Im Interview mit der OT spricht Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) über die Hintergründe des Ausschreibungsverbots von Hilfsmittelverträgen und die künftige Rolle von Leistungserbringerverbänden bei der Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses.
OT: Herr Spahn, zum 1. Mai 2019 ist das TSVG in Kraft getreten. Mit dem Gesetz haben Sie die Ausschreibungen verboten und damit dem Primat des billigsten Preises bei individuellen Patientenversorgungen mit Hilfsmitteln ein Ende gesetzt. Preis und Leistung der qualitätsgesicherten Versorgung werden künftig ausschließlich Gegenstand der Verhandlung gem. § 127 Abs. 2 SGB V zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern sein. Damit liegt der Ball nun bei den Krankenkassen und Leistungserbringern und deren Verbänden. Was erwarten Sie von den Verhandlungspartnern?
Jens Spahn: Mir ist wichtig, dass Patienten und Pflegebedürftige, die auf Hilfsmittel angewiesen sind, gut versorgt werden. Sie sollen sich darauf verlassen können, dass Gehhilfen, Inkontinenzartikel und generell alle notwendigen Hilfsmittel eine gute Qualität haben. Der bisherige Preiskampf um das billigste Angebot ist in der Vergangenheit oft zu Lasten der Patienten gegangen. Deshalb wird es künftig keine Ausschreibungen für Hilfsmittel mehr geben. Und ich erwarte von den Krankenkassen und den Leistungserbringern, dass sie bei den künftigen Vertragsverhandlungen nicht nur den Preis, sondern auch und vor allem die Qualität der Produkte in den Blick nehmen.
OT: Mit dem Verbot der Ausschreibungen ist das ungleiche Kräfteverhältnis zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern nicht beseitigt. Wie sichert das Gesetz ab, dass Verhandlungen stets auf Augenhöhe stattfinden?
Spahn: Wir verpflichten die Krankenkassen mit dem TSVG, alle Verträge über Hilfsmittelversorgungen mit den Verbänden oder Leistungserbringern zu verhandeln. Und die Krankenkassen müssen auch jedem Leistungserbringer Verhandlungsmöglichkeiten eröffnen. Den verhandelten Verträgen kann dann jeder Leistungserbringer zu den gleichen Bedingungen beitreten. Es geht also um ein Beitrittsrecht und nicht um eine Beitrittspflicht. Damit haben wir einen guten Rahmen dafür gesetzt, dass die Krankenkassen und die Anbieter vernünftig verhandeln können.
OT: In welchem Ausmaß erwarten Sie sich durch das TSVG auch positive Effekte auf die Pflege? Gerade in diesem Bereich führt eine unzureichende Versorgung zu Mehraufwand und Mehrkosten.
Spahn: Pflegebedürftige haben ja schon heute einen Anspruch auf Pflegehilfsmittel. Das ist wichtig, weil es die Pflege erleichtert, akute Beschwerden lindert und auch eine selbständige Lebensführung der Pflegebedürftigen ermöglicht. Das wird aus Mitteln der Pflegeversicherung finanziert und das bleibt auch so.
OT: Das Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG) verlangte die überfällige Überarbeitung des Hilfsmittelverzeichnisses bis zum Ende des Jahres 2018. Stand heute ist die qualitätsgesicherte Versorgung aber noch immer nicht klar und deutlich im Verzeichnis hinterlegt. Weder eine durchgängige Logik noch entsprechend belastbare Leistungsbeschreibungen sind eingeflossen. Expertenverbände aus der Praxis wurden zwar förmlich angehört, aber deren Kritik wurde nicht gehört. Inzwischen verstärkten sich die Stimmen, die verlangen, dass der GKV-Spitzenverband mit der Überarbeitung eigentlich die völlig falsche Institution ist, da eine überparteiliche und neutrale Stelle den Qualitätsbegriff definieren sollte. Folgen Sie der Meinung des Vorsitzenden des Gemeinsamen Bundeausschusses (G‑BA), Prof. Josef Hecken, dass die Überarbeitung eigentlich in das Feld des G‑BA gehört?
Spahn: Mit dem HHVG haben wir den GKV-Spitzenverband beauftragt, das Hilfsmittelverzeichnis regelmäßig zu überprüfen. Dieser hat innerhalb der vorgegebenen Frist alle Produktgruppen des Hilfsmittelverzeichnisses auf ihren Fortschreibungsbedarf geprüft und dazu auch das gesetzlich vorgesehene Stellungnahmeverfahren durchgeführt. Wenn Hersteller- und Leistungserbringerverbände oder Patientenorganisationen der Meinung sind, dass hier weitere Anpassungen notwendig sind, können diese in künftigen Fortschreibungen auch berücksichtigt werden. Mir ist wichtig, dass alle Beteiligten in diesem neuen Verfahren an einem Strang ziehen und gemeinsam konstruktiv daran arbeiten, dass das Hilfsmittelverzeichnis kontinuierlich und am Puls der Zeit weiterentwickelt wird.
Die Fragen stellte Michael Blatt.
- Das Handwerk trauert um Werner Dierolf — 28. September 2024
- Die OTWorld und das große Rauschen — 16. Mai 2024
- OT an die Welt – Die OTWorld 2024 ist in Leipzig gelandet — 14. Mai 2024