Wenn die Gemüter erhitzt werden sollen in einer Gesprächsrunde, dann bietet sich das Thema Vier-Tage-Woche super dafür an. Es wird in jeder Gruppe Befürworter:innen dieser Regelung geben und welche, die dies ablehnen. Aber warum eigentlich klammern wir uns so an die Fünf-Tage-Woche? Der Großteil der aktuellen Arbeitnehmer:innen wird gar kein anderes Standardmodell mehr kennen. 40 Stunden auf fünf Tage verteilt. Das klingt vertraut, das klingt vernünftig. Dabei – und da hilft ein Blick auf die Historie der Arbeitszeit – ist dieses Modell noch gar nicht so lange etabliert.
Wirtschaftswunder brauchte Arbeitskraft
Im Nachkriegsdeutschland werden für den wirtschaftlichen Wiederaufbau Arbeitskräfte gebraucht. Die Wochenarbeitszeit steigt an und beträgt 48 Stunden. Lediglich der Sonntag bleibt Kirche und Familie vorbehalten. Durch diese Maßnahmen konnte das Wirtschaftswunder der BRD erst ermöglicht werden.
Erst 1956 führte die Zigarettenindustrie die uns heute bekannte 40-Stunden-Woche – als erste Branche des Nachkriegsdeutschlands überhaupt – ein. Zuvor hatten die Gewerkschaftsverbände massiv dafür geworben, die Regelarbeitszeit von damals sechs Tagen je acht Stunden um einen Tag zu reduzieren, um ein langes Wochenende für die Arbeiter:innen zu realisieren. Diese waren grundsätzlich dazu bereit, für mehr Freizeit auf das entsprechende Gehalt zu verzichten. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) warb mit der Kampagne „Samstags gehört der Vati mir“ für mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit war allerdings mit der Einführung der Fünf-Tage-Woche nicht automatisch verbunden. Erst sukzessive entschieden sich die Unternehmen auch für die Reduzierung der Arbeitszeit.
Obwohl die Familien teilweise durch die Reduzierung der Arbeitszeit entsprechend weniger Geld zur Verfügung hatten, stieg der Konsum an. Vor allem die Freizeitgestaltung erhielt in den 1960er-Jahren einen Aufschwung.
Pro: Mehr Leben und bessere Mitarbeitende?
Vier Tage arbeiten, drei Tage frei – für viele Berufstätige klingt das nach einem erstrebenswerten Ziel. Genau genommen, wünschen sich 81 Prozent aller Vollzeit-Berufstätigen laut einer aktuellen Studie der Hans-Böckler-Stiftung einen freien Tag pro Woche extra. Die Gründe dafür sind vielfältig. In der von Dr. Yvonne Lott und Dr. Eike Windscheid-Profeta durchgeführten Studie gaben 97 Prozent aller Befragten an, dass sie die freie Zeit für die Familie nutzen wollen. Die Autoren schlussfolgern, dass eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Beschäftigte einen sehr hohen Stellenwert hat und viele eine Vier-Tage-Woche als Instrument ansehen, das ihnen dabei hilft. Auf Platz zwei der Gründe für einen dritten freien Tag in der Woche sind der Wunsch nach mehr Zeit für Hobbys, Ehrenamt und Sport. Ebenfalls interessant: Jeder dritte Befragte gab an, dass er oder sie aus gesundheitlichen Gründen die Arbeitszeit verkürzen will.
„Es spricht daher viel dafür, dass Entscheidungsträger:innen in Politik, bei den Sozialpartnern sowie in Betrieben das Modell der Vier-Tage-Woche als Instrument zur Behebung des Fachkräftemangels, zur Stabilisierung von Sozialkassen, zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie zur Gesunderhaltung von Beschäftigten in Erwägung ziehen und den verbreiteten Wunsch danach unter den Erwerbstätigen ernst nehmen sollten“, schreiben Lott und Windscheid-Profeta.
Für drei Viertel der Befragten gibt es allerdings eine Einschränkung: Sie wollen nur bei gleichbleibendem Lohn die Arbeitszeitverkürzung. Aus Sicht der Forschenden kein Widerspruch, da weitere Studien gezeigt hätten, dass bei einer Vier-Tage-Woche die Produktivität insgesamt gesteigert werden würde.
Außerdem zeigt die größte Studie zu diesem Thema, die in Großbritannien in 61 Unternehmen durchgeführt wurde, dass sich die Krankheitstage bei den Angestellten um 65 Prozent reduziert haben. Die Forschenden der Universität von Cambridge haben die 61 Unternehmen über den Zeitraum von sechs Monaten begleitet. Ziel war es, herauszufinden, wie sich die Einführung der Vier-Tage-Woche auf Unternehmen und deren Mitarbeitenden auswirkt. Prof. Brendan Burchell, Soziologie-Professor in Cambridge, erklärte: „Nach sechs Monaten konnte sich die überwältigende Mehrheit der Verantwortlichen nicht mehr vorstellen zu einer Fünf-Tage-Woche zurückzukehren. Die Mitarbeitenden haben aktiv selbst nach Potenzialen zur Steigerung der Effizienz gesucht. So wurden beispielsweise lange Meetings mit vielen Teilnehmenden verkürzt. Mitarbeitende haben selbst nach technologischen Hilfen gesucht, die ihre Produktivität erhöht haben.“
Contra: Und wer macht dann die Arbeit?
Es scheint, als ob die Vier-Tage-Woche unvermeidbar ist. Doch ist dem wirklich so? Welche Argumente sprechen gegen die Verkürzung der Arbeitszeit? In der bereits erwähnten Studie von Lott/Windscheid-Profeta gibt knapp jeder Sechste an, dass er gegen eine Vier-Tage-Woche ist. Die überwältigende Mehrheit, knapp 86 Prozent, von ihnen sagt, dass sie so viel Spaß an der Arbeit hat, dass sie eine Verkürzung der Arbeitszeit ablehnt. Dicht gefolgt davon ist die Meinung, dass sich an den Arbeitsabläufen nichts ändern würde bzw, dass die Arbeit sonst nicht zu schaffen wäre. Auch Michael Graf, Obermeister der Landesinnung Bayern für Orthopädie-Technik, bezweifelte im OT-Interview, dass die Vier-Tage-Woche sich im Handwerk durchsetzt. Sein Kritikpunkt: Wenn die vorhandenen Fachkräfte weniger arbeiten, dann sind die nötigen Versorgungen nicht zu schaffen. Ob sich neue Fachkräfte durch eine verkürzte Arbeitswoche in das OT-Handwerk locken lassen, ist also nicht sicher.
Wie machen es andere Länder?
Island, dieser kleine Inselstaat im hohen Norden mit seinen rund 370.000 Einwohner:innen, nahm von 2015 bis 2019 eine Vorreiterrolle in Sachen Vier-Tage-Woche ein und testete in dem damals größten Feldversuch die Arbeitszeitreduzierung aus. Die Konsequenz ist, dass mittlerweile ein Recht auf die Vier-Tage-Woche mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 36 Stunden besteht.
Auch in Großbritannien beschreiten immer mehr Unternehmen den Weg der Vier-Tage-Woche. Die Vereinbarung, die Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen in diesem Fall treffen, lässt sich in die Gleichung 100:80:100 zusammenfassen. Die Arbeitnehmer:innen erhalten 100 Prozent Lohn für 80 Prozent ihrer Arbeitszeit. Dafür verpflichten sie sich, dass sie zu 100 Prozent produktiv sind.
Spanien hat ein Pilotprojekt gestartet, in dem die Vier-Tage-Woche gerade für kleinere und mittlere Unternehmen attraktiv gemacht werden soll. Die Wochenarbeitszeit, so das Ziel, soll um mindestens einen halben Tag reduziert werden – ohne dabei die Löhne entsprechend zu senken. Interessierte Unternehmen erhalten eine Förderung vom Staat, allerdings unter der Voraussetzung, die Produktivität mit gezielten Maßnahmen zu fördern und zu verbessern.
Belgien dagegen hat bereits 2022 gesetzlich eine Flexibilität für Arbeitnehmer:innen eingeführt, selbst entscheiden zu können, ob sie vier oder fünf Tage in der Woche arbeiten wollen. Dabei setzt der belgische Weg nicht auf eine Arbeitszeitreduzierung, sondern auf eine flexiblere Gestaltung. So können Arbeitnehmer:innen auf einen Zehn-Stunden-Arbeitstag bestehen und gleichzeitig einen dritten arbeitsfreien Tag erhalten. „Das Ziel ist es, den Menschen und Unternehmen mehr Freiheit bei der Gestaltung ihrer Arbeitszeit zu geben“, so der belgische Premierminister Alexander de Croo, und weiter: „Wenn man unser Land mit anderen Ländern vergleicht, stellt man oft fest, dass wir weit weniger dynamisch sind.“ Von der neuen Regelung wird mehr Dynamik auf dem belgischen Arbeitsmarkt erwartet, der in der Vergangenheit eher starr blieb und dafür sorgte, dass im europäischen Vergleich mehr arbeitsfähige Menschen ohne Job blieben.
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