OT: Wie lange vor dem angedachten Übergabetermin sollten sich Inhaber oder Inhaberinnen mit dem Thema Nachfolge auseinandersetzen?
Achim Schaarschmidt: Je früher sich Inhaber und Inhaberinnen Gedanken über die Betriebsnachfolge machen, desto besser. Im Grunde muss das bei jedem Entwicklungsschritt des Unternehmens mitgedacht werden, da es ein wichtiger Baustein für die gesamte Unternehmensstrategie ist. Nach meiner Erfahrung stellen sich die meisten Inhaber erst in ihren 60er-Jahren oder kurz vor dem geplanten Ruhestand die Frage nach einer geeigneten Nachfolge. Das ist auch insofern spät, weil ja bereits früher ein Unfall oder eine Krankheit dazwischenkommen können. Allerspätestens fünf Jahre vor dem geplanten Ruhestand sollten sich Inhaber oder Inhaberinnen darüber im Klaren sein, wohin ihre eigene Reise gehen soll. Denn davon hängt alles Weitere ab.
Temporäres Loslassen üben
OT: Haben Sie Tipps für die Vorgehensweise?
Schaarschmidt: Lange vor einer Betriebsübergabe sollte Verantwortung an einzelne Mitglieder der Belegschaft, ob Familienmitglieder oder nicht, abgegeben werden. Dazu gehört auch, dass Führungskräfte bereits eigene „Spielwiesen“ verantworten, in die sich Chef oder Chefin nicht beständig einmischen. Das Vertrauen in die Belegschaft ist wichtig. Wenn das Unternehmen ohne den Chef oder die Chefin über einen längeren Zeitraum nicht funktioniert, weil nur er oder sie über das nötige Know-how und das Netzwerk verfügt, ist das ein schlechtes Zeichen für eine potenzielle Übergabe an wen auch immer. Gibt es einen solchen Notfallplan für Krankheit und Urlaub, ist eigentlich schon der wichtigste Schritt zu einer späteren Übergabe getan. Ganz wichtig: Wer einen Betrieb übergeben möchte, sollte sich von der Vorstellung losmachen, eine Kopie seiner selbst zu finden. „Schmidt sucht Schmidtchen“ nenne ich diese Verfahrensweise. Sie gelingt selten oder nie. Auf keinen Fall sollte das Unternehmen heruntergefahren, auf Investitionen verzichtet werden. Das treibt die Attraktivität und damit den Preis nach unten! Ist klar, wohin die eigene Reise gehen soll, macht es Sinn, sich zusätzlich externen Rat zu suchen.
OT: Welche externe Unterstützung empfehlen Sie?
Schaarschmidt: An erster Stelle ist hier der Steuerberater zu nennen. Er sollte das Unternehmen so gut kennen wie niemand sonst. Zudem sind inzwischen viele Steuerberater so gut aufgestellt, dass sie auch in juristischen Fragen Inhabern und Inhaberinnen zur Seite stehen sowie Unternehmensberatung im eigenen Büro oder im Netzwerk bieten können. Zusätzlich stehen die Berater der Industrie- und Handelskammern (IHK) für Sanitätshäuser sowie der Handwerkskammern (HWK) für Handwerksbetriebe zur Verfügung. Die vier IHKs in Sachsen-Anhalt bilden beispielsweise das „Netzwerk Unternehmensnachfolge Sachsen-Anhalt“ (N:UN) und arbeiten eng mit der „Beratervereinigung Unternehmensnachfolge Sachsen-Anhalt e. V.“ (BUSA) zusammen. Deren Berater sind zwar kostenpflichtig, aber alles ausgewiesene Experten, die ihr Geld wert sind.
Existenziell: Unternehmensbewertung und Unternehmens-Exposé
OT: Mit welchen Unterlagen sollte man in die Verhandlungen gehen?
Schaarschmidt: Zwei Papiere sind entscheidend: die Unternehmensbewertung und das Unternehmens-Exposé. Die Unternehmensbewertung sollte durch externe Experten erfolgen. Wenn die Bewertenden als nicht vertrauenswürdig gelten, springen etwaige Interessenten gleich ab. Das Unternehmens-Exposé wird vom Unternehmen erstellt. Hier besteht die Kunst darin, so wenig wie möglich und so viel wie nötig über den Betrieb zu verraten. Denn in der frühen Phase will kein Unternehmer, dass sich der Verkauf rumspricht. Gleichzeitig brauchen Interessenten genug Informationen, um sich für den Betrieb zu interessieren.
Vor- und Nachteile bei allen Nachfolgemodellen
OT: Welche Vor- oder Nachteile bieten die drei Modelle: innerfamiliär, innerbetrieblich oder externe Übernahme?
Schaarschmidt: Alle drei Konstellationen bergen Vor- und Nachteile. Bei einer innerfamiliären Nachfolge besteht die größere Gefahr, dass die Alteigentümer nicht loslassen wollen. Deshalb ist es gut, wenn das Familienmitglied oder die Familienmitglieder schon ein paar Jahre in der Firma tätig waren, selbstständig Bereiche geleitet und sich so den Respekt der Mitarbeiter, Lieferanten, Kunden und Partner bereits erarbeitet haben. Diese Art der Nachfolge ist zeitaufwendig und muss langfristig angegangen werden. Dennoch kommt es nach der ofziellen Übergabe nicht selten zum Streit zwischen den Generationen. In solchen Fällen haben wir sehr gute Erfahrungen mit Mediationen gemacht. Vorteil dieser Nachfolgelösung für die Nachfolger: Die Übergabe erfolgt zumeist ohne Gelduss und alles Know-how, die Firma zu führen, ist vorhanden. Eine lange Übergangszeit also nicht mehr nötig. Gleiches gilt bei einer innerbetrieblichen Übernahme. Auch hier sollte bereits eine langjährige Zugehörigkeit zur Belegschaft inklusive Leitungstätigkeiten vorhanden sein. Allerdings fließt in diesem Fall Geld, was das Risiko für den bisher nicht selbstständigen Mitarbeiter erhöht. Dafür gibt es aber zahlreiche Finanzierungsmöglichkeiten und ‑hilfen, über die unter anderem die IHKs informieren können. Ganz wichtig: Die Familie des Mitarbeiters muss hinter dieser Entscheidung stehen. Bei einer externen Übergabe muss der Alteigentümer total loslassen. Der Käufer wiederum muss sich das vorhandene Know-how aneignen und dann behutsam – nicht zu schnell und nicht zu langsam – die Belegschaft, Lieferanten und Kunden auf seinem neuen Weg, seiner Firmenphilosophie mitnehmen. Vorteil für den Verkäufer ist, dass das vereinbarte Geld sofort fließt.
OT: Welche betriebswirtschaftlichen Übernahmevarianten gibt es darüber hinaus?
Schaarschmidt: Neben einem Kaufpreis, der mit der Übernahme fällig wird, gibt es auch Renten- oder Pachtmodelle sowie Stiftungen. Von Renten- und Pachtmodellen würde ich abraten. Einen Pachtvertrag kann der Pächter kündigen und der Alteigentümer steht plötzlich vor einer leeren Immobilie, weil der Laden heruntergewirtschaftet wurde oder der neue Eigentümer in eigene Räume umgezogen ist. Beim Verrentungsmodell ist die Rente abhängig vom Ertrag, der aber nicht langfristig abzuschätzen ist. Lassen Sie den Alteigentümer 90 Jahre alt werden und parallel gibt es das ursprüngliche Geschäftsmodell gar nicht mehr. Das ist für beide Seiten hochriskant. Angesicht der rasanten Digitalisierung ist das zu bedenken. Ein Einbringen des Unternehmensvermögens in eine Stiftung macht nur bei großen Traditionsunternehmen Sinn.
OT: Gibt es eine Erfolgsformel zur Berechnung des Unternehmenswertes?
Schaarschmidt: Nein. Der Kaufpreis muss schlicht und einfach marktgerecht sein und sich innerhalb von fünf bis sieben Jahren durch das erworbene Unternehmen renanzieren lassen.
Königsweg: Klare Regelungen
OT: Wo liegen die Risiken und Nebenwirkungen bei einer Nachfolgeregelung?
Schaarschmidt: Nüchtern betrachtet, gilt für alle Nachfolgeregelungen das Gleiche: Das größte Risiko ist der Misserfolg. Verkäufer veräußern nicht ihre Lebensleistung, wie sie oft denken, sondern die Chance, Geld zu verdienen. Käufer wollen Zukunft kaufen.
Jeder Nachfolger – ob innerfamiliär, innerbetrieblich oder extern – wird seinen eigenen Stil und seine eigene Strategie früher oder später einbringen wollen. Dabei besteht immer das Risiko, dass die bisherigen Lieferanten, Kunden, Partner oder Mitarbeiter sich gegen eine Zusammenarbeit mit dem oder der Neuen entscheiden. Gehen Teile des Personals, ist das ebenfalls ein echtes Problem in Zeiten des Fachkräftemangels. Etwaige Umsatzeinbußen sind aufgrund von Abwanderungen von Kunden oder Lieferanten beim Kauf mit bis zu 30 Prozent einzupreisen. Für Alteigentümer ist das größte Risiko, sich nicht auf die neue Situation einzustellen, sondern sich weiterhin in den Betrieb einbringen zu wollen. In solchen Fällen ist Streit programmiert. Deshalb sollten Beratungsleistungen des Alteigentümers – falls gewünscht – in einem gesonderten Vertrag geregelt werden, der unabhängig vom Kaufvertrag gekündigt werden kann. Für beide Seiten ist es zudem hochriskant, sich auf Verrentungen, statt auf einen Verkaufspreis einzulassen. Niemand weiß angesichts der Digitalisierung, wo ein Betrieb in sieben oder zehn Jahren steht. Auf jeden Fall sollte das Thema Gewährleistung im Vertrag klar geregelt werden. Überhaupt sind klare Regelungen der Königsweg. Dafür müssen aber alle Seiten ehrlich mit sich und dem Geschäftspartner sein. Manche empfinden es als Bedrohung, andere als Sicherheit, dass in der Regel eine Tiefenprüfung des Finanzamts nach einer Übernahme erfolgt. Unterm Strich: Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Unternehmensberater! (lacht, Anm. d. Red.).
OT: Taugt eine Nachfolge als Modell für die eigene Altersvorsorge?
Schaarschmidt: Auf keinen Fall! Der Unternehmensverkauf ist das Sahnehäubchen oder im besten Fall die Haube zusätzlich zur bestehenden Altersvorsorge.
Die Fragen stellte Ruth Justen.
- Überblick verschaffen: Wie soll mein Leben nach einer Firmenübergabe aussehen?
- Entscheidung über die Übergabeart fällen: innerhalb der Familie, innerhalb des Betriebes oder extern.
- Beratung einholen: beim Steuerbüro, bei den IHKs und/oder HWKs und/oder Branchen bzw. Berufsverbänden.
- Unternehmensbewertung vornehmen: am besten durch externe Experten, die auch von potenziellen Interessenten anerkannt werden.
- Bei einer geplanten externen Lösung: Suche – so anonym und so attraktiv wie möglich – starten. Zudem bieten sich Nachfolgebörsen von IHKs, HWKs, aber auch von Volks- und Raiffeisenbanken sowie von Sparkassen an.
- Unternehmens-Exposé mit Variablen für die Interessenten erstellen: Verrät das Exposé zu viel, ist die Anonymität gefährdet, verrät es zu wenig, leidet die Attraktivität.
- Letter of Intent unterschreiben: Besteht ein gegenseitiges Vertrauen zwischen den beiden Verhandlungspartnern, empfiehlt sich eine Vorvereinbarung. Vorteil eines Letters of Intent ist die Vereinbarung einer Verschwiegenheitsklausel. Erst danach sollte der Interessent Zugang zu den internen Unterlagen erhalten, um sich einen vertieften Überblick über den Betrieb zu verschaffen.
- Augenhöhe und gegenseitige Wertschätzung bei Verhandlungen und Übergabe leben: Egal, welche Unterschiede in Alter, Beruf, Erfahrung oder Strategie bestehen, ohne Wertschätzung für potenzielle Nachfolger scheitern die Partner spätestens bei der Übergabe.
- Kaufpreisverhandlungen einschließlich der juristischen Prüfung des Kaufvertrages.
- Übergabe vorbereiten: Mitarbeiter, Lieferanten und Partner über die geplante Übergabe informieren und neuen Inhaber oder neue Inhaberin im gesamten Netzwerk einführen.
- Kaufvertrag unterschreiben: Bei externen Käufern fließt danach Geld und die Übergabe ist vollzogen.
- Handwerkszeichen in Gold für Wollseifer — 20. Februar 2023
- Programmkomitee nimmt Arbeit für OTWorld 2024 auf — 13. Februar 2023
- Austausch auf Augenhöhe — 8. Februar 2023