Exo­pro­the­sen­re­gis­ter: Mehr Evi­denz für eine bes­se­re Versorgung

Weniger als 30 Prozent der Patienten mit Amputation im Diakonie Klinikum Jung-Stilling in Siegen wurden im Zeitraum Januar bis Juli 2020 orthopädietechnisch versorgt, so lautet das erste überraschende Ergebnis eines auf zwei Jahre angelegten Pilotprojektes für ein Exoprothesenregister Deutschland (ExoPRD) am Klinikum. Dies erklärte Dr. Ralf-Achim Grünther, Oberarzt am Diakonie Klinikum, bei der Podiumsdiskussion „Digitalisierung Evidenz und ein Deutsches medizinisches Register für die Versorgung Amputierter“ am 27. Oktober im Rahmen der OTWorld.connect.

„Bereits die­ses ers­te Ergeb­nis zeigt, wie drin­gend wir ein inter­dis­zi­pli­nä­res Exo­pro­the­sen­re­gis­ter – eine stan­dar­di­sier­te Doku­men­ta­ti­on – benö­ti­gen, um die Qua­li­tät und Nach­hal­tig­keit unser aller Arbeit wis­sen­schaft­lich über­prüf­bar zu machen“, beton­te der Fach­arzt für Ortho­pä­die und Unfall­chir­ur­gie, tech­ni­sche Ortho­pä­die und Ret­tungs­me­di­zin, in sei­nem Impuls-State­ment. „Regis­ter sind eine wesent­li­che Metho­de der Ver­sor­gungs­for­schung. Gleich­zei­tig stel­len Ampu­tier­te eine Grup­pe dar, die sel­ten oder nie durch kli­ni­sche Stu­di­en abge­bil­det wird“, so Grün­ther auf Nach­fra­ge der OT-Redak­ti­on weiter.

Kei­ne zusätz­li­che Arbeit für Sanitätshäuser

Seit Jah­ren for­dern Exper­ten der Tech­ni­schen Ortho­pä­die (TO) die Ein­füh­rung eines zen­tra­len Regis­ters in Deutsch­land für mehr Evi­denz in der Ortho­pä­die-Tech­nik. Zumal die fort­ge­schrit­te­ne Digi­ta­li­sie­rung der Bran­che den Auf­bau und die Aus­wer­tung einer Daten­bank begüns­ti­gen. „Aller­dings benö­ti­gen wir dafür ein­heit­li­che Erhe­bungs­bö­gen, weil nur so die Zah­len ver­gleich­bar sind“, meint Dr. Ralf-Achim Grün­ther. Für das Pilot­pro­jekt haben sich die Mit­glie­der der Arbeits­grup­pe zum Pilot­pro­jekt Exo­PRD, zu der unter ande­rem Mer­kur Ali­mus­aj, Lei­tung Tech­ni­sche Ortho­pä­die am Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Hei­del­berg, und Prof. Bern­hard Grei­temann, Ärzt­li­cher Direk­tor der Kli­nik Müns­ter­land am Reha-Kli­ni­kum Bad Rothen­fel­de, gehö­ren, gemein­sam mit dem Bun­des­in­nungs­ver­band für Ortho­pä­die-Tech­nik (BIV-OT), Axel Sig­mund, und der Deut­schen Gesell­schaft für inter­dis­zi­pli­nä­re Hilfs­mit­tel­for­schung (DGIHV), Prof. Wolf­ram Mit­tel­mei­er, auf einen Erhe­bungs­bo­gen mit 50 Fra­gen geei­nigt. „Von Anfang an war klar, es darf kei­ne zusätz­li­che Doku­men­ta­ti­ons­ar­beit auf die Sani­täts­häu­ser zukom­men“, betont Grün­ther im Gespräch.

Gemein­sa­me Aus­wer­tung von DGOU und DGIHV

Die Ein­ga­be der ein­ge­hen­den Daten, immer­hin 785 Pati­en­ten­da­ten lie­gen der Kli­nik seit Beginn des Pilot­pro­jek­tes bereits vor, erfolgt in ein zen­tra­les Regis­ter der Deut­schen Gesell­schaft für Ortho­pä­die und Unfall­chir­ur­gie (DGOU). An der Aus­wer­tung sind neben der DGOU auch die DGIHV und der BIV-OT betei­ligt. Ihr gemein­sa­mes lang­fris­ti­ges Ziel ist es, für ampu­tie­ren­de Kli­ni­ken, Ärz­te, Sani­täts­häu­ser und Ortho­pä­die­tech­ni­ker sowie Kos­ten­trä­ger eine ein­heit­li­che Trans­pa­renz der Ver­sor­gung zu schaf­fen und par­al­lel die Anfor­de­rung der euro­päi­schen Medi­zin­pro­duk­te­ver­ord­nung (MDR) zu erfüllen.

Vor­bild Endoprothesenregister

Dazu sei man in regel­mä­ßi­gem Gedan­ken­aus­tausch mit Dr. Andre­as Hey, der als Geschäfts­füh­rer des EPRD Deut­sches Endo­pro­the­sen­re­gis­ter über reich­hal­ti­ge Erfah­run­gen im Auf- und Aus­bau eines Regis­ters habe. Das im Jahr 2012 auf­ge­setz­te Endo­pro­the­sen­re­gis­ter hat mit Stand April 2020 über 1,4 Mil­lio­nen Implan­ta­tio­nen von Hüft- und Kniet­o­tal­end­pro­the­sen erfasst. Nach Anga­ben des EPRD wird im kom­men­den Jahr das Implan­tat­re­gis­ter Deutsch­land (IRD) star­ten. Ab da soll die Teil­nah­me für die behan­deln­den Kli­ni­ken nicht mehr frei­wil­lig, son­dern ver­pflich­tend sein. Wobei sich schon jetzt vie­le Kli­ni­ken am Regis­ter betei­lig­ten, wie Dr. Andre­as Hey zum Welt­kon­gress erklär­te. Das lie­ge auch­dar­an, dass die Kli­ni­ken zwei Mal im Jahr eine Aus­wer­tung ihrer Kli­nik­da­ten zur Ver­bes­se­rung ihrer Arbeit erhalten.

Die­sen Effekt wünscht sich auch Dr. Grün­ther. „Lei­der sto­ßen wir bis­her bei der Rekru­tie­rung von Sani­täts­häu­sern für unser Pilot­pro­jekt auf gerin­ges Inter­es­se.“ Dabei sei doch das wesent­li­che gemein­sa­me Ziel aller an der Ver­sor­gung Betei­lig­ter: Wie zufrie­den ist der Nut­zer mit der jewei­li­gen Versorgung?

„Ein Exo­pro­the­sen­re­gis­ter Deutsch­land, also die sys­te­ma­ti­sche Erhe­bung behand­lungs­re­le­van­ter und fest­ge­leg­ter Daten sowie deren wis­sen­schaft­li­che Aus­wer­tung, stär­ke mit­tels medi­zi­ni­scher Evi­denz in der Behand­lung Ampu­tier­ter alle Dis­zi­pli­nen der Tech­ni­schen Ortho­pä­die“, erklärt der Ober­arzt. Medi­zi­ni­sche Evi­denz sei auch ein zen­tra­les Ele­ment bei der Umset­zung der MDR, deren Über­gangs­frist zum 26. Mai 2021 enden soll. Zudem erleich­tert die bun­des­wei­te Ver­ein­heit­li­chung von Doku­men­ta­ti­ons­struk­tu­ren die Arbeit von Sanitätshäusern.

Brei­te Unterstützung

Übri­gens: Unter­stüt­zung für sei­ne For­de­rung nach einem Exo­pro­the­sen­re­gis­ter Deutsch­land erhielt Dr. Grün­ther in der Podi­ums­dis­kus­si­on von allen wei­te­ren Teil­neh­mern der Run­de: Mer­kur Ali­mus­aj, Prof. Bern­hard Grei­temann, Dr. Andre­as Hey, Die­ter Jüpt­ner, Bun­des­ver­band für Men­schen mit Arm- und Bein­am­pu­ta­ti­on e.V. (BMAB), Prof. Wolf­ram Mit­tel­mei­er, Direk­tor der Ortho­pä­di­schen Kli­nik und Poli­kli­nik Ros­tock, sowie Alf Reu­ter, Prä­si­dent des BIV-OT. Bleibt abzu­war­ten, ob die Dis­kus­si­ons­run­de zur OTWorld.connect die Geburts­stun­de einer inter­dis­zi­pli­nä­ren Part­ner­schaft zuguns­ten eines deutsch­land­wei­ten Exo­pro­the­sen­re­gis­ters war.

Im ers­ten Quar­tal 2022 rech­net Dr. Grün­ther mit den Ergeb­nis­sen des Sie­ge­ner Pilot­pro­jek­tes und hofft, damit einen bedeu­ten­den Schritt wei­ter zu sein im Auf­bau eines deutsch­land­wei­ten Registers.

Von Ruth Justen

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