Bes­ser­wis­ser nicht erwünscht!

Norbert Stockmann, Fachlehrer mit Schwerpunkt Reha-Technik an der Bundesfachschule für Orthopädie-Technik e. V. (BUFA) in Dortmund, warnt davor, bei der rehatechnischen Versorgung von Kindern die Meinungen und Ziele der kleinen Patienten zu übergehen. Stattdessen plädiert er für deren Einbeziehung in alle Entscheidungen, die sie betreffen.

OT: Wel­che aktu­el­len Inno­va­tio­nen in der Kin­der-Reha gibt es aus Ihrer Sicht? 

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Nor­bert Stock­mann: Inno­va­tio­nen – ein gro­ßes Wort. Glaubt man der Wer­bung, gibt es sie jeden Tag. In der Rea­li­tät ist der Fort­schritt lang­sa­mer – er zeigt sich vor allem in der krea­ti- ven Ver­bes­se­rung von Details. So wer­den Hilfs­mit­tel zuneh- mend zu einem Gan­zen inte­griert und mit­ein­an­der ver­netzt – bei­spiels­wei­se mit einem Roll­stuhl als Basis, der wei­te­re Ein­zel­kom­po­nen­ten wie Kom­mu­ni­ka­ti­ons­hilfs­mit­tel, Um- feld­steue­rung oder Greif­arm ein­be­zieht. Die­se Ent­wick­lung muss sich fort­set­zen. Es ist wenig kom­for­ta­bel, wenn Eltern mit einem Roll­stuhl und zusätz­lich mit Absaug- und Sau­er- stoff­ge­rä­ten han­tie­ren müs­sen – hier fehlt noch eine Zusam- men­füh­rung der Technologien.

OT: Abge­se­hen von den Pro­duk­ten – was ist bei der Kin­der-Reha in ers­ter Linie zu beachten? 

Stock­mann: Kin­der sind in ers­ter Linie eigen­stän­di­ge Per­sön- lich­kei­ten mit einer eige­nen Mei­nung, eige­nen Zie­len, einer eige­nen Ver­letz­lich­keit und eige­ner Stär­ke. Dies zu beto­nen liegt mir beson­ders am Her­zen. Denn ein Kind darf nicht als Objekt betrach­tet wer­den, an dem gear­bei­tet wird. Dies gilt genau­so und beson­ders dann, wenn Befug­nis­se und Zie­le der Erzie­hungs­be­rech­tig­ten, Ärz­te und The­ra­peu­ten beach­tet wer­den müs­sen. Bei der reha­tech­ni­schen Ver­sor­gung über den Kopf des Kin­des hin­weg zu ent­schei­den ist der schlech- tes­te Weg, den man ein­schla­gen kann.

OT: Es geht also in ers­ter Linie dar­um, mit dem Kind zu sprechen? 

Stock­mann: Ja, das Gespräch ist von grund­le­gen­der Bedeu- tung – soweit dies mög­lich ist. Aber natür­lich ist für eine opti­ma­le Ver­sor­gung auch die Kom­mu­ni­ka­ti­on mit der Fami­lie nötig, also mit Eltern und Geschwis­ter­kin­dern. Sie kön­nen hel­fen her­aus­zu­fi nden, wel­che Nei­gun­gen und Inter­es­sen das Kind hat. Dafür muss sich der Ortho­pä­die-Tech­ni­ker Zeit nehmen.

OT: Wor­auf legen Sie in der Kom­mu­ni­ka­ti­on mit den klei­nen Pati­en­ten beson­de­ren Wert? 

Stock­mann: Ich glau­be nicht an Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tricks, son­dern den­ke, dass Respekt und Authen­ti­zi­tät die bes­ten Vor­aus­set­zun­gen für gelun­ge­ne Kom­mu­ni­ka­ti­on sind. Über jeman­den hin­weg­zu­re­den ist die größ­te Respekt­lo­sig­keit – egal, ob der­je­ni­ge ein Kind oder ein Erwach­se­ner ist. Das pas­siert lei­der ganz schnell, des­halb soll­te man sich in Ge- sprächs­si­tua­tio­nen immer wie­der selbst beobachten.

OT: Letzt­lich gibt es also – im Hin­blick auf die Kom­mu­ni kat­ion – bei der reha­tech­ni­schen Ver­sor­gung von Kin­dern gar kei­ne grund­sätz­li­chen Unter­schie­de gegen­über der Ver­sor­gung Er wachsener? 

Stock­mann: Nein, tat­säch­lich nicht. Der Erwach­se­ne ent- schei­det als selbst­stän­di­ges Indi­vi­du­um und eben­so das Kind. Trotz­dem will ich den wesent­li­chen Unter­schied nicht klein­re­den: Die Ver­sor­gung läuft hier immer auf die Drei­ecks­si­tua­ti­on Kind – Ortho­pä­die-Tech­ni­ker – Eltern hin­aus. Der ein­ge­schla­ge­ne Weg muss vom Kind und sei­tens der Eltern glei­cher­ma­ßen akzep­tiert wer­den. Dies macht die Situa­ti­on manch­mal schwie­rig – gera­de wenn die Eltern be- stimm­te Vor­stel­lun­gen haben, die mit den Mög­lich­kei­ten und Zie­len des Kin­des nicht über­ein­stim­men. Nicht zuletzt bringt das Wachs­tum Ver­än­de­run­gen mit sich.

OT: Wel­cher Art?

Stock­mann: Asym­me­trien, Fehl­stel­lun­gen und Kon­trak­tu- ren ändern sich bei Kin­dern im Wachs­tum rapi­de; bei Er- wach­se­nen fi nden sol­che Ver­än­de­run­gen – außer infol­ge dra­ma­ti­scher Krank­heits­ver­läu­fe – eher schlei­chend statt. Außer­dem ler­nen Kin­der extrem schnell und wol­len ihren Akti­ons­ra­di­us ver­grö­ßern – und dazu ist ihnen jedes Mit­tel, auch jedes Hilfs­mit­tel, recht. Das bedeu­tet, sie ver­wen­den Hilfs­mit­tel manch­mal anders als gedacht und geplant. Bei Erwach­se­nen ist die­se Ener­gie im All­ge­mei­nen nicht so aus- geprägt. Gera­de bei Kin­dern soll­te das gesam­te Ver­sor­gungs- vor­ha­ben regel­mä­ßig auf den Prüf­stand: Stim­men die Zie­le noch? Haben sich Inter­es­sen ver­än­dert? Wie haben sich die kör­per­li­chen Vor­aus­set­zun­gen ent­wi­ckelt? Weil Kin­der sehr akti­ve Pati­en­ten sind, unter­lie­gen ihre Hilfs­mit­tel gro­ßem Ver­schleiß und müs­sen dies­be­züg­lich regel­mä­ßig über­prüft wer­den. OT: Wie ist es um die Bereit­schaft der Kran­ken­kas­sen bestellt, Hilfs­mit­tel für Kin­der „außer der Rei­he“ zu geneh­mi­gen? Stock­mann: Der Umgang mit den Kas­sen ist sicher­lich leich- ter, wenn es um Kin­der geht. Trotz­dem gibt es immer wie­der Pro­ble­me bei den ent­spre­chen­den Geneh­mi­gun­gen. Daher kommt es vor allem auf eine genaue Begrün­dung an: Wie bei erwach­se­nen Pati­en­ten gilt es, über­zeu­gend zu argu­men­tie­ren – zum Bei­spiel, war­um sich die Patho­lo­gie der­art ver­ändert hat, dass die Ver­sor­gung ange­passt wer­den muss, bzw. war­um der Ver­schleiß stär­ker ist und ein neu­es Hilfs­mittel benö­tigt wird.

OT: Wor­auf ist beim Design des Hilfs­mit­tels Wert zu legen – Stich­wort Akzep­tanz durch das Kind?

Stock­mann: Akzep­tanz ist ein ent­schei­den­des Kri­te­ri­um; das Design ist nur ein Vehi­kel auf dem Weg dort­hin. Da­bei geht es aber nicht nur um Far­ben und Deko­re– das Design­ver­ständ­nis des Ortho­pä­die-Tech­ni­kers muss viel tie­fer gehen. So müs­sen alle Bedien­ele­men­te in ihrer­Funk­tio­na­li­tät pri­mär für den eigent­li­chen Nut­zer, also für das Kind, kon­zi­piert sein. Ziel ist der selbst­stän­di­ge Trans­fer. Der Trans­port mit Hil­fe einer Hilfs­per­son kann nur ein Umweg dort­hin sein. So ist das selbst­stän­di­ge Fah­ren im Roll­stuhl ein gro­ßer Erfolg, gescho­ben zu wer­den dage­gen ledig­lich ein klei­ner. Wich­tig ist hier­bei ein mul­ti­dis­zi­pli­nä­rer Ansatz, also das Bestre­ben, neben dem Kind und sei­ner Fami­lie die Ärz­te und The­ra­peu­ten mit ins Boot zu holen.

OT: In der Kin­der-Reha spie­len die Eltern eine maß­geb­li­che Rol­le. Ver­sorgt der Ortho­pä­die-Tech­ni­ker die Eltern dem­nach in gewis­ser Wei­se mit?

Stock­mann: Auf jeden Fall. Wer Kin­der ver­sorgt, be­treut gleich­zei­tig die Eltern – und das muss auch so sein. Schließ­lich inter­es­sie­ren sich die Eltern dafür, ob es ih­rem Kind gut geht. Außer­dem gehen die Funk­ti­on und die Ein­wei­sung in die Hand­ha­bung der Hilfs­mit­tel jeden Betei­lig­ten etwas an – mit unter­schied­li­chen Schwer­punkten. Alles Kon­kre­te muss mit dem Kind bespro­chen wer­den, und die Eltern müs­sen dabei zuhö­ren. Alles, was das for­ma­le Vor­ge­hen betrifft, muss mit den Eltern be­sprochen wer­den, und das Kind darf zuhö­ren. Im Übri­gen habe ich kei­ne unter­schied­li­chen Kon­zep­te für die Kom­mu­ni­ka­ti­on mit Eltern und mit Kin­dern oder mit betei­lig­ten Kol­le­gen – der momen­ta­ne Gesprächs­part­ner zählt, die­sem wen­de ich mich ganz zu.

OT: Wo sehen Sie die größ­ten Stol­per­stei­ne im Bereich Kinder-Reha?

Stock­mann: Es gibt natür­lich Stol­per­stei­ne im adminis­trativen Bereich, wie schon erwähnt mit den Kosten­trägern. Mir ist wich­tig, dass wir selbst nicht unnö­ti­ge Pro­ble­me in die Ver­sor­gungs­si­tua­ti­on hineintragen.

OT: Wel­che wären das?

Stock­mann: Zum Bei­spiel Ver­spre­chen, die man nicht hal­ten kann, Abspra­chen, die man plat­zen lässt, Maßnah­men, die man nicht aus­rei­chend begrün­det hat. Schluss­endlich sind alle Pati­en­ten, ob groß oder klein, Exper­ten in eige­ner Sache. Eine Bes­ser­wis­ser-Atti­tü­de gehört somit regel­mä­ßig zu den größ­ten Stol­per­stei­nen, die eine Ver­sorgung schei­tern las­sen können.

Die Fra­gen stell­te Cath­rin Günzel.

Michael Blatt
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