„Mit diesem Gesetzentwurf verfolgt die Bundesregierung das Ziel, die duale berufliche Bildung in Deutschland zu modernisieren und zu stärken. Die berufliche Bildung muss sich in Deutschland heute mehr denn je als attraktives Angebot für junge Menschen präsentieren, die häufig die Wahl zwischen einer Berufsausbildung und einem Studium haben“, lautete im Dezember 2018 im Wortlaut die Zielformulierung des Referentenentwurfs. Bereits 2005 war das Berufsbildungsgesetz (BBiG) erneuert worden und löste die seit 1969 gültige Fassung ab.
Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes untermauern das Nachwuchsproblem des Handwerks. Das Handwerk hat von 2009 (455.568) bis 2018 (367.134) rund 88.000 Auszubildende verloren und damit überproportional mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen. „Die Entwicklung zum Bewerbermarkt hat sich 2018/19 fortgesetzt. Dabei ist die Herausforderung, Ausbildungssuchende und Betriebe zusammenzubringen, unverändert groß. Um hier voranzukommen, ist mehr Kompromissbereitschaft gefragt“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, bei der Vorstellung der Bilanz des Berufsberatungsjahres 2018/2019 und appellierte: „Wenn Bewerberinnen und Bewerber sich auch für Ausbildungsberufe jenseits ihres Traumberufes öffnen und Betriebe zudem nicht ganz so gute Kandidaten in
Erwägung ziehen, bin ich optimistisch, dass in der Nachvermittlungszeit noch Ausbildungsverhältnisse zustande kommen.“
Ziel des Berufsbildungsmodernisierungsgesetzes ist eine Stärkung der beruflichen Bildung. Die Attraktivität einer handwerklichen Ausbildung, die gute berufliche Zukunftsperspektiven bietet, findet aber aufgrund des vielfachen Akademisierungswunsches der Schulabgänger kaum Beachtung.
Bachelor und Master Professional
Was bedeutet die Novellierung des Gesetzes konkret? Bei der „höherqualifizierenden“ Berufsbildung, sprich die Fortbildung in einem Meisterkurs, wird das während der Ausbildung erworbene berufliche Können erweitert. Diese Fortbildungen, die oft auf dem gleichen Niveau sind wie ein Studium, sind Wegbereiter zum beruflichen Aufstieg. Mit einheitlichen Abschlussbezeichnungen „Geprüfter Berufsspezialist“, „Bachelor Professional“ und „Master Professional“ sollen die Abschlüsse internationaler und einheitlicher werden.
„Wir beurteilen diese Novelle als Konsequenz dessen, was bisher vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) schon erreicht wurde. Der Meister wird als gleichwertig, aber nicht als gleichartig einem Bachelor-Studium anerkannt“, erklärt Stefan Bieringer, Diektor der Bundesfachschule für Orthopädie-Technik (BUFA). Gemeinsam mit der FH Dortmund bietet die BUFA bereits einen Bachelor- und Masterstudiengang an mit dem differenzierenden Anhang „of engineering“ – also mit einem klaren ingenieurwissenschaftlichen Anspruch.
„Sollte sich die Hochschulrektorenkonferenz dazu entschließen, den Abschluss Bachelor professional auch zum allgemeinen Masterstudium zu öffnen, hätten wir unser ursprüngliches Ziel erreicht und könnten uns auf das Masterstudium für Meister konzentrieren“, so Bieringer weiter.
Schrittweise Anhebung der Mindestvergütung
Damit Auszubildende auch entsprechend ihres beruflichen Engagements an der Wertschöpfung beteiligt werden, gibt es ab dem 1. Januar 2020 eine Mindestvergütung für alle BBiG-Auszubildenden. Auszubildende, deren Ausbildung in 2020 beginnt, erhalten im ersten Ausbildungsjahr eine Mindestvergütung in Höhe von 515 Euro. Schrittweise werden die fixen Einstiegshöhen dann angehoben: für den Ausbildungsbeginn in 2021 auf 550 Euro, für den Ausbildungsbeginn in 2022 auf 585 Euro und für den Ausbildungsbeginn in 2023 auf 620 Euro. Ab 2024 wird die Mindestvergütung für das erste Ausbildungsjahr jährlich an die durchschnittliche Entwicklung aller Ausbildungsvergütungen angepasst. Für das zweite, dritte und vierte Ausbildungsjahr wird dem wachsenden Beitrag der Auszubildenden zur betrieblichen Wertschöpfung außerdem durch Aufschläge auf den Betrag aus dem Jahr des Ausbildungsbeginns Rechnung getragen.
Ehrenamt stärken
Die Rahmenbedingungen für rechtsbeständige und hochwertige Prüfungen sollen ebenso wie die Gewinnung, die Attraktivität und die Einsatzmöglichkeiten von ehrenamtlichen Prüfern und Prüferinnen durch Flexibilisierung verbessert werden. So soll der Prüfungsausschuss etwa die Abnahme von einzelnen Prüfungsleistungen an sogenannte Prüferdelegationen übertragen können. Außerdem kann die Zahl der notwendigen Prüfer unter bestimmten Voraussetzungen von drei auf zwei reduziert werden. Das Gesamtergebnis der Abschlussprüfung wird weiterhin vom Prüfungsausschuss festgestellt.
ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer hatte im Vorfeld der 2. und 3. Lesung erklärt: „Der Gesetzentwurf zum Berufsbildungsmodernisierungsgesetz enthält aus Sicht des Handwerks Licht, aber leider vor allem durch die nun hinzugefügten Änderungen gegenüber dem Regierungsentwurf auch einige Schatten.“ Besonders zu begrüßen sei, dass das Parlament nach intensiven Diskussionen die neuen attraktiven und international verständlichen Fortbildungsstufenbezeichnungen „Berufsspezialisten“, „Bachelor Professional“ und „Master Professional“ in der Berufsbildung unterstützt. Die Zusatzbezeichnungen machen deutlich, dass die beruflichen Abschlüsse der zweiten und dritten Stufe auf einer Ebene mit den akademischen Abschlüssen „Bachelor“ und „Master“ stehen. „Das ist ein wichtiger Meilenstein für die gleichwertige Behandlung von akademischer und beruflicher Bildung und das richtige Signal an junge Menschen und deren Eltern“, so Wollseifer weiter. „Für sie wird nun deutlicher, dass sich etwa Handwerksmeisterinnen und ‑meister in Bezug auf ihr Qualifikationsniveau auf Augenhöhe mit akademischen Bachelorabsolventen befinden. Das wird die berufliche Bildung stärken.“
Als negative Faktoren identifizierte Wollseifer: „Eine weitere Belastung kommt auf Betriebe zu, deren Mitarbeiter als ehrenamtliche Prüfer tätig sind. Künftig müssen die Betriebe diese Mitarbeiter für die Prüfertätigkeit freistellen. Angesichts der Tatsache, dass der Gesetzgeber nichts unternimmt, um den zeitlichen Prüfungsaufwand für Prüfer zu minimieren, ist diese Belastung für die Betriebe unzumutbar. Für die Betriebe entsteht zudem eine große Unsicherheit, weil nicht klar geregelt ist, in welchem Umfang sie trotz Freistellung den Arbeitslohn fortzahlen müssen.“
Regierungskoalition ist mit dem Gesetz zufrieden
„Wir freuen uns sehr, dass wir das Berufsbildungsgesetz jetzt verabschieden konnten. Mit dem Gesetz zeigen wir jungen Menschen Karrierewege in der beruflichen Bildung auf. Wir steigern damit insgesamt die Attraktivität der dualen Ausbildung und anschließenden Aufstiegsqualifikationen“, so Stephan Albani, CDU, und ergänzt: „Mit dem Bachelor Professional und dem Master Professional sind wichtige Schritte getan. Vereinfachte Regelungen zur Abnahme von Prüfungen sorgen für Entbürokratisierung und Entlastung von ehrenamtlichen Prüfern. Ausbildung ist eine Investition in die Zukunft von jungen Menschen und von Betrieben. Mit dem beschlossenen Berufsbildungsgesetz erneuern wir das Aufstiegsversprechen in der beruflichen Bildung.“
Auch Oliver Kaczmarek, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, äußert sich positiv: „Das neue Berufsbildungsgesetz ist ein Durchbruch für die Wertschätzung der beruflichen Bildung. Die Mindestausbildungsvergütung wird kommen. Aus einer misslungenen Vorlage haben wir ein gutes Gesetz gemacht: Nach der Berufsschule müssen volljährige Auszubildende nicht mehr in den Betrieb zurück, sie erhalten einen zusätzlichen freien Lerntag vor der Abschlussprüfung, und die Fachliteratur im Betrieb muss vom Arbeitgeber übernommen werden. Ehrenamtliche Ausbildungsprüferinnen und ‑prüfer erhalten einen Anspruch auf Freistellung im Betrieb. Das ist ein rundes Paket, mit dem wir die berufliche Bildung weiter aufwerten und gleichwertig zur akademischen Bildung gestalten.“
Ob das Gesetz wie geplant zum 1. Januar 2020 in Kraft treten wird, entschied sich erst nach Redaktionsschluss am 29. November in einer Abstimmung des Bundesrates. Dessen Ausschüsse vertraten unterschiedliche Positionen. Der Kulturausschuss hielt die neuen Abschlussbezeichnungen Bachelor und Master für nicht zustimmungsfähig, weil eine Verwechslung mit hochschulischen Abschlüssen drohe. Er empfahl dem Plenum, den Vermittlungsausschuss anzurufen. Der Wirtschaftsausschuss und der Ausschuss für Arbeit, Integration und Sozialpolitik rieten dem Plenum indes zur Zustimmung.