Debatin stellte in seinem Vortrag vor allem eine Hauptthese heraus: „Digitalisierung ist kein Selbstzweck“. Der gebürtige Essener unterstrich dabei, dass die Digitalisierung von den Menschen gewollt sei, aber dieser Wunsch auf eine schlechte Performance seitens der Gesundheitsbranche trifft. Dass die Politik sich deshalb damit beschäftigt, sei fast folgerichtig. In dem Health Innovation Hub ginge es daher darum, die Brücke zwischen der Politik und der „realen“ Welt zu schlagen. „Die Ministerien haben ein strukturelles Problem Input zu bekommen. Durch ihre
Zusammensetzung ist ein schneller Austausch von Personal fast unmöglich“, so Debatin. Der HIH soll durch das zeitlich begrenzte Anwerben von Experten diesen Missstand ausgleichen. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass das Bundesministerium für Gesundheit mir diesem Hub seine ganze Coolness ausleben will. Die ganze Start-up-Atmosphäre mit Kicker und der hippen Adresse an der Torstraße in Berlin. Ich hätte mir auch nicht träumen lassen, dass ich einmal in einem alten Ladenlokal arbeiten würde“, beschreibt Debatin mit einem Augenzwinkern die Atmosphäre. Trotz dieser betonten Lockerheit werden bei den Experten richtungsweisende Entscheidungen vorbereitet. So berichtet Debatin von einem Paradigmenwechsel. „Die Daten werden in Zukunft nicht mehr Entstehungsbezogen gespeichert, sondern Personenbezogen.“ In der Praxis ist damit gemeint, dass nicht mehr das Krankenhaus oder der Arzt die Diagnosen, Medikationspläne oder Röntgenbilder abspeichert, sondern der Patient selbst – zum Beispiel auf seinem Smartphone. Dafür soll ab 2021 die Elektronische Patientenakte (EPA) kommen. Debatin stellt aber auch heraus, dass den Patienten mit ihren so zusammengetragenen Informationen eine wichtige Rolle zugedacht wird. Schließlich müssten diese selbst entscheiden, ob sie ihre Daten teilen wollen. „Ohne Daten werden wir die Medizin nicht weiterentwickeln“, ist sich Debatin allerdings sicher, dass ein großzügiger Austausch dringend nötig ist.
Sanitätshäuser wurden nicht berücksichtig – Lob für Bereitschaft
Damit das funktioniert, ist eine Infrastruktur nötig – die Telematik. Niedergelassene Ärzte müssen bereits angeschlossen sein, es folgen Krankenhäuser und Apotheken. Dr. Markus Leyck Dieken stellte in seinem Vortrag den aktuellen Status der Gematik vor und vor allem welchen Zeitplan es für das E‑Rezept oder die Elektronische Patientenakte gibt. Leyck Dieken sieht in der „germanischen Infrastruktur“ ein Problem, weil der europäische Kontext bezüglich Datenaustausch, völlig außen vorgelassen wird. Die Zentrierung auf eine eigene Infrastruktur, die einen Austausch von erhobenen Daten unmöglich macht, sei der falsche Weg – vor allem mit Blick auf Big Data.
Neben Debatin und Leyck Dieken nahm mit Klaus-Jürgen Lotz auch der Präsident des Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik bei der anschließenden Diskussion auf dem Podium Platz. „Wir tauchen eigentlich nirgendwo auf“, nahm Lotz Bezug auf die Vorträge und verwies erneut darauf, dass die Gesundheitshandwerke bei der Planung der Telematik außen vor geblieben sind und nicht explizit genannt werden. Diesen Missstand prangerte der BIV-OT-Präsident an und bekräftigte von Seiten der Mitgliedsbetriebe: „Wir sind bereit. Wir wollen mitmachen.“ Dafür bekam er vor allem von Debatin großen Zuspruch. „Wir erleben hier etwas, was ein klares Signal sein muss. Es gibt Berufsgruppen, die mitmachen wollen. Das ist ein Unterschied zu dem, was wir bereits erlebt haben.“ Deshalb sei es nun an der Zeit die Grundlagen für eine Teilnahme an der Telematik zu schaffen. Dem pfl ichtete Lotz bei: „Wir müssen alle mit den gleichen Bedingungen an die Startlinie gehen.“ Das zielt vor allem darauf ab, dass Apotheken bereits zwei Jahre früher angeschlossen werden sollen als Sanitätshäuser. Hilfsmittel sind vertrieblich für Apotheken zwar noch ausgeschlossen, dennoch ist eine zeitliche Zurückstellung ein Nachteil für die Gesundheitshandwerke. Um nicht in das Hintertreffen zu geraten lautet der Rat von Leyck Dieken: „Machen Sie ihr Angebot bereits jetzt attraktiv, so dass Sie zum Anschluss bereits bereit sind.“
Trotz Schnittmenge: Leistungserbringer und Kostenträger bei Digitalisierung noch uneins
Dass Digitalisierung aber auch bei anderen Mitspielern inder Gesundheitsbranche eine große Rolle spielt, zeigte Dirk Lauenstein, Vorstand der Audi BKK, in seinem Vortrag „Digitale Projekte der Kostenträger“. In der anschließenden Podiumsdiskussion, in der neben Lauenstein mit Thomas Bodmer, Mitglied im Vorstand der DAK-Gesundheit, ein weiterer Vertreter der Kostenträger saß, wurde schnell deutlich, dass es beim Thema Digitalisierung eine große Schnittmenge bei den ermittelten Bedürfnissen zwischen Kostenträger und Leistungserbringern gab. Allerdings gab es an einigen Punkten – vor allem an den Genehmigungsverfahren – dann aber doch Streitpunkte zwischen den Teilnehmern. Dr. Jan Helmig, Bereichsleiter Produkt- und Projektmanagement der Opta-Data-Gruppe, eröffnete mit seinem Impulsvortrag unter dem Titel: „Warten auf andere oder: Wie IT-Dienstleister im Schulterschluss mit den Gesundheitsberufen die digitale Entwicklung vorantreiben“ die letzte Diskussionsrunde. Gemeinsam mit den anderen Teilnehmer wurden die „Wünsche“ der Branchen formuliert. Wie die Möglichkeiten auf Erfolg aussehen, hänge allerdings von der Schaffung der Rahmenbedingungen ab.