Mit Work­shop Berüh­rungs­ängs­te nehmen

Bewährte Konzepte haben es leicht, auf Anklang zu stoßen. Neue müssen sich erst beweisen. Ein Blick in Saal 5 am Dienstagmittag schien zu bestätigen, was die Veranstalter vermuteten. Es lohnt sich ein neues Angebot für eine Zielgruppe zu gestalten, die bei der OTWorld bislang zu kurz kam: die Sanitätshausfachangestellten. Die Sitzreihen für den Workshop „Adipositas und Lymphödem“ waren alle besetzt. Und eine kurze Umfrage zeigte, dass zum Großteil tatsächlich Mitarbeiter:innen aus dem Sanitätsfachhandel Platz genommen hatten. Dazu gesellten sich Pyhsiotherapeut:innen, aber auch zwei Ärzt:innen und ein Vertreter einer Krankenkasse.

„Die­se Ver­an­stal­tung ist ein Expe­ri­ment bei der OTWorld, weil wir das The­ma Lym­pho­lo­gie zwi­schen den Fach­dis­zi­pli­nen vor­stel­len wer­den“, beton­te Vor­sit­zen­der Prof. Dr. Gerd Lulay, Chef­arzt der Chir­ur­gi­schen Kli­nik II: Gefäß- und Endo­vas­ku­lar­chir­ur­gie am Kli­ni­kum Rhei­ne, bei der Begrü­ßung. Ihm war es ein gro­ßes Anlie­gen, Adi­po­si­tas und das damit ver­bun­de­ne Lymph­ödem mit ins Pro­gramm auf­zu­neh­men, denn: „Über­ge­wicht spielt in unse­rer Gesell­schaft zuneh­mend eine Rol­le und stellt eine Her­aus­for­de­rung für das Gesund­heits­sys­tem dar.“

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Das bestä­tig­te Dr. Gabrie­le Fär­ber, Zen­trum für Gefäß­me­di­zin in Ham­burg: „Seit 2005 rollt ein Tsu­na­mi auf uns zu.“ Um dem ent­ge­gen­zu­tre­ten, wur­de im Jahr 2008 eine eige­ne „Abtei­lung für ambu­lan­tes Gewichts­ma­nage­ment und Adi­po­si­tas­the­ra­pie“ auf die Bei­ne gestellt. Fär­ber stell­te im Work­shop Ver­fah­ren vor, die in der Medi­zin zur Dia­gnos­tik des Lymph­ödems ein­ge­setzt wer­den. Dazu gehö­ren neben einer aus­führ­li­chen (Familien-)Anamnese u. a. die Unter­su­chung der Patient:innen, die Umfangs­mes­sung sowie die Doku­men­ta­ti­on des Krank­heits­ver­laufs. Wei­ter­füh­ren­de appa­ra­ti­ve Dia­gnos­tik wie eine Sono­gra­phie kön­ne eben­falls hilf­reich sein. Dabei mach­te Fär­ber deut­lich, dass das Lymph­ödem unbe­han­delt einen fort­schrei­ten­den Ver­lauf hat sowie eine hohe Nei­gung zu Fol­ge­er­kran­kun­gen auf­weist. „Die The­ra­pie soll­te so früh wie mög­lich erfol­gen“, beton­te sie. Doch in der Pra­xis sehe das oft anders aus.

Nach­dem Fär­ber die Unter­schie­de zwi­schen pri­mä­rem und sekun­dä­rem Lymph­ödem erläu­tert hat­te, ging sie auf die Ver­bin­dung zur Adi­po­si­tas ein. „76 Pro­zent aller Lymph­ödem­pa­ti­en­ten sind über­ge­wich­tig“, sag­te sie. Zudem ver­schlech­te­re Über­ge­wicht die Sym­pto­me. Die Zahl klang auch für Lulay „alar­mie­rend“, doch die Aus­sich­ten auf Bes­se­rung sei­en gut. „Das Adi­po­si­tas-Lymph­ödem ist bei ent­spre­chen­der Gewichts­ab­nah­me rever­si­bel“, beton­te Fär­ber. „Das kön­nen wir bei kei­nem ande­ren Lymph­ödem versprechen.“

Abschlie­ßend erläu­ter­te die Medi­zi­ne­rin, wie Kom­pres­si­on die Beschwer­den der Patient:innen lin­dern kann und wel­che Beson­der­hei­ten es dabei zu beach­ten gilt. Das Adi­po­si­tas asso­zi­ier­te Lymph­ödem stel­le beson­de­re Anfor­de­run­gen an die Pass­form und Hygie­ne. Flach­ge­strick­te Strümp­fe bie­ten ihrer Erfah­rung nach vie­le Vor­tei­le: Sie haben u. a. eine gute Pass­form, sind leich­ter anzu­zie­hen und schnü­ren weni­ger ein.

Den Staf­fel­stab gab Fär­ber damit an Petra Men­kel, Ban­da­gis­ten­meis­te­rin und Geschäfts­füh­re­rin der Paul Schul­ze Ortho­pä­die & Ban­da­gen GmbH in Ber­lin sowie Vor­stands­mit­glied des Bun­des­in­nungs­ver­ban­des für Ortho­pä­die-Tech­nik (BIV-OT), wei­ter. „Das The­ma ist schwie­rig und auf­wen­dig und von Sani­täts­haus­sei­te oft mit Berüh­rungs­ängs­ten ver­bun­den“, erklär­te sie. „Heu­te möch­te ich die Lan­ze bre­chen: Traut euch an die Ver­sor­gun­gen her­an! Wir kön­nen nur aus Erfah­run­gen ler­nen. Sprecht mit den Kun­den, sprecht mit den Her­stel­lern und bil­det euch fort.“ Pra­xis­nah wie die Work­shops es ver­spre­chen, setz­te sie ein Gespräch mit einer Pati­en­tin gleich um. Bis zur Dia­gno­se ver­gin­gen bei Mela­nie Beh­rens rund 3 Jah­re. „Der Arzt mein­te, ich hät­te noch eini­ge Schwan­ger­schafts­pfun­de und soll­te weni­ger essen.“ Vom Tra­gen der Kom­pres­si­ons­strümp­fe muss­te sie nicht über­zeugt wer­den. Die Effek­te spra­chen für sich. „Nach weni­gen Tagen ging die Flüs­sig­keit aus den Bei­nen. Sie wur­den leich­ter“, berich­te­te sie.

Wie die manu­el­le Lymph­drai­na­ge beim Lymph­ödem unter­stüt­zen kann, demons­trier­te Phy­sio­the­ra­peu­tin Feli­ci­tas Froitz­heim live auf der Lie­ge mit Mela­nie Beh­rens. Eben­falls erläu­ter­te sie, wie eine Adi­po­si­tas von einem Lipö­dem durch Ana­mne­se, Inspek­ti­on und Pal­pa­ti­on abge­grenzt wer­den kann und stell­te neben der Lymph­drai­na­ge die wei­te­ren Pfei­ler der kom­ple­xen phy­si­ka­li­schen Ent­stau­ungs­the­ra­pie (KPE) vor.

Mit sei­ner per­sön­li­chen, nahe­zu inti­mem Atmo­sphä­re schuf der Saal 5 den per­fek­ten Rah­men für einen Work­shop die­ser Art und auch für den Aus­tausch der Referent:innen unter­ein­an­der. Die inter­dis­zi­pli­nä­re Zusam­men­ar­beit, die Petra Men­kel sich bei der Behand­lung des Lymph­ödems wünscht, wur­de hier gelebt. „Die Dis­kus­si­on geht gera­de eher in Rich­tung Lipö­dem“, stell­te Fär­ber gegen Ende mit einem Lachen fest. „Das fin­de ich gar nicht schlimm“, merk­te Lulay an. „Denn genau so läuft es ja auch in der Praxis.“

Pia Engel­brecht

 

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