OT: Ab wann haben Sie sich mit dem Gedanken einer Firmennachfolge getragen?
Arno Eschbach: Das Thema Nachfolge habe ich lange vor mir hergeschoben. Erst mit 59 Jahren, also 2017, ließ ich die Gedanken daran zu. Da meine Frau und ich keine eigenen Kinder haben, fiel eine innerfamiliäre Übergabe als Option aus. Es lief daher zunächst auf eine innerbetriebliche Nachfolge hinaus: Einer unserer langjährigen Mitarbeiter, der bereits bei uns seine Ausbildung absolviert hatte und inzwischen Orthopädie-Technik in Münster studierte und den Meisterbrief besaß, zeigte Interesse an einer Übernahme. Aber als alles besprochen und durchverhandelt war, trat er auf Wunsch seiner Familie von der Geschäftsübernahme zurück. Das war anfangs sehr enttäuschend und ein Schock für meine Frau und mich. Schließlich haben wir gemeinsam die Firma aufgebaut. Daher wissen wir aber auch, dass ein Unternehmen ohne die Unterstützung der Familie nicht zu leiten ist.
Neutraler Blick vom Unternehmensberater
OT: Wie gingen Sie die Suche nach einem externen Nachfolger an?
Eschbach: Wir holten uns Unterstützung bei unserem langjährigen Unternehmensberater. Aus meiner berufspolitischen Tätigkeit wusste ich zwar theoretisch, dass ein externer Interessent vor allem Marktanteile und Fachpersonal kauft, wenn er einen Betrieb erwirbt. Dennoch bewertete ich als Inhaber mein Unternehmen viel zu emotional, schätzte den Wert der Firma zu hoch ein. Für eine der fünf Filialen hatte ich beispielsweise als Hobbyschreiner die gesamte Einrichtung gebaut. Mir war klar, ein externer Käufer hat sein eigenes Ladenbaukonzept und wird meine Konstruktion nicht übernehmen. Dennoch schmerzte es mich, als beim Besichtigungsrundgang über den Abbau meiner Ladeneinrichtung gesprochen wurde. Diese Gefühle fing unser Unternehmensberater auf. Er warf einen neutralen Blick auf das Unternehmen und half uns, unsere Emotionen zurückzustellen, an die Bedürfnisse potenzieller Käufer zu denken und einen realistischen Verkaufspreis aufzurufen, mit dem wir in die Verhandlungen gehen konnten.
OT: Auf welcher Grundlage entstand dieser Verkaufspreis?
Eschbach: Als Grundlage diente der durchschnittliche Gewinn vor Zinsen und Steuern aus den letzten fünf Jahren, also der EBIT (Earnings Before Interest and Taxes, Anm. d. Red.) multipliziert mit einem Faktor, der zwischen drei und sieben liegen kann. Eine solche Basis kann ich nur empfehlen, denn diese Zahlen zeigen das Unternehmenspotenzial und geben beiden Seiten eine gewisse Sicherheit, mit einem realistischen Wert zu arbeiten. Das ist wichtig, weil es ja nie eine Garantie für Käufer gibt. Denken Sie an Corona. Das Unternehmen wurde ohne Immobilien veräußert. Hätte ich nicht im Herbst 2019 verkauft, hätte ich bei einem späteren Verkauf entweder mit erheblichen Verlusten rechnen oder mindestens weitere fünf Jahre auf einen Verkauf verzichten müssen. Im Übrigen kann ich Kollegen, die sich derzeit mit ihrer Nachfolge beschäftigen, von Modellen wie Verrentung oder Beteiligung nur abraten. Das ist alles nicht attraktiv genug für etwaige Nachfolger.
Keine reinen Umsatzinteressen erwünscht
OT: Wie haben Sie Ihren Nachfolger gefunden?
Eschbach: Ganz klassisch: Unser Unternehmensberater veröffentlichte eine Ausschreibung, ohne zu viel über unser Unternehmen zu verraten. Das war wichtig, weil bereits Gerüchte um einen Verkauf oder eine anstehende Nachfolge den Preis sinken lassen. Deshalb mussten wir unsere Absichten vor den eigenen Mitarbeitern lange geheim halten. Das war der wahrscheinlich schwierigste und emotionalste Abschnitt des Prozesses. Denn ohne meine Sekretärin zum Beispiel war ich aufgeschmissen. Für die Verhandlungen und den Übergabeprozess musste ich unendlich viele Papiere vorlegen, darunter alle Arbeitsverträge, Leasingverpichtungen usw., die ich ohne sie gar nicht gefunden hätte. Wenn sich eine mögliche Übergabe herumspricht und dann schiefgeht, ist der Betrieb tot.
OT: Wie viele Bewerber haben sich auf die Ausschreibung gemeldet?
Eschbach: Insgesamt 14. Allerdings kamen davon nur drei in Frage, denn meine Frau und ich wollten unser in 29 Jahren aufgebautes Unternehmen keinem ausschließlich von Umsatzinteressen getriebenen Bewerber anvertrauen. Dafür haben wir nicht all die Jahre geschuftet. Mit zwei Firmen gingen wir dann in Verhandlungen.
OT: Was waren Ihre wichtigsten Kriterien bei der Auswahl?
Eschbach: Für mich waren drei Kriterien entscheidend: Die Nachfolger sollten Filialen führen können, meine 23 Mitarbeiter übernehmen und ein Konzept zur Unternehmensentwicklung vorlegen, das auf einen Personalabbau verzichtet sowie den Angestellten eine Perspektive bietet.
OT: Warum fiel die Entscheidung auf das Marburger Sanitätshaus Kaphingst?
Eschbach: Boris Pichler, der geschäftsführende Gesellschafter der Kaphingst GmbH, erfüllte all diese Kriterien. Zudem konnte er den Mitarbeitern sogar Perspektiven bieten, die sie bei mir nicht hatten. Hinzu kam mein Bauchgefühl. Im Laufe der Verhandlungen entstand Vertrauen zwischen uns. Ohne Sympathie und ein gegenseitiges Grundvertrauen geht eine Übergabe einfach nicht. Der Rest sind Details, die man klären muss und die selbst im 167-seitigen Kaufvertrag nicht alle Erwähnung finden können.
OT: Wann haben Sie Ihre Mitarbeiter ins Boot geholt?
Eschbach: Erst acht Wochen vor der geplanten Schlüsselübergabe haben meine Frau und ich alle Mitarbeiter zusammengerufen und sie über den Inhaberwechsel informiert. Da sind wir emotional ganz schön an die Grenze gekommen, denn mit einigen sind wir eng befreundet. Die meisten zeigten großes Verständnis für den Schritt. Zwei Mitarbeiterinnen fühlten sich allerdings „verkauft“. Allen wurde eine Perspektive geboten und so freut es mich besonders, dass auch zwei Jahre nach der Übernahme alle noch bei meinem Nachfolger beschäftigt sind – trotz der Corona-Pandemie mit den vielfältigen Auswirkungen auf Sanitätshäuser und ihr Personal.
Glasklare Absprachen und Vertrauen
OT: Wie haben Sie den Übergabeprozess gestaltet?
Eschbach: Die Verhandlungen dauerten ca. vier bis fünf Monate. Danach begann die heiße Phase der Übergabe ca. drei Monate vor dem ofziellen Termin. Der gesamte Prozess zog sich aber noch sieben Monate danach hin. In den Verhandlungen hatten wir den Deal geschlossen, dass ich die Firma mit vollen Auftragsbüchern übergebe. Die Firma Kaphingst sollte die Finalisierung und Abrechnung der Aufträge nach der Übergabe sicherstellen und mich im Anschluss an die Abwicklung dafür entlohnen. An meinem letzten Tag gingen wir durch die Filialen und listeten alle ca. 400 noch nicht abgerechneten Aufträge auf. Herr Pichler ging somit an Bord eines unter Volldampf fahrenden Schiffes. Damit das gelingt, braucht es vorher glasklare Absprachen.
OT: Wer leitet seit der Übernahme die Geschicke Ihrer ehemaligen fünf Standorte?
Eschbach: Hier schloss sich der Kreis. Unser Mitarbeiter, der die Übernahme in Eigenregie nicht stemmen wollte, ist als Teamleiter für Kaphingst für die fünf Orthopädieschuhtechnik-Filialen als fachlicher Leiter verantwortlich. Vorteil: Wir mussten niemanden neu einarbeiten und der Kollege muss nicht die gesamte Verantwortung tragen.
OT: Ist mit der Schlüsselübergabe der Prozess abgeschlossen?
Eschbach: Oh nein! Rund sieben Monate nach der Übergabe war der Betrieb organisatorisch abgewickelt und ich erhielt die letzte Zahlung. Nach 18 Monaten gab ich die letzte Meldung an das Finanzamt ab. Daran sieht man schon, wie wichtig Vertrauen ist. Mein Vertrauen wurde zum Glück nicht enttäuscht! Boris Pichler erwies sich als äußert zuverlässiger Partner. Die Übergabe lief von beiden Seiten wie geschnitten Brot. In den sieben Monaten nach dem ofziellen Schluss war ich zudem mit allerlei Papierkram beschäftigt. Sie müssen sich ja von allem abmelden, ob Mitgliedschaften bei der Handwerkskammer oder der Innung, Leasingverträge, Versicherungen und vieles mehr. Im Nachhinein wurde mir dadurch erst bewusst, wie viele Mosaiksteine wir im Laufe der 29 Jahre für fünf Standorte zusammengetragen hatten.
Achterbahn der Gefühle
OT: Hat die Übergabe Sie mental belastet?
Eschbach: Alles in allem waren die Jahre vom ersten Gedanken an eine Übergabe bis zur endgültigen Abwicklung eine Achterbahn der Gefühle. Auch im Nachhinein gibt es mentale Belastungen: Mit der Geschäftsaufgabe geht der Verlust von Wertschätzung und Einfluss einher. Im Grunde zieht sich das durch alle Lebensbereiche. Dennoch sind unsere Tage viel entspannter als früher. Es tut gut, nicht mehr die Verantwortung für 23 Mitarbeiter und ihre Familien zu tragen.
OT: Welche professionelle Unterstützung haben Sie sich über den Unternehmensberater hinaus geholt?
Eschbach: Natürlich haben wir die Beratungsmöglichkeiten der Handwerkskammer und der Industrie- und Handelskammer genutzt. Allerdings waren diese Informationen wenig fruchtbar. Unsere Steuerkanzlei hingegen war eine große Hilfe bei der Vorbereitung und Durchführung der Übergabe. Eine psychologische Unterstützung haben wir nicht gesucht, da meine Frau und ich uns über die emotionale Belastung austauschen konnten, die eine Übergabe mit sich bringt.
Entspannung pur
OT: Wie schauen Sie heute auf die Unternehmensnachfolge? Würden Sie im Rückblick etwas anders machen?
Eschbach: Man muss für sich selbst die Entscheidung treffen, jetzt ist der Zeitpunkt, um loszulassen. Dann darf man nicht mehr ins Wanken geraten. Ich kann nur allen Kollegen empfehlen, wenn sie einmal den Entschluss gefasst haben, das Geschäft an wen auch immer zu übergeben, dabei zu bleiben. Es ist zuweilen hart, aber der klare Schnitt tut gut. Die Entscheidung für die Unternehmensnachfolge war eine der besten meines Lebens. Mit Herrn Pichler und seinem Team haben wir eine Lösung zum Wohle aller gefunden. Gleichzeitig genießen wir es, nicht mehr die Verantwortung zu tragen. Selbst der Zeitpunkt – vor der Corona-Pandemie – konnte nicht besser gewählt werden.
OT: Wie sieht Ihr Ruhestand aus?
Eschbach: Wir frühstücken gemütlich und trinken jeden Nachmittag Kaffee auf unserer Terrasse. Dazwischen stehen die ausführliche Zeitungslektüre und die Spaziergänge mit unseren Hunden an. Stück für Stück widme ich mich zudem der Instandhaltung des Hauses. Hier ist in den arbeitsreichen Jahren viel liegen geblieben. Manchmal träume ich noch nachts von der Konstruktion einer Einlage (lacht).
Die Fragen stellte Ruth Justen.
Betriebsübernahme: Was Alexander Müller, Geschäftsführer des Sanitätshauses Thönnissen, im Interview von seinen Erfahrungen mit einer Übernahme berichtet, lesen Sie hier.
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