Fach­kräf­te­of­fen­si­ve OT war The­ma beim BIVdirekt-Talk

„Wir haben keinen Fachkräftemangel, sondern einen Kräftemangel!“ Mit dieser Aussage – formuliert während des BIVdirekt-Talks am 1. Februar – spricht Lars Grun, Vorstand im Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik und dort auch als Vorsitzender des Berufsbildungsausschuss tätig, vielen Betriebsinhaber:innen aus der Seele.

Im Sani­täts­haus, in den OT-Werk­stät­ten, in der Ver­wal­tung – über­all wer­den nicht nur hän­de­rin­gend Spezia­listen gesucht, son­dern selbst Quer­ein­stei­ger sind Man­gel­wa­re. Des­halb müs­sen Betriebsinhaber:innen häu­fig krea­tiv sein und sich auf neue Gege­ben­hei­ten in der Bezie­hung zu ihren Ange­stell­ten bzw. zukünf­ti­gen Beschäf­tig­ten ein­stel­len. Um dabei eine Hil­fe­stel­lung zu geben, star­te­te der Ver­lag OT im Janu­ar 2023 mit sei­ner Serie „Fachkräfte­offensive OT“. Anhand von Best-Prac­ti­ce-Bei­spie­len aus der Bran­che soll­ten die Betrie­be inspi­riert wer­den, es ihren Kolleg:innen nach­zu­ma­chen. Hei­ko Cor­des, Chef vom Dienst im Ver­lag OT, berich­te­te von der Aus­bil­dung im Ver­bund, die ein jun­ger Betrieb erfolg­reich in Koope­ra­ti­on mit ande­ren Betrie­ben in Ulm anbie­tet. Ein ande­res Bei­spiel ist ein Betrieb, der sein bestehen­des Per­so­nal über das Ren­ten­ein­tritts­al­ter hin­aus dazu moti­vie­ren kann, für ein paar Stun­den in der Woche noch in die Werk­statt oder das Büro zu kom­men. „Mit die­sen Bei­spie­len woll­ten wir zei­gen, was Betrie­be aktu­ell schon erfolg­reich umset­zen. Wich­tig war uns, dass wir bewusst nicht nur die ‚Gro­ßen‘ mit umfang­rei­chen Res­sour­cen vor­stel­len, son­dern auch zei­gen, dass selbst klei­ne Betrie­be mit einer guten Orga­ni­sa­ti­on und Mut ihre Fach­kräf­te aus­bil­den und auch hal­ten kön­nen“, so Cordes.

Was Aus­zu­bil­den­de bewegt, das stell­te Micha­el Blatt, Pro­gramm­lei­ter des Ver­lags und in Dop­pel­funk­ti­on auch Mode­ra­tor des Talks, anhand des Azu­bi-Baro­me­ters vor. Gemein­sam mit dem Max-Born-Berufs­kol­leg in Reck­ling­hau­sen hat­te der Ver­lag 2023 Aus­zu­bil­den­de nach ihrem Medi­en­kon­sum, ihrer Aus­bil­dung und auch ihrem Betrieb befragt. Eine Erkennt­nis: Vie­le jun­ge Men­schen kön­nen sich zu Beginn ihrer beruf­li­chen Lauf­bahn nicht vor­stel­len, irgend­wann ein­mal selbst in Füh­rungs­ver­ant­wor­tung zu gehen und einen eige­nen Betrieb zu führen.

Die­sen Ein­druck bestä­tigt auch Lars Grun: „Wenn man mir frü­her einen Ein­stieg in die Füh­rungs­ebe­ne ange­bo­ten hät­te, dann hät­te ich mich unglaub­lich gefreut. Heu­te wird es eher abge­lehnt und nicht als Chan­ce, son­dern als Last empfunden.“

Wie sehr sich die Arbeits­welt ver­än­dert, wur­de auch am Bei­spiel „Ghos­ting“ sicht­bar. Trotz unter­schrie­be­nem Arbeits­ver­trag erscheint der Arbeit­neh­mer nicht zum ver­ein­bar­ten Arbeits­start – und das ohne jeden Hin­weis. Hei­ko Cor­des konn­te ganz aktu­ell von For­schungs­er­geb­nis­sen aus dem Hand­werk zu dem Phä­no­men Ghos­ting berich­ten und auf­zei­gen, wel­che Grün­de dahin­ter­ste­cken könn­ten. Ganz unfrei­wil­lig konn­te auch Lars Grun, als Geschäfts­füh­rer bei Schrei­ber und Ebert in Esch­born, aus der Pra­xis berich­ten, wie es ist, als Arbeit­geber „geg­hos­tet“ zu wer­den. „Lei­der hat­ten auch wir schon zwei Fäl­le, in denen jemand nicht auf­ge­taucht ist. Vor allem, wenn es sich um einen Aus­zu­bil­den­den han­delt, ist es extrem ärger­lich. Wir haben uns aus den Bewer­bern ja den ver­meint­lich bes­ten Kan­di­da­ten aus­ge­sucht. Wenn der nicht absagt, ste­hen wir zum Aus­bil­dungs­be­ginn ohne Aus­zu­bil­den­den da, weil wir so kurz­fris­tig ja nie­man­den mehr bekom­men. Die ande­ren sind in der Zeit zwi­schen Bewer­bung und Aus­bil­dungs­start mit sehr gro­ßer Wahr­schein­lich­keit woan­ders unter­ge­kom­men. Bei uns hat­te es die Kon­se­quenz, dass wir einen Jahr­gang nicht mit einem Aus­zu­bil­den­den beset­zen konnten.“

Aber nicht nur aus der Bran­che, son­dern auch dar­über hin­aus hat­te die OT-Redak­ti­on recher­chiert nach Mög­lich­kei­ten, Fach­kräf­te zu bin­den oder zu gewin­nen. Dabei wur­den Bene­fits wie das Job­rad, Unter­stüt­zung bei der Kin­der­be­treu­ung oder Job­ti­ckets vor­ge­stellt. Wich­tig dabei: Nicht immer sind die­se Ver­güns­ti­gun­gen auch wirk­lich Ver­güns­ti­gun­gen – betrach­tet sowohl aus Arbeit­ge­ber- wie auch aus Arbeit­neh­mer­per­spek­ti­ve. Steu­er­li­che Fak­to­ren müs­sen berück­sich­tigt wer­den, eben­so wie Frei­gren­zen. Ob es sich den­noch lohnt, sich mit die­sem The­ma zu beschäf­ti­gen? „Defi­ni­tiv“, so Cor­des. „Es ist eine Mög­lich­keit, sei­nen Arbeit­neh­men­den ein biss­chen Wert­schät­zung ent­ge­gen­zu­brin­gen, ohne an dem gro­ßen Gehalts­rad zu dre­hen. Natür­lich – häu­fig ist das bes­te Gehalts­ex­tra extra Gehalt, aber es gibt einen Mit­tel­weg für Arbeit­ge­ber und Arbeit­neh­mer, der mei­ner Mei­nung nach bei­de Sei­ten zufrie­den­stel­len kann, indem Bene­fits gewährt werden.“

Auch wenn sich alle Talk-Teil­neh­mer einig waren, dass in naher Zukunft – auch auf­grund der Ver­ren­tung der ­Baby­boo­mer – wei­te­rer Eng­pass bei den Fach­kräf­ten droht, will Lars Grun nicht nur die nega­ti­ven Sei­ten sehen. „Wenn wir wei­ter kon­ti­nu­ier­lich auf die­sem Niveau aus­bil­den, dann haben wir mei­nes Erach­tens nach genug Fach­kräf­te. Die Schwie­rig­keit besteht aller­dings dar­in, die Leu­te auch lang­fris­tig im Fach zu hal­ten. Das wird nur klap­pen, wenn wir mit einer ver­nünf­ti­gen Ver­gü­tung den Wett­be­werb mit ande­ren Berufs­grup­pen nicht mehr scheu­en müs­sen. Hier ist die Poli­tik gefragt, wie viel Ver­sor­gung und zu wel­cher Qua­li­tät wir uns in Zukunft leis­ten wol­len. Wenn wir unse­ren deut­schen Stan­dard bei­be­hal­ten wol­len, dann wird das nur gehen, wenn wir mehr Geld zu Ver­fü­gung haben, um unse­re Fach­kräf­te zu bezahlen.“

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