Erster Redner war Dr. Francesco Petrini. Der Mitbegründer der Schweizer Neuroprothetik-Firma Sensars stellte die Arbeiten zum sensorischen Feedback mittels selektiver Nervenstimulation vor. Dadurch, dass aktuelle Prothesen kein direktes Feedback bieten, haben Patient:innen von Armprothesen keine Griffkraftkontrolle und bei Beinprothesen eine reduzierte Balance und Kontrolle. Die maladaptive, sprich schlecht angepasste Reorganisation des Gehirns durch eine fehlende sensorische Rückmeldung münde laut Petrini zudem häufig in Phantomschmerzen. Das von ihm vorgestellte „Sensy“-System stelle das sensorische Feedback wieder her, indem haarfeine Drähte sehr selektiv in die Nervenstränge am Amputationsstumpf implantiert werden. Diese dienten dabei aber nicht nur einer Stimulation auf Basis von zusätzlicher Druck- und Lagesensorik in einer Prothese, sondern seien auch in der Lage efferente Signale zu erfassen, um diese als zusätzliche Information an die Prothese zurückzuleiten. Es handelt sich dabei um ein bidirektionales System. Das System findet neben der funktionellen Integration in Prothesen auch in der Therapie von neuropathischen Schmerzen Anwendung. Auch bei einer rein therapeutischen Anwendung von zehn Minuten täglich sei nach Aussage des Entwicklers bei allen der bisher sieben Proband:innen bereits nach einem Monat eine erhebliche Reduzierung von mehr als 50 Prozent der Phantomschmerzintensität zu verzeichnen.
Dr. Petrini führte dazu weiter aus, dass die Nutzung des Systems in den genannen Fällen bereits zwei bis fünf Tage nach der etwa einstündigen Operation erfolgen konnte, wobei die volle Sensibilität nach ca. vier bis sechs Wochen nach der OP erreicht worden sei. Bei Patient:innen mit Anwendung an der unteren Extremität habe das Studienprotokoll sowohl eine erhebliche Verbesserung der Geschwindigkeit mit sensorischem Input als auch einen reduzierten Energieverbrauch ergeben. Patient:innen mit Anwendung an der oberen Extremität konnten in einem „Box-and-Blocks“-Test, bei dem die Testobjekte zusätzlich Schwellenwerte für die Griffkraft erfassten, eine höhere Performance erzielen, auch wenn sie allein auf die sensible Rückmeldung der Greifkomponente über eine in die Prothese integrierte Drucksensorik angewiesen waren. Das Patientenfeedback war nach Angaben des VQSA-Referenten durchweg positiv, zumal der subjektive Phantomschmerz auch ohne reine Therapieeinheiten und bereits bei alltäglicher Nutzung der Prothesen mit sensibler Rückmeldung erheblich reduziert gewesen sei. So bliebe mehr Raum für Konzentration auf andere Tätigkeiten. Dr. Petrini stellte ein marktreifes Produkt ab etwa 2026 in Aussicht, das im Gegensatz zur derzeitigen Stimulation über transcutane, also sozusagen durch die Haut geführte Kabel künftig induktiv arbeiten solle. Neben den schon heutigen Szenarien der Schmerztherapie für unterschiedliche Ursachen, z. B. nach Amputation, kanzerogenen Nervenschädigungen oder idiopathische Schmerzen seien künftige Nutzungsszenarien, etwa als Brain-Computer-Interface, zur Prothesensteuerung, KI-unterstützte Therapien, Neuropathien oder psychischen Erkrankungen nicht ausgeschlossen.
Es folgte ein Vortrag von Rainer Schultheiß aus der österreichischen Firma Saphenus. Er berichtete von einem nichtinvasiven Ansatz des Biofeedbacks. Nach einer Auffrischung der kortikalen sensiblen Zuordnung und der kortikalen Reorganisation in Zusammenhang mit dem Auftreten von Phantomschmerz nach Herta Flor erläuterte Schultheiß die zellulären chemischen Mechanismen des peripheren zellulären Schmerzes mit Verweis auf die „Gate Control Theory“ von Ronald Melzack und Patrick David Wall aus dem Jahr 1965, nach der eine Schmerzreduktion bereits durch Stimulation nicht schmerzender Bereiche erzielt wird. Insbesondere die Neurone der Tiefenwahrnehmung, so der Referent, könnten demnach eine hemmende Wirkung auf die Synapsen der schmerzleitenden Fasern haben. Vibration habe sich vor Elektrostimulation oder Druckelementen als das zuverlässigste Feedbacksignal erwiesen, um entsprechende Reize zu generieren. Patient:innen mit einer gezielten sensorischen Reinnervation würden zweifellos am meisten von einem gezielten Feedback profitieren, eine physiologische „Phantomschmerz-Karte“ sei aber nicht unüblich. Sensorische Äste könnten durchaus spontan im Laufe der Zeit Hautareale erreichen. Ein operativer Eingriff sei damit gar nicht immer erforderlich und ein entsprechendes Mapping im Vorfeld wichtig, damit eine Targeted Sensory Reinnervation (TSR) eine physiologische „Karte“ nicht beeinträchtigt oder überlagert. Eine dezidierte TSR-Operation sei primär bei starken chronischen Schmerzen indiziert, um die problematische Neurombildung (analog zur TMR – Targeted Muscle Reinnervation) zu vermeiden.
Rainer Schultheiß stellte in Fürth das aktuelle Feedbacksystem „Suralis“ aus dem Hause Saphenus vor. Für die untere Extremität könne bei den meisten Anwender:innen auch ohne TSR aufgrund des Feedbacks eine Verbesserung der Stabilität und Kontrolle und eine Reduzierung des Schmerzes erreicht werden. Das Feedback fördere zudem das Körperempfinden. Die zusätzliche Sensibilität verbessere die Sicherheit der Motorik und reduziere das Maß erforderlicher Konzentration auf die Bewegung. Abschließend gab Schultheiß einen Einblick in das aktuelle Projekt eines sensorischen Feedbacks für TSR-Patient:innen der oberen Extremität. Hier sei von Saphenus geplant, einen Handschuh mit Sensoren für unterschiedliche Prothesenhände zu entwickeln, der den Druck der Fingerkuppen an Vibrationselemente im Schaft weiterleitet und möglicherweise auch andere Informationen über Temperatur oder Feuchtigkeit abbilden könne.
Dr. Alexander Gardetto, Leiter des Zentrums für bionische Prothesen in Chirurgischen Zentrum Brixsana und Chief Medical Officer bei Saphenus Medical Technology, führte ein kurzes Interview mit seinem Firmenkollegen Christian Bouda über die Meilensteine auf dem Feld der TSR von den Anfängen 2016 bis heute. Anschließend stellte Dr. Gardetto den operativen Verlauf einer TSR vor. Nachdem nach den ersten TMR-Operationen auffiel, dass diese auch sensible Effekte hätten, wurde 2015 die erste TSR-Operation umgesetzt. Bereits bei den ersten Operationen wurde deutlich, dass es schon kurz nach dem Eingriff zu einer erheblichen Reduzierung von Schmerz und der erforderlichen Medikation kam. Inzwischen sind ca. 30 Eingriffe erfolgt. Zur Behandlung und Vorbeugung therapieresistenter Phantomschmerzen werden die sensiblen Nervenäste der Nervi Ulnaris, Medianus und Cutaneus Antebrachii mikrochirurgisch gezielt für die Reinnervation genutzt. Stoßwellen- und TENS-Therapie fördern das Nervenwachstum.
Nachdem das Gefühl zurückkehrt, kann die Therapie mit einer myoelektrischen Prothese mit einem Feedbacksystem beginnen. Dies stelle in dieser Kombination auch den größten Nutzen für die Patient:innen dar. Bei allen bisherigen Patient:innen war laut Gardetto die Reinnervation langfristig erfolgreich. Interessant dabei sei, dass auch Temperaturempfindungen hergestellt wurden. Der Phantomschmerz wurde erfolgreich reduziert und die Sensibilität in den meisten Fällen weitestgehend hergestellt. Gardetto räumte aber auch ein, dass trotz der positiven Erfahrungen Komplikationen nicht immer ausgeschlossen seien und es in einem Fall erforderlich war, einem Neurom durch eine Regenerative Peripheral Nerve Interface (RPNI)-Prozedur mit einer denervierten Muskelplastik zu begegnen, um abschließend ein zufriedenstellendes Ergebnis erzielen zu können.
Zwischen Referenten und Teilnehmer:innen des VQSA-Dialogs ergaben sich im Verlauf der Veranstaltung rege Diskussionen, was alle Beteiligte freute und die Auswahl spannender Themen unterstrich.
Boris Bertram und Merkur Alimusaj, VQSA e. V.