Jens Beeck, teilhabepolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und einer der Fragesteller, fordert allerdings mehr Tempo bei der breiten Einführung digitaler Medizintechnik auf dem Hilfsmittelsektor und in den Leistungskatalog besonders der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Alle Betroffenen müssten gleichermaßen profitieren. Denn nicht zuletzt bemängelten Beeck und seine Fraktionskollegen in ihrer Anfrage eine „Divergenz zwischen dem rasanten und vielversprechenden Fortschritt der Technologie und der durch Studien bekräftigten Tatsache, dass die Hälfte aller amputierten Patienten mit Prothese ihren Alltag mit dieser weder bewältigen können, noch zu längerer Bewegung fähig sind.“ Zudem herrsche zwischen Amputierten „der untragbare Zustand einer Ungleichbehandlung, je nachdem in welchem Rechtskreis sie sind“. Hierbei stünden die Opfer von Berufsunfällen (Versorgung nach Sozialgesetzbuch SGB VII) den gesetzlich Versicherten gegenüber (Versorgung nach SGB V). Gerade die gesetzlich Versicherten seien hier oft schlechter gestellt, so Beeck im folgenden Interview.
OT: Herr Beeck, welche Absichten verbindet die FDP-Fraktion mit der Kleinen Anfrage „Prothesen aus dem 3D-Drucker für Menschen mit Behinderungen“?
Jens Beeck: Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. So steht es bereits im Artikel 3 des Grundgesetzes. 2007 hat die Bundesrepublik außerdem die UN-Behindertenrechtskonvention (Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen) unterzeichnet. Daraus ergibt sich ein klarer Auftrag. Die Digitalisierung und die Automatisierung sowie insbesondere die Kombination aus beiden bieten riesige Chancen für mehr Teilhabe. Deshalb würde ich mich freuen, wenn Deutschland Motor dieses Fortschritts wäre und nicht hinterherhinkt. Mit der Kleinen Anfrage wollen wir das befeuern.
Flexiblerer Sozialstaat
OT: In der Anfrage kritisieren Sie unter anderem die „trotz zahlreicher Revolutionen in Industrie und Forschung“ nur zögerlicheEinführung digitaler Technologien in die Versorgung von Menschen mit Handicap. Sie sprechen sogar von „unbefriedigender“ Versorgung der Bedürftigen. Welche technischen Entwicklungen sind konkret gemeint, die in die Versorgung Einzug halten sollen?
Beeck: In der Versorgung von Kindern und Jugendlichen haben additiv hergestellte Orthesen zum Beispiel bereits seit 2015 zu Verbesserungen geführt. Die 3D-gedruckten Modelle sind atmungsaktiver und deutlich angenehmer zu tragen. Man sollte sich aber nicht auf einzelne Entwicklungen und vereinzelten Einsatz beschränken, sondern 3D-Druck und andere digitale Technologien in aller Breitefür mehr Teilhabe nutzen. Je früher hier der Einstieg gelingt, desto schneller sind die Produkte reif für die Massenfertigung, desto effektiver und preisgünstiger ist die Fabrikation. Letztlich erlaubt dies dem Sozialstaat, flexibler auf individuelle Ansprüche zu reagieren. Die Bedürfnisse von 13 Millionen Menschen mit Behinderung sind höchst unterschiedlich, die lassen sich nicht über einen Kamm scheren.Da müssen wir noch etliche Barrieren abbauen, damit sich jeder frei entfalten kann.
Werden Menschen mit Behinderung künftig häufiger mit 3D-gedruckten Prothesen und Orthesen versorgt? Zumindest sieht die Bundesregierung in additiv hergestellten patientenindividuellen Sonderanfertigungen „großes Potential“, wie es in der Antwort aus dem Bundesgesundheitsministerium auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion heißt. Jens Beeck, teilhabepolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und einer der Fragesteller, fordert allerdings mehr Tempo bei der breiten Einführung digitaler Medizintechnik auf dem Hilfsmittelsektor und in den Leistungskatalog besonders der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Alle Betroffenen müssten gleichermaßen profitieren. Denn nicht zuletzt bemängelten Beeck und seine Fraktionskollegen in ihrer Anfrage eine „Divergenz zwischen dem rasanten und vielversprechenden Fortschritt der Technologie und der durch Studien bekräftigten Tatsache, dass die Hälfte aller amputierten Patienten mit Prothese ihren Alltag mit dieser weder bewältigen können, noch zu längerer Bewegung fähig sind.“ Zudem herrsche zwischen Amputierten „der untragbare Zustand einer Ungleichbehandlung, je nachdem in welchem Rechtskreis sie sind“. Hierbei stünden die Opfer von Berufsunfällen (Versorgung nach Sozialgesetzbuch SGB VII) den gesetzlich Versicherten gegenüber (Versorgung nach SGB V). Gerade die gesetzlich Versicherten seien hier oft schlechter gestellt, so Beeck im folgenden Interview.
OT: Herr Beeck, welche Absichten verbindet die FDP-Fraktion mit der Kleinen Anfrage „Prothesen aus dem 3D-Drucker für Menschen mit Behinderungen“?
Beeck: Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. So steht es bereits im Artikel 3 des Grundgesetzes. 2007 hat die Bundesrepublik außerdem die UN-Behindertenrechtskonvention (Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen) unterzeichnet. Daraus ergibt sich ein klarer Auftrag. Die Digitalisierung und die Automatisierung sowie insbesondere die Kombination aus beiden bieten riesige Chancen für mehr Teilhabe. Deshalb würde ich mich freuen, wenn Deutschland Motor dieses Fortschritts wäre und nicht hinterherhinkt. Mit der Kleinen Anfrage wollen wir das befeuern.
OT: In der Anfrage kritisieren Sie unter anderem die „trotz zahlreicher Revolutionen in Industrie und Forschung“ nur zögerlicheEinführung digitaler Technologien in die Versorgung von Menschen mit Handicap. Sie sprechen sogar von „unbefriedigender“ Versorgung der Bedürftigen. Welche technischen Entwicklungen sind konkret gemeint, die in die Versorgung Einzug halten sollen?
Beeck: In der Versorgung von Kindern und Jugendlichen haben additiv hergestellte Orthesen zum Beispiel bereits seit 2015 zu Verbesserungen geführt. Die 3D-gedruckten Modelle sind atmungsaktiver und deutlich angenehmer zu tragen. Man sollte sich aber nicht auf einzelne Entwicklungen und vereinzelten Einsatz beschränken, sondern 3D-Druck und andere digitale Technologien in aller Breitefür mehr Teilhabe nutzen. Je früher hier der Einstieg gelingt, desto schneller sind die Produkte reif für die Massenfertigung, desto effektiver und preisgünstiger ist die Fabrikation. Letztlich erlaubt dies dem Sozialstaat, flexibler auf individuelle Ansprüche zu reagieren. Die Bedürfnisse von 13 Millionen Menschen mit Behinderung sind höchst unterschiedlich, die lassen sich nicht über einen Kamm scheren.Da müssen wir noch etliche Barrieren abbauen, damit sich jeder frei entfalten kann.
Forschungsförderung ist vor allem in den Anfangsphasen der Entwicklung nötig. Da gibt es sicher Luft nach oben. Doch vor allem geht es darum, günstige Rahmenbedingungen für die Industrie zu schaffen. Im Zwiespalt zwischen Fortschritt und Sicherheit wird Innovation oft beschränkt durch zu enge Regularien. Speziell kleine Firmen haben es da schwer. In vielen Bereichen verlieren wir aufgrund dessen den Vorsprung gegenüber den USA und Asien. Mit der Europäischen Medizinprodukte- Verordnung (Medical Device Regulation, MDR) kommen neue Anforderungen auf die Betriebe zu. Die Sorgen der Branche sollte man ernst nehmen, um Innovationen nicht zu verhindern. Wie es in der Antwort auf die Kleine Anfrage heißt, will sich das Bundesgesundheitsministerium bzw. das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Lauf des Jahres 2020 mit Medizinprodukten aus dem 3D-Drucker befassen. Etwas spät.
OT: In der Kleinen Anfrage sprechen Sie die Diskrepanz an zwischen dem technologischen Fortschritt und dem, was bei den Patienten ankommt. Zudem kritisieren Sie eine Ungleichbehandlung bei der Versorgung nach Amputationen – je nachdem, ob die gesetzliche Unfall-oder die gesetzliche Kranken-versicherung zuständig sei …
Beeck: Oft sind die gesetzlich Versicherten schlechter gestellt. Allerdings kommen die führenden Technologien aus Universitäten und Industrie insgesamt noch zu selten bei den Menschen mit Behinderung oder mit Erkrankungen an. Dafür fehlen im verästelten deutschen Sozialsystem häufig die Voraussetzungen. So ist die Unterscheidung nach SGB V und SGB VII schwer zu vermitteln. Es ist nicht nachvollziehbar, wenn nicht der Grad der Betroffenheit eine Rolle spielt, sondern ob jemand auf dem Weg zur Arbeit verunglückt ist oder nicht. Wir schulden den Betroffenen eine auf ihre jeweilige Situation ausgerichtete Unterstützung. Das Bundesteilhabegesetz von 2016 hat aus gutem Grund erstmals versucht, aus der alten Systematik des deutschen Sozialrechts auszubrechen und personenzentrierte Leistungen im SGB IX zu verankern. Das ist nur begrenzt gelungen.
OT: Warum?
Beeck: Weil es nach wie vor für verschiedene Bedarfe verschiedene Kostenträger gibt. Das schafft bürokratische Hemmnisse und erschwert eine individuelle, zielgerichtete personenzentrierte Versorgung. Dieses Manko lässt sich nicht in wenigen Jahren überwinden. Wir müssen aber für ein Ende der Ungleichheiten sorgen und dafür, dass Hilfe aus einer Hand geleistet wird sowie die Refinanzierung digital unterstützt im Hintergrund läuft. Schließlich ist es ein Gewinn für die Gesellschaft, wenn Menschen wieder mobilisiert werden können und so ins Leben zurückkommen. Das Bundesteilhabegesetz war der erste Schritt in die richtige Richtung. Schlussendlich gilt: je weniger Kostenträger es gibt, die koordiniert werden müssen, desto einfacher, gerechter und fairer wird es. Vereinfachung ist immer ein Gewinn.
OT: Zurück zum 3D-Druck: Würde eine Leistungsausweitung höhere Kosten für die GKV bedeuten?
Beeck: Sicher muss die GKV auf die Kosten achten. Mit mehr Flexibilität und Individualität lässt sich Versorgung verbessern, ohne dass die Kosten ausufern. Dafür muss die Politik allerdings ihren Blick weitern und die Gesamtkostenfokussieren – statt einzelne Sparten isoliert zu betrachten, wie es heute oft der Fall ist. So können höhere Kosten in einem Bereich Einsparungen in einem viel größeren Umfang in einem anderen bewirken. Dass eine bessere Versorgung unter dem Strich zur Kosteneinsparung im Gesamtsystem führt – diese Chance halte ich für höher als die Annahme, dass die Gesellschaft durch schlechte Versorgung billiger wegkommt. Neue Technologien werden am Ende kostengünstiger sein. Vielleicht nicht unmittelbar, aber auf längere Sicht.
Die Fragen stellte Cathrin Günzel.
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