EU-Ver­ord­nung zu Iso­cya­na­ten macht Schu­lung erforderlich

Den 24. August 2023 sollten sich Sanitätshäuser, orthopädietechnische Werkstätten und Orthopädieschuhmacher-Betriebe rot im Kalender markieren. Denn: Ab diesem Datum dürfen Diisocyanate grundsätzlich nicht mehr in den Werkstätten benutzt werden. Grund dafür ist eine Änderung einer EU-Verordnung aus dem Jahr 2020, die nun im Sommer 2023 zu Anwendung kommt.

Aus­nah­men gibt es nur, wenn die Kon­zen­tra­ti­on von Diiso­cya­na­ten ein­zeln und in Kom­bi­na­ti­on weni­ger als 0,1 Gewichts­pro­zent beträgt oder eine erfolg­rei­che Schu­lung zum Umgang mit Diiso­cya­na­ten absol­viert wur­de. Im Gespräch mit der OT-Redak­ti­on erklä­ren Tom Mewes, Geschäfts­füh­rer der Beil Kunst­stoff­pro­duk­ti­ons- und Han­dels­ge­sell­schaft, sowie Dr. Rai­ner M. Buch­holz, Geschäfts­füh­rer von Renia, was auf die Bran­che zukommt.

OT: Herr Buch­holz, Herr Mewes, Diiso­cya­na­te klingt zunächst ein­mal ein wenig abs­trakt. Wel­che Pro­duk­te, mit denen Orthopädietechniker:innen und Orthopädieschuhmacher:innen arbei­ten, sind von der Ände­rung der EU-Ver­ord­nung betroffen?

Rai­ner M. Buch­holz: Diiso­cya­na­te fin­den sich in Kleb­stof­fen und deren Ver­net­zer sowie bei Pri­mern und Weich- bzw. Hart­schäu­men – kurz­um in Din­gen des täg­li­chen Gebrauchs in einer ortho­pä­die­tech­ni­schen Werk­statt. Die durch die EU – übri­gens auf Initia­ti­ve Deutsch­lands ein­ge­führ­te – Beschrän­kung zielt auch auf die Mono­me­re ab. Die­se sind beson­ders reak­tiv und damit auch ten­den­zi­ell gefähr­li­cher als bereits poly­me­ri­sier­te Bestand­tei­le der ein­ge­setz­ten Pro­duk­te. Im Bereich der Ver­net­zer für Kleb­stof­fe gibt es bereits eini­ge mono­mer­ar­me Alter­na­tiv­pro­duk­te, die nicht unter die Regu­lie­rung fal­len, da sie eine Kon­zen­tra­ti­on von 0,1 Pro­zent haben. Aller­dings ent­hal­ten die aktu­ell für die Ver­net­zung von Löse­mit­tel­kleb­stof­fen erhält­li­chen Pro­duk­te noch so viel Mono­mer, dass sie der Beschrän­kung unter­lie­gen. 2K-PU-Kleb­stof­fe, oder auch Kar­tu­schen­kle­ber genannt, ent­hal­ten eben­falls Diiso­cya­na­te mit hohem Mono­mer­an­teil. Hier hängt die Ver­ar­bei­tungs­zeit von der Reak­ti­vi­tät ab, wodurch eine Reduk­ti­on der Mono­me­re aus unse­rer Sicht schwie­rig sein dürf­te. Eine gute Nach­richt ist, dass PUR-Ver­fes­ti­ger – Pri­mer – dank ihrer gerin­gen Mono­mer­kon­zen­tra­ti­on von unter 0,1 Pro­zent bereits heu­te schon die Vor­ga­ben der EU-Ver­ord­nung erfüllen.

Tom Mewes: Anders sieht es bei Weich- und Hart­schäu­men aus. Die Anfor­de­run­gen aus den OT- und OST-Werk­stät­ten an die Pro­duk­te sind eine hohe Reak­ti­vi­tät und eine schnel­le Ver­net­zung. Die­se Anfor­de­run­gen sor­gen dafür, dass man – auch per­spek­ti­visch – nicht auf einen hohen Mono­mer­an­teil ver­zich­ten kann.

OT: Das klingt so, als ob die Indus­trie dar­an arbei­tet, neue Lösun­gen für vor­han­de­ne Pro­duk­te zu fin­den. Wann kann man damit rechnen?

Mewes: Einen genau­en Zeit­punkt für ein bestimm­tes Pro­dukt kann ich der­zeit nicht nen­nen, aber sobald wir die Pro­duk­te ent­spre­chend ange­passt haben, wer­den wir es ver­öf­fent­li­chen. Die Initia­ti­ve, wie bereits ange­spro­chen, sich mehr um den siche­ren Umgang mit Gefah­ren­stof­fen zu küm­mern und so für eine hohe Arbeits­si­cher­heit zu sor­gen, kommt aus Deutsch­land und wird nun uni­ons­weit umge­setzt. Aktu­ell müs­sen aber auch die Betrie­be ihren Bei­trag leisten.

OT: Wie sieht die­ser Bei­trag aus?

Buch­holz: Auch wenn die Indus­trie an Pro­duk­ten arbei­tet, die die EU-Vor­ga­ben ein­hal­ten, wird dies nicht die Lösung für jeden Anwen­dungs­be­reich sein. Die Betriebs­in­ha­ber müs­sen sich dar­um küm­mern, dass ihre Mit­ar­bei­ter ent­spre­chend geschult wer­den. Ab August 2023 müs­sen die Betriebs­in­ha­ber auf Ver­lan­gen einer zustän­di­gen Behör­de nach­wei­sen, dass ihre Mit­ar­bei­ter ent­spre­chend aus­ge­bil­det sind. Wir, als Lie­fe­ran­ten, haben die Ver­pflich­tung auf den Schu­lungs­be­darf hin­zu­wei­sen, am Ende kon­trol­lie­ren wir aber natür­lich nicht, wer in der Werk­statt mit unse­ren Pro­duk­ten arbeitet.

OT: Müs­sen alle Mit­ar­bei­ten­den geschult werden?

Buch­holz: Eine Pflicht, das gesam­te Werk­statt­team schu­len zu las­sen, besteht nicht. Aber: Wer mit Iso­cya­na­ten zu tun hat, der muss so eine Schu­lung absol­vie­ren. Aller­dings ist es sicher­lich emp­feh­lens­wert, dass auch Vor­ge­setz­te und Inha­ber, die nicht mehr selbst in der Werk­statt ste­hen, zumin­dest eine Grund­la­gen­schu­lung mit­ma­chen. Eine Ver­tie­fung der Kennt­nis­se auf die­sem Gebiet ist bestimmt nicht von Nach­teil, gera­de wenn es um die Not­wen­dig­keit tech­ni­scher oder orga­ni­sa­to­ri­scher Schutz­maß­nah­men geht.

OT: Wie kön­nen die Betrie­be ihre Mit­ar­bei­ten­den ent­spre­chend der neu­en EU-Richt­li­ni­en schu­len lassen?

Mewes: Mit Iso­pa und Ali­pa haben die bei­den gro­ßen euro­päi­schen Ver­bän­de der Iso­cya­nather­stel­ler eine digi­ta­le Schu­lungs­platt­form zum Selbst­ler­nen ent­wor­fen und bereits 2022 den betrof­fe­nen Betrie­ben zur Ver­fü­gung gestellt. Unter www.safeusediisocyanates.eu kön­nen die Mit­ar­bei­ter der Betrie­be mit einem – aus unse­rer Sicht – ver­tret­ba­ren Maß an Zeit- und Kos­ten­auf­wand ihre Schu­lun­gen absol­vie­ren. Es wer­den ver­schie­de­ne Modu­le ange­bo­ten, die sich an die vie­len mög­li­chen Anwen­der die­ser Pro­duk­te rich­ten. Die Modu­le wer­den jeweils mit einem Test abge­schlos­sen – das dann aus­ge­stell­te Zer­ti­fi­kat ist fünf Jah­re gül­tig, und der Teil­neh­mer erfüllt damit die durch REACH (Euro­päi­sche Che­mi­ka­li­en­ver­ord­nung zur Regis­trie­rung, Bewer­tung, Zulas­sung und Beschrän­kung che­mi­scher Stof­fe. Anm. d. Red.) gefor­der­ten Vor­aus­set­zun­gen. Das Trai­ning kann auch in Grup­pen absol­viert wer­den, aller­dings muss jeder Teil­neh­mer ange­mel­det wer­den und auch jeder den abschlie­ßen­den Test bestehen. Es ist auch mög­lich, für Schu­lun­gen Drit­ter eine Trai­nings­li­zenz zu erhal­ten – es gibt aktu­ell schon Dienst­leis­ter, die sol­che Schu­lun­gen anbieten.

OT: Orthopädietechniker:innen bezie­hungs­wei­se Orthopädieschuhmacher:innen sind ja nur ein klei­ner Teil an Anwender:innen, die sich mit Iso­cya­na­ten beschäf­ti­gen. Woher wis­sen die betrof­fe­nen Betrie­be, wel­che Modu­le für sie jeweils rich­tig sind?

Mewes: Das Por­tal ent­hält eine Such­funk­ti­on, um die jeweils not­wen­di­gen Modu­le für die frag­li­che Anwen­dung zu ermit­teln. In einem OST/OT-Betrieb wer­den Ver­net­zer in Kleb­stoff ein­ge­mischt und das Gemisch auf­ge­tra­gen, For­men aus­ge­schäumt und Ähn­li­ches. Dazu wählt man auf dem Schu­lungs­por­tal die Opti­on „Selbst­ler­nen“ aus. Nun bucht man ein „Web Based Trai­ning“ und selek­tiert unter den Anwen­dungs­be­rei­chen die Opti­on „Her­stel­lung von Gemi­schen, die Diiso­cya­nat ent­hal­ten“, dann erscheint „Hand­ha­bung offe­ner Gemi­sche, Rei­ni­gung und Abfall (015)“ als Opti­on. Die­se Schu­lung ent­hält auch die Grund­la­gen­schu­lung und dau­ert etwa 90 Minu­ten. Das Modul schließt mit einem Test ab, im Anschluss erhält man bei erfolg­rei­cher Durch­füh­rung ein Zer­ti­fi­kat zum Down­load und Aus­druck. Damit erfüllt man alle Anfor­de­run­gen der EU-Richt­li­ni­en und die ent­spre­chen­den Mit­ar­bei­ter kön­nen wei­ter­hin mit den Pro­duk­ten arbeiten.

Die Fra­gen stell­te Hei­ko Cordes.

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