Wie digi­ta­les Kon­stru­ie­ren die OT verändert

Die Additive Fertigung, umgangssprachlich 3D-Druck genannt, hat sich in den vergangenen Jahren von einer Prototyping-Technologie zu einem vollwertigen Produktionsverfahren entwickelt. Besonders in der Orthopädie-Technik eröffnet sie neue Möglichkeiten für die Herstellung individualisierter Hilfsmittel. Daher hat sich die OT-Redaktion dazu entschlossen, den aktuellen Stand rund um die Additive Fertigung zu ermitteln. Im zweiten Teil unserer Serie befassen wir uns mit dem Aufgabenbereich des Modellierens und Konstruierens.

Grund­la­gen des digi­ta­len Kon­stru­ie­rens für 3D-Druck

Digi­ta­les Kon­stru­ie­ren für die Addi­ti­ve Fer­ti­gung unter­schei­det sich grund­le­gend von her­kömm­li­chen Kon­struk­ti­ons­me­tho­den. Wäh­rend bei der umfor­men­den Fer­ti­gung geo­me­tri­sche Beschrän­kun­gen durch Werk­zeu­ge oder Fer­ti­gungs­ver­fah­ren bestehen, ermög­licht der 3D-Druck nahe­zu belie­bi­ge Geo­me­trien – theo­re­tisch. In der Pra­xis sind jedoch ver­schie­de­ne Fak­to­ren zu beachten.

Anzei­ge

CAD-Pro­gram­me (CAD = Com­pu­ter-Aided Design) bil­den das Fun­da­ment des digi­ta­len Kon­stru­ie­rens. Sie ermög­li­chen es, drei­di­men­sio­na­le Model­le zu erstel­len, die anschlie­ßend in maschi­nen­les­ba­re Daten umge­wan­delt wer­den. Die­ser Pro­zess, das soge­nann­te Slicing, zer­legt das digi­ta­le Modell in ein­zel­ne Schich­ten, die der 3D-Dru­cker nach­ein­an­der aufbaut.

Die Vor­tei­le digi­ta­ler Kon­struk­ti­on lie­gen auf der Hand: Ände­run­gen las­sen sich ohne Mate­ri­al­ver­lust vor­neh­men, ver­schie­de­ne Vari­an­ten kön­nen par­al­lel ent­wi­ckelt wer­den, und die Daten kön­nen pro­blem­los zwi­schen ver­schie­de­nen Stand­or­ten aus­ge­tauscht wer­den. Simu­la­tio­nen ermög­li­chen es zudem, das Ver­hal­ten des Bau­teils unter ver­schie­de­nen Belas­tun­gen bereits vor der Fer­ti­gung zu testen.

Nach­tei­le zei­gen sich vor allem in der Kom­ple­xi­tät der Soft­ware und der Not­wen­dig­keit spe­zia­li­sier­ter Kennt­nis­se. Die Lern­kur­ve ist steil, und nicht jede Geo­me­trie, die digi­tal kon­stru­ier­bar ist, lässt sich auch wirt­schaft­lich fer­ti­gen. Stütz­struk­tu­ren, Schicht­auf­bau und mate­ri­al­spe­zi­fi­sche Eigen­schaf­ten müs­sen bereits im Kon­struk­ti­ons­pro­zess berück­sich­tigt werden.

Auf den Punkt
▪ Digi­ta­les Kons­truie­ren eröff­net neue Optio­nen für Bauteile.
▪ Es kön­nen in der Kon­struk­ti­on bereits Tests simu­liert ­wer­den, um Eigen­schaf­ten und Reak­tionen zu testen.
▪ KI wird zum Tem­po­ma­cher in Sachen Umwand­lung von Bild­da­tei­en in Konstruktionen.

 

Von ein­fa­chen Pro­to­ty­pen zu kom­ple­xen Strukturen

Die Geschich­te des 3D-Drucks beginnt in den 1980er-Jah­ren mit Chuck Hulls Ste­reo­li­tho­gra­fie. Damals beschränk­te sich das M­odellieren auf ein­fa­che geo­me­tri­sche For­men, die haupt­säch­lich zur Visua­li­sie­rung dien­ten. Die ver­wendeten CAD-Pro­gram­me waren rudi­men­tär, und die Druck­auf­lö­sung ließ prä­zi­se Struk­tu­ren kaum zu.

In den 1990er- und 2000er-Jah­ren ent­wi­ckel­ten sich sowohl die Hard­ware als auch die Soft­ware wei­ter. Para­me­tri­sche Model­lie­rung ermög­lich­te es, Bau­tei­le durch ver­än­der­ba­re Para­me­ter anzu­pas­sen. Pro­gram­me wie Solid-Works oder Auto­desk Inven­tor eta­blier­ten sich als Indus­trie­stan­dard. Gleich­zei­tig ent­stan­den ers­te spe­zia­li­sier­te Tools für die Addi­ti­ve Fer­ti­gung, die druck­spe­zi­fi­sche Anfor­de­run­gen berücksichtigten.

Der Durch­bruch kam mit der Ent­wick­lung leis­tungs­fä­hi­ger Com­pu­ter und ver­bes­ser­ter Algo­rith­men. Topo­lo­gie­op­ti­mie­rung – ein Ver­fah­ren zur auto­ma­ti­schen Mate­ri­al­ver­tei­lung unter Berück­sich­ti­gung von Belas­tun­gen – revo­lu­tio­nier­te das Kon­stru­ie­ren für den 3D-Druck. Struk­tu­ren, die mit her­kömm­li­chen Metho­den nicht her­stell­bar waren, wur­den plötz­lich möglich.

Heu­te ermög­li­chen gene­ra­ti­ve Design-Ansät­ze und Künst­li­che Intel­li­genz (KI) es, dass Com­pu­ter eigen­stän­dig Kon­struk­ti­ons­lö­sun­gen vor­schla­gen. Die Soft­ware berück­sich­tigt dabei nicht nur mecha­ni­sche Anfor­de­run­gen, son­dern auch Fer­ti­gungs­re­strik­tio­nen und Materialkosten.

Manche Hersteller bieten Online-Konfiguratoren an, um das Konstruieren zu erleichtern. Foto: Springer Aktiv
Man­che Her­stel­ler bie­ten Online-Kon­fi­gu­ra­to­ren an, um das Kon­stru­ie­ren zu erleich­tern. Foto: Sprin­ger Aktiv

Spe­zi­fi­sche Anforderungen

Die Ortho­pä­die-Tech­nik stellt beson­de­re Anfor­de­run­gen an das digi­ta­le Kon­stru­ie­ren. Jeder Pati­ent ist ana­to­misch ein­zig­ar­tig, was indi­vi­du­el­le Lösun­gen erfor­der­lich macht. Gleich­zei­tig müs­sen stren­ge medi­zi­ni­sche und regu­la­to­ri­sche Vor­ga­ben ein­ge­hal­ten werden.

Die Daten­grund­la­ge bil­den meist Scan-Auf­nah­men, die in 3D-Model­le umge­wan­delt wer­den. Die­se die­nen als Basis für die Kon­struk­ti­on von Pro­the­sen, Ein­la­gen oder Orthesen.

Ein zen­tra­ler Aspekt ist die Bio­kom­pa­ti­bi­li­tät. Nicht jedes Mate­ri­al, das sich tech­nisch ver­ar­bei­ten lässt, ist für den dau­er­haf­ten Kon­takt mit dem mensch­li­chen Kör­per geeig­net. Die Kon­struk­ti­on muss daher von Anfang an auf zer­ti­fi­zier­te Mate­ria­li­en aus­ge­legt sein. Zudem sind die mecha­ni­schen Anfor­de­run­gen komplex.

Ortho­pä­di­sche Hilfs­mit­tel stel­len spe­zi­fi­sche Her­aus­for­de­run­gen an das digi­ta­le Kon­stru­ie­ren. Bei Pro­the­sen­schäf­ten bei­spiels­wei­se ist die exak­te Anpas­sung an den Stumpf ent­schei­dend für den Tra­ge­kom­fort. Tra­di­tio­nell erfolg­te dies durch – nicht sel­ten zeit­auf­wen­di­ge – An­passungsschritte am Pati­en­ten. Mit digi­ta­ler Kon­struk­ti­on kön­nen ver­schie­de­ne Vari­an­ten simu­liert und opti­miert wer­den, bevor das ers­te phy­si­sche Exem­plar entsteht.Gitterstrukturen haben sich als viel­ver­spre­chen­der Ansatz erwie­sen. Sie redu­zie­ren das Gewicht bei gleich­zei­tig hoher Sta­bi­li­tät. Die Kon­struk­ti­on sol­cher Struk­tu­ren erfor­dert jedoch spe­zia­li­sier­te Soft­ware und tie­fes Ver­ständ­nis der bio­me­cha­ni­schen Zusammenhänge.

Zukunfts­per­spek­ti­ven

Ein Blick in ande­re Bran­chen zeigt, dass die Ent­wick­lung wei­ter in Rich­tung voll­au­to­ma­ti­sier­ter Kon­struk­ti­ons­pro­zes­se geht. Auch im Bereich der Gesund­heits­ver­sor­gung wird die­ser Trend wahr­schein­lich Ein­zug hal­ten. Künst­li­che Intel­li­genz soll künf­tig bei­spiels­wei­se aus medi­zi­ni­schen Bild­da­ten direkt opti­mier­te Kon­struk­tio­nen ablei­ten. Cloud­ba­sier­te Platt­for­men ermög­lichen es, Exper­ten­wis­sen glo­bal zu tei­len und Kon­struk­ti­ons­pro­zes­se zu stan­dar­di­sie­ren. Vir­tu­al und Aug­men­ted Rea­li­ty bie­ten zudem neue Mög­lich­kei­ten für die Kon­struk­ti­ons­va­li­die­rung. Die Inte­gra­ti­on von Sen­so­ren in gedruck­te Hilfs­mit­tel eröff­net neue Per­spek­ti­ven für die Über­wa­chung und Anpas­sung und ist bereits heu­te in eini­gen Ver­sor­gun­gen schon Realität.

Hier fin­den Sie alle 6 Arti­kel unse­rer Serie „Addi­ti­ve Fer­ti­gung – Teil 2: Konstruieren“:

 

Für alle, die Teil 1 der Serie „Addi­ti­ve Fer­ti­gung“ noch nicht kennen:
Hier fin­den Sie alle 6 Arti­kel unse­rer Serie „Addi­ti­ve Fer­ti­gung – Teil 1: Scannen“:

 

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