Im Interview berichtet der infolge eines Motorroller-Unfalls einseitig oberschenkelamputierte Franzose von seinen sportlichen Zielen und wie sein Orthopädietechniker ihm einst dabei half, sein Trauma zu verarbeiten.
OT: Wann und warum kam es bei Ihnen zur einseitigen Oberschenkelamputation?
Abel Aber: Das war 2003, als ich 17 Jahre alt war. Die Amputation war die Folge eines Unfalls mit einem Motorroller.
OT: Wie sah nach der notwendigen Operation Ihre weitere orthopädietechnische Behandlung aus?
Aber: Die Behandlung war sehr kompliziert, denn zunächst war ich nicht bereit, wieder auf die Beine zu kommen. Ich bin nicht in ein Rehabilitationszentrum gegangen und zwei Jahre lang war ich erstmal nur auf Krücken unterwegs. Psychisch ging es mir überhaupt nicht gut, und es fiel mir sehr schwer, meine Amputation zu akzeptieren.
OT: Was ist dann passiert?
Aber: Eines Tages erzählte mir ein Freund vom Boxen. Aber auf einem Bein war das natürlich kompliziert, also versuchte ich mithilfe einer Prothese wieder auf zwei Beine zu kommen. Ich lernte meinen Orthopädietechniker kennen, mit dem ich mich gut verstand. Erstmal habe ich meine Lebenssituation weiterhin nur schwer akzeptieren können, aber mein Orthopädietechniker verstand mich sehr gut und konnte sich auf meinen psychischen Zustand einstellen. Schritt für Schritt begann ich, das Tragen einer Prothese zu akzeptieren.
OT: Welche Rolle hat Ihre Versorgung in diesem Prozess gespielt?
Aber: Mit der Zeit und der Akzeptanz gewöhnte ich mich immer mehr an das Gehen mit der Prothese, und mein Orthopädietechniker konnte sie nach und nach an meine Bedürfnisse anpassen. Da mir der Sport sehr wichtig ist, musste mir mein Techniker außerdem schnell eine spezielle Prothese für das Boxen anfertigen. Heute trage ich meine Prothese die ganze Zeit und bin sehr aktiv. Deshalb müssen die Komponenten meinem aktiven Leben standhalten. Seit zwei Jahren bin ich mit dem „Quattro“-Knie von Proteor für den täglichen Gebrauch ausgestattet. Es hat mein Leben verändert, weil ich keine Grenzen mehr habe. Der Sport war wirklich meine Rehabilitation und ich sage oft: Sport ist meine Therapie!
OT: Wie ist Ihnen der Einstieg in den organisierten Sport gelungen?
Aber: Sobald ich 2006 wieder – wie man sagt – auf den Beinen war, habe ich mit dem Boxen angefangen, und es war eine echte Lebensschule für mich. Der Sport hat mir geholfen, meine Energie zu kanalisieren. Ich habe anschließend selbst mehrere Trainerausbildungen absolviert und als Boxtrainer gearbeitet. Ich wollte meine eigenen Leistungen immer weiter steigern, und meine Herausforderung bestand darin, als Parasportler in den Ring zu steigen. Ich habe diesen Sport mehrere Jahre lang betrieben, bis ich 2018 sogar im klassischen Boxen gegen Amateure ohne Prothese antrat. Das war ein großer Erfolg für mich, aber es erforderte viel Engagement und Konsequenz.
OT: Warum haben Sie sich danach dazu entschieden, noch einmal die Sportart zu wechseln?
Aber: Da die Paralympics 2024 in Paris stattfinden, will ich als Athlet dabei sein. Boxen gehört aber nicht zu den paralympischen Disziplinen, also nahm ich an einer Sichtung des Französischen Paralympischen Sportkomitees teil und entdeckte die Para-Disziplin „Kanu-Sprint“ für mich. Das war 2019 und eine neue Herausforderung für mich. Ab 2020 habe ich mich ernsthaft mit diesem Sport beschäftigt. Nach viel harter Arbeit bin ich mittlerweile die Nummer Eins in Frankreich und unter den Top Acht der Welt, was mir einen sogenannten „Elite-Status“ verleiht. Kanu-Sprint ist eine sehr explosive und herausfordernde Disziplin – das ist es, was ich an ihr liebe.
OT: Übernimmt Ihre Krankenkasse generell die Kosten für eine wasserfeste Sportprothese?
Aber: Sportprothesen werden in Frankreich nicht erstattet, aber glücklicherweise hat mich Proteor 2017 unterstützt und mir seinerzeit das „Easy-Ride“-Knie und einen Fuß aus der „Rush-Foot“-Reihe angeboten. Das ist ein besonders robuster Fuß aus Glasfasertechnik, der nahezu unzerbrechlich, leicht und vor allem wasserdicht ist, also sehr praktisch beim Sport. Seitdem kann ich noch bessere Leistungen erbringen.
OT: Warum ziehen Sie Ihre Prothese dennoch vor dem Kanufahren aus?
Aber: Für den Kanusport brauche ich keine Prothese. Ich muss nur den Stumpf an seinem Platz lassen, und das ist sehr wichtig.
OT: Welchen Stellenwert hat der paralympische Sport in Frankreich und dürfen die Athlet:innen erwarten, dass die Öffentlichkeit die Paralympischen Spiele in Paris genauso begeistert aufnimmt wie vor allem 2012 in London?
Aber: Die Paralympischen Spiele werden eine großartige Möglichkeit sein, französische und internationale Athlet:innen ins Rampenlicht zu stellen. Es wird eine Gelegenheit sein, unsere Disziplinen zu präsentieren und zu zeigen, zu was wir fähig sind und dass wir gewinnen wollen. Ich denke, die Zuschauer:innen werden da sein und uns unterstützen. Ich kann es kaum erwarten, die Atmosphäre in Paris zu erleben. Dass die Paralympics in unserem Land stattfinden, ist unglaublich.
OT: Welche Unterstützung erhalten Sie vom französischen paralympischen Verband?
Aber: Der Sport in Frankreich ist nicht sehr professionell. Es gehört eine große Entschlossenheit dazu und die Sportler:innen müssen es schaffen, eigene Sponsoren zu finden.
OT: Was sind Ihre persönlichen Ziele für die Paralympischen Spiele und darüber hinaus?
Aber: Ich möchte bei den Paralympics „Gold“ gewinnen! Das könnte auch ein Sprungbrett für mich sein. Es ist eine weitere Herausforderung, die mich sowohl körperlich als auch geistig motiviert. Nichts ist unmöglich, also werde ich mein Bestes geben, um diese Medaille zu gewinnen.
Die Fragen stellte Michael Blatt.
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