Wer jetzt ans einfache Putzen denkt, der irrt: Im Interview erklärt der Naturwissenschaftler, warum sich manche Dinge trotz Pandemieerfahrung nie ändern, Ignoranz gefährlich, und Sauberkeit spannend und Hygiene leider oft ein ungeliebtes Kind ist.
OT: Herr Dr. Hanitzsch, wie sind Sie eigentlich zum Thema Hygiene gekommen und was ist das Interessante daran?
Helge Hanitzsch: Zunächst gab es eine familiäre Prägung. Mein Vater reparierte als selbstständiger Handwerksmeister Sterilisatoren für Krankenhäuser und Arztpraxen. Während meiner Ausbildung in der Veterinärmedizin befasste ich mich bereits mit Aspekten der Sterilisation in dem Bezirksinstitut für Veterinärmedizin in Dresden. Während meiner anschließenden Tätigkeit als Medical Manager in einem Pharmaunternehmen gehörte die Organisation der hygienischen Zertifizierung von neuen Produkten des Unternehmens zu meinen Aufgaben. Ich war schließlich für Deutschland, Österreich und die Schweiz zuständig, was auf Dauer nicht familienfreundlich war. Als ich dann beschloss, kürzer zu treten, bekam ich eine Anfrage von einem anderen Pharmaunternehmen, ob ich mir vorstellen könnte, Kunden des Unternehmens als Hygienebeauftragte auszubilden. Im ersten Augenblick habe ich abgelehnt. Als ich mich jedoch etwas mit der Thematik befasste, begann mich dieses Thema zu interessieren, nachdem ich diesbezüglich einige Kurse und Fortbildungen besucht hatte und feststellte, dass es da – auch in Arztpraxen – einen sehr großen Informationsbedarf gab.
OT: Die Corona-Pandemie hat das Thema Hygiene nun eine Weile ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt, inzwischen scheint sich die Pandemie aber ihrem Ende zuzuneigen. Hat sie etwas in der Gesellschaft verändert?
Hanitzsch: Die Hygiene ist leider oft in der Gesellschaft ein ungeliebtes Kind, weil die Einhaltung Mühe macht und der Erfolg in der Regel nicht sichtbar ist. Dabei kann eine funktionierende Hygiene Leben schützen. Corona hat die Akzeptanz und die Wichtigkeit der Hygiene verdeutlicht und viele Menschen von der Durchführung und Wirksamkeit einer funktionierenden Hände- und Flächendesinfektion überzeugt. Zum Beispiel wäre die Installation zusätzlicher Händedesinfektionsmittelspender vor Corona nur schwer realisierbar gewesen.
OT: Vor allem die Niesetikette und Handhygiene scheinen sich nachhaltig verändert zu haben. Gilt das auch für andere Bereiche?
Hanitzsch: Niesetikette, Händehygiene und das Tragen von Masken schützen uns nicht nur vor Coronaviren. Sie sind gesellschaftsfähig geworden und werden von den informierten Kreisen der Gesellschaft akzeptiert. Das ist ein sehr positiver Effekt. Allerdings zeigen die mittlerweile
wieder mit viralen Infektionen überfüllten Krankenhäuser eine gegenläufige Entwicklung. Viele Menschen glauben, dass sie mit dem Abklingen der Corona-Epidemie nicht mehr so vorsichtig sein müssen. Die Zukunft wird da sicherlich in der Mitte liegen.
OT: In Sanitätshäusern tragen immer noch viele Kolleg:innen Masken, die tägliche Desinfektion ist hier schon immer Gang und Gäbe. Warum würden Sie Sauberkeit im Sanitätshaus anders bewerten als zum Beispiel im Bademodengeschäft?
Hanitzsch: Sie sagen es. Das Sanitätshaus ist kein Bademodengeschäft. Als nachgeordnete gesundheitliche Einrichtung treffen hier unter Umständen kranke oder infizierte Menschen aufeinander. Menschen, die aus Krankenhäusern, Arztpraxen oder auch Pflegeeinrichtungen kommen
und mit den dort vorhandenen residenten Keimen in Kontakt gekommen sind. Selbst wenn diese Keime den Patienten selbst nicht infiziert haben, ist es möglich, dass der Kunde diese Keime in sich trägt und mit in das Sanitätshaus bringt. Und dann hier zum Beispiel am Tresen, der Türklinke oder der Liege beziehungsweise an einem probierten Hilfsmittel hinterlässt. Ein anderer Kunde kommt mit dem Areal in Kontakt und infiziert sich. Diesen Vorgang nennt man Kreuzkontamination. Nun kann das auch im Bademodengeschäft passieren, nur ist die Wahrscheinlichkeit des Kontaktes von multimorbiden Kunden im Sanitätshaus deutlich größer. Aus diesem Grund gibt es das sogenannte Basishygiene-management: Das ist eine Sammlung von Festlegungen, wie zum Beispiel dem Hygiene‑, Desinfektions- oder Reinigungsplan. Diese Pläne sollen so gestaltet sein, dass genau das nicht passiert.
OT: Ob die Rücknahme eines Rollstuhls oder die Flächendesinfektion in der Anprobe: Wie sind Ihre Erfahrungen mit der Qualifikation der Mitarbeiter:innen im Bereich Hilfsmittelaufbereitung und biologische Arbeitsstoffe? Gibt es da Nachholbedarf? Oder hat Corona die Sinne so geschärft, dass nun alleszum Besten bestellt ist?
Hanitzsch: Leider nein. Aus meiner Sicht und nach meinen Erfahrungen gibt es da einen großen Wissensbedarf. Es ist leider überhaupt nicht damit getan, die Flächen oder Hilfsmittel ein bisschen mit einem mit Desinfektionsmittel getränkten Lappen abzuwischen. Da gibt es viele Dinge, die ich wissen muss, wenn ich Desinfektionsmittel anwende oder diese verkaufen möchte. Was ist zum Beispiel mit dem Eiweiß- oder Seifenfehler von Desinfektionsmitteln oder wie berechne ich die benötigte Desinfektionsmittelkonzentration, wenn ich mit Konzentraten arbeite? Welche Wirkspektren der Desinfektionsmittel gibt es? Was muss ich da bei der Anwendung beachten? Oder ganz wichtig: Wie kontrolliere ich, ob meine Desinfektion überhaupt funktioniert? Eine Grundlagenschulung und regelmäßige jährliche Hygieneschulungen sind da unerlässlich – und auch vorgeschrieben –, wenn ich sachgerecht desinfizieren oder aufbereiten möchte, ohne mich und meine Kunden zu gefährden.
OT: Angesichts der Gefahren dürfte das Interesse am Thema Hygiene doch groß sein?
Hanitzsch: Leider stelle ich gerade eine gegenläufige Tendenz fest, was auch ein Grund für meine diesjährige Präsenz auf der Expo war. Es spielen viele Dinge hier mit hinein: ein gewisser Überdruss, Zeit- und Personalmangel sowie der Glaube, dass man eigentlich schon alles hat und
kann.
OT: Aber die Gefahr ist doch real. Nicht nur für die Kund:innen, auch für mich. Wenn es bei mir zu Hause nicht picobello sauber ist, ist das mein Problem; wenn es in meinem aden hakt, stehe ich dann nicht schon mit einem Bein im Gefängnis?
Hanitzsch: Die Gesundheitsämter sind mit vielen Themen sehr beschäftigt und können kaum Zeit für Kontrollen in Sanitätshäusern aufbringen. Nur schützt dies im Anzeigefall vor Strafe nicht. Nicht ohne Grund gibt es ein Urteil vom Bundesgerichtshof, welches da lautet: „Hygiene zählt zu den beherrschbaren Risiken“ (BGH-Urteil: AZ: VI ZR 158/06, VI ZR 118/06. Anm. d. Red). Das heißt, dass jeder nachgewiesene Hygienemangel, der zur Anzeige kommt, strafbewehrt sein kann. Daher sehe ich meine Aufgabe darin, den Sanitätshäusern mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.
Die Fragen stellte Tamara Pohl.