Carl Josef: Mit Humor Berüh­rungs­ängs­te abbauen

„Der erste Witz ist vergleichbar mit mir – der muss sitzen“. Mit Sprüchen wie diesen nimmt Comedian Carl Josef sich und seine Erkrankung Muskeldystrophie Typ Duchenne immer wieder gern selbst aufs Korn. Und das kommt an. Mittlerweile ist der 16-Jährige gern gesehener Gast auf den Bühnen Deutschlands, hat mit „The Hype is Wheel“ sein erstes großes Soloprogramm kreiert und moderiert im Ersten die Reportagereihe „Carl Josef trifft…“. Mit der OT-Redaktion sprach Carl Josef über Inklusion und Barrierefreiheit, berichtet, in welchen Momenten er auf Herausforderungen stößt und macht deutlich, warum Humor vor niemandem Halt machen sollte.

OT: Du lachst auf der Büh­ne viel über dich selbst und dei­ne Erkran­kung. War­um ist dir das so wich­tig? Dür­fen auch Außen­ste­hen­de Wit­ze über The­men wie Behin­de­rung machen?

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Carl: Lachen ist doch die bes­te Medi­zin. In mei­nen Sets mache ich auf humor­vol­le Wei­se auf Miss­stän­de wie z. B. man­geln­de Bar­rie­re­frei­heit und feh­len­des Pfle­ge­per­so­nal  auf­merk­sam. Das Feed­back, das ich erhal­te, zeigt mir, dass ich dadurch Berüh­rungs­ängs­te abbaue, moti­vie­re und Lebens­mut ver­sprü­he. Ich bin der Mei­nung, dass man Men­schen mit Behin­de­run­gen the­ma­tisch nicht aus­gren­zen sollte.

OT: Hat Humor Grenzen?

Carl: Für mich darf Humor ruhig schwarz und manch­mal auch unter der Gür­tel­li­nie, aber nie ver­let­zend sein.

OT: Bei dei­nem ers­ten Auf­tritt beim Come­dy­for­mat Night­wa­sh vor zwei Jah­ren wur­dest du auf die Büh­ne getra­gen. Läuft das auch heu­te noch so? Wie behin­der­ten­ge­recht ist die Comedybranche?

Carl: Bei Night­wa­sh im Wasch­sa­lon wer­de ich nicht mehr auf die Büh­ne bzw. Fens­ter­bank kön­nen, da mein Roll­stuhl zu schwer gewor­den ist. Ansons­ten ist es eine Fra­ge der Kom­mu­ni­ka­ti­on. Es gibt Ver­an­stal­ter, die es mir mit ent­spre­chen­den Ram­pen ermög­li­chen auf­zu­tre­ten, es gibt aber auch eini­ge Nega­tiv­bei­spie­le, die den­ken, man könn­te mit einem E‑Rolli die Trep­pen hochfliegen.

OT: Du mode­rierst im Ers­ten die Repor­ta­ge­rei­he „Carl Josef trifft…“. Dar­in sprichst du mit behin­der­ten und nicht behin­der­ten Jugend­li­chen über Hob­bys, die sie begeis­tern. War­um braucht es ein For­mat wie dieses?

Carl: Zum einen ist das The­ma Behin­de­rung im Fern­se­hen, im Gegen­satz zu den sozia­len Medi­en, noch sehr unter­re­prä­sen­tiert. Zum ande­ren fin­de ich es wich­tig, auf bei­den Sei­ten die Berüh­rungs­ängs­te zu nehmen.

OT: Du sitzt seit sechs Jah­ren im Roll­stuhl. Was hat sich in den Jah­ren im Bereich Inklu­si­on ver­än­dert? Wo ste­hen wir der­zeit in Deutschland?

Carl: Ich fand es gut, auf der­sel­ben wei­ter­füh­ren­den Schu­le blei­ben zu dür­fen. Dort wur­de von Trep­pen­lift bis Behin­der­ten-WC alles dafür rea­li­siert. Das war sehr inklu­siv. Nach einem Ame­rik­aur­laub vor vier Jah­ren kann ich sagen, dass die USA ein „Schla­raf­fen­land“ für Roll­stuhl­fah­rer und Deutsch­land auf dem Gebiet ein Ent­wick­lungs­land ist.

OT: Wann ist Inklu­si­on für dich erfolgreich?

Carl: Wenn nicht mehr so viel dar­über gespro­chen wird, son­dern sie selbst­ver­ständ­lich gewor­den ist.

OT: Es heißt oft, Men­schen sei­en an den Roll­stuhl „gefes­selt“. Siehst du das auch so?

Carl: Nein. Ich sehe das nicht so. Ich habe mich schnell an den Roll­stuhl gewöhnt. Für mich ist es schlim­mer, dass ich die Arme nicht mehr heben kann und die Hän­de auch schon anfan­gen an Kraft zu verlieren.

OT: Stich­wort Ver­sor­gung mit medi­zi­ni­schen Hilfs­mit­teln. Fühlst du dich gut ver­sorgt oder ver­misst du etwas?

Carl: Hier möch­te ich mal ein Lob an „mein“ Sani­täts­haus Mül­len­heim in Braun­schweig aus­spre­chen, deren Mit­ar­bei­ter mir sehr kom­pe­tent zur Sei­te ste­hen. Ich füh­le mich gut versorgt.

OT: Wel­che Träu­me und Wün­sche hast du für die Zukunft?

Carl: Schön wäre es, noch­mal nach Ame­ri­ka zu rei­sen. Noch schö­ner wäre es, wenn sich die For­schung mehr mei­ner Krank­heit wid­men wür­de, um den töd­li­chen Ver­lauf, idea­ler­wei­se noch zu mei­nen Leb­zei­ten, zu stoppen.

Die Fra­gen stell­te Pia Engelbrecht.

Der Roll­stuhl als Teil des Körpers

Ver­sorgt wird Carl Josef vom Reha-Team Mül­len­heim in Braun­schweig. Hei­ko Maaß, Hilfs­mit­tel­be­ra­ter für Päd­ia­trie und Son­der­bau­ten, weiß, wor­auf es dabei ankommt.

OT: Was für einen Roll­stuhl hat Carl und war­um fiel die Wahl auf diesen?

Hei­ko Maaß: Wir haben den Elek­tro­roll­stuhl auf­grund der Erkran­kung von Carl und der Defi­zi­te, die man vor­aus­se­hen kann, aus­ge­wählt. Die Ent­schei­dung fiel nach inten­si­ver Kon­zep­ti­on, Pla­nung und Pro­be auf den Elek­tro­roll­stuhl F5 der Fir­ma Per­mo­bil. Die­ser ver­fügt über eine erhöh­te Sitz­kan­te­lung von 50 Grad, eine bio­me­tri­sche 180-Grad-Rücken­winkel­ver­stel­lung sowie elek­trisch ver­stell­ba­re Bein­stüt­zen mit Län­gen­aus­gleich. Schmer­zen und Druck kön­nen durch die­se Ver­stel­lun­gen redu­ziert wer­den und die Sitz­zeit so ver­län­gert. Carl ist viel in der Repu­blik unter­wegs und sitzt teil­wei­se acht Stun­den oder län­ger im Roll­stuhl. Daher ist es wich­tig, dass er sich immer wie­der ent­las­ten und neu posi­tio­nie­ren kann. Hin­zu kommt: Die Erkran­kung ist in Pro­gres­si­on. Das heißt, wir müs­sen immer wie­der Anpas­sun­gen der Elek­tro­nik und des Sit­zes vor­neh­men kön­nen. Bei die­sem Modell ist die­se Mög­lich­keit gege­ben. Somit spart sich die Kran­ken­kas­se im Ver­lauf kos­ten­in­ten­si­ve Umver­sor­gun­gen und der Kom­fort für die Patient:innen wird erhöht.

OT: Wel­che Aus­stat­tung hat Carls Rollstuhl?

Maaß: Der Roll­stuhl ist aktu­ell mit einem Omni2-Inter­face (Steu­er­sys­tem, Anm. d. Red.), einem pro­gram­mier­ba­ren Micro-Joy­stick und meh­re­ren But­tons zur Ansteue­rung aus­ge­stat­tet. Da Carl sei­ne Arme nur ein­ge­schränkt nut­zen kann, wur­de ein Jaco-Robo­ter­arm adap­tiert, wel­cher die Funk­ti­on der obe­ren Extre­mi­tä­ten aus­gleicht. Damit kann er z. B. Türen öff­nen oder einen Fahr­stuhl rufen. Wenn der Zeit­punkt kom­men soll­te, dass Carl nicht mehr über die not­wen­di­ge Fin­ger­mo­to­rik ver­fügt, kann eine alter­na­ti­ve Ansteue­rung, wie z. B. Nähe­rungs­sen­so­ren oder Augen­steue­rung, zuge­rüs­tet wer­den, um die Selbst­stän­dig­keit zu erhal­ten. Der Roll­stuhl lässt sich via Blue­tooth mit dem Mobil­te­le­fon oder Tablet kop­peln. Somit besteht die Mög­lich­keit, Anru­fe zu täti­gen sowie Nach­rich­ten zu schrei­ben und zu lesen. Die Optio­nen beim F5 sind viel­fäl­tig, er passt sich der Krank­heit gut an. Und das ist wich­tig, denn irgend­wann begrei­fen Patient:innen den Roll­stuhl als Teil ihres Kör­pers. Mit dem F5 ist es mög­lich, auf die Ver­än­de­run­gen, wel­che die Erkran­kung mit sich bringt, zu reagie­ren, ohne die Ver­sor­gung oder die Patient:innen kom­plett umzustellen.

Heiko Maaß, Hilfsmittelberater für Pädiatrie und Sonderbauten, und das Team vom Sanitätshaus Müllenheim in Braunschweig kümmern sich gemeinsam um die Versorgung von Carl Josef.
Hei­ko Maaß, Hilfs­mit­tel­be­ra­ter für Päd­ia­trie und Son­der­bau­ten, und das Team vom Sani­täts­haus Mül­len­heim in Braun­schweig küm­mern sich gemein­sam um die Ver­sor­gung von Carl Josef. Foto: Sani­täts­haus Müllenheim

OT: Wur­de Carls beson­de­re Arbeits­um­ge­bung, die Büh­ne, bei der Wahl und Gestal­tung des Roll­stuhls berücksichtigt?

Maaß: Ja, das Umfeld, in dem sich die Patient:innen bewe­gen und das Hilfs­mit­tel nut­zen, gehört zu den Kern­fak­to­ren. Ein Hilfs­mit­tel muss für Patient:innen nach Mög­lich­keit in allen Lagen nutz­bar sein und die Erkran­kung so gut es geht aus­glei­chen. Im Fall von Carl – er ist oft im Auto unter­wegs – muss­te der Roll­stuhl z. B. einen Crash­test vor­wei­sen kön­nen, um einen siche­ren Trans­port zu gewähr­leis­ten, und der Sitz muss einen lan­gen Nut­zungs­zeit­raum garan­tie­ren. Egal, ob jemand auf der Büh­ne steht oder nicht: Wich­tig ist uns, dass ein Hilfs­mit­tel auch optisch anspre­chend ist, dar­auf legen wir in unse­rer Werk­statt gro­ßen Wert. Bei Carls Modell haben wir alle Auf­nah­men rela­tiv fili­gran gestal­tet und inte­griert, um ein har­mo­ni­sches Gesamt­bild zu schaf­fen. Das ist auch aus fol­gen­dem Grund ent­schei­dend: Ist ein Hilfs­mit­tel optisch anspre­chend gestal­tet, ist es für Patient:innen ein­fa­cher, sich damit zu iden­ti­fi­zie­ren, für Carl also auch leich­ter, sich auf der Büh­ne zu präsentieren.

OT: Gab es Pro­ble­me bei der Bean­tra­gung des Roll­stuhls bei der Krankenkasse?

Maaß: Die Mög­lich­keit der Kos­ten­über­nah­me für Hilfs­mit­tel über die Kran­ken­kas­sen hängt von der jewei­li­gen Erkran­kung ab. Bei Patient:innen mit einer Mus­kel­dys­tro­phie wird eine Pro­dukt­li­nie benö­tigt, die auf­grund der Aus­stat­tung höhe­re Kos­ten ver­ur­sacht. Pro­ble­me gab es beim E‑Rollstuhl F5 weni­ger als bei dem Robo­ter­arm. Dar­auf las­sen sich die Kos­ten­trä­ger oft erst nach inten­si­ver Prü­fung und viel Argu­men­ta­ti­on ein. Im Fall von Carl hat die Kran­ken­kas­se aber gut mitgespielt.

Die Fra­gen stell­te Pia Engelbrecht.

 

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