OT: Herr Blome, 2022 war die Stimmung auf der OTWorld sehr gelöst, da die Corona-Pandemie eigentlich zum ersten Mal eine echte Atempause einlegte und Vertreter:innen des Fachs sich treffen konnten. Seitdem sind Krisen zu bewältigen gewesen, und kämpferische bzw. kriegerische Auseinandersetzungen – wie jüngst in Israel – bestimmen die internationalen Nachrichten. Was erwarten Sie für eine OTWorld 2024?
Georg Blome: Nur drei Monate vor dem Start der OTWorld 2022 überfiel Russland die Ukraine. Wir alle waren von den verstörenden Bildern der rohen Gewalt gegen die Zivilbevölkerung in der Ukraine geschockt. Vielleicht waren es gerade die Schreckensbilder der Corona-Pandemie und des jüngsten Krieges in Europa, die die Teilnehmer:innen der OTWorld so voller Freude auf ein Wiedersehen mit Freunden und Kolleg:innen gestimmt hat. Zwei Gedanken einten uns zur OTWorld 2022. Erstens: Es ist nicht selbstverständlich, dass wir uns auch morgen noch persönlich und unversehrt treffen können. Umso größer war die Freude über jede einzelne Begegnung. Zweitens: Wir müssen helfen. Wir können nicht einfach nur von der Seitenlinie zuschauen, wenn im Nachbarland Zivilist:innen und Soldat:innen schwerste Verletzungen erleiden, für deren Versorgung mit Hilfsmitteln wir auf der ganzen Welt als Vorbild gefeiert werden. Angesichts der bedrückenden Lage der Menschen in Kriegs- und Krisengebieten steht das Thema Versorgung von Kriegsversehrten selbstverständlich auf der Agenda des Weltkongresses 2024. Die Hilfsmittelversorgung in Krisen- und Kriegsgebieten stellt eine enorme Herausforderung dar. Es geht nicht nur um die Versorgung der Menschen mit geeigneten Hilfsmitteln, sondern auch um die Ausbildung von Fachkräften und die Wissensvermittlung.Wie wir wissen, reicht es nicht aus, Materialien und Passteile bereitzustellen. Es bedarf qualifizierter Fachkräfte, die die Versorgung der Patient:innen sicherstellen können, und zwar in der Akutphase und bei der rehabilitativen Betreuung. An konkreten Beispielen werden im Weltkongress Lösungskonzepte hierfür vorgestellt und diskutiert.
OT: Um im politischen Kontext zu bleiben: Zur OTWorld 2022 reiste eine ukrainische Delegation nach Leipzig. Erwarten Sie zur OTWorld wieder Gäste aus der Ukraine oder dem aktuellen Kriegsgebiet Nahost?
Blome: Der BIV-OT steht als Ansprechpartner für alle betroffenen Länder und Regionen zur Verfügung. Wir erwarten 2024 erneut ukrainische Expert:innen. Es ist uns wichtig zu erfahren, wie die verschiedenen, auch durch den BIV vermittelten und begleiteten Hilfsunterstützungen bei den Menschen im Land ankommen. Hier bietet der persönliche Austausch mit den Verantwortlichen im Land eine gute Möglichkeit, Informationen aus erster Hand zu erhalten. Expert:innen aus Israel und den arabischen Ländern besuchen regelmäßig die OTWorld und beteiligen sich am internationalen Austausch über Verbesserungen in der Hilfsmittelversorgung.
Gespräche zu Reformen
OT: Von der internationalen auf die nationale Bühne. Von Berlin bis zur Leipziger Messe braucht man mit dem ICE rund 90 Minuten. Darf man darauf hoffen, dass einige Politiker:innen den größten Branchentreff persönlich in den Augenschein nehmen werden?
Blome: Wie auch bei der letzten Veranstaltung rechnen wir wieder mit einer Vielzahl an politischen Entscheidungsträgern. Schließlich sind wir seit Jahren mit Gesundheitspolitiker:innen Land auf und ab im Gespräch, um für eine nachhaltige Reform der Hilfsmittelversorgung in Deutschland zu werben. Denn unser Fach war und ist von zahlreichen Gesetzen und Gesetzesvorhaben der Ampel-Koalition betroffen. Denken Sie nur an das ALBVVG (Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz, Anm. d. Red.), das eine Ungleichbehandlung von Apotheken und Sanitätshäusern zementiert, oder das DiGiG (Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens, Anm. d. Red.), welches die Frist zur verpflichtenden Einführung der elektronischen Verordnung von Hilfsmitteln und anderen Leistungen um ein Jahr verschieben will. Diese Verschiebung würde zu weiteren Wettbewerbsverzerrungen zwischen Apotheken und Sanitätshäusern führen und zusätzlichen bürokratischen Aufwand verursachen. Gleichzeitig haben es die 2019 vom Gesetzgeber aus guten Gründen verbotenen Ausschreibungen zurück auf die Positionspapiere der Krankenkassen geschafft. Dass diese keine geeignete Maßnahme sind, um qualitative, patientengerechte und auch unter Kostengesichtspunkten geeignete Hilfsmittelversorgung zu praktizieren, werden wir auf der OTWorld aufzeigen. Der Gesprächsbedarf ist groß und wir treffen zum Glück auf offene Ohren in der Politik in Berlin, im Land und zur OTWorld.
OT: In diesem Jahr finden die Olympischen und Paralympischen Spiele in Paris statt. Wie sportlich ist die OTWorld eigentlich?
Blome: Definiere „sportlich“. Für Spitzensportler:innen ist die OTWorld gerade gut genug zum Aufwärmen. Alle anderen empfinden die Teilnahme an der OTWorld durchaus als sportlich. Bei der OTWorld 2022 ist keine bzw. keiner unserer Kolleg:innen unter 20.000 Schritten am Tag geblieben. Das wird auch den meisten der Besucher:innen in diesem Jahr so gehen. Drei Messehallen und der Kongressbereich wollen erkundet werden – da ist viel Bewegung gefragt und zu erwarten. Sport ist aber auch im Kongress thematisch verankert. Hilfsmittelversorgung in der Prävention und nach Verletzungen ist für Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen ein wichtiges Thema. Im Paralympics-Café werden wir zudem Orthopädietechniker:innen, die in Paris die Sportler:innen betreuen werden, verabschieden.
Jubiläum im Blick
OT: 2024 wird die OTWorld – unter diesem Namen und in dieser Ausgestaltung – ihren 10. Geburtstag feiern. Was wünschen Sie sich für diese Jubiläumsausgabe?
Blome: Interdisziplinärer Austausch at it‘s best – das ist unser Ziel für 2024. Wir werden erneut unter Beweis stellen, dass wir mit der OTWorld der weltweite Mittelpunkt für Produktinnovationen und moderne Versorgungskonzepte sind. Dabei wollen wir an die letzten erfolgreichen Veranstaltungen anknüpfen, unseren Wachstumskurs fortsetzen und gleichzeitig noch mehr Mitarbeiter:innen aus den Betrieben für den Besuch insbesondere der Workshops gewinnen. Aber ehrlich gesagt schweifen unsere Blicke schon über das Jahr 2024 hinaus. Wir richten unser Augenmerk bereits auf die OTWorld 2026 mit ihrem Jubiläum: 50 Jahre Weltkongress!
Persönliche Begegnungen
OT: 2020 wurde coronabedingt auf digitale Kanäle gesetzt und auch 2022 wurden ausgewählte Kongressbeiträge in einer Mediathek den Besucher:innen und denen, die nicht kommen konnten, zur Verfügung gestellt. Wird sich dies in diesem Jahr fortsetzen?
Blome: Wir setzen auf die persönliche Begegnung mit den Akteur:innen aus Medizin, Industrie und Handwerk. Das ist unser Erfolgsrezept der vergangenen Jahre und hat auch nach Corona nicht an Bedeutung verloren. Im Gegenteil: Die Menschen wollen sich treffen, sich persönlich zu den Versorgungsthemen austauschen, Produkte in die Hand nehmen und ebenfalls gemeinsam mit einem Glas Bier anstoßen. Auch das sind Erkenntnisse aus der Coronazeit.
OT: Haben Sie bereits jetzt ein Programmhighlight identifiziert, an dem Sie auf alle Fälle teilnehmen werden?
Blome: Die Zahl der Highlights ist groß. Mehr als 300 Referent:innen werden im Kongress über bewährte und neue Versorgungskonzepte berichten. Über 450 nationale und internationale Aussteller werden auf der Messe vertreten sein und zahlreiche Innovationen präsentieren. Sie sehen, ich werde die Qual der Wahl haben. Natürlich bin ich gespannt auf die Workshops mit Patientenversorgung und ich freue mich besonders auf die Keynotes und ihre Impulse für die Themen KI in der Mensch-Roboter-Interaktion und nachhaltige Materialien in der Orthopädie-Technik, oder auf die Out-of-the-box-Keynote zum Thema Glück. Aber für mich steht die Begegnung mit den Menschen im Mittelpunkt. Der Austausch mit bekannten Akteuren und das Knüpfen neuer Kontakte: Vorfreude pur!
OT: Die Confairmed GmbH richtet den Weltkongress alle zwei Jahre aus. Welche Angebote gibt es eigentlich in der Zwischenzeit zweier OTWorld-Ausgaben zur Fort- und Weiterbildung?
Blome: Der Schwerpunkt unserer ganzjährigen Seminare liegt auf regulatorischen und betriebswirtschaftlichen Themen, die unsere Betriebe im Alltag stark beschäftigen. Hierzu gehören etwa Schulungen zur Medical Device Regulation – kurz MDR –, der sicheren Anwendung von Verträgen, denen die Betriebe beigetreten sind, oder auch Schulungen zu Qualitätsstandards bei hoch spezialisierten Versorgungen und vieles mehr. Zusätzlich organisiert die Confairmed im Auftrag des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik in Kooperation mit der Vereinigung Technische Orthopädie und der Fortbildungsinitiative ’93 zweimal jährlich den hochkarätig besetzten Tag der Technischen Orthopädie. Jeweils zum VSOU-Kongress im April in Baden-Baden und zum Berliner DKOU-Kongress im Oktober können sich Mediziner:innen, Techniker:innen und Therapeut:innen im Rahmen des TTO in vier Sessions mit Expert:innen aus dem Hilfsmittelversorgungsteam austauschen.
Die Fragen stellte Heiko Cordes.
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