Zeit­er­fas­sung: Jeder drit­te Arbeit­ge­ber hat Nachholbedarf

Das Bundesarbeitsgericht hat 2022 verbindlich entschieden hat, dass auch in Deutschland die gesamte Arbeitszeit der Arbeitnehmer:innen aufzuzeichnen ist. Arbeitsbeginn und -ende, Dauer der Arbeitszeit sowie Überstunden müssen seit dem 13. September des Vorjahres erfasst werden.

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) begrün­det sei­ne Ent­schei­dung nach einem Urteil des Euro­päi­schen Gerichts­hofs (EuGH) vom 14. Mai 2019, wel­ches die Aus­le­gung der Arbeits­zeit­richt­li­nie betraf. Nach der BAG-Ent­schei­dung ist das Urteil des EuGH auf­grund des Arbeits­schutz­ge­set­zes mit sofor­ti­ger Wir­kung von den Arbeit­ge­bern in Deutsch­land zu beach­ten. Die Pflicht zur Ein­füh­rung eines Sys­tems zur Arbeitszeit­erfassung beschränkt sich nicht dar­auf, dass der Arbeit­ge­ber den Arbeitnehmer:innen ein sol­ches Sys­tem zur Ver­fü­gung stellt, son­dern ver­pflich­tet sie, davon Gebrauch zu machen.Doch wie weit sind die deut­schen Unter­neh­men bei der Umset­zung der Arbeits­zeit­er­fas­sung? Die­ser Fra­ge ging eine reprä­sen­ta­ti­ve Umfra­ge unter 603 Unter­neh­men ab 20 Beschäf­tig­ten in Deutsch­land im Auf­trag des Digi­tal­ver­bands Bit­kom nach. Das Ergeb­nis: Nur zwei von drei Arbeit­ge­bern haben die Zeit­er­fas­sung bereits eta­bliert und nut­zen die­se auch. Ein Drit­tel der befrag­ten Unter­neh­men (33 Pro­zent) hat die Arbeits­zeit schon vor der Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts erfasst, ein Vier­tel (26 Pro­zent) danach damit begon­nen. 28 Pro­zent der Unter­neh­men machen noch kei­ne Arbeits­zeit­er­fas­sung, wol­len aber die­ses Jahr damit begin­nen. 12 Pro­zent pla­nen zwar, die Arbeits­zeit zu erfas­sen, wis­sen aber noch nicht, ab wann. Ins­ge­samt set­zen alle Unter­neh­men die neue Vor­ga­be um oder haben dies fest vor.

Anzei­ge

„Für vie­le Unter­neh­men ist die Pflicht zur Arbeits­zeit­er­fas­sung eine gro­ße Umstel­lung. Sie greift tief in die Unter­neh­mens­kul­tur ein, zwingt zu Kon­trol­le, wo bis­lang auf Ver­trau­ens­ba­sis gear­bei­tet wur­de, und schafft eine völ­lig über­flüs­si­ge Büro­kra­tie. Aktu­ell arbei­ten rund zwei Drit­tel der Beschäf­tig­ten, die von ihrem Arbeit­ge­ber die Mög­lich­keit dazu bekom­men, kom­plett oder teil­wei­se im Home­of­fice. Beson­ders in der Digi­tal­wirt­schaft ist eine auf Fle­xi­bi­li­tät und Ver­trau­en basie­ren­de Arbeits­kul­tur wich­tig, die Bran­che muss ange­sichts des immensen Fach­kräf­te­man­gels attrak­tiv blei­ben – die Arbeits­zeit­er­fas­sung ist dabei abso­lut kon­tra­pro­duk­tiv“, sagt Bit­kom-Prä­si­dent Achim Berg. „Wenn das Bun­des­ar­beits­ge­richt auf Basis des gel­ten­den Rechts mehr als 34 Mil­lio­nen Men­schen in Deutsch­land zur minu­tiö­sen Erfas­sung ihrer Arbeits­zei­ten ver­pflich­tet, dann zeigt das vor allem eines: Unser Arbeits­recht passt nicht mehr in die Zeit und gehört sehr grund­sätz­lich über­prüft und reformiert.“

Fle­xi­bi­li­täts­spiel­räu­me ausgestalten

Der aktu­el­le „Arbeits­zeit­re­port Deutsch­land“, her­aus­ge­ge­ben von der Bun­des­an­stalt für Arbeits­schutz und Arbeits­me­di­zin (Baua), unter­stützt die­se For­de­rung Bergs nur bedingt. Laut dem Bericht wird die Arbeits­zeit bei ins­ge­samt acht von zehn Beschäf­tig­ten betrieb­lich (47 Pro­zent) oder durch die Beschäf­tig­ten selbst (32 Pro­zent) erfasst. Wird die Arbeits­zeit betrieb­lich erfasst, geht dies fast immer mit der Ver­bu­chung auf einem Arbeits­zeit­kon­to ein­her. Im Durch­schnitt sei­en, so das Fazit des Berichts, Beschäf­tig­te mit Arbeits­zeit­er­fas­sung zufrie­de­ner mit ihrer Work-Life-Balan­ce. Die Ergeb­nis­se des Arbeit­zeits­re­ports unter­strei­chen, dass die Aus­ge­stal­tung der Län­ge, Lage und Fle­xi­bi­li­tät von Arbeits­zei­ten eine ent­schei­den­de Rol­le für die Sicher­heit und Gesund­heit der Beschäf­tig­ten spielt. Sie hängt zudem mit der wahr­ge­nom­me­nen Ver­ein­bar­keit von Pri­vat­le­ben und Beruf zusam­men. Fle­xi­ble Arbeits­zei­ten gewin­nen immer mehr an Bedeu­tung. Die­se Fle­xi­bi­li­täts­spiel­räu­me nicht nur zu nut­zen, son­dern gesund­heits­för­der­lich aus­zu­ge­stal­ten, sei eine der zen­tra­len zukünf­ti­gen Her­aus­for­de­run­gen des Arbeitsschutzes.

Unter den Unter­neh­men, die die Arbeits­zeit bereits erfas­sen, set­zen laut Bit­kom die meis­ten ein elek­tro­ni­sches Sys­tem ein, das am Com­pu­ter (28 Pro­zent) oder per Smart­phone-App (17 Pro­zent) genutzt wird. Ein Vier­tel der Unter­neh­men (25 Pro­zent) setzt auf Stem­pel- oder Stech­uhr, je ein Fünf­tel auf ein sta­tio­nä­res Zeit­er­fas­sungs­sys­tem, das mit­tels Kar­te, Chip, Trans­pon­der oder Fin­ger­ab­druck bedient wird (22 Pro­zent) oder Excel-Tabel­len (20 Pro­zent). Immer­hin 16 Pro­zent ver­wen­den noch einen hand­schrift­li­chen Stun­den­zet­tel. Berg: „Unter­neh­men soll­ten bei der Arbeits­zeit­er­fas­sung auf digi­ta­le Lösun­gen set­zen. Sie sind ein­fach zu bedie­nen und kön­nen auch im Home­of­fice genutzt werden.“

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