Mit drei Fak­to­ren Rich­tung Glück

„Mit den Keynote-Lectures wollen wir Akzente setzen und über den Tellerrand hinausblicken“, betonte Prof. Frank Braatz, PFH Göttingen, bei der Anmoderation des ersten Vortrags dieser Art auf der OTWorld 2024. Die Frau, die er dann ankündigte, habe einen besonderen Lebenslauf: Als Balletttänzerin fing sie an, später machte sie eine Ausbildung zur Tischlerin, dann folgten eine Ausbildung in Systemischer Organisationsberatung sowie eine Promotion und ein Studium der Wirtschaftskommunikation. Heute hat sich Prof. Dr. Ricarda Rehwaldt dem Glück verschrieben. Was ist Glück eigentlich? Wie können Führungspersonen das Glück in ihr Unternehmen einziehen lassen? Und warum zahlt sich das auch wirtschaftlich aus? Auf diese und weitere Fragen gab Rehwaldt in ihrer Keynote „Verbindung von Kreativität und Perfektion: Glücklich arbeiten in medizinischen Fachberufen“ Antworten.

Auch wenn die Theo­rien des US-ame­ri­ka­ni­schen Inge­nieurs Fre­de­rick Win­slow Tay­lor schon 100 Jah­re zurück­lie­gen – noch heu­te lei­de die Gesell­schaft unter den Effek­ten des Tay­lo­ris­mus. „Er hat uns Krea­ti­vi­tät und Sinn­emp­fin­den weg­ge­nom­men“, sag­te Reh­waldt mit Blick auf sei­ne Vor­stel­lung von Arbeits­tei­lung. Ihm hät­ten wir Sät­ze wie „Thank god, it’s Fri­day“ zu ver­dan­ken. Arbeit wer­de mit Begrif­fen wie „schwie­rig“ und „unfrei­wil­lig“ ver­bun­den. Es sei etwas Lei­di­ges, des­sen Ende man ent­ge­gen­fie­be­re. Wie sich Arbeit im Tages­ver­lauf auf das Glücks­le­vel aus­wirkt, zeig­te sie anhand einer Unter­su­chung von Nobel­preis­trä­ger Dani­el Kah­ne­man auf. Den ers­ten Peek erreicht das Glück zwi­schen 12 und 13 Uhr – also in der Mit­tags­pau­se. Dann geht das Glück in den Kel­ler. Doch mit dem Fei­er­abend gibt es ein neu­es Hoch. „Als ich das sah, war ich hin­rei­chend ent­setzt. Erst wenn wir etwas ande­res tun als zu arbei­ten, steigt das Glück. Das ist bedau­er­lich“, sag­te Reh­waldt. „Das muss doch bes­ser gehen!“, ist sie über­zeugt. Nur wie?

Ist Glück messbar?

Um Ant­wor­ten zu fin­den, wies sie auf eine wich­ti­ge Unter­schei­dung hin. Wäh­rend Zufrie­den­heit von Fak­to­ren wie Höhe des Gehalts oder der Anzahl der Urlaubs­ta­ge abhän­gig sei, zahl­ten auf Glück ande­re Aspek­te ein. Glück ist mehr. Glück ist emo­tio­na­ler. Glück errei­chen wir, wenn wir etwas selbst geschaf­fen haben. „Nur“ drei Fak­to­ren – sie hat­te mit einer grö­ße­ren Band­brei­te gerech­tet – erwie­sen sich wäh­rend ihrer For­schung als rele­vant für Glück auf der Arbeit. Sinn­emp­fin­den, Gemein­schaft und Selbst­ver­wirk­li­chung. „Das ist ja tri­vi­al, dach­te ich. Wor­an liegt es dann, dass sich nicht jede Orga­ni­sa­ti­on damit beschäf­tigt? War­um sind wir nicht glück­lich, wenn die Geschäfts­füh­run­gen wis­sen, was es braucht?“, frag­te Reh­waldt und gab gleich dar­auf Ant­wor­ten. Glück ist – oder viel­mehr war – wenig mess­bar. Ein von ihrem Unter­neh­men ent­wi­ckel­tes Instru­ment soll Auf­schluss geben. Online kann jede:r einen Fra­ge­bo­gen zu sei­nem bzw. ihrem Glücks­le­vel aus­fül­len. Mit jedem aus­ge­füll­ten Fra­ge­bo­gen steigt täg­lich die Daten­men­ge. „Viel­leicht ist es wirt­schaft­lich nicht sinn­voll sich mit dem The­ma Glück auf der Arbeit zu beschäf­ti­gen“, ver­mu­te­te Reh­waldt einen wei­te­ren Grund hin­ter der Zurück­hal­tung. Die Stu­di­en­la­ge aller­dings zeich­ne ein ande­res Bild: Arbeits­glück bringt sogar öko­no­mi­sche Vor­tei­le. Ers­tens: Krea­ti­vi­tät. Posi­tiv gestimm­te Men­schen sind krea­ti­ver und inno­va­ti­ver. Ein Witz hier, ein Späß­chen da, ein erst ver­rückt klin­gen­der Gedan­ke, der mit den Kolleg:innen dann gemein­sam wei­ter­ge­spon­nen wird. „Neue Ideen ent­ste­hen, wenn Men­schen in kiche­ri­ger Stim­mung sind“, ist Reh­waldt über­zeugt. Zwei­ter Effekt: Bin­dung. Wer glück­lich ist, ist bereit, sein Herz an sei­ne Orga­ni­sa­ti­on zu hän­gen. Sol­che Mitarbeiter:innen wol­len blei­ben. Die Fluk­tua­ti­on und der Kran­ken­stand sind gerin­ger. „Neben­bei: Men­schen wer­den älter, wenn sie glück­lich sind – um die neun Jah­re. Es lohnt sich also“, sag­te Reh­waldt und setz­te selbst zum Kichern an. Als drit­ten Effekt nann­te sie Stim­mung: In posi­ti­ver Stim­mung spre­chen Men­schen Pro­ble­me eher an, ver­su­chen Kon­flik­te zu lösen. Auch im Umgang mit Kund:innen zah­le sich die Posi­ti­vi­tät aus. „Als Klein­kind wuss­te man, wann der bes­te Moment ist, um die Eltern nach Scho­ko­la­de zu fra­gen.“ Schlecht oder gut gelaunt? Das höre man an der Stim­me. Und Mies­mu­scheln – die mei­det man. Der vier­te und letz­te Fak­tor ist Moti­va­ti­on: Glück­li­che Men­schen sind intrin­sisch moti­viert, ihr Herz hängt an dem, was sie tun. Unglück­li­che Men­schen müs­sen dage­gen extrin­sisch, also z. B. mit hohem Gehalt, moti­viert wer­den. Ist ein Beruf sinn­leer, wird „Schmer­zens­geld“ benö­tigt. Unter­neh­men müs­sen also drauf­zah­len. Ein Vor­teil des Hand­werks: Das Sinn­emp­fin­den und der Stolz sind im Ver­gleich zu ande­ren Bran­chen stark aus­ge­prägt. Alle vier Fak­to­ren zei­gen laut Reh­waldt, dass sich Glück (wirt­schaft­lich) lohnt – und zwar für bei­de Sei­ten, für Mitarbeiter:innen und Führungskräfte.

Lebens­qua­li­tät geht vor Gehalt

Wie Geld und Glück zusam­men­hän­gen, the­ma­ti­siert der Work Hap­pi­ness Report. 2023 zeig­te die Aus­wer­tung, dass 71 Pro­zent der Befrag­ten für mehr Arbeits­glück auf einen Teil ihres Gehalts ver­zich­ten wür­den – sogar auf 20 Pro­zent. Und das gaben nicht nur die Top­ver­die­ner an. Beim Report 2024 erleb­te Reh­waldt dann erneut eine Über­ra­schung. Auf­grund der Kri­sen hat­te sie damit gerech­net, dass die Bereit­schaft Gehalt abzu­ge­ben sin­ken wür­den, doch das Gegen­teil war der Fall. Der Wert stieg auf 73 Pro­zent. „Das sind bewe­gen­de Zah­len“, resü­mier­te sie. Die Lebens­qua­li­tät scheint vorzugehen.

„Ich hof­fe, dass ich die Frau sein kann, die Arbeit revo­lu­tio­niert und dass ich dabei hel­fen kann, das, was Tay­lor sag­te, auf­zu­wei­chen“, sag­te Reh­waldt zum Abschluss ihrer Key­note. Ein Appell an alle Anwe­sen­den, ihrem eige­nen Glück auf die Sprün­ge zu hel­fen – und vor allem dem ihrer Mitarbeiter:innen. Viel­leicht heißt es dann ja bald: „Thank god, it’s monday“?

Pia Engel­brecht

Tei­len Sie die­sen Inhalt