OT: Du lachst auf der Bühne viel über dich selbst und deine Erkrankung. Warum ist dir das so wichtig? Dürfen auch Außenstehende Witze über Themen wie Behinderung machen?
Carl: Lachen ist doch die beste Medizin. In meinen Sets mache ich auf humorvolle Weise auf Missstände wie z. B. mangelnde Barrierefreiheit und fehlendes Pflegepersonal aufmerksam. Das Feedback, das ich erhalte, zeigt mir, dass ich dadurch Berührungsängste abbaue, motiviere und Lebensmut versprühe. Ich bin der Meinung, dass man Menschen mit Behinderungen thematisch nicht ausgrenzen sollte.
OT: Hat Humor Grenzen?
Carl: Für mich darf Humor ruhig schwarz und manchmal auch unter der Gürtellinie, aber nie verletzend sein.
OT: Bei deinem ersten Auftritt beim Comedyformat Nightwash vor zwei Jahren wurdest du auf die Bühne getragen. Läuft das auch heute noch so? Wie behindertengerecht ist die Comedybranche?
Carl: Bei Nightwash im Waschsalon werde ich nicht mehr auf die Bühne bzw. Fensterbank können, da mein Rollstuhl zu schwer geworden ist. Ansonsten ist es eine Frage der Kommunikation. Es gibt Veranstalter, die es mir mit entsprechenden Rampen ermöglichen aufzutreten, es gibt aber auch einige Negativbeispiele, die denken, man könnte mit einem E‑Rolli die Treppen hochfliegen.
OT: Du moderierst im Ersten die Reportagereihe „Carl Josef trifft…“. Darin sprichst du mit behinderten und nicht behinderten Jugendlichen über Hobbys, die sie begeistern. Warum braucht es ein Format wie dieses?
Carl: Zum einen ist das Thema Behinderung im Fernsehen, im Gegensatz zu den sozialen Medien, noch sehr unterrepräsentiert. Zum anderen finde ich es wichtig, auf beiden Seiten die Berührungsängste zu nehmen.
OT: Du sitzt seit sechs Jahren im Rollstuhl. Was hat sich in den Jahren im Bereich Inklusion verändert? Wo stehen wir derzeit in Deutschland?
Carl: Ich fand es gut, auf derselben weiterführenden Schule bleiben zu dürfen. Dort wurde von Treppenlift bis Behinderten-WC alles dafür realisiert. Das war sehr inklusiv. Nach einem Amerikaurlaub vor vier Jahren kann ich sagen, dass die USA ein „Schlaraffenland“ für Rollstuhlfahrer und Deutschland auf dem Gebiet ein Entwicklungsland ist.
OT: Wann ist Inklusion für dich erfolgreich?
Carl: Wenn nicht mehr so viel darüber gesprochen wird, sondern sie selbstverständlich geworden ist.
OT: Es heißt oft, Menschen seien an den Rollstuhl „gefesselt“. Siehst du das auch so?
Carl: Nein. Ich sehe das nicht so. Ich habe mich schnell an den Rollstuhl gewöhnt. Für mich ist es schlimmer, dass ich die Arme nicht mehr heben kann und die Hände auch schon anfangen an Kraft zu verlieren.
OT: Stichwort Versorgung mit medizinischen Hilfsmitteln. Fühlst du dich gut versorgt oder vermisst du etwas?
Carl: Hier möchte ich mal ein Lob an „mein“ Sanitätshaus Müllenheim in Braunschweig aussprechen, deren Mitarbeiter mir sehr kompetent zur Seite stehen. Ich fühle mich gut versorgt.
OT: Welche Träume und Wünsche hast du für die Zukunft?
Carl: Schön wäre es, nochmal nach Amerika zu reisen. Noch schöner wäre es, wenn sich die Forschung mehr meiner Krankheit widmen würde, um den tödlichen Verlauf, idealerweise noch zu meinen Lebzeiten, zu stoppen.
Die Fragen stellte Pia Engelbrecht.
Der Rollstuhl als Teil des Körpers
Versorgt wird Carl Josef vom Reha-Team Müllenheim in Braunschweig. Heiko Maaß, Hilfsmittelberater für Pädiatrie und Sonderbauten, weiß, worauf es dabei ankommt.
OT: Was für einen Rollstuhl hat Carl und warum fiel die Wahl auf diesen?
Heiko Maaß: Wir haben den Elektrorollstuhl aufgrund der Erkrankung von Carl und der Defizite, die man voraussehen kann, ausgewählt. Die Entscheidung fiel nach intensiver Konzeption, Planung und Probe auf den Elektrorollstuhl F5 der Firma Permobil. Dieser verfügt über eine erhöhte Sitzkantelung von 50 Grad, eine biometrische 180-Grad-Rückenwinkelverstellung sowie elektrisch verstellbare Beinstützen mit Längenausgleich. Schmerzen und Druck können durch diese Verstellungen reduziert werden und die Sitzzeit so verlängert. Carl ist viel in der Republik unterwegs und sitzt teilweise acht Stunden oder länger im Rollstuhl. Daher ist es wichtig, dass er sich immer wieder entlasten und neu positionieren kann. Hinzu kommt: Die Erkrankung ist in Progression. Das heißt, wir müssen immer wieder Anpassungen der Elektronik und des Sitzes vornehmen können. Bei diesem Modell ist diese Möglichkeit gegeben. Somit spart sich die Krankenkasse im Verlauf kostenintensive Umversorgungen und der Komfort für die Patient:innen wird erhöht.
OT: Welche Ausstattung hat Carls Rollstuhl?
Maaß: Der Rollstuhl ist aktuell mit einem Omni2-Interface (Steuersystem, Anm. d. Red.), einem programmierbaren Micro-Joystick und mehreren Buttons zur Ansteuerung ausgestattet. Da Carl seine Arme nur eingeschränkt nutzen kann, wurde ein Jaco-Roboterarm adaptiert, welcher die Funktion der oberen Extremitäten ausgleicht. Damit kann er z. B. Türen öffnen oder einen Fahrstuhl rufen. Wenn der Zeitpunkt kommen sollte, dass Carl nicht mehr über die notwendige Fingermotorik verfügt, kann eine alternative Ansteuerung, wie z. B. Näherungssensoren oder Augensteuerung, zugerüstet werden, um die Selbstständigkeit zu erhalten. Der Rollstuhl lässt sich via Bluetooth mit dem Mobiltelefon oder Tablet koppeln. Somit besteht die Möglichkeit, Anrufe zu tätigen sowie Nachrichten zu schreiben und zu lesen. Die Optionen beim F5 sind vielfältig, er passt sich der Krankheit gut an. Und das ist wichtig, denn irgendwann begreifen Patient:innen den Rollstuhl als Teil ihres Körpers. Mit dem F5 ist es möglich, auf die Veränderungen, welche die Erkrankung mit sich bringt, zu reagieren, ohne die Versorgung oder die Patient:innen komplett umzustellen.
OT: Wurde Carls besondere Arbeitsumgebung, die Bühne, bei der Wahl und Gestaltung des Rollstuhls berücksichtigt?
Maaß: Ja, das Umfeld, in dem sich die Patient:innen bewegen und das Hilfsmittel nutzen, gehört zu den Kernfaktoren. Ein Hilfsmittel muss für Patient:innen nach Möglichkeit in allen Lagen nutzbar sein und die Erkrankung so gut es geht ausgleichen. Im Fall von Carl – er ist oft im Auto unterwegs – musste der Rollstuhl z. B. einen Crashtest vorweisen können, um einen sicheren Transport zu gewährleisten, und der Sitz muss einen langen Nutzungszeitraum garantieren. Egal, ob jemand auf der Bühne steht oder nicht: Wichtig ist uns, dass ein Hilfsmittel auch optisch ansprechend ist, darauf legen wir in unserer Werkstatt großen Wert. Bei Carls Modell haben wir alle Aufnahmen relativ filigran gestaltet und integriert, um ein harmonisches Gesamtbild zu schaffen. Das ist auch aus folgendem Grund entscheidend: Ist ein Hilfsmittel optisch ansprechend gestaltet, ist es für Patient:innen einfacher, sich damit zu identifizieren, für Carl also auch leichter, sich auf der Bühne zu präsentieren.
OT: Gab es Probleme bei der Beantragung des Rollstuhls bei der Krankenkasse?
Maaß: Die Möglichkeit der Kostenübernahme für Hilfsmittel über die Krankenkassen hängt von der jeweiligen Erkrankung ab. Bei Patient:innen mit einer Muskeldystrophie wird eine Produktlinie benötigt, die aufgrund der Ausstattung höhere Kosten verursacht. Probleme gab es beim E‑Rollstuhl F5 weniger als bei dem Roboterarm. Darauf lassen sich die Kostenträger oft erst nach intensiver Prüfung und viel Argumentation ein. Im Fall von Carl hat die Krankenkasse aber gut mitgespielt.
Die Fragen stellte Pia Engelbrecht.
- Die neue Leitlinie zum Lipödem-Syndrom: mehr Licht als Schatten. Konsequenzen für die Praxis — 5. Dezember 2024
- Orthesenversorgung bei Läsion des Plexus brachialis — 4. Dezember 2024
- Anforderungen an additiv gefertigte medizinische Kopfschutzhelme — 4. Dezember 2024