Die hochkarätigen Referenten informierten über die aktuellen Entwicklungen in der Tumorchirurgie, bei modernen Amputationstechniken und innovativen prothetischen Versorgungsmethoden. Die Kombination aus praxisnahen Fallbeispielen und interdisziplinären Vorträgen ermöglichte einen intensiven fachlichen Austausch.
Diagnostik bildet Basis
Dr. Julian Deisenhofer von der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg eröffnete die Veranstaltung mit einem Vortrag über Extremitäten erhaltende Therapieansätze bei Weichteil- und Knochensarkomen. Er stellte die Diagnostik als Grundlage der Therapieplanung in den Mittelpunkt. Modernste Bildgebungsverfahren wie MRT mit Kontrastmittel und Biopsien ermöglichen eine präzise Diagnose, die in interdisziplinären Teams zur Erstellung patientenspezifischer Behandlungspläne genutzt wird. Die vollständige Tumorentfernung (R0-Resektion) hat dabei oberste Priorität.
Deisenhofer zeigte, dass durch innovative Rekonstruktionsmethoden wie Transplantationen oder inverse Gelenkimplantate häufig ein Funktionserhalt erreicht werden kann. Diese ermöglichen es, Beweglichkeit und Lebensqualität auch nach großen Eingriffen weitgehend zu erhalten. Dennoch verdeutlichte er, dass in bestimmten Fällen eine Amputation medizinisch notwendig bleibt. Studien zeigen, dass Amputationen vergleichbare Lebensqualitäten erzielen können wie Extremitäten erhaltende Maßnahmen.
Dr. Jennifer Ernst von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) präsentierte im Anschluss chirurgische Verfahren zur Optimierung der Prothesensteuerung nach Extremitätenverlust. Sie erläuterte Technologien wie Targeted Muscle Reinnervation (TMR), Regenerative Peripheral Nerve Interfaces (RPNIs) und die Agonist-Antagonist Myoneural Interface (AMI) Operation. Dabei wurde die AMI-Methode besonders hervorgehoben, da sie durch die Kopplung der Sehnen von Agonisten und Antagonisten nicht nur die Steuerung verbessert, sondern aufgrund des Erhalts wichtiger körpereigener Sensorik auch die Propriozeption und den Muskelaufbau fördert. Diese Verfahren ermöglichen eine präzisere Steuerung von Prothesen und reduzieren Phantomschmerzen deutlich. Ernst betonte, dass moderne Amputationen nicht einfach nur das Entfernen von Extremitäten bedeuten, sondern Teil eines umfassenden Rekonstruktionsprozesses sind, der Patienten eine hohe Alltagskompetenz ermöglicht. Trotz technischer Fortschritte besteht jedoch weiterhin Bedarf an intensiver interdisziplinärer Zusammenarbeit zwischen Medizin und Technik.
Innovationen im Versorgungsfall
Die anschließenden „How-to-Treat“-Sessions beleuchteten innovative Versorgungsfälle. Boris Bertram aus der Technischen Orthopädie der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg präsentierte die Versorgung eines jungen, bilateral unterarmamputierten Patienten. Durch moderne CAD-Technologien und additive Fertigungsverfahren wurde eine individuelle Prothesenlösung entwickelt, die sowohl funktionale als auch ästhetische Anforderungen erfüllte. Bertram betonte die Wichtigkeit einer präzisen Stumpfversorgung und die Rolle sogenannter „Ohnhänderhilfen“, die gerade bei beidseits betroffenen Patienten eine hohe Relevanz haben, um den Alltag zu bewältigen. Im weiteren Verlauf präsentierte Kilian Hußmann von der Pohlig GmbH die Vorteile der Osseointegration in Verbindung mit einer Daumenprothese aus Silikon. Durch knöcherne Verankerung und individuell angepasste Prothesen wurde die Beweglichkeit und Kraft des Daumens wiederhergestellt. Diese Technik verdeutlicht, wie interdisziplinäre Ansätze zu umfassend zufriedenstellenden Ergebnissen führen können. Gleichzeitig wurde jedoch auch klar, dass es sich hier in beiden Fällen um seltene Erscheinungen handelt, die stets einer individuellen Betrachtung bedürfen.
Individuell blieb es auch bei Prof. Dr. Jonas Kolbenschlag von der BG Klinik Tübingen. Dieser stellte die bionische Rekonstruktion bei Plexus-Brachialis-Verletzungen vor. Die Wiederherstellung der Schulterstabilität sowie von Ellbogen- und Handfunktionen erfolgt dabei durch eine Kombination aus Nervenrekonstruktionen, Sehnentransfers und Neuroplastiken. Kolbenschlag betonte, dass nicht alle Eingriffe die ursprüngliche Funktion wiederherstellen können. Oft müssen Prioritäten gesetzt werden, wobei die Stabilität der Schulter als essenziell hervorgehoben wurde. Im konkreten Fall jedoch wurde dieser Eingriff schlussendlich mit einer Unterarmamputation kombiniert. Trotz der rekonstruktiven und neurochirurgischen Maßnahmen konnte aufgrund der Läsionen die Handfunktion des Patienten nicht wiederhergestellt werden. Diesen Part sollte nun die Orthopädie-Technik übernehmen. So berichtete Wolfgang Gröpel (Novavis) in seinem anschließenden Beitrag von den Herausforderungen bei der prothetischen Versorgung nach der bionischen Rekonstruktion im vorgenannten Fallbeispiel. Die an sich schon eher seltene Entität mit der anschließenden elektiven Unterarmamputation spricht schon für sich und zeigt auf, wie wichtig eine interdisziplinäre Planung und Therapie ist. Die ersten Tests mit dem Ausblick auf eine myoprothetische Versorgung, die mit smarter Steuerungstechnik basierend auf Oberflächen-EMG Steuerungen erfolgten, waren unbefriedigend, da schwache EMG-Signale zu Fehlsteuerungen führten. Schließlich erwies sich eine einfache und fast schon antiquiert erscheinende Zweikanalsteuerung als robust und zuverlässig. Gröpel betonte, dass Vertrauen und Alltagstauglichkeit oft entscheidender sind als hochkomplexe Systeme.
Mehr Lebensqualität dank interdisziplinärer Zusammenarbeit
Der VQSA-Dialog 2024 demonstrierte eindrucksvoll, wie interdisziplinäre Ansätze und technologische Innovationen die Lebensqualität von Patienten nach Extremitätenverlust verbessern können. Durch die Kombination chirurgischer, technischer und rehabilitativer Maßnahmen eröffnen sich neue Möglichkeiten und Funktionalitäten, um eine alltagsrelevante Funktion langfristig zu sichern. Die rege Beteiligung und Diskussionen der Teilnehmenden unterstreichen die Bedeutung der Veranstaltung für die Weiterentwicklung in der Amputationschirurgie und in der Prothetik.
Der Vorstand des VQSA bedankt sich bei den Akteuren für die durchweg hervorragenden Beiträge sowie die tollen Diskussionen und bei den Gästen für ihre engagierte Teilnahme. Im nächsten Jahr wird es um das Leitthema der armprothetischen Versorgung bei der Arbeit und im Sport gehen. Der nächste VQSA-Dialog soll am 15. November 2025 in Essen stattfinden. Weitere Informationen folgen zu gegebener Zeit unter vqsa.de.
Merkur Alimusaj und Boris Bertram
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