Otto­bock setzt auf 3D-gedruck­te Prothesenschäfte

Die Additive Fertigung hält in immer mehr Bereichen der Orthopädie-Technik Einzug. Bei Ottobock wird beispielsweise auf 3D-gedruckte Prothesenschäfte gesetzt. Trotz erschwerter Bedingungen aufgrund der Coronapandemie ist der Schaft MyFit TT nun auf dem Markt. Wie dem Hilfsmittelhersteller das gelungen ist und welche Vorteile die Technik und das Produkt bieten, erläutert Franziska Lehmann, Senior Digital Product Manager iFab, im Gespräch mit der OT-Redaktion.

OT: Wel­che Vor­tei­le bie­tet die Addi­ti­ve Fer­ti­gung von Schäf­ten gegen­über bis­he­ri­gen Methoden?

Fran­zis­ka Leh­mann: Uns geht es nicht um 3D-Druck, weil das cool klingt, son­dern um ech­ten Mehr­wert. Es ist daher schwie­rig, die Vor­tei­le addi­tiv gefer­tig­ter Schäf­te wie MyFit TT iso­liert zu betrach­ten. Sie sind Teil einer digi­ta­len Gesamt­lö­sung vom Scan über die Model­lie­rung bis zur Fer­ti­gung. Die Vor­tei­le gene­rie­ren sich aus dem Zusam­men­spiel: Eigen­hei­ten am Stumpf wie knö­cher­ne Struk­tu­ren las­sen sich mar­kie­ren, mit unse­rem Scan­ner erfas­sen und in der Modi­fi­ka­ti­ons­soft­ware ein­blen­den. Es ent­steht ein detail­lier­ter digi­ta­ler Zwil­ling. Alle Schrit­te der Bear­bei­tung wer­den doku­men­tiert und las­sen sich auf Knopf­druck anpas­sen, rück­gän­gig machen oder repro­du­zie­ren. Durch eine bio­ni­sche, kno­chen­ähn­li­che Struk­tur, die sich nur mit dem 3D-Dru­cker her­stel­len lässt, wer­den die Schäf­te außer­dem sta­bi­ler und leich­ter als mit Gieß­harz. So kön­nen Techniker:innen Schäf­te mit sehr guter Pass­form her­stel­len. Die Soft­ware macht ihnen dabei Vor­schlä­ge, doch die Techniker:innen behal­ten immer das letz­te Wort. Schließ­lich kennt nie­mand die Anwender:innen so gut wie sie!

OT: Bie­tet die­ses Ver­fah­ren die Mög­lich­keit, ver­schie­de­ne Mate­ria­len auszuwählen?

Leh­mann: Die gibt es aktu­ell nur begrenzt. Mate­ria­li­en und Druck­ver­fah­ren müs­sen gewähr­leis­ten, dass die Schäf­te sicher, sta­bil und lang­le­big genug sind, um drei Mil­lio­nen Schritt­zy­klen bei bis zu 125 Kilo­gramm Kör­per­ge­wicht zu über­ste­hen. Unse­re Materialexpert:innen sind daher auf zwei Optio­nen gekom­men, die uns aktu­ell zur Ver­fü­gung ste­hen: Das Nylon­pul­ver PA12 wird mit­tels MJF (Mul­ti Jet Fusi­on) gedruckt, PA11 mit SLS (Selek­ti­ves Laser­sin­tern). Es kom­men ähn­li­che Schäf­te dabei her­aus. Per­spek­ti­visch ist es aber denk­bar, ein­zel­ne Berei­che im Schaft fle­xi­bel zu gestal­ten und ande­re fes­ter. Aber das ist Zukunfts­mu­sik. Wich­tig ist aktu­ell vor allem, dass das Mate­ri­al haut­freund­lich ist und der Liner und die Klei­dung nicht unnö­tig auf­ge­rie­ben werden.

OT: Wel­che Schwie­rig­kei­ten waren bei der Ent­wick­lung zu überwinden?

Leh­mann: Eine Schwie­rig­keit war, dass wir bei der Ent­wick­lung in die Pan­de­mie­zeit gekom­men sind und vie­le Kolleg:innen nicht mehr rei­sen konn­ten. Wir haben Teams in den USA und Euro­pa, müs­sen Patient:innen invol­vie­ren, Lösun­gen aus­pro­bie­ren und Techniker:innen schu­len. Es war wohl ent­schei­dend für das gute Gelin­gen, dass es sich um ein digi­ta­les Pro­jekt han­del­te. So haben wir es geschafft, unse­re Leu­te über Video­kon­fe­ren­zen und mit auf­ge­nom­me­nen Vide­os zusam­men­zu­brin­gen und zu trainieren.

OT: Was für Ver­än­de­run­gen bringt die Addi­ti­ve Fer­ti­gung von Schäf­ten für die Ver­sor­gung im Sani­täts­haus mit sich?

Leh­mann: Die Techniker:innen im Sani­täts­haus wer­den mobi­ler, denn der Scan­ner iFab Easy und die Modi­fi­zie­rung funk­tio­nie­ren unab­hän­gig vom Gips­raum. Sie kön­nen ent­schei­den, wo sie den Scan des Stump­fes durch­füh­ren und wie sie die ehe­ma­li­gen Gips­räu­me nut­zen und gestal­ten. Das ist ange­neh­mer für Anwender:innen. Und die Zeit, die durch die Addi­ti­ve Fer­ti­gung gespart wird, fließt in wich­ti­ge Din­ge wie den direk­ten Aus­tausch mit den Anwender:innen. Für sie bedeu­tet das zudem einen ange­neh­me­ren Pro­zess, da sie nicht mehr für einen Abdruck vom Stumpf in den Gips­raum müssen.

OT: Kön­nen die gedruck­ten Schäf­te lang­fris­tig ein­ge­setzt wer­den oder die­nen sie eher als Testversorgung?

Leh­mann: Es han­delt sich um Defi­ni­tiv­schäf­te, die wie unse­re Knie­ge­len­ke auch nach ISO getes­tet wur­den – drei Mil­lio­nen Schritt­zy­klen mit 125 Kilo­gramm Kör­per­ge­wicht. Dem­entspre­chend sind sie für die Lang­zeit­ver­sor­gung frei­ge­ge­ben. Wir bie­ten mit der Soft­ware­lö­sung aber auch Inte­rims- und Test­schäf­te an.

OT: Wie sieht es mit der MDR-Kon­for­mi­tät aus?

Leh­mann: Schäf­te sind immer Son­der­an­fer­ti­gun­gen, die nicht wir als Otto­bock, son­dern unse­re Kun­den, also die Techniker:innen und Sani­täts­häu­ser in den Ver­kehr brin­gen. Um sie dabei zu unter­stüt­zen, stel­len wir sicher, dass alles MDR-kon­form ist. Dazu hal­ten wir die kom­plet­te Doku­men­ta­ti­on für sie in Form von Prüf­da­ten und Anlei­tun­gen bereit.

OT: Das Umwelt­be­wusst­sein von Ver­sorg­ten und Ver­sor­gern steigt ste­tig. Bie­tet sich die­ses Ver­fah­ren an, um res­sour­cen­ef­fi­zi­ent zu versorgen?

Leh­mann: Auf jeden Fall. Gips­bin­den für den Abdruck des Stump­fes und den Gips zum Aus­gie­ßen spart man kom­plett ein. Außer­dem wird ein Schaft im 3D-Druck­ver­fah­ren ohne Modell direkt gedruckt. Pul­ver­ba­sier­te Druck­ver­fah­ren bie­ten außer­dem den Vor­teil, dass das über­schüs­si­ge Mate­ri­al nicht ent­sorgt wird, son­dern für den nächs­ten Druck­pro­zess wie­der­ver­wen­det wird. Es ent­steht so sehr wenig Müll und wir scho­nen Ressourcen.

OT: Stich­wort Kos­ten: Wie schnei­den hier die gedruck­ten Schäf­te finan­zi­ell gegen­über einer Stan­dard­ver­sor­gung ab?

Leh­mann: Die Prei­se 3D-gedruck­ter Schäf­te sind aktu­ell noch ver­gleich­bar mit denen kon­ven­tio­nell her­ge­stell­ter. Sie sind nicht teu­rer. Die Prei­se wur­den mit Hin­blick auf die Erstat­tungs­si­tua­ti­on festgelegt.

OT: Haben Sie eine Rück­mel­dung bekom­men, wie die Akzep­tanz der addi­ti­ven Schaft­ver­sor­gung durch Kos­ten­trä­ger aussieht?

Leh­mann: Bis­her noch nicht für den deut­schen Markt – wei­ter sind wir hier auf dem US-Markt, wo wir sehr posi­ti­ve Erfah­run­gen gemacht haben. Dort sind die Schäf­te bereits kom­plett durch die Erstat­tung abge­deckt. In Deutsch­land sind wir aktu­ell noch dabei, die ers­ten Erfah­run­gen zu machen. Aber auch hier sind wir zuversichtlich!

Die Fra­gen stell­te Hei­ko Cordes.

 

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