Daniel Behm, MBA Gesundheitsmanagement, Orthopädietechniker und stellvertretender Geschäftsleiter des Sanitätshauses Gäher aus Münster, hat in seiner Masterthesis mehrere Handlungsempfehlungen für Betriebsinhaber:innen und Entscheidungsträger:innen erarbeitet, die er in einer mehrteiligen Serie in der OT vorstellt. Zum Auftakt beleuchtet Behm die Hintergründe seiner Arbeit und stellt einige der Empfehlungen vor (Teil 2: Wie die digitale Transformation gelingen kann; Teil 3: Digitale Transformation in der Orthopädie-Technik).
Dass die Entwicklung der digitalen Transformation bereits in vollem Gange ist, beschreibt Cole bereits im Jahr 2015 und weist im gleichen Atemzug darauf hin, dass smarte Unternehmer:innen ebenso wie smarte Mitarbeiter:innen benötigt werden1. Regelmäßig erscheinende Beiträge in Fachzeitschriften wie dem Deutschen Handwerksblatt unterstreichen, dass auch aktuell noch erheblicher Handlungsbedarf in Betrieben besteht. In einem komplexen, ineinandergreifenden System wie dem Gesundheitswesen mit verschiedenen Akteuren wie Kliniken, Arztpraxen, Kostenträgern und zahlreichen weiteren Interessengruppen sind unterschiedliche digitale Entwicklungsstufen in den einzelnen Bereichen vorprogrammiert. Diese mehrteilige Reihe soll Ideen und Anregungen durch wissenschaftlich erarbeitete Handlungsempfehlungen geben. Es wurden Expert:innen in der Orthopädie-Technik aus den unterschiedlichen Bereichen der Verbände, Industrie, Regulatorik und Abrechnungsdienstleister in Einzelinterviews befragt. Des Weiteren wurde in einem Gruppeninterview mit Geschäftsführer:innen ein Blick auf die vergangenen Jahrzehnte und die derzeitige Lage in der Technischen Orthopädie geworfen. Darüber hinaus wurden verschiedene Zukünfte und Szenarien in der Technischen Orthopädie visualisiert. Aus diesen verschiedenen Schritten wurden schließlich mehr als ein Dutzend Handlungsempfehlungen abgeleitet. Einige dieser Empfehlungen liegen auf der Hand und tun dennoch gut, einmal bewusst gelesen zu werden, andere rütteln auf, irritieren und regen zum Nachdenken an.
Handlungsempfehlungen 1 und 2:
Verantwortlichkeit und Ressourcen
Für die Entwicklung der einzelnen Betriebe und Unternehmen sind die Geschäftsführer:innen verantwortlich (Handlungsempfehlung 1)! Die Expert:innen der Einzelinterviews, der Fokusgruppe und der Literatur sprechen diese und die folgenden Handlungsempfehlungen aus: Geschäftsführer:innen müssen finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung stellen und Entwicklungskapazitäten in den Betrieben ermöglichen (Handlungsempfehlung 2). Ihre Hauptverantwortung liegt in der Sicherung der Zukunftsfähigkeit ihrer Unternehmen. Infolgedessen tragen die Industrie, der Gesetzgeber und andere Stakeholder erst in zweiter Instanz die Verantwortung für die (digitale) Entwicklung und Transformation der einzelnen Unternehmen. Der Generationswechsel in Unternehmen der vergangenen Jahre wird von Expert:innen als eine in diesem Zusammenhang positiv zu bewertende Entwicklung eingeschätzt. Betriebe, die sich diesem Schritt bisher verschließen und nicht für die Zukunft aufstellen, werden am Markt langfristig keinen Erfolg haben. Selbst im Fall eines Unternehmensverkaufs in den kommenden Jahren wird der Marktwert nach Einschätzung der Interviewpartner:innen erheblich fallen.
Eine Umstellung der Prozesse auf digitale Umgebungen wird der „älteren Generation“ also keineswegs grundsätzlich abgesprochen. Wie in der Literatur u. a. von Hauschildt et al. beschrieben2, sind in Innovationsprozessen verschiedene Promotoren (Personen bzw. Personengruppen) und auch Widerstände unterschiedlichster Personengruppen notwendig, um das Tempo und das gesamte Team im Zuge der Transformation zu beschleunigen.
Die Struktur von Familienunternehmen und mittelständischen Unternehmen zeichnet sich im Gesundheitswesen durch eine hohe Agilität aus, wodurch Anpassungen und Prozessgestaltungen kurzfristiger realisiert werden können.
Handlungsempfehlung 3:
Prozesse konsequent umstellen
Um die Digitalisierung erfolgreich umzusetzen, ist es wichtig, die Prozesse im Unternehmen konsequent anzupassen. Dabei sind Parallelstrukturen zu „alten“ analogen Prozessen zu vermeiden, um eine echte Transformation zu erreichen. Das Ziel besteht darin, digitale Prozesse zu etablieren und die Effizienz sowie die Reaktionsfähigkeit des Unternehmens zu verbessern.
Eine zentrale Aufgabe besteht darin, dass die Mitarbeiter:innen aktiv in den Digitalisierungsprozess einbezogen werden. Hierfür sind Schulungsmaßnahmen sowie Workshops notwendig, damit die Mitarbeiter:innen die neuen digitalen Werkzeuge und Technologien effektiv nutzen können. Bereits bei der Konzeption und Entwicklung sind die Mitarbeiter:innen mit ihrer Expertise und ihren Erfahrungen aus dem Arbeitsalltag einzubeziehen. Um eine reibungslose Integration in den Arbeitsalltag zu gewährleisten, sollte besonderes Augenmerk auf die Vermittlung digitaler Kompetenzen gelegt werden.
Ein weiterer entscheidender Aspekt ist die kontinuierliche Abstimmung und Anpassung der digitalen Prozesse. Eine erfolgreiche Umstellung und effektives Innovationsmanagement basieren auf kontinuierlichem Feedback. Es ermöglicht dem Unternehmen und allen Beteiligten, schnell auf Veränderungen zu reagieren und die Effizienz kontinuierlich zu steigern. Dies erfordert eine regelmäßige Überprüfung der digitalen Strategie und die Integration von Kunden- und Mitarbeiterfeedback.
Die Umsetzung von Innovationen fußt immer auf Personen oder Personengruppen. Für eine erfolgreiche Umsetzung sprechen Hauschildt et al. 2 von Promotoren, welche von Witte3 im Jahr 1973 erstmals als Begrifflichkeit verwendet und anschließend weiterentwickelt wurde. Die Promotoren sind dabei in die folgenden Arbeitsschwerpunkte (Abb. 1) gegliedert. Je nach Projektart und ‑ziel kommen den Promotoren unterschiedliche Gewichtungen in der Ausübung ihrer Rolle zu. So sind bei Projekten mit einem hohen Innovationsgrad Bezugspromotoren besonders von Bedeutung.
Klassifizierung von Ressourcen
Die Herausforderung, zwischen der täglichen Routine der Patientenversorgung den Überblick zu behalten und gleichzeitig an der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens zu arbeiten, ist nicht immer leicht zu bewältigen. Die vorhandenen oder benötigten Ressourcen sind vielfältig und nicht immer auf den ersten Blick als solche erkennbar. Müller-Christ4 geht bei der Klassifizierung von Ressourcen von folgenden Grundsätzen aus:
Der Begriff Ressource impliziert eine Verbindung zum Begriff Quelle, d. h. Ressourcen sind von ihrem Ursprung her zu betrachten. Ressourcen stammen aus verschiedenen Quellen und liefern deshalb unterschiedliche Ergebnisse. Natürliche Ressourcen werden gewöhnlich als regenerativ oder nicht-regenerativ eingestuft, wobei zusätzlich Leistungsfaktoren und Erfolgspotenziale berücksichtigt werden müssen. Die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Ressourcenquelle ist von entscheidender Bedeutung für die Sicherung des Ressourcenzuflusses. Diese können generell in ökonomische, ökologische und soziale Ressourcen kategorisiert werden4. Müller-Christs Versuch, den Begriff wissenschaftlich klar zu definieren, verdeutlicht die unterschiedlichen Perspektiven in der Managementlehre. Im Kontext des nachhaltigen Managements sind folgende Grundannahmen unerlässlich.
- Der „Resource-based View“ definiert das Bestehen eines Unternehmens aufgrund von Wettbewerbsvorteilen zur Erreichung des Unternehmenszwecks. Für jedes technologische System sind relativ dauerhafte und knappe Ressourcen notwendig; diese sind die Grundlage langfristigen Wettbewerbsvorteils.
- Die Idee des nachhaltigen Ressourcenmanagements zielt auf die Aufrechterhaltung des Ressourcenflusses, d. h. auf die Sicherung der Ressourcenquelle und ihrer Eigengesetzlichkeit.
Ressourcen spielen somit eine bedeutende Rolle und Innovationen sind hierbei von zentraler Bedeutung, da sie viele Facetten haben können. Außerdem kann die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren, einschließlich Konkurrenten, für den Erfolg entscheidend sein, insbesondere angesichts der Komplexität des Systems.
Daniel Behm, MBA
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- E‑Rezept-Enthusiasten stellen Positionspapier vor — 19. November 2024
- Cole T. Digitale Transformation. Warum die deutsche Wirtschaft gerade die digitale Zukunft verschläft und was jetzt getan werden muss. München, 2015
- Hauschildt J. et al. Innovationsmanagement. Vahlen, 2023
- Witte E. Organisation für Innovationsentscheidungen – Das Promotoren-Modell. Göttingen, 1973
- Müller-Christ G. Nachhaltiges Management. Über den Umgang mit Ressourcenorientierung und widersprüchlichen Managementrationalitäten. Baden-Baden, 2020