OT: Herr Reuter, Herzlichen Glückwunsch zur Wahl zum Präsidenten des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik. Was waren Ihre ersten Gedanken nachdem die Wahlentscheidung bekannt gegeben wurde?
Alf Reuter: Freude darüber, dass es keine Gegenstimme gegeben hat. Das ist ein starkes Votum und ein großer Vertrauensvorschuss für mich und meine Präsidentschaft.
OT: Wie lange dauerte der Prozess bis letztlich die Entscheidung fiel zu kandidieren?
Reuter: Dieser Prozess dauerte mehrere Jahre. Denn schon wenn man als Vizepräsident kandidiert, schaut man mit einem Auge auf das Amt des Präsidenten.
OT: Welche Argumente haben Sie davon überzeugt, sich zur Wahl zu stellen?
Reuter: Die Orthopädie-Technik hat mir so viel gegeben, dass es jetzt erstmal heißt zurückzugeben. Dann habe ich in den drei Jahren als Vizepräsident gesehen, wo die Herausforderungen der nächsten Jahre liegen und ich glaube, ich kann da helfen. Außerdem hat mir der eine oder andere sehr erfahrene Kollege gesagt: „Alf, das musst du machen!“
OT: Wie lief für Sie ganz persönlich die Delegiertenversammlung ab?
Reuter: Der gesamte Tag hatte ein sehr strammes Programm und die Damen von der Protokollabteilung des BIV-OT sind in diesem Fall gnadenlos. Erst einmal lag der Fokus darauf, keinen Formfehler zu begehen, aber dafür hatte ich zum Glück Herrn Norbert Stein, unseren Justiziar im Bundesinnungsverband, neben mir. Zwischendurch gab es Fototermine, Gesprächstermine und natürlich auch die Vorbereitung auf das Frühlingsfest. Da blieb wenig Zeit darüber nachzudenken, was da eigentlich im Moment passiert.
OT: Welche Aufgaben ihres Vorgängers Klaus-Jürgen Lotz wollen Sie fortführen?
Reuter: Eine Kunst des Präsidenten ist es, viele Bälle in der Luft zu halten, ohne dass es anstrengend aussieht. Darin ist und bleibt Klaus-Jürgen Lotz ein Meister. Es gibt nur wenige Handwerksverbände, die so mit der Politik und angrenzenden Verbänden aus der Medizin und der Industrie vernetzt sind, wie wir. Diese Vernetzungsarbeit im gleichen Maße fortzuführen sehe ich als meine Aufgabe an.
OT: Welche neuen Schwerpunkte wollen Sie setzen?
Reuter: Einerseits kommt die Arbeit des BIV häufig nicht bei unseren Mitgliedern an, so dass sich für manche die Frage stellt: ‚Wofür brauchen wir die vom BIV überhaupt?‘ Das möchte ich ändern. Außerdem wird es nach der Coronakrise meine Aufgabe sein, durch die gesamte Bundesrepublik zu reisen und zu fragen, wo den Kolleginnen und Kollegen der Schuh drückt. Ich bin selbst Unternehmer, aber nicht so vermessen, um zu meinen, dass ich alles weiß, was für unser Fach relevant ist. Der BIV sind nicht ‚die da oben‘, sondern wir alle
OT: Welche Herausforderungen sehen Sie für das Jahr 2020?
Reuter: Wir müssen diese Coronakrise überstehen! Dafür kämpfe ich, dafür kämpft der BIV. Alles andere sollten Sie mich danach fragen.
OT: Was bedeutet das Engagement als Präsident für Sie privat?
Reuter: Ich habe jetzt weniger Zeit für die noch schöneren Dinge als die Orthopädie-Technik. Aber sie kennen sicher den Witz wo der Rabbi sagt: „Das Leben fängt an, wenn der Hund tot und die Kinder aus dem Haus sind.“ Da befinde ich mich jetzt. Aber ohne die Toleranz und Unterstützung meiner Frau wäre meine Präsidentschaft sicher so nicht möglich.
OT: Wie sieht es mit der Aufgabenteilung zwischen präsidialem Ehrenamt auf der einen und der hauptamtlichen Tätigkeit beim OTZ Lichtenau aus?
Reuter: Ich habe das große Glück eine ganz hervorragende Mannschaft von Teamleitern in meinem Unternehmen zu haben. Diese Kollegen halten mir mit ihrer Arbeit den Rücken frei. Genau so sieht es beim BIV aus. Wir geben eine Fachzeitschrift heraus, um die uns weltweit die Kollegen beneiden, wir verlegen Fachbücher, wir richten alle zwei Jahre mit der OTWorld eine internationale Leitmesse und Weltkongress aus, wir halten derzeit mehr als 50 selbst verhandelte Verträge, wir haben eine Bundesfachschule für Orthopädie-Technik, die weltweit zu den wissensvermittelnden Leuchttürmen unseres Fachs zählt. Hier wie dort arbeiten absolute Spezialisten auf Top-Niveau. Für die Verstärkung der politischen Arbeit, die in den vergangenen neun Jahren hauptsächlich und allein Klaus-Jürgen Lotz verantwortet hat, bauen wir gerade eine Stabsstelle Kommunikation auf. Meine Aufgabe ist im Unternehmen wie im Verband: das große Ganze im Auge haben, weiter zu denken, zu führen und Impulse zu geben.
OT: Welche Unterstützung erhoffen Sie sich in ihrer Amtszeit?
Reuter: Einigkeit und Zusammenhalt. Es wird immer unterschiedliche Meinungen geben. Wichtig ist, im Sinne der Einigkeit diese Meinungsverschiedenheiten auszutragen und nach gemeinsamen Lösungen zu suchen, die das Fach weiterbringen.
OT: Wie wird die Aufgabenverteilung zwischen Ihnen und Ihrem Vizepräsidenten Albin Mayer sein?
Reuter: Albin Mayer hat neben der Vizepräsidentschaft auch das Amt des Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses inne. Herr Mayer wird sich daher hauptsächlich um den Bereich Wirtschaft und Verträge kümmern. Das hat er schon die vergangenen Jahre getan und wird diese erfolgreiche Arbeit fortsetzen.
OT: Eine Ihrer ersten „Amtshandlungen“ war die Entscheidung, die OTWorld auf Grund der Coronavirus-Epidemie zu verschieben, mitzutragen. Haben Sie sich diesen rasanten Einstieg in ihre Präsidentschaft so vorgestellt?
Reuter: Nein, damit kann niemand rechnen. Aber Flagge oder auch klare Kante zu zeigen, gehört zu diesem Amt dazu.
OT: Ein Wort zu Covid-19 beziehungsweise dem Umgang mit dem Coronavirus. Der BIV-OT hat eine eigene Task-Force eingerichtet. Wie schätzen Sie die Situation für die Sanitätshäuser ein?
Reuter: Wir haben in unserem Fach einen Zusammenhalt wie schon lange nicht mehr. Derzeit arbeiten im Hintergrund alle Leistungserbringerverbände und die Kollegen von der Orthopädie-Schuhtechnik mit dem BIV rund um die Uhr auf einer Web-Plattform an Lösungen, die uns allen die Arbeit erleichtert. Die Obermeister und Geschäftsführer der Landesinnungen besprechen in kurzen Abständen in Videokonferenzen solidarisch was als nächstes zu tun ist. Natürlich ist die Situation kritisch. Wir haben keine oder wenig Schutzausrüstung. Uns wird zu manchen Einrichtungen der Zutritt verwehrt. Uns droht bei positiver Testung eines Mitarbeiters die Schließung. Aber wir sind gut aufgestellt und vernetzt und werden alles Erdenkliche tun, um die härtesten Spitzen abzumildern.
OT: Welche Folgen erwarten Sie aus dieser Krise?
Reuter: Das kann derzeit niemand absehen, dazu müsste man Hellsehen. Natürlich haben wir verschiedene Szenarien durchdacht. Der Hauptfaktor ist und bleibt die Zeit. Wie lange unterliegen wir den Restriktionen. Ich hoffe aber, dass wir den Zusammenhalt in die Nach-Corona-Zeit retten können.
OT: Das Thema Digitalisierung wird aktuell vielleicht vom Coronavirus in den Schatten gestellt, doch zeigt die Krise nicht vielleicht gerade jetzt, wo die nötigen Stellschrauben zu drehen sind, was zum Beispiel den digitalen Umgang mit den Patientinnen und Patienten angeht?
Reuter: Die berührungslose Formabnahme hat auf jeden Fall einen neuen Stellenwert bekommen. Aber lassen Sie mich einen anderen, ganz wesentlichen, Punkt ansprechen: die Kommunikation. In den ersten Tage der Krise, in denen es um Grundsatzarbeit ging und rund um die Uhr neue Informationen, Freigabeabfragen für Dokumente und vieles mehr auf unserer gemeinsamen Web-Plattform auf uns einprasselten, hatten nicht so technikaffine Menschen ein Problem mitzukommen. Der Hauptparadigmenwechsel findet im Moment, erzwungen durch den Virus, nicht in der Produktion, sondern in der Kommunikation statt.
OT: Zum Abschluss des Gesprächs ein paar Worte zu Ihnen persönlich. Wie sind Sie zum Orthopädie-Technik-Handwerk gekommen und wie verlief Ihr Weg bisher?
Reuter: Ich war schon immer ein miserabler Schüler. So hat mich mein Vater, ich war damals 17 Jahre alt, nach der mittleren Reife davon überzeugt, dass ich eine Ausbildung machen sollte. Viel Überzeugungsarbeit hat er damals nicht gebraucht. Da er Medizintechnikhändler war, ist mir auch die Orthopädie-Technik ein Begriff gewesen. Meine Ausbildung und die Gesellenjahre habe ich in zwei Unternehmen in Ostwestfalen verbracht. Wenige Jahre nach der Meisterschule in Landshut bin ich dann dem Ruf in die Selbstständigkeit nach Hessen gefolgt. Das war 2001 und ich habe diesen Schritt seit dem nie bereut.
Die Fragen stellte Heiko Cordes.