Hilfs­mit­tel­ma­trix Cere­bral­pa­re­se 2.0 vorgestellt

Die 2016 veröffentlichte „Hilfsmittelmatrix Cerebralparese – eine Orientierungshilfe für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit CP“ wurde jetzt von einer multidisziplinären Arbeitsgruppe überarbeitet und aktualisiert.

Vor acht Jah­ren wur­de die „Hilfs­mit­tel­ma­trix Cere­bral­pa­re­se – eine Ori­en­tie­rungs­hil­fe für die Behand­lung von Kin­dern und Jugend­li­chen mit CP“ des Ver­eins „Netz­werk Cere­bral­pa­re­se e. V. – Ver­ein zur För­de­rung ver­netz­ter CP-Ver­sor­gung“ ver­öf­fent­licht und ist seit­dem eine Leit­plan­ke für alle Betei­lig­ten in der Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung von Kin­dern und Jugend­li­chen mit CP. Die mul­ti­dis­zi­pli­nä­re Arbeits­grup­pe des Ver­eins, bestehend aus Vertreter:innen der Ortho­pä­die-Tech­nik, Ortho­pä­die-Schuh­tech­nik, Medi­zin mit dem Schwer­punkt Neu­ro­or­tho­pä­die sowie Phy­sio- und Ergo­the­ra­pie hat sich zusam­men­ge­tan und ein Update für die Hilfs­mit­tel­ma­trix erstellt. Dies war nötig, weil es seit der Erst­ver­öf­fent­li­chung Feed­back aus der Pra­xis gab, an wel­chen Stel­len die ursprüng­lich ver­öf­fent­lich­te Matrix noch Poten­zia­le hat.

„An der Struk­tur und Anwen­dungs­wei­se der Matrix hat sich nichts geän­dert und sie wird unver­än­dert fort­ge­führt“, erklärt Peter Fröh­lings­dorf stell­ver­tre­tend für die Arbeits­grup­pe bestehend aus Dr. Björn-Chris­ti­an Veh­se, Ste­fan Stein­e­bach, Jens Dol­lig­keit, Burk­hard Pütt­mann, Gun­nar Kan­del, Andrea Espei und Chris­tof Tenck­hoff. Die Hilfs­mit­tel­ma­trix zeigt, in Abhän­gig­keit vom GMFCS-Level (Gross Motor Func­tion Clas­si­fi­ca­ti­on Sys­tem) und Alter der Patient:innen, die mög­li­chen Hilfs­mit­tel­grup­pen auf, die in dem jewei­li­gen Bereich ein sinn­vol­ler Bestand­teil der The­ra­pie und des All­tags sein kön­nen. Es wird aus­drück­lich dar­auf hin­ge­wie­sen, dass es sich um Emp­feh­lun­gen im Sin­ne von Leit­plan­ken han­delt und nicht um eine Standar­disierung oder gar um Aus­schluss­kri­te­ri­en bezie­hungs­wei­se eine Negativliste.

Im Bereich der Ortho­pä­die-Tech­nik wur­de bei der ers­ten Fas­sung der Hilfs­mit­tel­ma­trix eine dif­fe­ren­zier­te Unter­tei­lung der Ver­sor­gung­mög­lich­kei­ten im Bereich der unte­ren Extre­mi­tät vor­ge­nom­men. Die Ver­sor­gun­gen der obe­ren Extre­mi­tät, sei­en es Funk­ti­ons- oder Lage­rungs­or­the­sen, wur­den sei­ner­zeit in einem Punkt zusam­men­ge­fasst. „Da die Ver­sor­gun­gen der obe­ren Extre­mi­tät bei Patient:innen mit Cere­bral­pa­re­se jedoch einen wich­ti­gen Aspekt zur Teil­ha­be in ihrem Lebens­um­feld dar­stel­len, haben wir bei der Über­ar­bei­tung der bis­her vor­lie­gen­den Hilfs­mit­tel­ma­trix die­sen Bereich neu ein­ge­teilt. Die neu­en Unter­tei­lun­gen im Bereich der Ver­sor­gun­gen der obe­ren Extre­mi­tät lau­ten ‚funk­tio­nel­le Hand­orthe­sen‘, ‚funk­tio­nel­le Unter­arm-Hand­orthe­sen‘ und ‚Lage­rungs­or­the­sen obe­re Extre­mi­tät‘“, erklärt Fröh­lings­dorf. Die Funk­ti­ons­or­the­sen sol­len die Akti­vi­tät der Patien:innen unter­stüt­zen. Ob das defi­nier­te Ver­sor­gungs­ziel von einer kon­fek­tio­nier­ten oder indi­vi­du­ell her­ge­stell­ten Orthe­se zu errei­chen ist, hängt von der jewei­li­gen Fra­ge­stel­lung des Pati­en­ten ab. Indi­vi­du­ell her­ge­stell­te Orthe­sen wer­den über­wie­gend in Sili­kon­tech­nik gefer­tigt. Die „funk­tionelle Hand­orthe­se“ hat über­wie­gend die Funk­ti­on, den Dau­men vor dem Ein­schla­gen in die Han­din­nen­flä­che zu bewah­ren und ihn in einer zweck­mä­ßi­gen Funk­ti­ons­stel­lung (Oppo­si­ti­on) zu hal­ten. Sie kann zusätz­lich, wenn not­wen­dig, die Fin­ger vor einer zu star­ken Beu­gung im Fin­ger­grund­ge­lenk schüt­zen und so die Hand­funk­ti­on bewahren.

Die „funk­tio­nel­le Unter­arm-Hand­orthe­se“ kann, über die Funk­tio­nen der „funk­tio­nel­len Hand­orthe­se“ hin­aus, Ein­fluss auf die Stel­lung des Hand­ge­len­kes neh­men. Dies ist mög­lich, weil der Schaft bei die­ser Orthe­se nach pro­xi­mal über das Hand­ge­lenk hin­aus am Unter­arm anliegt. Dabei rich­tet sich die Län­ge des Schaf­tes nach der auf­zu­brin­gen­den Kraft, die benö­tigt wird, um das Hand­ge­lenk zu kor­ri­gie­ren. Die „funk­tio­nel­le Unter­arm-Hand­orthe­se“ kann dadurch bau­art­be­dingt sowohl Ein­fluss auf die Beu­gung oder Stre­ckung des Hand­ge­lenks als auch auf die Ulnar- oder Radi­al­duk­ti­on nehmen.

Rumpfor­the­sen wur­den bis­her in der Matrix nicht berück­sich­tigt. Da sie jedoch im All­tag regel­mä­ßig zur Anwen­dung kom­men, wur­den sie nun in die Über­sicht auf­ge­nom­men. Zu den Rumpfor­the­sen zäh­len einer­seits sta­bi­li­sie­rend-teil­fle­xi­ble Kor­set­te für die GMFCS-Level III‑V sowie dyna­misch-akti­vie­ren­de für die Level II und III aus elas­ti­schem Gewe­be oder Gewirk. Teil­fle­xi­ble Kor­set­te haben meh­re­re Auf­ga­ben. Prin­zi­pi­ell sol­len sie die nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen der Schwer­kraft begren­zen. Sie sol­len sta­bi­li­sie­ren und die Auf­rich­tung des Rump­fes unter­stüt­zen sowie bima­nu­el­le Akti­vi­tä­ten und die Kopf­kon­trol­le erleich­tern. Durch die­se Vor­tei­le ist eine ver­bes­ser­te Teil­ha­be zu erwar­ten. Dar­über hin­aus kön­nen Rumpfor­the­sen durch eine Wachs­tums­len­kung dazu bei­tra­gen, Defor­mi­tä­ten des Rump­fes zu ver­mei­den und die Lungenfunk­tion zu erhal­ten. Dyna­misch-akti­vie­ren­de Rumpfor­the­sen kön­nen zu einem Aus­gleich von Mus­kel­dys­ba­lan­cen und leich­ten Fehl­hal­tun­gen ver­hel­fen. Die Haupt­wir­kung liegt in einer ver­bes­ser­ten Pro­prio­zep­ti­on und Tonus­re­gu­la­ti­on, wodurch geziel­te Akti­vi­tä­ten erleich­tert wer­den können.

Im Bereich der Reha-Hilfs­mit­tel wur­de die Bade­lie­ge durch den über­ge­ord­ne­ten Bereich der Bad- und Toi­let­ten­hil­fen ersetzt. „In die­ser Kate­go­rie ist unbe­dingt auf die räum­li­chen Gege­ben­hei­ten im häus­li­chen Umfeld zu ach­ten. Im Säug­lings­be­reich der GMFCS Level IV und V kön­nen Bade­hil­fen eine Ent­las­tung für die pfle­gen­den Ange­hö­ri­gen dar­stel­len“, weist Fröh­lings­dorf hin. Im Bereich der Sitz­scha­len-Ver­sor­gung wur­de eine Ände­rung im Bereich Level III des Alters­kor­ri­dors von 12 bis 18 Jah­re vor­ge­nom­men. „Wir befür­wor­ten Sitz­scha­len bezie­hungs­wei­se indi­vi­du­ell ange­pass­te Sitz-Rücken­or­the­sen zum Ein­satz in Adap­tiv- bezie­hungs­wei­se Aktiv­roll­stüh­len, um durch die rumpf­sta­bi­li­sie­ren­de Wir­kung den Ein­satz der Arme zur eigen­stän­di­gen Fort­be­we­gung zu for­cie­ren“, führt Fröh­lings­dorf wei­ter aus. Um die Bedeu­tung der eigen­stän­di­gen Fort­be­we­gung für Pati­en­ten in Level III her­vor­zu­he­ben, wur­de der Bereich „Unter­ge­stell“ her­aus­ge­nom­men, da sich die­se kaum zum Selbst­fah­ren eignen.

Hin­zu­ge­fügt wur­de in Level III für den Alters­kor­ri­dor 12 bis 18 Jah­re eine Schie­be­hil­fe, die für die Erschlie­ßung des wohn­ort­na­hen Umfel­des von Bedeu­tung sein kann und somit die Teil­ha­be posi­tiv beeinflusst.

Die aktua­li­sier­te Hilfs­mit­tel­ma­trix wird wei­ter­hin im DIN-A4-For­mat aus­ge­ge­ben, da es sich in der Pra­xis der inter­dis­zi­pli­nä­ren Sprech­stun­den bewährt hat.

„Die Aktua­li­sie­rung der Hilfs­mit­tel­ma­trix mar­kiert aus unse­rer Sicht einen pra­xis­re­le­van­ten Schritt hin zur kon­ti­nu­ier­li­chen Ver­bes­se­rung inter­dis­zi­pli­nä­rer Hilfs­mit­tel-Sprech­stun­den für Kin­der und Jugend­li­che mit CP. Wir sind davon über­zeugt, dass die­se Wei­ter­ent­wick­lung der Matrix dazu bei­tra­gen wird, die Gewähr­leis­tung der ICF-Aspek­te von Patient:innen mit Hilfs­mit­tel­be­darf zu opti­mie­ren. Die Pra­xis der Ortho­pä­die-Tech­nik ist von Natur aus mul­ti­dis­zi­pli­när, und die Anwen­dung die­ser aktua­li­sier­ten Matrix soll die Zusam­men­ar­beit zwi­schen Fach­leu­ten aus ver­schie­de­nen Berei­chen wei­ter stär­ken. Eine effi­zi­en­te Kom­mu­ni­ka­ti­on und Abstim­mung zwi­schen den Betei­lig­ten ist von ent­schei­den­der Bedeu­tung, um Patient:innen die best­mög­li­che Ver­sor­gung zukom­men zu las­sen. Wir dan­ken allen Exper­ten des Hilfs­mit­tel­mo­duls des Netz­wer­kes Cere­bral­pa­re­se e. V. für die enga­gier­te Zusam­men­ar­beit“, fasst Peter Fröh­lings­dorf zusammen.

Die Hilfs­mit­tel­ma­trix kön­nen Sie im Inter­net abrufen.

 

Lite­ra­tur

Hilfs­mit­tel­ma­trix Cere­bral­pa­re­se – eine Ori­en­tie­rungs­hil­fe für die Behand­lung von Kin­dern mit CP, P. Fröh­lings­dorf, B. C. Veh­se, D. Herz, S. Stein­e­bach, Ortho­pä­die Tech­nik, OT Ver­lag, Aus­ga­be Juli 2016

Arbeits­kreis Neu­ro­or­tho­pä­die der Öster­rei­chi­schen Gesell­schaft für Ortho­pä­die und ortho­pä­di­sche Chir­ur­gie, Stan­dards der ortho­pä­die­tech­ni­schen Ver­sor­gung von Kin­dern und Erwach­se­nen mit neu­ro­mo­to­ri­schen Erkran­kun­gen, 2012

Pali­s­a­no R et al. (1997) Deve­lo­p­ment and vali­da­ti­on of a gross motor func­tion clas­si­fi­ca­ti­on sys­tem for child­ren with cere­bral pal­sy. Dev Med Child Neu­rol 39: 214–223

Klas­si­fi­ka­ti­on und The­ra­pie­kur­ven für Kin­der mit Cere­bral­pa­re­sen, Ver­si­on 2009 für Focus Cere­bral­pa­re­sen, Modi­fi­zier­tes ZEBRA-Con­sen­sus-Doku­ment. http://cp-netz.uniklinik-freiburg.de/cpnetz/live/aerzte-therapeuten/definintionen-erlaeuterungen/gmfcs.html (Zugriff am 05.04.2016)

WHO, World Health Orga­niza­ti­on. ICF, Inter­na­tio­nal Clas­si­fi­ca­ti­on of Func­tio­ning, Disa­bi­li­ty and Health. WHO Libra­ry Cata­lo­guing in Publi­ca­ti­on Data, ISBN 92 4154544 5, 2001

World Health Orga­ni­sa­ti­on ICF-CY Inter­na­tio­na­le Klas­si­fi­ka­ti­on der Funk­ti­ons­fä­hig­keit, Behin­de­rung und Gesund­heit bei Kin­dern und Jugend­li­chen; J, Kraus de Camar­go. Hans Huber, Bern (CH) Hog­re­fe vor­mals Hollenweger 

 

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