Update:
Nach Informationen des Branchenportals Apotheke Adhoc sollen u. a. folgende Produktgruppen zukünftig unter das Label “apothekenübliche Hilfsmittel” fallen:
- PG 05 Bandagen (Fertigprodukte bis Knie und obere Extremitäten einschl. Schultergelenk), Rippenbruchbandagen, Schwangerschaftsleibbinden
- PG 17 medizinische Kompressionsware (rund- und Flachstrick, für Bein und Arm, Thorax, Kopf) sowie Zubehör
- PG 23 ausgewählte, konfektionierte Orthesen
Der DAV lässt seine Delegierten am 19. Februar im Rahmen einer außerordentlichen Mitgliederversammlung über die Annahme der getroffenen Vereinbarung mit dem GKV-Spitzenverband abstimmen. Der Fahrplan sieht vor, dass die Präqualifizierung für Apotheken bei “apothekenüblichen Hilfsmitteln” bereits zum 1. April 2024 entfällt.
Warum Detlef Möller, Geschäftsführer der Stolle Sanitätshaus GmbH gegen diese Entwicklung juristisch vorgeht und wie er die Chancen auf einen Erfolg vor Gericht einschätzt, schildert er im Gespräch mit der OT-Redaktion.
OT: Bereits Mitte Dezember 2023 kündigten Sie an, Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. Was hat Sie zu diesem Schritt motiviert?
Detlef Möller: Eine Reihe von Gründen liegt vor, hauptsächlich sehen wir aber durch diesen Rechtsbruch in Gesetzesform den freien Wettbewerb und insbesondere auch die Versorgungsqualität der Bevölkerung gefährdet. Den freien Wettbewerb dadurch, dass die Apotheken unter den Hilfsmittelversorgern durch den Wegfall der Präqualifizierung ein völlig anderes Kostenniveau als die Sanitätshäuser für die sogenannten „apothekenüblichen Hilfsmittel“ haben werden. Hier fallen nicht nur die sukzessive anfallenden Kosten für die Präqualifizierung selbst, sondern auch die Kosten für die Schulung und Weiterbildung des Personals weg. Und da sehen wir den zweiten maßgeblichen Kritikpunkt: die akute Gefährdung der Versorgungsqualität. Beim „apothekenübliche Hilfsmittel“ wird der Versicherte in der Apotheke dann nicht von einer geschulten Fachkraft beraten und in der Anwendung geschult, auch Auswahl und Anpassung erfolgen nicht durch speziell ausgebildete Mitarbeiter – nach dieser Regelung ist es also möglich, dass die angestellte Putzkraft diese Tätigkeit übernimmt, hat der Apotheker gerade keine Zeit. Grundsätzlich dürfte dies aber auch keinen großen Unterschied machen, denn entgegen der Annahme unseres Gesetzgebers verfügen weder Apotheker noch dessen Pharmazeutisch-Technische Assistenten über vertieftes, oder überhaupt hilfsmittelspezifisches Fachwissen. Schaut man sich die Ausbildungspläne beider Berufe an, so erkennt man schnell, dass hier nicht einmal ein Rudiment an notwendigem Wissen Hilfsmittel betreffend vermittelt wird. Und selbst die Apotheker tragen vor, dass für Fortbildung in ihrer Branche einfach keine Zeit wäre. Fachwissen erwirbt man aber nicht durch Osmose, sondern nur durch harte und kontinuierliche Arbeit. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich spreche den Apothekern keineswegs ihr Fachwissen ab – in Pharmazie. Und so wie der Schuster bei seinen Leisten, so sollte auch der Apotheker bei seinen Medikamenten bleiben.
Doch auch die Umstände, wie die Präqualifizierungserleichterung in das Gesetz gekommen ist, waren ein Beweggrund, rechtliche Schritte in Erwägung zu ziehen. Sehen Sie, in den ursprünglichen Fassungen des Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes (ALBVVG) war diese Klausel überhaupt nicht vorgesehen – und seien wir mal ehrlich, völlig zu Recht, denn Lieferengpässe bei Medikamenten werden wohl schwerlich dadurch vermieden, dass Apotheker Hilfsmittel künftig einfacher als andere unters Volk bringen können. Nein, diese Klausel kam erst im letzten Moment, unmittelbar vor der letzten Lesung, in das Gesetz. Es scheint, als sollte es heimlich, still und leise als besonderes Leckerli für die Apotheker durch die Abstimmung geschmuggelt werden. Eine solche weitreichende Benachteiligung – oder aus Sicht der Apotheker natürlich Bevorteilung – aber jeglicher vernünftigen politischen Diskussion zu entziehen, zeugt nicht nur von einem Mangel an handwerklicher Kenntnis des Gesetzgebers, sondern ist eines Rechtsstaates schlicht unwürdig.
Doch ich möchte in diesem Zusammenhang noch eines unmissverständlich klarstellen: Wir greifen hier nur die Ungleichbehandlung von Leistungserbringern im Zusammenhang mit der Präqualifizierung an, nicht die Präqualifizierung also solche. Zugegeben, die Präqualifizierung bedarf zwar einer gründlichen Überarbeitung und einer erheblichen Verschlankung bezüglich des administrativen Aufwandes, aber die Präqualifizierung sichert die Versorgungsqualität der Versicherten und muss deshalb beibehalten werden – aber für alle Leistungserbringer, die Hilfsmittel versorgen, denn nur dann erfüllt sie auch ihren Zweck.
OT: Sie haben die Klage aber dann nicht bereits im Dezember eingereicht. Wie kam es zu dieser Verzögerung?
Möller: Das ist leicht erklärt. Ich habe die „apothekenüblichen Hilfsmittel“ ja bereits erwähnt. Diesen Terminus gab es bis zu diesem Zeitpunkt nicht – und niemand weiß, was man sich wohl unter „Apothekenüblichkeit“ vorstellen kann. Genauso wenig gibt es ja auch sanitätshaustypische Medikamente. Um diesem Nullum Leben einzuhauchen, mussten sich die Spitzenverbände der Gesetzlichen Krankenversicherungen und der Apotheker darauf einigen, was wohl darunter zu verstehen sein mag. Hierfür hatte der Gesetzgeber ihnen eine Frist von einem halben Jahr gesetzt, die bis Ende Januar bemessen war. In diesem Zusammenhang will ich auch auf den Umstand hinweisen, dass die eigentlichen Hilfsmittelversorger von diesen Verhandlungen ausgeschlossen worden sind, was ebenfalls tief blicken lässt.
Doch zurück zur Liste: Erst wenn diese Liste verabschiedet ist, sind die Apotheker begünstigt – und wir, wie es die Juristen so unschön nennen, „gegenwärtig beschwert“, also tatsächlich benachteiligt. Eine Verfassungsbeschwerde ist aber nur dann überhaupt zulässig, wenn der Beschwerdeführer in seinem eigenen Recht selbst, unmittelbar und wie erwähnt gegenwärtig beschwert ist. Würden wir die Verfassungsbeschwerde vor Veröffentlichung der erwähnten Liste erheben, so hätte das Bundesverfassungsgericht überhaupt keine andere Möglichkeit, als diese für unzulässig zu erklären und abzuweisen.
OT: Fassen Sie bitte kurz die wichtigsten Inhalte der Beschwerde zusammen.
Möller: Eine Verfassungsbeschwerde gliedert sich grob gesagt in drei Bereiche: die ausführliche Darstellung und Aufbereitung des Sachverhaltes unter besonderer Berücksichtigung der Situation des Beschwerdeführers sowie Ausführungen zur Zulässigkeit und maßgeblich Ausführungen zur sogenannten materiellen Begründetheit, also dem gerügten Rechtsverstoß als solchen. Bei dieser speziellen Verfassungsbeschwerde ist das „Lokalkolorit“, also die Darstellung der tatsächlichen Bedingungen, von Bedeutung. Unser Rechtsanwalt Prof. Dr. H. Zuck, Vaihingen, hat sich hier intensiv mit den Ausbildungsstandards insbesondere der Apotheker beschäftigt und wird die bereits zuvor angedeutete fehlende Fachkenntnis der Apotheker und ihrem nachgeordneten Personal überzeugend darlegen und unter Beweis stellen. Einen vergleichsweise kleinen Teil nimmt in diesem Falle die sogenannte materielle Begründetheit in seinen Ausführungen in Anspruch. Professor Dr. Zuck erklärte hierzu wörtlich: „Bei der Begründetheit wirft die Verfassungsbeschwerde keine schwierigen Fragen auf.“ Das ist Juristendeutsch für: der Rechtsverstoß ist evident.
OT: Warum sind Sie guter Hoffnung, dass die Klage Erfolg haben wird?
Möller: Weil der Rechtsverstoß, den wir rügen, selbst für einen Laien ohne vertiefte Kenntnisse des Grundgesetzes, wie gesagt, offensichtlich ist. Zunächst einmal ist es offensichtlich, dass hier in die sogenannte Berufsausübungsfreiheit von uns Sanitätshausbetreibern eingegriffen wird, die durch Art. 12 des Grundgesetzes geschützt wird. Die Rechtswidrigkeit des Eingriffs in die Berufsausübungsfreiheit ist deshalb offensichtlich, weil uns eine Erleichterung des Marktzuganges verwehrt wird, was im Umkehrschluss bedeutet, dass unser Marktzugang erschwert wird. Wenn dies kein Eingriff in unsere Freiheit der Berufsausübung ist – was dann? Entscheidender ist aber, dass hier auch sachgrundlos Gleiches ungleich behandelt wird, also ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Grundgesetz vorliegt. Das „Gleiche“ ist dabei die Versorgung der Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung mit Hilfsmittel. Egal wie nämlich die Liste der „apothekenüblichen Hilfsmittel“ aussehen wird, sie wird in jedem Falle Hilfsmittel enthalten, die auch von uns Sanitätshausbetreibern abgegeben werden.
Das „Ungleiche“ springt ebenfalls ins Auge: der Wegfall des Erfordernisses einer Präqualifizierung für einen Teil von Leistungserbringern, nicht aber für den anderen. Und letztlich „sachgrundlos“, weil es keine vernünftigen Gründe gibt, die dies rechtfertigen. Insbesondere nicht die angeblich vorgehaltene Fachkenntnis des Apothekenpersonals, denn diese existiert nicht. So gesehen ist die Bevorteilung nicht nur sachgrundlos, sondern schlicht grundlos. Wir sind uns sicher, dass auch das Bundesverfassungsgericht dies unschwer erkennen wird, wenn dies schon dem Laien ins Auge fällt.
OT: Falls nicht: Welche weiteren Möglichkeiten gibt es, gegen die einseitige Befreiung der Apotheken von der Präqualifizierung vorzugehen?
Möller: Sollte – wider Erwarten und wider den gesunden Menschenverstand – das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde nicht zulassen oder als unbegründet abweisen, so bleibt uns, politische Überzeugungsarbeit zu leisten und zu versuchen, den Gesetzgeber von der Unrechtmäßigkeit seines Tuns zu überzeugen. Hier leistet unser Leistungserbringerverband rehaVital im Verbund mit den anderen maßgeblichen Leistungserbringerverbänden im Rahmen des Vereins „Wir versorgen Deutschland“ (WvD), quasi ja dem „politischen Arm der Hilfsmittelversorgerbranche“, bereits jetzt ebenso unermüdliche wie erfolgversprechende Arbeit. Einzelne Parlamentarier haben in persönlichen Gesprächen bereits signalisiert, dass auch Ihnen – mittlerweile – die Unrechtmäßigkeit dieser Bevorteilung bewusst ist und sie bereit seien, sich für eine Korrektur dieses Unrechts einzusetzen.
OT: Welche Rückmeldungen haben Sie aus der Branche zu Ihrem Vorhaben erhalten?
Möller: Auf jeden Fall deutlich positivere Rückmeldung als vonseiten der Apotheker, das darf ich Ihnen versichern. Wie bereits erwähnt, genießen wir hier die volle Unterstützung des WvD. Zu diesem Bündnis gehören neben unserem Leistungserbringerverband, der rehaVital Gesundheitsservice GmbH, auch der Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik als Vertreter der Landesinnungen, die EGROH-Service GmbH, die ORTHEG eG, die Reha-Service-Ring GmbH, die Sanitätshaus Aktuell AG sowie der Verband Versorgungsqualität Homecare e. V. Mittelbar stärkt uns damit also die gesamte Branche den Rücken.
Die Fragen stellte Pia Engelbrecht.
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