Medi­zi­ni­sche Kom­pres­si­ons­strümp­fe bei chro­nisch venö­sen Erkran­kun­gen und Lymph­ödem: wis­sen­schaft­li­che Evi­denz und Ergeb­nis­se einer Pati­en­ten-Befra­gung zur Versorgungsqualität

M. Stücker1, E. Rabe2
Hintergrund und Ziele: Medizinische Kompressionsstrümpfe (MKS) sind bei chronisch-venöser Insuffizienz (CVI) aller Stadien indiziert und beim Lymphödem eine unverzichtbare Therapiekomponente. 8 % der deutschen Bevölkerung tragen vom Arzt verordnete MKS, Frauen häufiger als Männer (12 % vs. 5 %), und insbesondere Personen ab 60 Jahren (17 %). Die Adhärenz der Patienten ist relevant für eine erfolgreiche Behandlung mit MKS. Untersucht wurde die Versorgung mit MKS aus Patientensicht. Patienten und Methodik: Die vorliegende Studie untersuchte 2019 die Versorgungsqualität durch strukturierte Interviews mit 414 repräsentativ ausgewählten Nutzern. Die Erkenntnisse werden vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Evidenz zur Wirkung der MKS diskutiert. Ergebnisse: Venenprobleme sind der häufigste Verordnungsgrund (44 %), gefolgt von Lymphödemen (22 %) bzw. Mehrfachindikationen (27 %). Patienten tragen MKS zumeist täglich und durchschnittlich 11 h / Tag. 89 % der Patienten waren zufrieden bzw. sehr zufrieden mit den MKS und berichteten je nach Indikation ein differenziertes Wirkprofil. Dieses reflektiert die umfangreiche wissenschaftliche Evidenz zur klinischen Wirksamkeit der MKS. Ein wichtiger Faktor für die Patientenadhärenz ist die ärztliche Schulung und Aufklärung. Schlussfolgerungen: MKS werden von Patienten sehr gut akzeptiert. Bei der Verordnung sollen praktische Aspekte wie An- und Ausziehen, empfohlene Tragedauer und -häufigkeit sowie der Wirkmechanismus der MKS vermittelt werden.

 

1 Kli­nik für Der­ma­to­lo­gie, Venen­zen­trum der der­ma­to­lo­gi­schen und gefäß­chir­ur­gi­schen Kli­ni­ken, Ruhr-Uni­ver­si­tät Bochum
2 Pra­xis für Phle­bo­lo­gie & Der­ma­to­lo­gie Bonn

Anzei­ge

Hin­ter­grund

CVI

Eine Vari­ko­sis der unte­ren Extre­mi­tät fin­det sich bei etwa 25 % aller Erwach­se­nen; die­se Popu­la­ti­on über­schnei­det sich mit der Pati­en­ten­grup­pe, die an einer klas­si­schen chro­ni­schen venö­sen Insuf­fi­zi­enz lei­det (CVI; ca. 17 %)1. Als CVI wer­den die Sta­di­en C3 bis C6 der soge­nann­ten CEAP-Klas­si­fi­ka­ti­on bezeich­net (CEAP: Cli­ni­cal, Etio­lo­gy, Ana­to­mic, Patho­phy­sio­lo­gy Clas­si­fi­ca­ti­on2). Sie zeich­nen sich durch kli­ni­sche Befun­de wie Bein­öde­me, Haut­ver­än­de­run­gen oder venös indu­zier­te Ulzer­a­tio­nen aus3 4 5 6 7. Sub­jek­ti­ve Sym­pto­me umfas­sen Schmerz, unspe­zi­fi­sche Beschwer­den wie Schwe­re­ge­fühl und Schwel­lung, Krämp­fe, Juck­reiz, Krib­beln und ruhe­lo­se Bei­ne8 9. Patho­phy­sio­lo­gisch lie­gen Ver­än­de­run­gen an den Venen und Veno­len mit einem erhöh­ten venö­sen Blut­druck zugrun­de10: Ursa­chen sind u. a. Vari­zen, tie­fe Venen­throm­bo­sen, defek­te Venen­klap­pen oder eine unzu­rei­chen­de Mus­kel­pum­pe z. B. bei Immo­bi­li­tät11 12 13 14. Die gestör­te Hämo­dy­na­mik kann Tur­bu­len­zen des Blut­flus­ses aus­lö­sen, die phy­sio­lo­gi­schen Scher­kräf­te an der Venen­wand redu­zie­ren und inflamm­a­to­ri­sche und pro­throm­bo­ti­sche Zyto­ki­ne aus­schüt­ten15 16 17 18 19 20 21 22. Unter dem Ein­fluss der Zyto­ki­ne öff­nen sich klei­ne Spal­ten zwi­schen den Endo­thel­zel­len der Veno­len und erlau­ben das Aus­tre­ten von Blut­plas­ma und die Bil­dung eines Ödems, einem Früh­zei­chen der CVI23 24 25 26 27. Bei der CVI han­delt es sich ohne adäqua­te Behand­lung um eine pro­gre­di­en­te Erkran­kung, wel­che die Lebens­qua­li­tät der Betrof­fe­nen nega­tiv beein­träch­ti­gen kann28 29.

Die aktu­el­len Leit­li­ni­en der Deut­schen Gesell­schaft für Phle­bo­lo­gie, die in Zusam­men­ar­beit mit ande­ren Fach­ge­sell­schaf­ten erstellt wur­den, sehen in allen Sta­di­en der Vari­ko­se und der CVI eine Indi­ka­ti­on für die Kom­pres­si­ons­the­ra­pie30 31. Durch die Kom­pres­si­on kön­nen sich Blut­fluss und Scher­kräf­te in den Venen nor­ma­li­sie­ren und in der Fol­ge die Aus­schüt­tung der inflamm­a­to­ri­schen Zyto­ki­ne sowie die damit asso­zi­ier­te Ödembildung.

Lymph­ödem

Ein Lymph­ödem ent­steht bei Stö­rung des phy­sio­lo­gi­schen Gleich­ge­wichts zwi­schen der Net­to­fil­tra­ti­on von Flüs­sig­keit durch Blut­ge­fäß­wän­de hin­durch ins Inters­ti­ti­um (lym­ph­pflich­ti­ge Last) und deren Abtrans­port über das Lymph­drai­na­ge­sys­tem32. Bei einem insuf­fi­zi­en­ten Lymph­drai­na­ge­sys­tem ver­mehrt und ver­än­dert sich die inters­ti­ti­el­le Gewebs­flüs­sig­keit suk­zes­si­ve: Unzu­rei­chend behan­delt ist das Lymph­ödem eine pro­gre­di­en­te, chro­ni­sche Erkran­kung mit einer Ver­än­de­rung der extra­zel­lu­lä­ren Matrix im Sin­ne einer Fibro­se, Skle­ro­se, Ent­zün­dung und Ver­meh­rung von Fett­ge­we­be33 34 35 36. Ein Lymph­ödem kann in Fol­ge einer pri­mä­ren (z. B. gene­tisch beding­te Dys‑, Hypo- oder Apla­sie der Lymph­ge­fä­ße, Fibro­se von Lymph­kno­ten) oder einer sekun­dä­ren Schä­di­gung des Lymph­drai­na­ge­sys­tems auf­tre­ten (z. B. durch Tumo­re, Ope­ra­ti­on, Bestrah­lung). Auch eine fort­ge­schrit­te­ne CVI löst ggf. ein sekun­dä­res Lymph­ödem aus, wenn die lympha­ti­sche Drai­na­ge-Kapa­zi­tät durch ver­mehr­tes Exu­dat bei venö­ser Abfluss­stö­rung über­for­dert wird („high out­put fail­ure“)37. Betrof­fen von einem Lymph­ödem sind die initia­len Lymph­ge­fä­ße, das Kol­lek­tor­sys­tem, die Lymph­stäm­me und/oder die Lymph­kno­ten38.

Das pri­mä­re Lymph­ödem befällt nur weni­ge Per­so­nen (Inzi­denz bei Geburt ca. 1:600039). Vom sekun­dä­ren Lymph­ödem sind in den Indus­trie­staa­ten dage­gen bis zu 2 % der Bevöl­ke­rung betrof­fen – Frau­en 4- bis 6‑mal häu­fi­ger als Män­ner40 41 42 43. Häu­figs­te Ursa­che ist eine Tumor­er­kran­kung bzw. deren Behand­lung (Bestrah­lung, Lymph­kno­ten­re­sek­ti­on). Adi­po­si­tas besitzt einen indu­zie­ren­den und aggra­vie­ren­den Ein­fluss44 45 46.

Bei der Behand­lung des Lymph­ödems gilt die Kom­pres­si­ons­the­ra­pie lt. aktu­el­ler Leit­li­nie der Gesell­schaft Deutsch­spra­chi­ger Lym­pho­lo­gen und der Deut­schen Gesell­schaft für Lym­pho­lo­gie – erstellt in Zusam­men­ar­beit mit 30 wei­te­ren Fach­ge­sell­schaf­ten aus dem deutsch­spra­chi­gen Raum – als „unver­zicht­ba­re Kom­po­nen­te“. Nach einer Erst­the­ra­pie (Pha­se I) mit­tels mehr­la­gi­ger Wech­sel­ver­bän­de erfolgt in Pha­se II die Anwen­dung von medi­zi­ni­schen Kom­pres­si­ons­strümp­fen47 48.

Medi­zi­ni­sche Kompressionsstrümpfe

Die Leit­li­nie zur medi­zi­ni­schen Kom­pres­si­ons­the­ra­pie der Extre­mi­tä­ten, die im Dezem­ber 2018 über­ar­bei­tet und 2019 ver­öf­fent­licht wur­de, bezeich­net die The­ra­pie mit medi­zi­ni­schen Kom­pres­si­ons­strümp­fen (MKS) als unver­zicht­bar bei der Behand­lung phle­bo­lo­gi­scher und lym­pho­lo­gi­scher Erkran­kun­gen der Extre­mi­tä­ten49. Der MKS wird als „strumpf­för­mi­ges, elas­ti­sches Gestrick“ beschrie­ben, das durch sei­ne elas­ti­schen Eigen­schaf­ten den venö­sen und lympha­ti­schen Abs­trom und die venö­se Pump-Funk­ti­on ver­bes­sert. MKS wer­den sowohl zur Prä­ven­ti­on als auch zur län­ger­fris­ti­gen The­ra­pie und Erhal­tung eines The­ra­pie­er­folgs ein­ge­setzt. Sie sind flach­ge­strickt mit Naht und als rund­ge­strick­te MKS ohne Naht erhält­lich. Die Vari­an­te mit Naht lässt eine bes­se­re Anpas­sung an die Form der Bei­ne zu, wenn der Umfang stark vari­iert, und ver­mei­det bei Bewe­gung das Auf­tre­ten von Druck­spit­zen durch Ein­schnü­run­gen ins­be­son­de­re bei Haut­fal­ten­bil­dun­gen zum Bei­spiel bei fort­ge­schrit­te­nen Sta­di­en des Lymph­ödems und des Phlebödems.

Die vor­lie­gen­de Stu­die unter­such­te die Ver­sor­gungs­qua­li­tät mit MKS aus Sicht der betrof­fe­nen Pati­en­ten­grup­pen, da die Adhä­renz der Pati­en­ten zur Kom­pres­si­ons­the­ra­pie sich als rele­vant für eine erfolg­rei­che Behand­lung sowohl bei phle­bo­lo­gi­scher als auch bei lym­pho­lo­gi­scher Indi­ka­ti­on her­aus­ge­stellt hat50 51 52 53.

Zie­le der Unter­su­chung und Methodik

Unter­sucht wur­de im Auf­trag der Euro­pean Manu­fac­tu­r­ers Fede­ra­ti­on for Com­pres­si­on The­ra­py and Ortho­pae­dic Devices (euro­com e. V.) die Fra­ge­stel­lung, ob und wie Pati­en­ten ärzt­lich ver­ord­ne­te MKS nut­zen und bewer­ten. Die Bevöl­ke­rungs­be­fra­gung erfolg­te mehr­stu­fig durch das Insti­tut für Demo­sko­pie Allens­bach (IfD Allens­bach). Im ers­ten Schritt wur­de in einer reprä­sen­ta­ti­ven Bevöl­ke­rungs­be­fra­gung ermit­telt, wer medi­zi­ni­sche Hilfs­mit­tel ver­wen­det, um die Grund­ver­tei­lung in der Bevöl­ke­rung fest­zu­stel­len. In einem zwei­ten Schritt such­ten die Inter­view­er für die Befra­gung Per­so­nen, die MKS nutz­ten. Auf der Basis der Bevöl­ke­rungs­be­fra­gung konn­te die erfor­der­li­che Ver­tei­lung bezüg­lich der Merk­ma­le Geschlecht (zwei Grup­pen), Alter (drei Grup­pen) und Regi­on (sie­ben Grup­pen) berück­sich­tigt und die Reprä­sen­ta­ti­vi­tät der Ergeb­nis­se erreicht wer­den. 414 Per­so­nen wur­den im Janu­ar und Febru­ar 2019 von Mit­ar­bei­tern des Insti­tuts für Demo­sko­pie Allens­bach per­sön­lich befragt.

Die befrag­ten Per­so­nen wur­den vom Inter­view­er über die Erhe­bung und Ver­ar­bei­tung ihrer Daten auf­ge­klärt und erklär­ten dazu münd­lich ihr Ein­ver­ständ­nis. Das Insti­tut für Demo­sko­pie Allens­bach anony­mi­sier­te die Daten vor Wei­ter­ga­be an euro­com durch Aggre­ga­ti­on und stell­te damit sicher, dass sich die Daten kei­ner bestimm­ten Per­son mehr zuord­nen lie­ßen. Die Befra­gung erfüll­te daher nicht die Defi­ni­ti­on eines For­schungs­vor­ha­bens nach § 15 der ärzt­li­chen Mus­ter­be­rufs­ord­nung und die Bera­tung durch eine medi­zi­ni­sche Ethik­kom­mis­si­on war nicht erforderlich.

Berich­tet wer­den hier die Ergeb­nis­se der Inter­views mit 414 Nut­zern von ärzt­lich ver­ord­ne­ten MKS. Per­so­nen, die nicht vom Arzt ver­ord­ne­te Stütz­strümp­fe ver­wen­de­ten oder nach Kli­nik­auf­ent­halt Throm­bo­se­pro­phy­la­xe-Strümp­fe wei­ter nutz­ten, wur­den nicht in die Stich­pro­be aufgenommen.

Erho­be­ne Daten der Befra­gung waren ins­be­son­de­re Ver­ord­nungs­an­lass der MKS (Fra­ge der Inter­view­er nach „Venen­pro­ble­men, Krampf­adern, Vari­zen“ und/oder „Lymph­ödem, Was­ser in den Bei­nen“ und/oder „Lipö­dem, Fett­ab­la­ge­run­gen – häu­fig seit­lich an den Hüf­ten oder Ober­schen­keln“), Tra­ge­dau­er und ‑fre­quenz, Zufrie­den­heit mit MKS, Wirk­pro­fil, Mobi­li­tät, Lebens­qua­li­tät (Ant­wort auf die Fra­ge der Inter­view­er „Die Kom­pres­si­ons­strümp­fe haben mir gehol­fen, ein Stück Lebens­qua­li­tät zurück­zu­ge­win­nen“), Unzu­frie­den­heit mit MKS, sub­jek­tiv wich­ti­ge Aspek­te und Infor­ma­tio­nen zu MKS.

In die­ser Arbeit wird anhand eines selek­ti­ven Reviews von Leit­li­ni­en und Über­sichts­ar­bei­ten der Fra­ge nach­ge­gan­gen, ob das Wirk­pro­fil der MKS aus Pati­en­ten­sicht einer rein sub­jek­ti­ven Wahr­neh­mung ent­springt oder ob hin­rei­chen­de wis­sen­schaft­li­che Evi­denz zur Wirk­sam­keit von MKS besteht.

Ergeb­nis­se

Allens­bach-Umfra­ge

Eine Struk­tur­ana­ly­se der Popu­la­ti­on im Rah­men der o. g. Reprä­sen­ta­tiv­be­fra­gung ergab, dass ins­ge­samt 8 % der deut­schen Bevöl­ke­rung vom Arzt ver­ord­ne­te MKS tra­gen; dies ent­spricht etwa 5 Mil­lio­nen Per­so­nen. Frau­en ver­wen­den MKS mehr als dop­pelt so oft wie Män­ner (12 % vs. 5 %). Von den über 60-Jäh­ri­gen ver­wen­den 17 % MKS, in der Popu­la­ti­on von 30–44 Jah­ren 3 % (Abb. 1).

Anlass für die Ver­ord­nung von Kom­pres­si­ons­strümp­fen waren bei knapp der Hälf­te der Pati­en­ten (44 %) aus­schließ­lich Venen­pro­ble­me gemäß obi­ger Fra­ge­stel­lung, bei 22 % aus­schließ­lich ein Lymph­ödem und bei 1 % aus­schließ­lich ein Lipö­dem. Bei 27 % der Nut­zer von MKS lagen min­des­tens zwei ver­schie­de­ne Indi­ka­tio­nen vor. Per­so­nen mit Nor­mal­ge­wicht tru­gen MKS weit über­wie­gend (59 %) wegen Venen­pro­ble­men, bei adi­pö­sen Pati­en­ten (BMI ≥30 kg/m²) ver­teil­ten sich die Indi­ka­tio­nen etwa gleich­mä­ßig auf Venen­pro­ble­me allein, Lymph­ödem allein und eine Kom­bi­na­ti­on meh­re­rer Anlässe.

Die durch­schnitt­li­che Nut­zungs­dau­er der MKS lag bei 7,2 Jah­ren, mit nur gerin­gen Unter­schie­den zwi­schen den Alters­grup­pen. Bei Frau­en war die durch­schnitt­li­che Nut­zungs­dau­er län­ger als bei Män­nern (7,7 vs. 5,4 Jah­re). Pati­en­ten mit meh­re­ren Indi­ka­tio­nen tru­gen MKS seit län­ge­rer Zeit als Pati­en­ten mit aus­schließ­lich Venen­pro­ble­men oder Lymph­ödem (8,3 vs. 7,1 vs. 6,1 Jah­re). 60 % der Pati­en­ten tru­gen ihre MKS täg­lich; am höchs­ten lag die­ser Anteil bei Pati­en­ten mit einem Lymph­ödem (67 %; Abb. 2).

Die durch­schnitt­li­che Tra­ge­dau­er pro Tag lag bei knapp 11 Stun­den, mit nur gerin­gen Unter­schie­den zwi­schen den Indi­ka­tio­nen. 9 % bzw. 2 % der befrag­ten Pati­en­ten berich­te­ten, ihre MKS zwi­schen 15 und 19 Stun­den bzw. zwi­schen 20 und 24 Stun­den pro Tag zu tra­gen; bei­de Kate­go­rien impli­zie­ren ein Tagen der MKS auch bei Nacht. Die­se Antei­le lagen bei Män­nern höher als bei Frau­en (ins­ge­samt 17 % vs. 8 %) und bei älte­ren Pati­en­ten ten­den­zi­ell höher als in der Alters­grup­pe unter 60 Jah­ren (12–13 % vs. 7 %). Anders als erwar­tet, fan­den sich bei den Pati­en­ten mit Lymph­ödem kei­ne Hin­wei­se auf ein häu­fi­ge­res nächt­li­ches Tra­gen der MKS. Es zeig­te sich ein Zusam­men­hang zwi­schen der Häu­fig­keit des Tra­gens von MKS und der Tra­ge­dau­er: täg­li­che Anwen­der kamen auf eine Tra­ge­dau­er von 12 Stun­den, Pati­en­ten mit sel­te­ne­rer Anwen­dung auf 9 Stunden.

Je nach Dia­gno­se zeig­te das Wirk­pro­fil dif­fe­ren­zier­te Effek­te. Pati­en­ten mit Lymph­ödem berich­te­ten ins­be­son­de­re, dass ihre Schwel­lun­gen zurück­ge­gan­gen sei­en (72 %), wohin­ge­gen die Ver­bes­se­rung von Schmer­zen bzw. müden und schwe­ren Bei­nen (je ca. 30 %) weni­ger im Vor­der­grund stand. Bei Pati­en­ten mit Venen­pro­ble­men zeig­te sich dage­gen eine weit­ge­hend gleich­mä­ßi­ge Ver­bes­se­rung die­ser drei Sym­pto­me: Reduk­ti­on von Schwel­lun­gen, müden/schweren Bei­nen und/oder von Schmer­zen berich­te­te etwa jeder zwei­te Pati­ent (Abb. 3; Mehr­fach­nen­nung mög­lich). Zugleich berich­te­ten ver­gleich­bar vie­le Pati­en­ten, dass sich die Sym­pto­me ver­schlech­tern, wenn die MKS zwi­schen­durch nicht getra­gen werden.

89 % der Pati­en­ten waren zufrie­den oder sehr zufrie­den mit ihren MKS (Abb. 4). Unter­schie­de zwi­schen Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten sowie zwi­schen den Indi­ka­tio­nen waren gering, jedoch waren Pati­en­ten mit hoher Tra­ge­häu­fig­keit zufrie­de­ner als Pati­en­ten, die ihre MKS sel­te­ner tru­gen (91 % vs. 87 % zufrie­den oder sehr zufrie­den). Dies galt eben­so für die Tra­ge­dau­er pro Tag: Pati­en­ten mit lan­ger Tra­ge­dau­er mit 13 Stun­den und mehr pro Tag waren zufrie­de­ner als Pati­en­ten, die ihre MKS kür­ze­re Zeit tru­gen (94 % vs. 88 % zufrie­den oder sehr zufrieden).

Ins­ge­samt gaben 85 % der Pati­en­ten an, dass es ihnen viel oder sehr viel hel­fe, ihre MKS zu tra­gen, 61 % fühl­ten sich dadurch mobi­ler. 74 % der Pati­en­ten gaben an, dass die MKS ihnen gehol­fen haben, ein Stück Lebens­qua­li­tät zurück­zu­ge­win­nen. Ins­be­son­de­re Pati­en­ten mit mehr als einer Indi­ka­ti­on für MKS, Pati­en­ten mit täg­li­cher Anwen­dung, mit lan­ger Tra­ge­dau­er und lan­ger Erfah­rung mit MKS berich­te­ten von einem Gewinn an Lebens­qua­li­tät (Abb. 5).

Ledig­lich 11 % der Pati­en­ten waren weni­ger oder nicht zufrie­den mit ihren MKS. Als Haupt­grün­de nann­ten sie einen schlech­ten Tra­ge­kom­fort (7 %) sowie Pro­ble­me beim An- und Aus­zie­hen (5 %). Dem­entspre­chend war es 82 % bzw. 81 % der Pati­en­tin wich­tig, dass sie ihre MKS gut an- und aus­zie­hen kön­nen bzw. dass die­se beim Tra­gen kei­ne Haut­pro­ble­me ver­ur­sa­chen. Eine Anzieh­hil­fe besa­ßen 49 % der Pati­en­ten, 25 % wur­de sie ärzt­lich ver­ord­net. Haut­pfle­ge­mit­tel zur Ver­hin­de­rung von Haut­pro­ble­men ver­wen­de­ten 64 % der Pati­en­ten, dar­un­ter deut­lich mehr Frau­en als Män­ner (69 % vs. 51 %). Mehr als jedem zehn­ten Pati­en­ten war die Ver­füg­bar­keit von Haut­pfle­ge­mit­teln nicht bekannt.

Die Inter­views zeig­ten eine deut­li­che Aus­wir­kung der ärzt­li­chen Erläu­te­run­gen auf die Per­zep­ti­on der MKS: Pati­en­ten, denen ihr Arzt den Wirk­me­cha­nis­mus der MKS erklärt hat­te, waren eher der Mei­nung, dass MKS sehr viel oder viel hel­fen als die­je­ni­gen, die der­ar­ti­ge Erklä­run­gen nicht bekom­men hat­ten (88 % vs. 72 %). Ein ana­lo­ger Zusam­men­hang mit den ärzt­li­chen Erläu­te­run­gen fand sich beim Ein­druck der Pati­en­ten, dass ihre MKS sehr viel oder viel zur Ver­bes­se­rung der Mobi­li­tät bei­getra­gen haben (66 % vs. 43 %; Abb. 6).

Zusam­men­fas­send fand die reprä­sen­ta­ti­ve Umfra­ge bei 414 Pati­en­ten, die MKS tra­gen, eine gro­ße Zufrie­den­heit mit die­ser The­ra­pie. Die Befra­gung zeig­te, dass Pati­en­ten umso zufrie­de­ner mit ihren MKS waren, je bes­ser sie im Vor­feld durch den Arzt über die Wir­kung und Wir­kungs­wei­se der MKS auf­ge­klärt wur­den. Wei­ter­hin fand sich ein deut­li­cher Zusam­men­hang zwi­schen der Zufrie­den­heit mit der The­ra­pie und regel­mä­ßi­gem und lan­gem Tra­gen der MKS. Metho­do­lo­gisch bedingt kann die­se Befra­gung weder eine Kau­sa­li­tät die­ses Zusam­men­hangs noch eine etwa­ige Rich­tung bele­gen: Tra­gen Pati­en­ten, die mit MKS und Sym­ptom­lin­de­rung zufrie­den sind, die MKS regel­mä­ßig und lan­ge, um die­sen The­ra­pie­er­folg nicht zu gefähr­den, oder begrün­det regel­mä­ßi­ges und lan­ges Tra­gen der MKS einen guten Therapieerfolg?

Wis­sen­schaft­li­che Evidenz

CVI

Die Cli­ni­cal Prac­ti­ce Gui­de­lines der Euro­pean Socie­ty for Vas­cu­lar Sur­gery (ESVS) zum Manage­ment der CVI sieht auf der Basis grö­ße­rer nicht-ran­do­mi­sier­ter Stu­di­en, eines Coch­ra­ne-Reviews und einer ran­do­mi­sier­ten Stu­die Evi­denz der zweit­höchs­ten Klas­se B, dass MKS kli­ni­sche Sym­pto­me der CVI (Sta­di­um C0–C4) sowie die Lebens­qua­li­tät ver­bes­sern und spricht eine Emp­feh­lung der höchs­ten Klas­se I aus54. Posi­ti­ve Evi­denz für die Kom­pres­si­on fin­det sich auch in den höhe­ren Sta­di­en der CVI (C5 und C6) bezüg­lich der Hei­lung von Hautul­zer­a­tio­nen und der Ver­hin­de­rung deren Wie­der­auf­tre­tens. Dabei soll­te jeweils ein mög­lichst hoher Anpress­druck ange­strebt werden.

Ein Con­sen­sus State­ment aus dem Jahr 2016 zur The­ra­pie der chro­ni­schen Venen­in­suf­fi­zi­enz unter­stützt die­se Schluss­fol­ge­run­gen und gibt – für alle Sta­di­en der CVI – auf der Basis umfas­sen­der Evi­denz der Klas­se A eine Emp­feh­lung der höchs­ten Klas­se 1 für die Kom­pres­si­ons­the­ra­pie55. Das Con­sen­sus State­ment unter­stützt die Emp­feh­lung der ESVS zu einem hohen Anpress­druck bei Pati­en­ten mit Hautul­zer­a­tio­nen. Wei­ter­hin beto­nen die Autoren die Bedeu­tung einer guten Com­pli­ance der Pati­en­ten, die bei MKS höher liegt als bei ande­ren Kom­pres­si­ons­sys­te­men und zum Bei­spiel durch die Aus­wahl von Anzieh­hil­fen gestei­gert wer­den kann.

Ein aktu­el­les Con­sen­sus State­ment zur Anwen­dung von MKS bei venö­sen und lympha­ti­schen Erkran­kun­gen aus dem Jahr 2018 kommt zu ver­gleich­ba­ren Schluss­fol­ge­run­gen wie die ESVS das Con­sen­sus State­ment der Deut­schen Der­ma­to­lo­gi­schen Gesell­schaft und emp­fiehlt MKS zur Lin­de­rung von Sym­pto­men, der Lebens­qua­li­tät und von Schwellungen/Ödemen der Bei­ne56. Die Autoren wei­sen dar­auf hin, dass auch MKS mit nied­ri­gem Anpress­druck (10 – 20 mmHg) Beschwer­den lin­dern und die Com­pli­ance der Pati­en­ten mit der The­ra­pie ver­bes­sern kön­nen. Auf der Basis der vor­lie­gen­den Stu­di­en­da­ten sei es wich­tig, MKS mit indi­vi­du­ell an den Schwe­re­grad der CVI ange­pass­tem Anpress­druck zu verordnen.

Die ESVS-Gui­de­lines und die bei­den Con­sen­sus State­ments flos­sen bei­de in die bereits erwähn­ten Leit­li­ni­en zur Dia­gnos­tik und The­ra­pie der Vari­ko­se und zur Kom­pres­si­ons­the­ra­pie der Deut­schen Gesell­schaft für Phle­bo­lo­gie und ande­rer Fach­ge­sell­schaf­ten ein57 58. Sie schlie­ßen auf der Basis mul­ti­pler Ein­zel­stu­di­en, von Über­sichts­ar­bei­ten und meh­re­rer Coch­ra­ne-Reviews59 60 61, dass die Kom­pres­si­ons­the­ra­pie venö­se Öde­me redu­ziert. Das Aus­maß der Wir­kung ist vom Ruhe­an­press­druck und der Mate­ri­al­fes­tig­keit der MKS abhän­gig: Je höher der Ruhe­an­press­druck und die Mate­ri­al­fes­tig­keit„ des­to aus­ge­präg­ter ist der Effekt. Die­se Abhän­gig­keit von der „Dosis“ gilt als Nach­weis einer Wirk­sam­keit. MKS kön­nen zur Reduk­ti­on eines bestehen­den Ödems ein­ge­setzt wer­den sowie zur Prä­ven­ti­on des Erst­auf­tre­tens bei frü­hen Sta­di­en der CVI bzw. des Neu­auf­tre­tens nach Ent­stau­ung. Die umfang­reichs­ten Daten zur Kom­pres­si­ons­the­ra­pie und auch die höchs­te Evi­denz zu ihrer Wirk­sam­keit lie­gen für die höhe­ren Sta­di­en der CVI vor (C5 und C6), d. h. für die Sta­di­en mit abge­heil­tem bzw. flo­ri­dem Ulkus. Zur Ulkus-Behand­lung oder Prä­ven­ti­on wer­den Ulkus­kom­pres­si­ons­strümp­fe (UKS) ver­wen­det, eine zwei­tei­li­ge Spe­zi­al­form der MKS mit Unter- und Ober­strumpf, die nach einer ver­wand­ten Norm gefer­tigt werden.

Wei­ter­hin lin­dert die Kom­pres­si­ons­the­ra­pie mit MKS auch kli­ni­sche Sym­pto­me der CVI, wie Schwe­re­ge­fühl, Par­äs­the­sien und Nei­gung zu Schwel­lun­gen, z. B. nach lan­gem Sit­zen oder Ste­hen, sowie die Lebens­qua­li­tät. Zur Reduk­ti­on der Sym­pto­me genügt häu­fig ein nied­ri­ger Ruhe­an­press­druck (bis ca. 20 mmHg) 62 63.

Lymph­ödem

Das erwähn­te Con­sen­sus State­ment von Rabe et al. zur Anwen­dung von MKS bewer­tet auch Stu­di­en­da­ten zur Anwen­dung der Kom­pres­si­ons­the­ra­pie bei lympha­ti­schen Erkran­kun­gen64. Auch die Leit­li­nie zur Medi­zi­ni­schen Kom­pres­si­ons­the­ra­pie wid­met sich in einem kur­zen Kapi­tel den kli­ni­schen Daten [18]. Die Behand­lung des Lymph­ödems folgt einer mul­ti­mo­da­len Kom­pres­si­ons­the­ra­pie („Kom­ple­xe Phy­si­ka­li­sche Ent­stau­ungs­the­ra­pie“), MKS kön­nen in allen Pha­sen ein­ge­setzt wer­den. Zu Beginn der Behand­lung wird stets auch eine manu­el­le Lymph­drai­na­ge emp­foh­len. Eine Emp­feh­lung höchs­ter Evi­denz­klas­se (1A) für MKS besteht für die Lang­zeit-Erhal­tungs­the­ra­pie bei Lymph­ödem. Dabei soll­te der höchs­te Anpress­druck ver­ord­net wer­den, den die Pati­en­ten tole­rie­ren (20 – 60 mmHg).

Die Leit­li­nie zur Dia­gnos­tik und The­ra­pie der Lymph­öde­me beschreibt die Wir­kun­gen der Kom­pres­si­ons­the­ra­pie und betont, dass in der Erhal­tungs­pha­se nach initia­ler Ent­stau­ung nicht nur eine Ödem­re­duk­ti­on, son­dern auch eine Ver­bes­se­rung der Gewe­be­be­fun­de mög­lich ist65. Die Autoren wei­sen dar­auf hin, dass eine Anfer­ti­gung der MKS nach Maß erfor­der­lich ist und dass zum Errei­chen eines aus­rei­chen­den Anpress­drucks ggf. auch zwei MKS über­ein­an­der getra­gen wer­den müssen.

2019 erschien ein aktu­el­ler Review zur Prä­ven­ti­on des post-throm­bo­ti­schen Syn­droms (PTS) mit­tels MKS. PTS kann als Form einer sekun­dä­ren chro­ni­schen venö­sen Erkran­kung betrach­tet wer­den66. Avila et al. ana­ly­sier­ten vier von ursprüng­lich 831 recher­chier­ten Stu­di­en, die den Ein­schluss­kri­te­ri­en der Meta­ana­ly­se genüg­ten. Die Stu­di­en ver­gli­chen die Anwen­dung von MKS mit Pla­ze­bostrümp­fen (eine Stu­die) oder kei­ner Behand­lung (drei Stu­di­en) inner­halb eines Monats nach der Dia­gno­se einer tie­fen Venen­throm­bo­se. Der Zeit­raum der Nach­be­ob­ach­tung bis zum Auf­tre­ten oder Nicht­auf­tre­ten eines PTS lag zwi­schen 6 und 52 Mona­ten; die Län­ge der Nach­be­ob­ach­tung wur­de in der Aus­wer­tung berück­sich­tigt. Die Stu­di­en zeig­ten, bei merk­li­cher Hete­ro­ge­ni­tät, nume­ri­sche Vor­tei­le für MKS. Das Risi­ko (Odds Ratio), ein PTS jeg­li­chen Schwe­re­grads zu erlei­den, redu­zier­te sich durch MKS auf 0,57 im Ver­gleich zu den Kon­troll­grup­pen (95 %-Ver­trau­ens­in­ter­vall 0,21–1,20), das Risi­ko, ein schwer­wie­gen­des PTS (vs. kein, leich­tes oder mit­tel­schwe­res PTS) zu erlei­den auf 0,79 (0,31–1,67). Die Autoren schlie­ßen dar­aus, dass MKS bei der Ver­hin­de­rung von PTS nach tie­fer Venen­throm­bo­se eine Rol­le spie­len kön­nen. Sie unter­stüt­zen damit die Schluss­fol­ge­run­gen eines frü­he­ren Coch­ra­ne Reviews67.

Zusam­men­fas­sung und Diskussion

MKS sind umfas­send kli­nisch unter­sucht. Eine Med­li­ne-Recher­che im Febru­ar 2022 fand zu den Stich­wor­ten „com­pres­si­on sto­ckings“ und „cli­ni­cal tri­al“ über 700 Lite­ra­tur­stel­len. Die wis­sen­schaft­li­che Evi­denz wur­de wie oben dar­ge­stellt in meh­re­ren aktu­el­len Leit­li­ni­en, Über­sichts­ar­bei­ten und sys­te­ma­ti­schen Meta­ana­ly­sen zusam­men­ge­tra­gen, u. a. in Coch­ra­ne-Reviews. Die kli­ni­sche Daten­la­ge zeigt belast­ba­re Evi­denz für eine kli­ni­sche Wirk­sam­keit von MKS bei Venen­er­kran­kun­gen und beim Lymph­ödem. Inso­fern erscheint es plau­si­bel, dass die Ver­bes­se­rung von Sym­pto­men wie Schwel­lun­gen, müden/schweren Bei­nen und Schmer­zen, von denen die Pati­en­ten in der Allens­bach-Umfra­ge berich­te­ten, nicht auf einem Pla­ze­bo- oder Regres­si­on-to-the-mean-Effekt beruhen.

Der Anwen­dung von MKS ste­hen den­noch Hür­den ent­ge­gen. Häu­fig wird davon aus­ge­gan­gen, dass Pati­en­ten Kom­pres­si­ons­strümp­fe skep­tisch betrach­ten und ihre Adhä­renz zu ihnen gering ist. Auch Con­sen­sus State­ments und Über­sichts­ar­bei­ten berück­sich­ti­gen in ihren The­ra­pie­emp­feh­lun­gen – neben tat­säch­li­chen Kon­tra­in­di­ka­tio­nen gegen die Kom­pres­si­ons­the­ra­pie wie Haut­krank­hei­ten, peri­phe­ren Durch­blu­tungs­stö­run­gen oder ein­ge­schränk­ter Beweg­lich­keit, die beim An- und Aus­zie­hen von MKS behin­dert – eine ver­mu­te­te oder tat­säch­lich unzu­rei­chen­de Adhä­renz der Pati­en­ten und benen­nen Adhä­renz-freund­li­che Alter­na­ti­ven wie ora­le Arz­nei­mit­tel: Da Venen­er­kran­kun­gen ohne The­ra­pie gene­rell pro­gre­di­ent ver­lau­fen68 69, ist bei kon­ser­va­ti­ver, d. h. nicht-chir­ur­gi­scher The­ra­pie­in­di­ka­ti­on die aus­rei­chen­de Adhä­renz zu einer Lang­zeit­the­ra­pie essen­zi­ell70 71 72. So führt bei CVI-bezo­ge­nen Ulzera eine höhe­re Adhä­renz zu gerin­ge­ren Rezi­div-Raten73.

In der Tat berich­ten Stu­di­en, dass die Adhä­renz zu MKS bei ca. 50 % und gerin­ger lag74 75 76. Aller­dings ist die Daten­la­ge zur tat­säch­li­chen Adhä­renz durch eine Viel­zahl ver­wen­de­ter Ska­len, Defi­ni­tio­nen und Cutoffs unüber­sicht­lich. Ein Review von Bar, Bran­dis und Marks berich­tet Raten zwi­schen 20 % und 95 %, wobei in den ein­ge­schlos­se­nen Stu­di­en teil­wei­se Kri­te­ri­en wie das Ein­lö­sen des MKS-Rezepts und die Durch­füh­rung emp­foh­le­ner Übun­gen berück­sich­tigt wur­den, die über übli­che Adhä­renz-Kri­te­ri­en hin­aus­ge­hen77.

Die aktu­el­le Allens­bach-Umfra­ge und eine frü­he­re Umfra­ge zum sel­ben The­ma aus dem Jahr 2014 lie­gen im obe­ren Mit­tel­feld der berich­te­ten Adhä­renz-Daten: Im Durch­schnitt tru­gen Pati­en­ten ihre ver­ord­ne­ten MKS an mehr als 6 Tagen pro Woche. Wur­den Pati­en­ten als adhä­rent defi­niert, die eine Tra­ge­häu­fig­keit von 6 oder 7 Tagen pro Woche berich­ten (im Ver­gleich zu den Stu­di­en im oben refe­rier­ten Review eine eher stren­ge Defi­ni­ti­on), lag die Adhä­renz bei min­des­tens 65 %. Dabei soll­te berück­sich­tigt wer­den, dass Pati­en­ten bei Inter­views und in Stu­di­en ihre Adhä­renz im Sin­ne einer sozia­len Erwünscht­heit ggf. zu posi­tiv dar­stel­len; dies fällt bei einem Abgleich mit Sen­sor­da­ten auf, die in Stu­di­en-Set­tings in MKS inte­griert wur­den78 79.

Gän­gi­ge Vor­ur­tei­le und Daten zur Adhä­renz unter­schät­zen jedoch die all­ge­mei­ne Zufrie­den­heit der Pati­en­ten mit MKS: Kri­tik­punk­te der Pati­en­ten fand die Umfra­ge ledig­lich zu iso­lier­ten Aspek­ten, die gene­rell als lös­bar betrach­tet wer­den. So berich­te­ten 5 % der befrag­ten Pati­en­ten von Schwie­rig­kei­ten beim An- und Aus­zie­hen der Strümp­fe. Dies ist auch ein wich­ti­ger psy­cho­lo­gi­scher Aspekt: Pati­en­ten emp­fin­den es wich­tig für ihre Auto­no­mie, MKS anle­gen und aus­zie­hen zu kön­nen, ohne auf frem­de Hil­fe ange­wie­sen zu sein80. Den­noch besitzt nur etwa die Hälf­te der Pati­en­ten eine An- und Aus­zieh­hil­fe, wie­der­um nur jede zwei­te davon wur­de den Pati­en­ten ärzt­lich ver­ord­net. Dabei kön­nen An- und Aus­zieh­hil­fen bei gege­be­ner Indi­ka­ti­on zulas­ten der Kran­ken­kas­sen ver­ord­net wer­den, wie dies auch eine Emp­feh­lung aus der aktu­el­len Leit­li­nie zur medi­zi­ni­schen Kom­pres­si­ons­the­ra­pie dar­stellt81: „Bei ein­ge­schränk­ter Beweg­lich­keit und Pro­ble­men beim An- und Aus­zie­hen des MKS soll­ten geeig­ne­te An- und Aus­zieh­hil­fen ver­ord­net werden.“

Zu den ver­ord­nungs­re­le­van­ten Indi­ka­tio­nen für An- und Aus­zieh­hil­fen zählen:

– Läh­mun­gen

– alters­be­ding­te Kraftminderungen

– Arthrose/Rheuma

– Adi­po­si­tas permagna

– weit­ge­hen­de Wir­bel­säu­len-/Hüft-/Knie­ver­stei­fun­gen

– dege­ne­ra­ti­ve Erkran­kun­gen der Hände/im Handbereich

– Fol­ge von Verletzungen/Amputationen

Der wich­tigs­te iso­lier­te Kri­tik­punkt der befrag­ten Pati­en­ten an ihren MKS betraf den Tra­ge­kom­fort (7 %). Auch hier besteht Opti­mie­rungs­po­ten­ti­al, z. B. durch die Wahl einer auf das indi­vi­du­el­le Extre­mi­tä­ten­pro­fil zuge­schnit­te­nen Form, um Druck­stel­len und Ein­schnei­den zu ver­mei­den. Auch das The­ma Haut­pfle­ge ist im Rah­men des Tra­ge­kom­forts rele­vant, um Infek­tio­nen, Irri­ta­tio­nen und Tro­cken­heit der Haut zu ver­mei­den. Die Exis­tenz ent­spre­chen­der Pfle­ge­mit­tel war in der Umfra­ge immer­hin 10 % der MKS-Trä­ge­rin­nen und Trä­ger nicht bekannt. Die Leit­li­nie zur Dia­gnos­tik und The­ra­pie des Lymph­ödems äußert sich aus­führ­lich zu die­sem The­ma und emp­fiehlt außer einer pH-neu­tra­len Rei­ni­gung eine täg­li­che Pfle­ge, um „Sekun­där­in­fek­tio­nen, z. B. durch Rha­g­aden, zu ver­mei­den und die Bar­rie­re­funk­ti­on der Haut zu erhal­ten“. Die Ver­träg­lich­keit des Pfle­ge­pro­dukts mit den Mate­ria­li­en des MKS ist heu­te in der Regel kein Pro­blem mehr, da moder­ne MKS ihre Elas­ti­zi­tät durch syn­the­ti­sche Fasern und nur noch in Aus­nah­me­fäl­len durch das emp­find­li­che Latex gewin­nen. Ggf. kön­nen auch MKS mit inte­grier­tem Haut­schutz in Betracht gezo­gen wer­den, die über die Lebens­dau­er des MKS lipophi­le, haut­pfle­gen­de Sub­stan­zen aus dem Gewe­be frei­set­zen82. Als Teil der Haut­pfle­ge soll­te aus Hygie­ne­grün­den ggf. ein Zweit­paar der MKS ver­ord­net wer­den, um wäh­rend des Waschens und Trock­nens die Com­pli­ance nicht zu gefähr­den. Gene­rell soll­ten MKS nach ca. 6 Mona­ten erneu­ert wer­den, um ein Absin­ken des Anpress­drucks durch Nut­zung und Rei­ni­gung zu vermeiden.

Wesent­li­ches Ele­ment des Tra­ge­kom­forts ist der Anpress­druck der MKS. Der Ein­fluss des Anpress­drucks auf die Com­pli­ance ist gut unter­sucht: Die­se ist höher bei nied­ri­ge­rer Klas­se des MKS, d. h. bei nied­ri­ge­rem Anpress­druck83 84 85 86. Hier exis­tiert ein Inter­es­sen­kon­flikt, denn wie erwähnt steigt die Wirk­sam­keit von MKS gene­rell mit dem Anpress­druck. Im Zwei­fels­fall ist jedoch ein täg­lich getra­ge­ner MKS mit mitt­le­rem Anpress­druck wirk­sa­mer als ein nicht getra­ge­ner MKS einer höhe­ren Klas­se. Für die Wahl des geeig­ne­ten MKS ist auch eine Erkennt­nis aus dem sta­tio­nä­ren Bereich inter­es­sant, nach der knie­lan­ge MKS bes­ser akzep­tiert wer­den als hüft­lan­ge87 88. Aus dem ambu­lan­ten Umfeld sind Erkennt­nis­se publi­ziert, dass knie­lan­ge MKS mit nied­ri­ge­rem Anpress­druck (18–21 mmHg) bei signi­fi­kant bes­se­rem Tra­ge­kom­fort die Sym­pto­me Bren­nen und Schwel­lung ver­gleich­bar ver­bes­sern wie MKS mit höhe­rem Anpress­druck (23–32 mmHg); allen­falls bei der Reduk­ti­on von Schmer­zen zeig­ten sie eine etwas gerin­ge­re Wir­kung89. Dar­über hin­aus berich­ten die Autoren, dass MKS mit höhe­rem Anpress­druck bei Pati­en­ten mit ortho­pä­di­schen Fuß­de­for­mi­tä­ten zu Druck­stel­len und Ein­schrän­kun­gen der Beweg­lich­keit führten.

Wesent­li­che Aspek­te zum Tra­ge­kom­fort von MKS:

– Pas­sen­de Kom­pres­si­ons­klas­se (Anpress­druck)

– Aus­wahl der pas­sen­den Form

– Haut­pfle­ge, extern oder integriert

– Zweit­paar, Erneue­rung nach 6 Monaten

Abschlie­ßend soll die zen­tra­le Rol­le unter­stri­chen wer­den, die der Pati­en­ten­auf­klä­rung und Schu­lung bei der The­ra­pie mit MKS zukommt. Die Allens­bach-Umfra­ge fand eine deut­lich höhe­re The­ra­pie­zu­frie­den­heit bei Pati­en­ten, denen in der ärzt­li­chen Pra­xis die Wir­kungs­wei­se der MKS erklärt wur­de. Ande­re Autoren zeig­ten, dass eine Schu­lung der Pati­en­ten sowohl das Ver­ständ­nis für Erkran­kung und The­ra­pie als auch die Adhä­renz zu MKS deut­lich erhö­hen kann90 91 92. Eine fran­zö­si­sche Arbeits­grup­pe fand eine um rund ein Drit­tel län­ge­re täg­li­che Tra­ge­dau­er bei Pati­en­tin­nen, die mit Schu­lung, Emp­feh­lun­gen und wöchent­li­chen Erin­ne­run­gen per SMS betreut wur­den, ver­gli­chen mit der Grup­pe, die nur abso­lut not­wen­di­ge Erklä­run­gen erhiel­ten. Die Com­pli­ance war um rund 44 % höher (70 % vs. 48,5 %). Die Tra­ge­dau­er wur­de über ein objek­ti­ves Ver­fah­ren bestimmt, der Mes­sung der Haut­tem­pe­ra­tur unter den MKS93.

Die Schu­lung der Pati­en­ten soll­te neben prak­ti­schen Aspek­ten wie dem An- und Aus­zie­hen und der emp­foh­le­nen Tra­ge­dau­er und ‑häu­fig­keit expli­zit auch auf eine pati­en­ten­ver­ständ­li­che Wei­se medi­zi­ni­sche Infor­ma­tio­nen ver­mit­teln94 95 96: Wir­kung und Wirk­me­cha­nis­mus der MKS auf Basis der Patho­phy­sio­lo­gie der jeweils the­ra­pier­ten Erkran­kung, zu erwar­ten­de Effek­te und deren Aus­maß, The­ra­pie­zu­frie­den­heit von Pati­en­ten, die MKS tra­gen, und Kon­gru­enz mit der Wirk­sam­keit in kli­ni­schen Stu­di­en. Pati­en­ten sol­len ihre MKS als ein akti­ves The­ra­pie­sys­tem ein­ord­nen und adop­tie­ren, eine stan­dar­di­sier­te Schu­lung unter Zuhil­fe­nah­me gra­fi­scher Schau­bil­der oder Video-Ani­ma­tio­nen wird emp­foh­len. Dies ist im Sin­ne eines Pati­ent Empower­ment zu ver­ste­hen, das den Pati­en­ten die Kon­trol­le über ihre Erkran­kung zurück­gibt und eine pas­si­ve Rol­le vermeidet.

 

Für die Autoren:
Prof. Dr. Mar­kus Stücker
Kli­nik für Der­ma­to­lo­gie, Vene­ro­lo­gie und Allergologie
St. Josef-Hos­pi­tal Ruhr-Uni­ver­si­tät Bochum
Gud­run­stra­ße 56
44791 Bochum
m.stuecker@klinikum-bochum.de

Hin­weis
Die­ser Arti­kel unter­liegt der Crea­ti­ve-Com­mons-Lizenz „Namens­nen­nung 4.0 Inter­na­tio­nal“ (CC BY 4.0). Erlaubt ist es, das Mate­ri­al für belie­bi­ge Zwe­cke zu tei­len, ver­viel­fäl­ti­gen und wei­ter­zu­ver­brei­ten, es zu remi­xen, ver­än­dern und dar­auf auf­zu­bau­en. Die Bedin­gun­gen sind ange­mes­se­ne Urhe­ber- und Rech­te­an­ga­ben sowie Hin­wei­se auf Ände­run­gen, außer­dem der Link auf die Lizenz.
Zweit­druck der Publi­ka­ti­on in Der­ma­to­lo­gie 2022; 73: 708–717

 

Zita­ti­on
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