Sie hilft ihm dabei, die betroffene Extremität in sein Körperschema zu integrieren sowie Überlastungsbeschwerden der anderen Extremität vorzubeugen oder zu reduzieren [1, 2]11.
Teilhandamputationen sind weltweit die am häufigsten auftretenden arbeitsplatzbedingten Amputationen im Bereich der oberen Extremität. Sie verlaufen distal des Handgelenks oder durch das Handgelenk hindurch, ohne seine Beweglichkeit zu beeinträchtigen [3]1. Im Vergleich zu einer Vollhandprothese ist die Versorgung mit einer myoelektrischen Teilhandprothese noch relativ unbekannt [4]1. Ihre Anpassung ist sehr komplex und setzt eine hohe fachliche Kompetenz voraus.
Frühestmögliche Rehabilitation essenziell
Studien kommen zu dem Schluss, dass eine frühzeitige Versorgung, ein erfahrenes interdisziplinäres Team, die Edukation und das ergotherapeutische Training einen entscheidenden Einfluss auf die Akzeptanz einer Prothese haben. Sie ermöglichen oder verbessern die gesellschaftliche Teilhabe der Menschen mit Amputation. Patienten, die eine frühzeitige Therapie erhalten, zeigen einen größeren Rehabilitationserfolg, kehren früher an ihren Arbeitsplatz zurück und geben geringeren amputationsbedingten Schmerz an [5]1. Für ein zufriedenstellendes Ergebnis und eine langfristige Nutzung der Prothese ist die Zusammenarbeit zwischen Chirurg, Orthopädietechniker und Therapeuten von besonderer Bedeutung. Ob der Patient die Prothese akzeptiert, hängt von der Höhe und Art der Amputation (uni- oder bilateral), der frühzeitigen Rehabilitation und dem korrekten Sitz der Prothese ab. Psychologische Unterstützung hilft bei der Verarbeitung des Geschehens. Ziel der therapeutischen Maßnahmen ist die Wiederherstellung oder der Ersatz wichtiger Bewegungsabläufe, damit der Patient seinen Alltag wieder möglichst selbstständig meistern kann. Eine Prothesengebrauchsschulung macht ihn mit dem Hilfsmittel vertraut und unterstützt den Patienten im Lernprozess, um einen sicheren Umgang und eine langfristige Nutzung der Prothese zu gewährleisten [6]1.
Ergebnismessung noch nicht standardisiert
Durch die Entwicklung neuer Prothesenarten für die Hand ist die systematische, valide und reliable Ergebnismessung in den letzten Jahren vermehrt in den Fokus von Fachkreisen getreten [7, 8]11. Eine standardisierte Ergebnismessung, die sich an den Vorgaben der ICF orientiert, findet in Deutschland noch nicht routinemäßig statt [9]1. Messinstrumente aus dem englischsprachigen Raum können nicht ohne korrekte Übersetzung und Validierung eingesetzt werden. Es gilt künftig zu eruieren, welche der Messinstrumente im deutschsprachigen Raum Verwendung finden sollten.
Ein Arbeitsfeld für die Ergotherapie
Patienten, die ihre Prothese ablehnen, geben unter anderem als Grund dafür ein unzureichendes Training an. Das zeigt, wie wichtig die intensive Schulung und Weiterbildung der Therapeuten ist. Im Bereich der myoelektrischen Prothesen hat sich in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung vollzogen. Für die Ergotherapie ergibt sich ein breites Feld, das ein interdisziplinäres Arbeiten erfordert.
Der Fall
Herr Faber* (*Name von der Redaktion geändert) zog sich 2015 im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Anlagenfahrer in einem mittelständischen Unternehmen eine Walzenquetschverletzung des rechten Armes zu. Der Unfall ereignete sich während der Nachtschicht. Bei der Herstellung von Kabeln wurde sein Arm in das Spaltmesser der Kabelabzugsmaschine gezogen. Die Hand musste mit technischen Geräten befreit werden. Er wurde sofort mit dem Notarzt in die Notaufnahme gebracht. Die Finger waren gequetscht und frakturiert, sodass eine Replantation der Strukturen nicht möglich war. Zum Zeitpunkt des Unfalls war Herr Faber 22 Jahre alt und wohnte im ländlichen Raum im Haus der Eltern. Er ist kontaktfreudig und hat einen guten Rückhalt im Freundeskreis. In seiner Freizeit ist er aktiver Spieler im örtlichen Fußballverein. Während seiner Rehabilitation unterstützte ihn sein Arbeitgeber jederzeit. Herr Faber ist nun wieder im Unternehmen tätig.
Handchirurgie
Bei schweren Handverletzungen sind die Entscheidungen immer individuell zu treffen: Je jünger und aktiver ein Patient ist, desto mehr sollte ein Rekonstruktions- oder Replantationsversuch angestrebt werden. Dies ist jedoch oft mit einem größeren Zeitaufwand, psychischen und physischen Belastungen und vielen Operationen verbunden. Nach dem Debridement (Wundhygiene) mit Entfernung von zerstörtem Gewebe und Sortieren der einzelnen Strukturen überprüfen wir das Gefäßsystem: Der Zustand der Arterien entscheidet über eine Rekonstruktion beziehungsweise Replantation.
Untersuchung
Im Operationssaal zeigte sich bei Herrn Faber eine horizontale längsgerichtete Spaltverletzung der gesamten rechten Hand. Sie wies mehretagige Amputationsverletzungen der Langfinger auf Grundgelenkshöhe auf. Zudem lag eine horizontale Schnittebene wechselnden Verlaufes vor, von den Mittelhandknochen bis zum dorsalen distalen Radius unter Bildung eines palmaren und dorsalen Weichteillappens.
Maßnahmen
Die Hand wies schwerwiegende Unterbrechungen des Gefäßsystems auf. Auch die Weichteile waren so massiv zerstört, dass eine komplexe Rekonstruktion technisch nicht möglich war. Aus diesem Grund musste die Amputation der rechten Hand am Daumen auf Höhe des Grundgelenks sowie im Bereich der Langfinger distal der Handwurzelknochen durchgeführt werden. Ein aus der palmaren Hohlhand gebildeter Weichteillappen wurde über den knöchernen Stumpf geschwenkt und so wurden eine gute Sensibilität und Polsterung erzielt. Daneben wurden ein abgeschertes, distales Radiusfragment mittels Schraube und die Handwurzelknochen mit Drähten refixiert. Zusätzlich erfolgte die Refixation der Strecksehnen an der distalen Handwurzel zur Erhaltung des Streckapparates im Sinne eines motorischen Ersatzes.
Ergebnisse
Die Wunden heilten problemlos ab, und die Schwellung wurde durch Lymphdrainagen gemindert (Abb. 1). Sieben Wochen später wurden die Drähte entfernt. Die Ergotherapeutin begann mit der Beübung der Handgelenksbeweglichkeit sowie dem Training der Unterarmmuskulatur. Die Restanteile der Hand konnten über die efferenten Nervenbahnen gut angesteuert werden. Um eine Basis-Greiffunktion der Hand wiederherzustellen, wären viele operativ aufwendige Maßnahmen nötig, jedoch mit ungewissem Ergebnis. Zusammen mit dem Patienten entschied man sich für eine myoelektrische Teilhandprothese. In der Handsprechstunde besprachen Herr Faber, der Orthopädie-Techniker, die Handchirurgin, die Ergotherapeutin und eine Vertreterin des Kostenträgers ihre Vorstellungen und Erwartungen und leiteten die Prothesenversorgung ein. Nach der Probeversorgung und erstem Training mit der myoelektrischen Teilhandprothese zeigten sich gute Erfolge. Herr Faber lernte schnell, die Prothese anzusteuern und sie im Alltag sowie im Berufsleben einzusetzen, sodass er heute wieder im Lager seines Unternehmens tätig sein kann.
Ergotherapie
Beim ersten Treffen mit Herrn Faber in der stationären Ergotherapie zwei Tage nach der Operation stellte eine ellenbogenübergreifende Schiene seinen rechten Arm ruhig, und sein Stumpf war verbunden. Er hatte phasenweise leichte (Phantom-)Schmerzen. In der Ergotherapie wurden ihm ödemreduzierende Übungen gezeigt, die er regelmäßig durchführte. Vorsichtig wurden in der Behandlung erste Berührungsreize zur Stumpfdesensibilisierung gesetzt. Nach sechs Wochen wurde im Rahmen der Therapie die Schiene entfernt und es begann die Mobilisation am Unterarm. Herr Faber lernte aktive und assistive Bewegungsübungen für die Extension und Flexion des Ellenbogens sowie für die Pronation und Supination des Unterarmes kennen. Trainiert wurden außerdem erste Bewegungen im Handgelenk und im Daumensattelgelenk. Dann begann das Einhändertraining und die Therapeutin gab Tipps zur Selbstversorgung unter Einsatz von Hilfsmitteln, zum Beispiel mit einer Anti-Rutsch-Unterlage.
Untersuchung
In der ambulanten Ergotherapie wurde mit Assessments zur Funktion begonnen, den aktuellen Betätigungen und dem Teilhabestatus. Dabei wurden Defizite der Bewegung in Handgelenk und Ellenbogen, der Durchblutung, der Sensorik sowie eine derbe Narbe am Stumpf festgestellt. Alltagsaktivitäten waren in wesentlichen Bereichen nur eingeschränkt möglich. Dazu zählte das Zubereiten von Essen, der Gebrauch von Messer und Gabel und das Schließen eines Reißverschlusses. In diesen Bereichen lagen die Betätigungsanliegen des Patienten, die er wieder selbstständig verrichten wollte.
Maßnahmen
Thermische Anwendungen verbesserten die Durchblutung im Amputationsgebiet. Die Narben wurden mittels Massage und Silikonauflagen behandelt. Herr Faber lernte, auf ein ausgeglichenes Körperschema zu achten, da sich rechts ein Schulterhochstand entwickelte. Nach der Anpassung einer Probeprothese konnte der Patient sie drei Wochen im häuslichen Umfeld und in der Therapie testen. Herr Faber führte zunächst grob- und dann feinmotorische Greifbewegungen mit der Prothese aus. Im Anschluss folgten Tätigkeiten wie Brot bestreichen und Wasser eingießen. Er beherrschte erstaunlich schnell die multiplen Funktionen seiner Teilhandprothese (Abb.2). Es war ihm zum Beispiel schon nach zwei Übungseinheiten möglich, beidhändig eine Schleife zu binden. Zur Erholung der ermüdeten Muskulatur waren zwischen den Übungsabschnitten Pausen wichtig. Bis zur endgültigen Prothesenversorgung trainierte Herr Faber neben den bisherigen Maßnahmen in der Therapie zweimal wöchentlich weiter die Myosignale der rechten Hand mittels Biofeedback. Hierbei sind Elektroden auf den impulsgebenden Muskeln befestigt. Sie übertragen die Potenziale in eine Software. So werden die Signaltrennung und ‑intensität sowie die Kombination von Signalen (Co-Kontraktion, Doppel- und Dreifachimpulse) geübt, welche die unterschiedlichen Greifbewegungen auslösen.
Ergebnisse
Mit der endgültigen Prothesenversorgung neun Monate nach dem Unfall wurden die Assessments wiederholt und weitere Ziele formuliert. Die Ergotherapeutin begleitete den Prozess der Arbeitserprobung, indem sie mit Herrn Faber seine beruflichen Aufgaben analysierte und die Handlungsmöglichkeiten mit der Prothese entwickelte. Herr Faber nutzt seine Prothese teilweise bei der Arbeit und im häuslichen Umfeld regelmäßig. Er besitzt eine Silikonhand, die er bei Bedarf in der Öffentlichkeit trägt. Nach dem schweren Verlust der Hand kann er seinen Aktivitäten mit diesem Hilfsmittel nachgehen und normal am Leben teilhaben.
Orthopädie-Technik
Herr Faber entschied sich nach der Operation zusammen mit dem betreuenden Sanitätshaus im Össur-Schulungszentrum eine Testversorgung durchzuführen, zu lassen, um so die Vorteile einer möglichen prothetischen Versorgung kennenzulernen. Die Anpassung ist je nach Verletzungsmuster sehr individuell und mit einem hohen Versorgungsaufwand verbunden. Im Rahmen einer Testversorgung wurde das verbliebene Bewegungsausmaß der Extremität und des Handgelenks des Patienten anhand von Bildern und mit
Videoaufnahmen beurteilt. Die Indikation für eine Teilhandprothese ist sehr individuell zu stellen.
Untersuchung
In die Prothesenversorgung werden neben den anatomischen Gegebenheiten auch die berufliche, persönliche und soziale Situation des Patienten einbezogen. Herrn Faber waren folgende Dinge im Alltag wichtig: Tätigkeiten am Schreibtisch, Arbeiten mit dem PC, Handhabung von Mappen und Büchern, einkaufen gehen, Kleidung anziehen und die persönliche Hygiene. Generell ist es sehr wichtig, dass der Patient die Akzeptanz und die Bereitschaft besitzt, selbstständig mit der Prothese zu arbeiten. Er muss viel Zeit aufwenden (circa 20 Therapiestunden), um den Einsatz des Hilfsmittels mit der Ergotherapeutin zu trainieren. Während der Befundaufnahme prüften die Orthopädie-Techniker den Muskelstatus und den Bewegungsumfang der verbliebenen Gelenke. Im diesem Fall lag der Verlust von allen fünf Fingern und einem Stumpf ohne polsternde Weichteildeckung vor. Zudem waren die Muskeln des Unterarmes atrophiert und der Muskelstatus schwach. Im Bereich der Hand wurden die verbliebenen Muskeln bestimmt, die zur Steuerung der Prothese geeignet sind. Herr Faber nutzte den Thenar zum Schließen und den Hypothenar zum Öffnen der Hand.
Maßnahmen
Anschließend wurde ein Testschaft für die Testprothese konstruiert (Abb. 3). Bei Herrn Fabers Hand war es wegen vieler knöcherner Prominenzen und dünner Hautschicht besonders schwierig, eine exakte Passform zu finden. Sobald der Schaft gut saß, wurden die Prothesenfinger auf dem Testschaft positioniert. Während der ersten Übungen mit der Prothese wurde geprüft, ob Herr Faber Griffe wie den Lateral‑, den Zweipunkt- oder den Dreipunktgriff ausführen kann. Bereits in dieser Phase erfolgten ein intensives Training der Myosignale und ein erstes Grundlagentraining mit der Prothese. Herr Faber übte, einen Kegel, einen Ball und eine Karte aufzunehmen und zu transportieren, ohne den Gegenstand fallen zu lassen. Dies fiel ihm mit etwas Übung immer leichter, wodurch er mehr Vertrauen in die Prothese und seine Fähigkeiten erlangte. Sobald sichergestellt war, dass die Testprothese die optimale Passform aufwies, die Position der Finger korrekt war und der Patient die Griffe ohne Kompensationsbewegung ausführte, wurde die Definitivprothese gebaut.
Ergebnisse
Nach der Anpassung der endgültigen Prothese führte die Ergotherapeutin das Prothesentraining weiter durch. Das Ziel der Versorgung mit einer myoelektrischen Teilhandprothese ist immer der maximale Zugewinn an Funktion, um die selbständige Gestaltung des beruflichen und sozialen Lebens und damit die gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Dies ist im Falle von Herrn Faber gelungen.
Danksagung
Ein besonderer Dank geht an dieser Stelle an Dr. med. Stefanie Säuberlich, Oberärztin in der Thüringen Klinik Saalfeld, Christiane Adami, fachliche Leiterin der Ergotherapie mit Schwerpunkt Handtherapie im Universitätsklinikum Jena sowie an Rolanas Balcaitis, Dipl.-Ing. Orthopädietechniker der Össur Academy in Heidelberg für ihre Mitarbeit an dem Artikel.
Für die Autoren S. Breier, St. Säuberlich, Ch. Adami, R. Balcaitis:
Susanne Breier,
Ergotherapeutin, Cert. Handtherapeutin (DAHTH, EFSHT)
Össur Deutschland GmbH, Langer Anger 3, 69115 Heidelberg,
sbreier@ossur.com
Zuerst abgedruckt in: Ergopraxis 10/18, Seite 22–26
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