Im Interview mit der OT erklärt Tino Sorge MdB, Mitglied des Gesundheitsausschusses und Berichterstatter für Digitalisierung und Gesundheitswirtschaft der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, warum ein E‑Health-Gesetz II notwendig ist und welche konkreten Ziele das von ihm auf den Weg gebrachte Positionspapier der Unions-Bundestagsfraktion zur Digitalisierung im Gesundheitswesen verfolgt.
OT: Herr Sorge, im Sommer hat die Arbeitsgruppe Gesundheit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unter Ihrer Federführung ein Positionspapier „E‑Health“ veröffentlicht, in dem notwendige Rahmenbedingungen für die Digitalisierung des Gesundheitswesens festgehalten werden. Welche Aspekte wird das geplante E‑Health-Gesetz II aufgreifen und wann ist mit dessen Verabschiedung zu rechnen?
Tino Sorge: Mit dem E‑Health-Gesetz I haben wir 2015 den Grundstein für die Digitalisierung in der deutschen Gesundheitsversorgung gelegt. Darauf wollen wir in dieser Legislatur aufbauen. Wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, ist es unser erklärtes Ziel, die Telematik-Infrastruktur (TI), einschließlich ihrer Anwendungsformen wie der elektronischen Patientenakte, konsequent und flächendeckend umzusetzen. Das Positionspapier, welches von mir initiiert und verfasst wurde, ist eine erste gemeinsame Positionierung der Unions-AG Gesundheit zum Thema E‑Health in dieser Legislaturperiode. Es geht darum, eine gesellschaftliche Debatte darüber zu führen, wie die Chancen der Digitalisierung besser genutzt werden können. Es ist essentiell zu vermitteln, dass Digitalisierung für viele Menschen im täglichen Leben konkrete Verbesserungen mit sich bringt. Dabei sollten wir uns nicht ausschließlich auf vermeintliche Gefahren für die Privatsphäre und den Datenschutz zurückziehen, sondern uns darüber verständigen, wie unser nationales E‑Health-Zielbild aussieht. Natürlich sind die Herausforderungen groß. Wir werden mit einem Gesetz nachjustieren müssen, wo die Ziele des ersten Gesetzes verfehlt oder nicht rechtzeitig erreicht worden sind. Dafür brauchen wir mehr Rechtsklarheit, mehr Teamgeist, vor allem aber auch mehr politische Führung und Ordnung. Digitaler Fortschritt darf nicht länger durch zeitliche Verzögerungen, unklare Zuständigkeiten oder Rechtsunsicherheit ausgebremst werden. Für eine flächendeckende Digitalisierung ist Interoperabilität Voraussetzung, um z. B. vernetzte Forschung zu ermöglichen. Innovation und Datenschutz müssen sich dazu sinnvoll ergänzen. Darüber hinaus benötigen wir neue digitale Lösungen und Sicherheit in Finanzierungs- und Erstattungsfragen. Nur so kann mehr Akzeptanz bei allen Beteiligten erreicht werden.
OT: Sie fordern im Verlauf der aktuellen Legislaturperiode „mehr Rechtsklarheit“ und „mehr Teamgeist“ unter den beteiligten Gesundheitsakteuren.
Sorge: In der Vergangenheit haben sich die Akteure der Selbstverwaltung häufig gegenseitig blockiert. Unklare Zuständigkeiten und Rechtsunsicherheiten verstärkten diese Tendenz. Um dem entgegenzuwirken, sind verbindliche Standards für Daten und Verfahren nötig. Diese sollten von einer zentralen Instanz wie beispielsweise der „Gesellschaft für die telematischen Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte“ (Gematik) festgelegt werden. Hierzu zählt auch die Fristverlängerung bei der Umsetzung der Telematik-Infrastruktur (TI), die gegenwärtig diskutiert wird. Weil die Konnektoren-Hersteller nicht zügig genug liefern können, drohen vielen Ärzten ab dem 1. Januar 2019 finanzielle Sanktionen, obwohl sie keine Schuld trifft. Aus diesem Grund wäre eine zeitnahe Fristverlängerung eine sinnvolle Lösung. Dabei sollte künftig der Zeitpunkt der Bestellung für die Fristeinhaltung ausschlaggebend sein und nicht erst der Moment der Inbetriebnahme. Dafür müssen wir gesetzgeberisch nachschärfen und Klarheit schaffen.
OT: Können Sie dies anhand von Beispielen erläutern, und inwieweit sind vor diesem Hintergrund Nachbesserungen am Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz zu erwarten?
Sorge: Heil- und Hilfsmittelerbringer leisten in unserer älter werdenden Gesellschaft einen wichtigen Beitrag zur gesundheitlichen Versorgung in Deutschland. Mit dem Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (HHVG) vom 4. April 2017 haben wir als Gesetzgeber in der vergangenen Legislaturperiode die Heilmittelversorgung gestärkt und eine gesetzliche Aufhebung der Begrenzung von Vergütungserhöhungen verankert. Dennoch besteht weiterer Handlungsbedarf. Das Eckpunktepapier von Gesundheitsminister Jens Spahn hat sinnvolle Maßnahmen für spürbare Verbesserungen in Aussicht gestellt, die wir in den folgenden Tagen und Wochen diskutieren werden. Darin werden auch die Möglichkeiten genannt, die die Digitalisierung für Heilmittelerbringer eröffnet. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G‑BA) soll den gesetzlichen Auftrag erhalten, in der Heilmittel-Richtlinie vorzusehen, dass Heilmittelerbringer digitale Anwendungen als Unterstützung einsetzen können. Heilmittelbehandlungen sollen unter Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien standortunabhängig durchgeführt werden können. Hiermit verbunden wird der Auftrag an den G‑BA, Näheres zu geeigneten Indikationen, Qualitätsanforderungen etc. zu bestimmen sowie die weiteren notwendigen Voraussetzungen in seinen Richtlinien zu schaffen.
Unnötige Verzögerungen des digitalen Wandels
OT: Hinsichtlich der sektorübergreifenden Versorgung bemängelt das Positionspapier „Zuständigkeits- und Finanzierungskonflikte“ innerhalb der Selbstverwaltung. Wo sehen Sie konkreten Handlungsbedarf?
Sorge: Wir haben in den vergangenen Jahren zu häufig beobachtet, dass sich die Selbstverwaltung in öffentlich ausgetragenen, zeitraubenden Konflikten gegenseitig blockiert hat. So stritten sich Ärzteschaft und Krankenkassen noch im Frühjahr um die Finanzierung der TI-Konnektoren für Arztpraxen, obwohl diese verbindlich im Gesetz geregelt ist – nur eines von vielen Beispielen für unnötige Verzögerungen bei zentralen Vorhaben des digitalen Wandels. Solche Streitigkeiten müssen der Vergangenheit angehören. Auch die Gematik hat nicht alle Erwartungen erfüllt. So hat sich die Konzentration auf nur wenige Hersteller von Konnektoren anstelle eines marktorientierten Modells als nicht zweckmäßig erwiesen. Es bleibt zu hoffen, dass der Eintritt weiterer Anbieter künftig für Wettbewerb sorgen wird.
OT: Praxistaugliche IT-Lösungen für den Gesundheitsmarkt erfordern einheitliche Standards. Welche Rahmenbedingungen muss die Politik vorgeben, damit es nicht zu einer Vielzahl an Insellösungen einzelner Kostenträger und Leistungserbringer kommt?
Sorge: Die Politik ist gefragt, wenn es um rechtliche Rahmenbedingungen, Gesetze, Verfahren und einheitliche Standards geht. Wir brauchen gemeinsame Spielregeln, damit Digitalisierung nicht zu einer Insellandschaft, sondern gemeinsam gedacht und praktiziert wird. Um eine Öffnung für private Anbieter von Apps oder alternativen Lösungen zu erreichen, benötigen wir einheitliche Standards. Dazu gehört aber auch, dass die anderen beteiligten Akteure ein hohes Maß an Teamgeist vorweisen. Das gilt insbesondere für die Spitzenorganisationen der Selbstverwaltung – und dort endet auch der Einfluss der Politik. Eine Mannschaftsleistung erfordert den Willen der einzelnen Akteure, zusammenzuwirken. Den kann die Politik niemandem „aufzwingen“.
Angemessenes Verhältnis zwischen Datenschutz und Datennutzung
OT: Im Mai ist die neue EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) in Kraft getreten – konnten Sie bereits erste Eindrücke gewinnen, ob die Verordnung die hohen Erwartungen an den Schutz sensibler Patientendaten erfüllt?
Sorge: Leider hat es in den vergangenen Monaten häufig Verunsicherung bei der Anwendung der DSGVO und im Umgang mit Daten gegeben. Die Grundintention der Verordnung, den Betroffenen bessere Auskünfte und umfassendere Entscheidungsmöglichkeiten zur Verwendung von Daten zu verschaffen, ist zu begrüßen. Zugleich erleben wir im Gesundheitswesen die großen Chancen für die medizinische Versorgung, die in der Nutzung von Daten liegen. Es geht also um ein angemessenes Verhältnis zwischen Datenschutz und Datennutzung. Ein Beispiel: Krankenkassen durften Patienten bis vor wenigen Jahren nicht einmal zum Darmkrebs-Screening einladen – selbst dann, wenn die Versichertendaten eindeutig die Identifikation bestimmter
Risikogruppen zuließen. Hier zeigt sich: In sinnvollen Fällen sollte die Verwendung von Gesundheitsdaten erleichtert werden, weil damit ein unmittelbarer Nutzen für die Versicherten verbunden sein kann.
OT: Die Arbeitsgruppe Gesundheit regt die Bereitstellung „transparenter Informationsangebote“ seitens der Leistungserbringer für den Patienten in Bezug auf digitale Versorgungslösungen an. Was verbirgt sich dahinter?
Sorge: Wir müssen diejenigen Menschen für Digitalisierung sensibilisieren, denen das digitale Gesundheitswesen zugute kommen soll: die Patienten. Das zentrale Motiv ist für mich die gesellschaftliche Akzeptanz. Dazu müssen wir sachlich informieren und vor allem Ängste abbauen helfen. Digitalisierung bedeutet nicht, dass wir zukünftig nur noch von Robotern gepflegt werden oder uns ärztliche Sprechstunden nur noch im Internet aussuchen können. Vielmehr sollten wir uns in der Debatte darauf konzentrieren, welche konkreten Verbesserungen die Digitalisierung im alltäglichen Leben für den Einzelnen hat.
OT: Das Positionspapier stellt z. B. ambulanten Leistungserbringern eine finanzielle Förderung beim Ausbau der digitalen Infrastruktur in Aussicht. Gleichzeitig heißt es mahnend: „Digitalisierung ist nicht als neue Einnahmequelle für Leistungserbringer zu verstehen“ – wie lassen sich diese Aussagen einordnen?
Sorge: Ärzten, Kliniken, Pflegeeinrichtungen und vielen anderen Leistungserbringern werden im Zuge der Digitalisierung Mehrausgaben entstehen – beispielsweise durch die Ausstattung der Arztpraxen mit Konnektoren. In bestimmten Fällen ist es daher angebracht, Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung für die Erstausstattung und die Startphase zu schaffen. Ein Beispiel sind die Fördermöglichkeiten für digitale Lösungen in Pflegeheimen, die im Zuge des Pflegepersonalstärkungsgesetzes eingeführt werden.
OT: Abschließend laden Sie alle Akteure des Gesundheitswesens dazu ein, einen „E‑Health-Strategieprozess“ anzustoßen, der gemeinsame Ziele der Digitalisierung formuliert. Handelt es sich hierbei aktuell noch um eine Absichtserklärung oder sind bereits erste Maßnahmen zur Umsetzung eines „runden Tisches“ in die Wege geleitet?
Sorge: Digitalisierung wird in unserem Gesundheitswesen nur als Mannschaftsleistung ein Erfolg. Dazu gehört der regelmäßige fachliche Austausch zwischen Politik, Verbänden, Betroffenen und allen interessierten Akteuren. In den vergangenen Jahren hat sie bereits zu Erfolgen geführt, an die auch wir anknüpfen möchten. Auf die stärkere Vernetzung zwischen den Akteuren – gerade im Zuge der anstehenden E‑Health-Gesetzgebung zum Jahreswechsel – freue ich mich.
Die Fragen stellte Michael Blatt.
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