FOT-Jah­res­kon­gress: Tech­no­lo­gien auf dem Prüfstand

Der 67. Jahreskongress der Fortbildungsvereinigung für Orthopädie-Technik (FOT) Ende September in Nürnberg beschäftigte sich u. a. mit der Frage, ob sich die Technische Orthopädie derzeit in einer Zeitenwende befindet.

Bis nächs­ten Som­mer will sich die Wis­sen­schaft dar­auf ver­stän­digt haben, ob die Erde sich in einem neu­en geo­lo­gi­schen Zeit­al­ter, dem Anthro­po­zän, befin­det. Kon­kret geht es um eine Datie­rung Mit­te des 20. Jahr­hun­derts, als Plu­to­ni­um infol­ge der glo­ba­len Atom­waf­fen­tests erst­mals welt­weit nach­weis­bar gewe­sen ist. Der 67. Jah­res­kon­gress der Fort­bil­dungs­ver­ei­ni­gung für Ortho­pä­die-Tech­nik (FOT) wie­der­um ging Ende Sep­tem­ber der Fra­ge nach, ob sich die Tech­ni­sche Ortho­pä­die der­zeit in einer Zei­ten­wen­de befin­det – sei es im sozi­al­ge­sell­schaft­li­chen Gesamt­kon­text oder auch kon­kret auf das eige­ne Fach bezo­gen. „Da kommt vie­les auf uns zu“, kom­men­tier­te Prof. Dr. med. Frank Bra­atz im Namen der Ver­ei­ni­gung Tech­ni­sche Ortho­pä­die in sei­nem digi­ta­len Gruß­wort in Bezug auf die digi­ta­le Trans­for­ma­ti­on der Bran­che und füg­te als Zwi­schen­fa­zit hin­zu: „Das Hand­werk dahin­ter wird wich­tig blei­ben.“ Bereits zuvor hat­te OTM Micha­el Schä­fer als Ver­tre­ter der ISPO Deutsch­land gemahnt: „Hin­ter­fra­gen Sie neue Tech­no­lo­gien! Stel­len Sie sie auf den Prüfstand!“

Was kann Künst­li­che Intelligenz?

Oblag es zunächst der Indus­trie, am ers­ten Ver­an­stal­tungs­tag in der Nürn­ber­ger Meis­ter­sin­ger­hal­le dem Fach­pu­bli­kum ihre aktu­el­len Pro­dukt­in­no­va­tio­nen zu prä­sen­tie­ren, befass­te sich Jour­na­list Alex­an­der Jung­kunz am Sams­tag bei sei­nem Eröff­nungs­vor­trag mit dem Ein­fluss der Künst­li­chen Intel­li­genz (KI). Sei­ne The­se: „KI wird die Berufs­welt ver­än­dern“. Aller­dings in ers­ter Linie nicht zum Schlech­ten in Form von weni­ger Arbeits­plät­zen, son­dern vor allem als Ant­wort auf den vor­herr­schen­den Fach­kräf­te­man­gel. „Daten sam­meln, sich­ten, ana­ly­sie­ren – all das kann die KI.“ Für den Chef­re­dak­teur besitzt Künst­li­che Intel­li­genz u. a. das Poten­zi­al, zukünf­tig ver­stärkt in der Medi­zin als Sicher­heits­sys­tem ein­ge­setzt zu wer­den. Was dies in der Pra­xis zur Fol­ge haben könn­te, kon­kre­ti­sier­te Prof. Dr. med. Georg Oster­hoff im Namen der DGOU als „eine maß­ge­schnei­der­te, indi­vi­du­el­le Ver­sor­gung jedes Pati­en­ten“.  Ob Robo­ter, der 3D-Druck oder Weara­bles, der Fort­schritt der Digi­ta­li­sie­rung und der KI in der Tech­ni­schen Ortho­pä­die sei in vol­lem Gan­ge, so die Ana­ly­se von Prof. Osterhoff.

Wäh­rend das Feed­back der Teilnehmer:innen (jeweils rund 150 an den ers­ten bei­den Tagen und knapp 100 am Sonn­tag) auf den The­men­block „Tele­me­di­zin“ in der anschlie­ßen­den Pau­se zwar weit­rei­chend posi­tiv aus­fiel, wur­de die Opti­on zur Dis­kus­si­on mit den Referent:innen zunächst nur zurück­hal­tend genutzt. Dabei hat­te etwa Phy­sio­the­ra­peu­tin Johan­na Pleus auf wich­ti­ge Bau­stel­len in der Ver­sor­gung hin­ge­wie­sen, wie z. B., dass „inter­pro­fes­sio­nel­le Zusam­men­ar­beit ins­be­son­de­re im ambu­lan­ten Bereich viel zu wenig ver­gü­tet wird“. Die Inter­ak­ti­on zwi­schen Redner:innen und Publi­kum ent­wi­ckel­te sich bei den Schwer­punk­ten all­ge­mei­ner Ver­sor­gungs- und Soft­ware-Lösun­gen sowie Hilfs­mit­tel im Bereich der obe­ren Extre­mi­tät dann aber mehr und mehr zum Positiven.

Denk­an­stö­ße abseits der Profession

Exem­pla­risch genannt wid­me­te sich Tho­mas Stief dem Mehr­wert der 3D-Druck-Tech­no­lo­gie in der Fuß­ver­sor­gung, Tobi­as Wal­ter prä­sen­tier­te ein Exo­ske­lett für Pfleger:innen, Chris­ti­an Bredl stell­te als Ver­tre­ter der Kos­ten­trä­ger-Sei­te die digi­ta­len Akti­vi­tä­ten der Tech­ni­ker Kran­ken­kas­se vor und Frank Nau­mann brach­te krea­ti­ve Lösungs­an­sät­ze für Greif- und Funk­ti­ons­hil­fen in der Indi­vi­du­al­ver­sor­gung in den Kon­gress ein. Die Orga­ni­sa­to­ren aus den Rei­hen der FOT ver­ste­hen es Jahr für Jahr, ein Pro­gramm zusam­men­zu­stel­len, das einer­seits inter­es­san­te Ein­bli­cke in die Werk­stät­ten und Sani­täts­häu­ser der Bran­che gewährt, ande­rer­seits aber auch über den Tel­ler­rand der eige­nen Pro­fes­si­on hin­aus span­nen­de Denk­an­stö­ße liefert.

Ein gutes Händ­chen für Talen­te beweist die Fort­bil­dungs­ver­ei­ni­gung tra­di­tio­nell auch bei der Ver­ga­be der FOT-Diplo­me, die beson­de­re Meis­ter­stü­cke, aber seit eini­ger Zeit eben­falls Bache­lor- und Mas­ter­ar­bei­ten prä­mie­ren. In die­sem Jahr fiel es den Juro­ren beson­ders schwer, eine Aus­wahl zu tref­fen und so prä­sen­tier­ten in Nürn­berg am Sonn­tag­mor­gen statt der übli­chen drei sogar vier Gewinner:innen ihre „aus­ge­zeich­ne­ten“ Wer­ke. Die Band­brei­te der Arbei­ten von Jan Vorm-Bro­cke, Robert Pan­kratz, Georg All­men­din­ger und Alex­an­dra Reim reich­te von einer myo­elek­tri­schen Ober­arm­pro­the­se bis zur was­ser­fes­ten KAFO-Ver­sor­gung. Lei­der nutz­te das Publi­kum wie schon am Sams­tag­vor­mit­tag nur bedingt die Gele­gen­heit zum fach­li­chen Aus­tausch mit dem OT-Nach­wuchs. Hier hät­ten die Gewinner:innen sicher­lich ein grö­ße­res Feed­back sei­tens des Audi­to­ri­ums ver­dient gehabt.

Mit den The­men­schwer­punk­ten „For­schung und Ent­wick­lung“ sowie der Vor­stel­lung kom­ple­xer Ver­sor­gun­gen fand der Jah­res­kon­gress schließ­lich sei­nen Aus­klang. Beson­ders her­vor­he­ben lässt sich hier­aus bei­spiels­wei­se noch das Pro­jekt „Vario­Foot“, vor­ge­stellt von Dipl.-Ing. Timm Kolod­zie­jc­zak aus dem Hau­se OT Schar­pen­berg. Sein Team arbei­tet aktu­ell an einem Pro­the­sen­fuß, der zukünf­tig in der Lage sein soll, sen­so­ri­sches Feed­back an den Anwen­der zurück­zu­spie­len. Die Fas­zi­na­ti­on des tech­no­lo­gi­schen Fort­schritts spie­gel­te eben­so der Vor­trag von Prof. Dr. David Lie­be­tanz wider, der an der Kli­nik für Neu­ro­lo­gie der Uni­ver­si­täts­me­di­zin Göt­tin­gen seit eini­gen Jah­ren dar­an arbei­tet, eine Pro­the­sen­steue­rung über die Ohr­mus­ku­la­tur zu realisieren.

Die Aus­gangs­fra­ge, ob sich die Tech­ni­sche Ortho­pä­die denn aktu­ell in einer Zei­ten­wen­de befin­det, lässt sich für den Augen­blick mit einem ein­deu­ti­gen „Jein“ beant­wor­ten.  Der tech­no­lo­gi­sche Fort­schritt hin­ter­lässt, das haben Her­stel­ler­tag und Fach­pro­gramm in Nürn­berg unter­stri­chen, auch in vie­len Berei­chen der Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung sei­ne Spu­ren. Gleich­zei­tig ver­liert sich das Fach nicht in einem uto­pi­schen und über­stürz­ten dis­rup­ti­ven Ver­wand­lungs­pro­zess. Künst­li­che Intel­li­genz z. B. kann und wird ihren spür­ba­ren Bei­trag leis­ten, aber von zen­tra­ler Bedeu­tung blei­ben hand­werk­li­che Fähig­kei­ten und deren Wei­ter­ent­wick­lung – auch mit­hil­fe digi­ta­ler Unter­stüt­zungs­pro­zes­se – zum Woh­le der Patient:innen.

Micha­el Blatt

Wech­sel im FOT-Vorstand
Am Ran­de des Jah­res­kon­gres­ses hat die Fort­bil­dungs­ver­ei­ni­gung ihre Vor­stands­wah­len für das Jahr 2024 abge­hal­ten. Dabei ist Prä­si­dent Ingo Pfef­fer­korn eben­so in sei­nem Amt bestä­tigt wor­den wie sein Stell­ver­tre­ter Tho­mas Mit­zen­heim und die 3. Prä­si­den­tin Mona Sei­fert-Macie­jc­zyk. Eine Ver­än­de­rung hat es im wei­te­ren Vor­stand gege­ben. Tobi­as Bau­er hat sich aus dem Ehren­amt bei der FOT zurück­ge­zo­gen, da er seit Ende ver­gan­ge­nen Jah­res als neu gewähl­ter Stell­ver­tre­ten­der Ober­meis­ter der Lan­des­in­nung Baden-Würt­tem­berg dort ver­stärkt ein­ge­bun­den ist. Neu im Vor­stand der Fort­bil­dungs­ver­ei­ni­gung ist statt­des­sen Kath­rin Jen­sen, vor zwei Jah­ren noch Preis­trä­ge­rin des FOT-Diploms. In ihren Ämtern bestä­tigt wur­den: Petra Engel, Rapha­el Gie­se, Ralph Beth­mann, Prof. Dr. Ann-Kath­rin Höm­me, Robert Hel­bing, Dr. med. Jen­ni­fer Ernst und Roland Dötzer. 
Tobias Bauer (3. v. l.) hat sich nicht mehr zur Wiederwahl für den FOT-Vorstand um Präsident Info Pfefferkorn (4. v. r.) gestellt. Ab 2024 wird stattdessen Katrin Jensen dem Gremium fest angehören. Foto: BIV-OT/Blatt
Tobi­as Bau­er (3. v. l.) hat sich nicht mehr zur Wie­der­wahl für den FOT-Vor­stand um Prä­si­dent Info Pfef­fer­korn (4. v. r.) gestellt. Ab 2024 wird statt­des­sen Kat­rin Jen­sen dem Gre­mi­um fest ange­hö­ren. Foto: FOT

 

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