OT: Herr Beermann, wie sorgen Sie in Shutdown-Zeiten für Sichtbarkeit?
Henning Beermann: Wir informieren unsere Kunden aktiv per Anzeige in der Tageszeitung, aber auch auf unserer Website sowie auf Facebook und Instagram über unsere Angebote und über die Veränderungen unserer Geschäftstätigkeit während der Corona-Pandemie. Zusätzlich erfahren Kunden über Aushänge an unseren Filialen, wie die neuen Lieferbedingungen ausschauen und welche Regeln im Geschäft gelten. Der permanente Austausch mit unseren Kunden ist uns insbesondere in diesen außergewöhnlichen Zeiten wichtig.
OT: Was haben Sie für Kunden und Mitarbeiter verändert?
Beermann: Dank der inzwischen laufenden Informationen des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik (BIV-OT), des Zentralverbandes des Handwerks (ZDH) und der Kreishandwerkerschaft hat sich die anfängliche Verunsicherung gelegt, welche Maßnahmen zum Schutz von Patienten und Mitarbeitern zu ergreifen sind. Entsprechend der Informationen haben wir unsere Mitarbeiter nochmal geschult. Kollegen, die auch nur über zwei Ecken Kontakt mit Corona-Patienten hatten, mussten zu Hause bleiben. Andere Kollegen arbeiten teilweise im Schichtsystem, um den notwendigen Abstand untereinander einzuhalten. Wir verzichten zudem, wo immer es geht, auf den direkten Kundenkontakt im Geschäft oder in der häuslichen Umgebung. Abteilungen wie die Prothetik mit unmittelbarem Körperkontakt haben wir stark reduziert.
Für Notfälle sind wir aber auch in diesem Bereich selbstverständlich da.
Waren können, dank des Bürokratieabbaus ohne persönlichen Kontakt ausgeliefert und von uns per Unterschrift bestätigt werden. Zudem gelten bei all unseren Filialen Zugangsbeschränkungen. Unsere Kunden reagieren überwiegend mit großem Verständnis auf die Maßnahmen. Sehr viel Arbeitszeit nimmt die Beschaffung von Schutzausrüstung in Anspruch, da wir nur noch über Restbestände verfügen. Ich habe mir buchstäblich die Finger wund telefoniert. Inzwischen konnte ich zu stark gestiegenen Preisen Material bestellen, von dem ich hoffe, dass es rechtzeitig ankommt. Schließlich arbeiten wir Sanitätshäuser vor allem mit Patienten mit Vorerkrankungen. Dass wir von der Politik als systemrelevant eingeschätzt werden, ist gut und richtig. Aber ohne Schutzmaterial ist das System nicht aufrechtzuerhalten.
OT: Wie ist Ihre wirtschaftliche Situation?
Beermann: Selbstverständlich wirkt sich die Corona-Krise auch auf unser Geschäft negativ aus. Derzeit vermeiden viele Patienten einen Arztbesuch und die Arztpraxen behandeln ihrerseits nur Notfälle, sodass uns weniger Rezepte erreichen. Die Laufkundschaft bleibt natürlich auch weg. Auf der anderen Seite laufen Sparten wie die Wund- oder Stomaversorgung weiter. Noch ist bei uns keine Kurzarbeit angesagt, dennoch habe ich sie vorsichtshalber angezeigt. Das gibt mir einen Spielraum von drei Monaten, um im Notfall unkompliziert Kurzarbeit zu beantragen.
OT: Was könnten Politik und Verbände über die angekündigten Maßnahmen hinaus für den Sanitätshandel tun?
Beermann: Bevor ich kritisiere, möchte ich ausdrücklich das Instrument der Kurzarbeit loben, das ich für sehr sozial gegenüber den Mitarbeitern und Betrieben halte. Alle haben laufende Verpflichtungen, denen sie dadurch weitgehend nachkommen können. In Sachen Kredite bin ich allerdings skeptisch. Schulden verlagern nur das Problem. Was ich mir darüber hinaus wirklich von der Politik wünschen würde, ist eine Gleichstellung mit Apotheken. Im Normalfall gehen Patienten in eine Apotheke, reichen ihr Rezept über den Tisch und bekommen das Medikament. In Sanitätshäusern müssen wir bei Einreichung eines Rezeptes bürokratische Hürden überwinden, in dem wir Unterschriften für die Datenschutzerklärung und für erfolgte Beratung, Mehrkosten und den Empfang des Hilfsmittels einholen. Das empfinde ich als Stigma. In der Corona- Krise wurden diese bürokratischen Hürden außer Kraft gesetzt. Das sollte auch danach beibehalten werden und Sanitätshäuser endlich von diesem Stigma befreit werden. Den aktuellen Hashtag #systemrelevant würde ich daher gern ergänzen mit #entstigmatisierung und #entbürokratisierung.
OT: Welchen Stellenwert nimmt die Desinfektion in der gegenwärtigen Situation ein?
Beermann: Eigentlich ist Hygiene immer ein überpräsentes Thema für uns und nimmt einen hohen Stellenwert ein. Das gilt sowohl für Sonderanfertigungen wie Prothesen als auch für Hilfsmittel, wie Pflegebetten, die von mehreren Patienten genutzt werden. Hier sind wir auch in der Wiederaufbereitung von Leihhilfsmitteln in der Verantwortung.
OT: Ist die Corona-Pandemie der Anlass für Ihren aktuellen Praxistest eines neuen Desinfektionssystems?
Beermann: Nein. Aber es passt sehr gut in diese Krise. Ich suche schon lange nach einem automatisierten Desinfektionssystem für Hilfsmittel und Medizinprodukte, damit ich meine Mitarbeiter entlasten kann. Zum anderem möchte ich zur Sicherheit meiner Patienten und der Mitarbeiter sowie für meinen eigenen ruhigen Schlaf gern ein System nutzen, das valide ist, also überprüf- und nachweisbar funktioniert. Und natürlich schwebt auch die Einführung der Medizinprodukteverordnung über uns, die letztlich die Nachprüfbarkeit aller Herstellungs- und Wiederaufbereitungsprozesse von Medizinprodukten nach sich zieht. Bei meiner Suche nach einem solchen System traf ich letztes Jahr in Kassel die Firma Boga Gerätetechnik. Deren neues aerogenes Desinfektionssystem „Rax“ war das erste System, das mich konzeptionell überzeugt hat. Nun gibt es viele Produkte, die auf dem Papier vielversprechen. Seit Anfang März bis Ende Mai testen wir deshalb das System in der Praxis.
OT: Wie funktioniert das System?
Beermann: Wir haben in unserem Bereich Reha-Technik drei Räume eingerichtet, die für die Reinigung und Lagerung von Hilfsmittel gedacht und mit einem Schleusensystem ausgestattet sind. Im ersten Raum werden die Hilfsmittel gereinigt. Im zweiten Raum erfolgt die Trocknung und anschließend die Desinfektion und im dritten Raum die Lagerung. Den Desinfektionsraum hat die Firma Boga mit ihrem aerogenen Rax-Desinfektionssystems ausgestattet und Bioindikatoren installiert, die für uns jederzeit überprüf- und nachweisbar berichten können, ob der Wirkstoffnebel alle Bereiche des Raumes und alle zu desinfizierenden Hilfsmittel erreicht hat, um Bakterien, Pilze, Sporen und Viren, inklusive Covid-19, auf das gesetzlich vorgeschriebene Maß zu reduzieren.
OT: Können Sie schon ein erstes Fazit zur Testphase ziehen?
Beermann: Bisher funktioniert das System einwandfrei und gibt uns die Sicherheit im wahrsten Sinne des Wortes „saubere“ Arbeit abzuliefern. Zudem entlastet es meine Mitarbeiter aufgrund der automatisierten Prozesse. Klar muss ich mit Investitionskosten in die Technik und das Desinfektionsmaterial rechnen, kann aber gleichzeitig das Fachpersonal zielgerichteter einsetzen.
OT: Was nehmen Sie aus der Corona-Krise mit?
Beermann: Erstmal bin ich glücklich, dass in unserem Umfeld bisher keine schweren Corona-Erkrankungen oder gar ein Todesfall aufgetreten sind. Nach wie vor bin ich sehr geschockt, wie schnell Deutschland vor ernsthafte Probleme bezüglich der schon angesprochenen Schutzausrüstung gestellt wurde. Bei höheren Infektionsraten oder gar einer höheren Mortalität wäre das eine pure Katastrophe geworden. Daraus müssen wir für die Zukunft unbedingt lernen, entsprechende Depots aufbauen und insgesamt mehr Geld für das Gesundheitswesen ausgeben. Trotz der wirtschaftlich schweren Zeiten, hat die Krise auch positive Effekte: Wir haben als Team einen starken Zusammenhalt entwickelt, aus dem heraus viele Impulse für die Arbeit im Krisenmodus aber auch für die zukünftige Zusammenarbeit entstanden sind. Auch haben alle Kollegen ein sehr hohes Verständnis für eingeführte Maßnahmen und bringen sich gleichzeitig mit tollen Ideen ein, wie wir unserer Aufgabe als Versorger gerecht werden können. Diesen Zusammenhalt möchte ich gern mitnehmen in die Nach-Corona-Zeit.
Das Interview führte Ruth Justen.