Neu­hei­ten der pro­the­ti­schen Kin­der­ver­sor­gung im Fokus

Für Kinder gehören Dinge wie der Sprung vom Ast, das Fahrradfahren, das Suchen nach Muscheln am Strand oder der Sprint in die Arme der Großeltern ganz selbstverständlich zum Alltag. Damit haben sie ein deutlich höheres Aktivitätslevel als Erwachsene. Außerdem planen sie ihre Aktivitäten meist nicht sorgfältig, sondern handeln eher spontan und impulsiv. Um dem gerecht zu werden, muss die prothetische Versorgung für kleine Patientinnen und Patienten eine große Bandbreite an Anforderungen erfüllen.

Im Hau­se Otto­bock in Duder­stadt hat man sich dem­entspre­chend Gedan­ken gemacht. Pünkt­lich zur schö­nen Jah­res­zeit gibt es mit dem „Movi­do“ und dem „Maverick juni­or“ zwei neue Pro­duk­te für Kin­der. Die OT-Redak­ti­on hat mit Eli­sa­beth Kecht, OTM bei Poh­lig, und Wieb­ke Gel­ler­sen, Pro­dukt­ma­na­ge­rin Maverick juni­or und Movi­do bei Otto­bock, über die Neu­hei­ten gesprochen.

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Kin­der sind kei­ne klei­nen Erwach­se­nen. Oder doch? Wie unter­schied­lich ist aus Ihrer Sicht die Ver­sor­gung mit Pro­the­sen bei Kin­dern und Erwachsenen?

Eli­sa­beth Kecht: Die Pro­the­sen­ver­sor­gung bei Kin­dern unter­schei­det sich erheb­lich von der bei Erwach­se­nen – und das aus meh­re­ren Grün­den: Zum einen sind Kin­der in der Regel viel akti­ver und bewe­gen sich schnel­ler. Sie hüp­fen oft irgend­wo her­un­ter, spie­len ver­mehrt auf dem Boden oder klet­tern auf Klet­ter­ge­rüs­te. Das erfor­dert Pro­the­sen, die nicht nur robust sind, son­dern auch ihren Bewe­gungs­drang unter­stüt­zen. Zum ande­ren gestal­ten sich die Ver­sor­gungs­ab­läu­fe anders. Oft­mals fin­den die­se im Rah­men von sta­tio­nä­ren Auf­ent­hal­ten statt, zu dem die Eltern ihre Kin­der zur Anpro­be beglei­ten. Zu berück­sich­ti­gen sind auch häu­fi­ge­re ver­schleiß- und wachs­tums­be­ding­te Maß­nah­men. Eine gro­ße Beson­der­heit bei Kin­dern und Jugend­li­chen ist zudem die Mög­lich­keit, über die Ver­sor­gung wachs­tums­len­kend auf die Glied­ma­ßen ein­wir­ken zu kön­nen. Aus die­sem Grund soll­te ein gro­ßes Augen­merk auf einem inter­dis­zi­pli­nä­ren Team lie­gen, um allen tech­ni­schen, medi­zi­ni­schen und the­ra­peu­ti­schen Anfor­de­run­gen gerecht zu werden.

In der Ver­gan­gen­heit wur­den Pro­duk­te für Kin­der häu­fig ein­fach etwas klei­ner gefer­tigt als das „Ori­gi­nal“ für Erwach­se­ne. War­um ist die­se Zeit vorbei?

Wieb­ke Gel­ler­sen: Je nach Alter ste­hen unterschied­liche Bedürf­nis­se im Fokus, die es zu berück­sich­ti­gen gilt. Bei klei­nen Kin­dern geht es um mög­lichst leich­te und klei­ne Pass­tei­le, da sie sonst schlicht­weg nicht ver­sorgt wer­den könn­ten. Bei älte­ren Kin­dern steht vor allem die Robust­heit im Vor­der­grund und bei Jugend­li­chen ein mög­lichst unauf­fäl­li­ges und natür­li­ches Gang­bild. Zudem stel­len Kin­der über­aus hohe Ansprü­che an die Per­for­mance ihrer Hilfs­mit­tel. Sie möch­ten mit Gleich­alt­ri­gen mit­hal­ten kön­nen. Lei­der gibt es noch nicht die per­fekt mit­wach­sen­de Pro­the­se, die das mensch­li­che Bein exakt nach­bil­den kann. Unse­re Hilfs­mit­tel konzen­trieren sich daher mit ihren Eigen­schaf­ten auf die spe­zi­fi­schen Bedürf­nis­se der jewei­li­gen Alters­klas­se, um die Kin­der best­mög­lich in ihrem All­tag zu unterstützen.

Mit „Movi­do“ und „Maverick juni­or“ gibt es aktu­ell zwei Neue­run­gen aus dem Hau­se Otto­bock. Kön­nen Sie die Pro­duk­te beschrei­ben und erklä­ren, war­um Sie sich für die Ent­wick­lung die­ser bei­den Pro­duk­te ent­schie­den haben?

Gel­ler­sen: Die zwei neu­en Pro­the­sen ergän­zen unser bestehen­des Port­fo­lio sehr gut und sind spe­zi­fisch auf die Bedürf­nis­se von Klein- und Schul­kin­dern aus­ge­legt. Das Movi­do Knie­ge­lenk ist beson­ders klein und leicht und in zwei Grö­ßen ver­füg­bar, um sozu­sa­gen mit dem Kind „mit­zu­wach­sen“. Das Movi­do explo­re wiegt gera­de mal 180 Gramm und ist für bis 25 Kilo­gramm Kör­per­ge­wicht zuge­las­sen. Das grö­ße­re Movi­do play (250 Gramm und bis 45 kg zuge­las­sen) ist noch robus­ter, um bei Akti­vi­tä­ten wie Klet­tern, Ren­nen und Her­um­to­ben best­mög­lich zu unter­stüt­zen. Bei­de Ver­sio­nen ermög­li­chen den Kin­dern, durch die hydrau­li­sche Schwung­pha­sen­steue­rung das Lau­fen von Anfang an rich­tig zu erler­nen, um sie so best­mög­lich auf ein Leben mit Pro­the­se vor­zu­be­rei­ten. Der Pro­the­sen­fuß Maverick juni­or ist die idea­le Ergän­zung, da er sehr fle­xi­bel, dyna­misch und robust ist. Dadurch wer­den die Kin­der bei ihren All­tags­ak­ti­vi­tä­ten nicht aus­ge­bremst. Zudem ist er was­ser­fest, sowohl im Süß- als auch im Salzwasser.

Mit „Maverick Junior“ und „Movido“ hat Ottobock zwei neue Produkte für die Kinderversorgung auf den Markt gebracht. Foto: Ottobock
Mit „Maverick Juni­or“ und „Movi­do“ hat Otto­bock zwei neue Pro­duk­te für die Kin­der­ver­sor­gung auf den Markt gebracht. Foto: Ottobock

Kin­der haben ein erhöh­tes Akti­vi­täts­le­vel. Wie haben sich die Pro­duk­te in den Tests der Anwen­de­rin­nen und Anwen­der in der Pra­xis geschlagen?

Gel­ler­sen: Die Robust­heit ist in der Tat eine der größ­ten Her­aus­for­de­run­gen für unse­re Pro­dukt­ent­wick­ler. Kin­der sind unbe­re­chen­bar und tun im All­tag, was sie wol­len, egal ob wir dies getes­tet haben oder nicht. Und das ist auch gut so und das sol­len sie auch! Natür­lich bleibt es dabei nicht aus, dass auch mal die eine oder ande­re Pro­the­se zu uns zurück­kommt – dar­aus ler­nen wir und wer­den mit jedem Mal besser.

Wie viel Feed­back konn­ten die Kin­der im Rah­men der Produkt­entwicklung geben und wel­chen ­Ein­fluss hat­te es auf den Prozess?

Gel­ler­sen: Viel. Die ver­schie­de­nen Ent­wick­lungs­stän­de von den Pro­to­ty­pen bis hin zu den fina­len Pro­duk­ten wur­den immer gemein­sam mit Kin­dern getes­tet – natür­lich unter kon­trol­lier­ten Bedin­gun­gen und im Bei­sein der Eltern. Da gab es vie­le Schlei­fen, die gedreht wer­den muss­ten, bis sich die Hilfs­mit­tel im All­tag bewähr­ten. Aber dadurch konn­ten das Movi­do Knie­ge­lenk und der Maverick juni­or Pro­the­sen­fuß eine sehr erprob­te Markt­rei­fe gewinnen.

Was ist für die Tech­ni­ker in ­Anwen­dung wich­tig zu wissen?

Kecht: End­lich gibt es mit Movi­do ein leich­tes Kin­der­knie­ge­lenk mit hydrau­li­scher Schwung­pha­sen­steue­rung für die frü­he pro­the­tisch- und orthop­ro­the­ti­sche Ver­sor­gung ab einem Alter von cir­ca 3 bis 4 Jah­ren. Der Mehr­wert ist im All­tag deut­lich spür­bar, zum Bei­spiel sorgt die hydrau­li­sche Schwung­pha­sen­steue­rung für einen har­mo­ni­sche­ren Bewe­gungs­ab­lauf. Dank der gerin­gen Bau­hö­he kön­nen Kin­der sehr früh mit einem Knie­ge­lenk statt einer stei­fen Pro­the­se ver­sorgt wer­den. Die­se Vor­tei­le machen sich bei vie­len All­tags­ak­ti­vi­tä­ten posi­tiv bemerk­bar, wie etwa beim Spie­len auf dem Boden oder Sit­zen in beeng­ten Ver­hält­nis­sen. Beim Maverick juni­or ist beson­ders, dass er auf­grund sei­ner Glas­fa­ser­bau­wei­se eine sehr schö­ne Dyna­mik wäh­rend des Lau­fens bie­tet. Der Fuß wirkt nicht so steif wie ver­gleich­ba­re Low-Pro­fi­le-Kar­bon­fe­der­mo­du­le. Sei­ne nied­ri­ge Auf­bau­hö­he sorgt dafür, dass der Maverick juni­or auch bei ungüns­ti­gen Län­gen­ver­hält­nis­sen ver­baut wer­den kann, wie sie gera­de in der Orthop­ro­the­tik häu­fig vor­kom­men. Er lässt sich gut mit dem Movi­do Knie­ge­lenk kom­bi­nie­ren, was die Anpas­sung an die indi­vi­du­el­len Bedürf­nis­se der Kin­der erleichtert.

Die Fra­gen stell­te Hei­ko Cordes.

Zur Per­son

Die Ortho­pä­die­tech­nik-Meis­te­rin küm­mert sich bei Poh­lig seit mitt­ler­wei­le 13 Jah­ren um die best­mög­li­che Ver­sor­gung ihrer Pati­en­ten. Spe­zia­li­siert im Bereich der Orthop­ro­the­tik der unte­ren Extre­mi­tä­ten arbei­tet sie eng zusam­men mit renom­mier­ten Kin­der­kli­ni­ken in der Regi­on Traun­stein bei der ortho­pä­die­tech­ni­schen Ver­sor­gung von Kin­dern und Jugendlichen. 

 

Zur Per­son

Wieb­ke Gel­ler­sen mach­te ihren ­Mas­ter of Sci­ence in Mar­ke­ting und Dis­tri­bu­ti­ons­ma­nage­ment (BWL) an der Georg-August-Uni­ver­si­tät in Göt­tin­gen. Seit 2013 arbei­tet sie für das ­Medi­zin­tech­nik­un­ter­neh­men ­Otto­bock im glo­ba­len Produkt­management im Bereich der Pro­the­tik der unte­ren Extre­mi­tä­ten. Ihre Exper­ti­se und ihr umfang­rei­ches Wis­sen flie­ßen heu­te in die Wei­ter­ent­wick­lung von Kin­der­pro­the­sen ein. 

 

 

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