­gungs­be­ra­tung des Patienten

Schon in der Erst­be­ra­tung des Pati­en­ten bezüg­lich sei­ner Ver­sor­gung, die vom Autor durch­ge­führt wur­de, stand fest, dass der ver­un­fall­te Pati­ent einen hohen Anspruch an sei­ne Lebens­qua­li­tät nach der Ampu­ta­ti­on und damit an die Pro­the­sen­ver­sor­gung stel­len wür­de. Denn neben der Rück­kehr in sein Fami­li­en- und Berufs­le­ben woll­te er auch sei­nen Sport wie­der aktiv betrei­ben kön­nen. Auf­grund der Ampu­ta­ti­ons­hö­he mit kur­zem Ober­arm­stumpf (Ampu­ta­ti­on im Bereich des pro­xi­ma­len Drit­tels des Ober­arms) 6 (Abb. 3) und sei­nes klar defi­nier­ten hohen Anspruchs an eine spä­te­re Ver­sor­gung wur­de für den 24.08.2020 eine Bera­tung bezüg­lich einer TMR-OP inklu­si­ve einer Osseo­in­te­gra­ti­on an der Uni­ver­si­täts­me­di­zin Göt­tin­gen terminiert.

Dar­in wur­de nach Abspra­che zwi­schen dem Pati­en­ten und dem Ope­ra­ti­ons­team sowie nach Begut­ach­tung u. a. der Stumpf­län­ge und der Beur­tei­lung der Com­pli­ance des Pati­en­ten im Kom­pe­tenz­team gemein­sam eine posi­ti­ve Ent­schei­dung bezüg­lich einer sol­chen Ver­sor­gungs­mög­lich­keit getrof­fen. Das Ärz­te­team beriet den Pati­en­ten bezüg­lich einer Ver­sor­gung mit dem „OPRA™ Implant Sys­tem“ (Inte­grum AB, Möln­dal, Schwe­den) und defi­nier­te die­ses mit ihm zusam­men als die am bes­ten geeig­ne­te Versorgung.

Für die­se Vari­an­te muss unter ande­rem das Ske­lett des Pati­en­ten aus­ge­wach­sen sein; zudem ist eine Hume­rus-Min­dest­län­ge von 8 cm not­wen­dig. Beim hier vor­ge­stell­ten Pati­en­ten war die­se Vor­ga­be gege­ben; sei­ne Hume­rus­län­ge ent­spricht genau die­ser vor­ge­ge­be­nen Min­dest­län­ge. Ziel war es, eine hoch­funk­tio­na­le Pro­the­se und eine ent­spre­chen­de Pro­the­sen­an­steue­rung zu errei­chen, gepaart mit einer ein­fa­chen Hand­ha­bung für den Anwen­der in sei­nem Alltag.

Kos­ten­kal­ku­la­ti­on

Bereits im Vor­feld der Ope­ra­ti­on (Step 1) war eine Kos­ten­kal­ku­la­ti­on zu erstel­len, die die Zeit bis zur Ver­sor­gung umfass­te, und eine wei­te­re für den Zeit­raum danach, um das Ziel einer mög­lichst guten Ver­sor­gung nicht durch büro­kra­ti­sche Zwän­ge zu gefährden.

Die­se Kos­ten­kal­ku­la­ti­on wur­de recht­zei­tig vor der TMR-OP und der Osseo­in­te­gra­ti­on mit dem Kos­ten­trä­ger bespro­chen. Zudem wur­den im Vor­feld mit dem Indus­trie­part­ner Otto­bock die Details der spä­te­ren Ver­sor­gung abge­klärt, weil die Pro­the­se mit einem elek­tro­ni­schen Bau­teil aus­ge­stat­tet wer­den soll­te, für wel­ches aktu­ell noch kei­ne Frei­ga­be für den Ein­satz nach einer Osseo­in­te­gra­ti­on vor­liegt: Der „Dyna­mi­cArm Plus“, ein myo­elek­trisch gesteu­er­tes und elek­tro­mo­to­risch ange­trie­be­nes Ell­bo­gen­ge­lenk, ist für die vor­ge­se­he­ne Ver­wen­dung bis­lang nicht frei­ge­ge­ben, weil Anga­ben des Implan­tat-Her­stel­lers zur Prü­fung in der vor­ge­nom­me­nen Kom­bi­na­ti­on noch feh­len. Aktu­ell kann man hier nur eine Son­der­frei­ga­be nach Abspra­che zwi­schen dem Her­stel­ler und dem ver­sor­gen­den Ortho­pä­die­tech­ni­ker erhal­ten. Die­se ist erfolgt und wur­de mit dem Kos­ten­trä­ger abge­stimmt. Auch wur­de das kom­plet­te Abhei­len des durch das Trau­ma ent­stan­de­nen Ober­arm­stump­fes abge­war­tet. Ohne­hin muss­te die Step-1-Ope­ra­ti­on auf Ende Janu­ar 2021 ver­legt wer­den, weil Pro­fes­sor Rickard Brå­ne­mark im Novem­ber bzw. Dezem­ber 2020 wegen der Coro­na­pan­de­mie nicht nach Deutsch­land ein­rei­sen konnte.

TMR und Osseointegration

TMR-OP und Step 1 (Abb. 4) der Osseo­in­te­gra­ti­on erfolg­ten am 27.01.2021 in der Uni­ver­si­täts­me­di­zin Göt­tin­gen 7. Nach einer Ein­wachs­pha­se der Fixie­rung im Hume­rus und einer Abhei­lung nach der TMR-OP erfolg­te am 23.06.2021 Step 2 der Osseo­in­te­gra­ti­on mit der Ein­brin­gung des Implan­ta­tes (Abb. 5) zur spä­te­ren Auf­nah­me für die Pro­the­se, eben­falls in Göt­tin­gen durch das Team aus der Uni­ver­si­täts­me­di­zin Göt­tin­gen von der Kli­nik für Unfall­chir­ur­gie, Ortho­pä­die und Plas­ti­sche Chir­ur­gie, bestehend aus Prof. Dr. med. Frank Bra­atz, Prof. Dr. med. Gun­ther Fel­me­rer und Dr. med. Jen­ni­fer Ernst sowie mit Unter­stüt­zung durch Prof. Rickard Brå­ne­mark von der Uni­ver­si­tät Göte­borg in Schwe­den. Für die Ver­sor­gung wur­de wie oben erläu­tert das „OPRA™ Implant Sys­tem“ von Inte­grum verwendet.

Phy­sio­the­ra­pie und Belastungstraining

Nach einer Ruhe­zeit von vier Wochen wur­de sodann phy­sio­the­ra­peu­tisch mit der Bewe­gung der Schul­ter begon­nen. Die Abduk­ti­on der Schul­ter wur­de aktiv bis 60 Grad ab Woche 7, bis 90 Grad wei­te­re 6 Wochen und über 90 Grad ab Woche 14 nach der OP beübt. Par­al­lel wur­de mit­tels Phy­sio­the­ra­pie der Rumpf mobi­li­siert, und nach Frei­ga­be durch den Fach­arzt konn­te der gan­ze Stumpf in all sei­nen mög­li­chen Bewe­gungs­aus­ma­ßen unein­ge­schränkt the­ra­piert wer­den, um einen maxi­ma­len Bewe­gungs­um­fang zu erhalten.

Nach einer Ein­heil­zeit (mit Rönt­gen­kon­trol­le nach 4, 8 und 12 Wochen) des Implan­ta­tes wur­de mit des­sen Druck- und Zug­be­las­tung mit­tels eines „Hume­rus Trai­ning Kit“ (Abb. 6) begon­nen. Das „Hume­rus Trai­ning Kit“ ist ein spe­zi­ell für die OPRA-Implan­tat­sys­te­me ent­wi­ckel­tes Tool, das zum Belas­tungs­trai­ning des Implan­ta­tes genutzt wird. Der Pati­ent kann hier­an Gewich­te anbrin­gen, um lang­sam das spä­te­re Gewicht einer Pro­the­se zu simu­lie­ren. Dazu kann er die Druck­be­las­tung auf das Implan­tat trai­nie­ren. In die­sem Fall wur­de über einen Zeit­raum von 10 Wochen das Tra­ge­ge­wicht um 50 g pro Woche erhöht und täg­lich eine Ver­la­ge­rung des Gewich­tes nach distal auf dem Trai­nings-Kit vor­ge­nom­men, bis das Ziel­ge­wicht der spä­te­ren Pro­the­sen­pass­tei­le erreicht war. Die Druck­be­las­tung wur­de par­al­lel trai­niert. Dazu wur­de der Belas­tungs­stab über die kon­trol­lier­te Gewichts­be­las­tung auf einer Waa­ge einem wöchent­lich anstei­gen­den Druck aus­ge­setzt, begin­nend mit 6 kg in der ers­ten Woche bis 12 kg in der zehn­ten Woche. Täg­lich wur­de hier­bei zehn­mal für jeweils 20 Sekun­den belastet.

Schon 4 Wochen nach Step 1 konn­te mit dem Signal­trai­ning begon­nen wer­den. In regel­mä­ßi­gen Abstän­den (1 × pro Woche) wur­de in her­kömm­li­cher Wei­se mit zwei Elek­tro­den die Mus­ku­la­tur am Bizeps und Tri­zeps genutzt, um zwei Signa­le zur Ansteue­rung des Pro­the­sen­sys­tems zu erhal­ten. Dies dien­te auch dazu, den Pati­en­ten zu moti­vie­ren und die Zeit bis zur Ver­sor­gung mit der Pro­the­se für das Trai­ning der Mus­keln zu nutzen.

Dabei wur­de das Pro­the­sen­sys­tem neben dem Pati­en­ten so auf­ge­baut, dass der „Dyna­mi­cArm plus“ auf glei­cher Höhe ange­bracht war wie sein erhal­te­ner Arm. Schritt für Schritt wur­de die Ansteue­rung so trai­niert und ange­passt, bis 4 Signal­punk­te ange­steu­ert wer­den konn­ten. Wich­tig war allen Betei­lig­ten, dass der Pati­ent sei­nen Phan­tom­be­we­gun­gen, die er aus dem Kopf abru­fen konn­te, erhält und somit intui­tiv zur Ansteue­rung nutzt. Phan­tom­be­we­gun­gen nennt man die vom Pati­en­ten im Gehirn noch nach­voll­zieh­ba­ren Bewe­gun­gen der nicht mehr vor­han­de­nen Glied­ma­ße. Durch das Trai­ning ver­bes­ser­te sich die­ses Bewe­gungs­mus­ter deut­lich. Die in Tabel­le 1 wie­der­ge­ge­be­ne Matrix doku­men­tiert das Ergeb­nis der TMR-Operation.

Für die Funk­tio­nen der in der Matrix hin­ter­leg­ten Ziel­mus­kel­area­le wur­de vom Team für jede aus­zu­füh­ren­de Akti­on eine Bewe­gungs­de­fi­ni­ti­on erar­bei­tet, die alle im Team iden­tisch im Wort­laut kann­ten. Die­se Benen­nun­gen der Aktio­nen rich­ten sich nach den Phan­tom­ge­dan­ken des Pati­en­ten. Für das Beu­gen des Armes lau­tet die Defi­ni­ti­on zum Bei­spiel: „(Phantom-)Arm nach innen unten bewe­gen“. Auf die­se Art und Wei­se ist ein schnel­les Umset­zen der Bewe­gun­gen erreich­bar. Natür­lich kön­nen die­se Bewe­gungs­de­fi­ni­tio­nen inner­halb des Teams neu bespro­chen werden.

Das Schmerz­ge­fühl des Pati­en­ten hat sich nach der Step-1-Ope­ra­ti­on immer mehr ver­bes­sert; der Anwen­der beschreibt aktu­ell ledig­lich einen leich­ten Schmerz, den er für sich als „Mus­kel­ka­ter“ defi­niert. Der vor der TMR bestehen­de Phan­tom­schmerz redu­ziert sich dem Anwen­der zufol­ge beim Tra­gen der Pro­the­se. Dies kann auf die Hume­rus­be­las­tung und auf die mus­ku­lä­re Bewe­gung, die zur Ansteue­rung not­wen­dig ist, zurück­zu­füh­ren sein.

Pro­the­sen­ver­sor­gung

Zum Ein­satz kamen das Ell­bo­gen­ge­lenk „Dyna­mi­cArm plus“ inklu­si­ve Rota­ti­on, die Elek­tro­hand „Myo­Hand Vari­Plus Speed“ und alter­na­tiv der Sys­tem­elek­tro­grei­fer „DMC Vari­Plus“ (alles Otto­bock, Duder­stadt). Die Ansteue­rung erfolgt über her­kömm­li­che „MyoBock“-Elektroden. Die­se wur­den dazu in spe­zi­ell ange­fer­tig­te Sili­kon­fas­sun­gen zum Auf­kle­ben (Abb. 7) auf den Ober­arm ein­ge­bet­tet. Die Pro­the­se wird seit dem 12.11.2021 getra­gen und ver­fügt über eine TMR-Ansteue­rung und aktu­ell vier Klebe-Elektroden.

Der Pati­ent hat vom ers­ten Tag an sei­ne Pro­the­se kom­plett selbst ange­legt und auch die Elek­tro­den selbst­stän­dig auf­ge­klebt, nach­dem dies im Team mit Ergo­the­ra­pie und Ortho­pä­die­tech­nik geübt wor­den war. Dank des Ner­ven­trans­fers kann der Anwen­der intui­tiv den Ellen­bo­gen ansteu­ern und die Greif­funk­ti­on der Hand bzw. des Grei­fers nach sei­nem Phan­tom­ge­fühl nutzen.

Aktu­ell (Stand: Juni 2022) trägt der Anwen­der die Pro­the­se ganz­tags; er ist an sei­nen Arbeits­platz zurück­ge­kehrt, und sei­ne Fami­lie stärkt ihm den Rücken. Der Pati­ent ist in regel­mä­ßi­ger the­ra­peu­ti­scher Behand­lung, um die Pro­the­se in sei­nen All­tag mög­lichst stark ein­zu­bin­den; aktu­ell ist eine Reha-Maß­nah­me bean­tragt, die­se soll im Som­mer 2022 in einer Fach­ein­rich­tung erfol­gen. Auch sein Ziel, wie­der als Tri­ath­let an den Start zu gehen, hat er nicht aus den Augen ver­lo­ren; im Team wird an einer spe­zi­el­len Pro­the­se dafür gearbeitet.

Fazit

Ist eine Ver­sor­gung wie die beschrie­be­ne (Abb. 8) als Stan­dard zu betrach­ten? Kann sie zum Regel­fall wer­den? Ist der Pati­ent in der Lage, im Nach­gang die Elek­tro­den auf den Signal­spots selbst­stän­dig und dau­er­haft zu positionieren?

Eine sol­che Ver­sor­gung kann nur in enger Abstim­mung der Fach­dis­zi­pli­nen und nur nach umfang­rei­cher Auf­klä­rung und Abklä­rung der Kos­ten­über­nah­me erfol­gen. Als Stan­dard­ver­sor­gung kann eine sol­che Ver­sor­gung schon des­halb nicht defi­niert wer­den, da es unab­hän­gig von den Wün­schen der Pati­en­ten auch eine Rei­he von Kon­tra­in­di­ka­tio­nen gibt, z. B. mali­gne Erkran­kun­gen, Dia­betes mel­li­tus, wach­sen­des Ske­lett, Immun­sup­pres­si­on, Che­mo­the­ra­pie oder schlech­te Com­pli­ance 5.

Die Ent­schei­dung über eine Endo-Exo-Ver­sor­gung muss des­halb in den Hän­den eines erfah­re­nen Kompetenz­teams ver­blei­ben. Auch muss von die­sem Team abge­schätzt wer­den, ob ein sol­cher – auch zeit­lich lan­ger – Weg mit dem Pati­en­ten gegan­gen wer­den kann. Die lan­gen Zeit­räu­me für das Ein­hei­len des Implan­ta­tes und das Ein­wach­sen des Ner­ven­trans­fers müs­sen zuvor gegen­über dem Pati­en­ten klar arti­ku­liert wer­den. Auch die not­wen­di­gen Ope­ra­tio­nen und die hohen Kos­ten müs­sen in die Betrach­tung mit ein­be­zo­gen werden.

Was die hier vor­ge­stell­te Ver­sor­gung betrifft, so hat sie sich in allen Punk­ten als Erfolg für den Anwen­der und damit auch des gesam­ten Teams erwie­sen. Aktu­ell wird an einer neu­en Metho­de der Elek­tro­den­be­fes­ti­gung gear­bei­tet, um das Auf­brin­gen der Elek­tro­den für den Anwen­der zu erleich­tern. Dafür wird Pio­nier­ar­beit geleis­tet: Der Pati­ent, der Indus­trie­part­ner Otto­bock und das Gesund­heits­zen­trum Greifs­wald expe­ri­men­tie­ren gemein­sam an einer Lösung, die evtl. spä­ter auch ande­ren Pati­en­ten zur Ver­fü­gung gestellt wer­den kann.

Ins­ge­samt haben die Teams in Greifs­wald und Göt­tin­gen sowie der Indus­trie­part­ner in Duder­stadt gezeigt, wie man inter­dis­zi­pli­när und über die Fach­grup­pen hin­weg einen Pati­en­ten auch nach einem so schwe­ren Schick­sals­schlag mit fort­schritt­li­cher Tech­no­lo­gie, moderns­ten Ope­ra­ti­ons­me­tho­den und nicht zuletzt durch ein hohes Ein­füh­lungs­ver­mö­gen in sei­ne kon­kre­te Situa­ti­on zurück ins Leben beglei­ten kann.

Dank­sa­gung

Der Autor bedankt sich bei Yvonne Begau und Erik And­res, Otto Bock Health­Ca­re GmbH, Duder­stadt, sowie bei Dr. Jen­ni­fer Ernst, Medi­zi­ni­sche Hoch­schu­le Han­no­ver, Kli­nik für Unfall­chir­ur­gie. Ein beson­de­rer Dank gilt zudem den Uni­ver­si­täts­me­di­zi­nern und ‑medi­zi­ne­rin­nen in Greifs­wald und Göttingen.

Der Autor:
Hans-Magnus Holz­fuß‚ OTM
Geschäfts­füh­ren­der Gesellschafter 
Gesund­heits­zen­trum Greifs­wald GmbH
Karl-Lieb­knecht-Ring 26
17491 Greifs­wald
h.holzfuss@gz‑g.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
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