Dass dem Handwerk aktuell mehrere Hunderttausend Fachkräfte fehlen, ist täglich in den Nachrichten zu hören. Der ZDH hat es genauer wissen wollen und mit den 53 deutschen Handwerkskammern im 3. Quartal 2022 eine Umfrage zur Ausbildungssituation in den Betrieben durchgeführt. 7.801 haben geantwortet, von denen zu diesem Zeitpunkt 27 Prozent Auszubildende beschäftigten; im Sektor Gesundheit waren es sogar 36 Prozent. Am mangelnden Willen des Handwerks liegt es also nicht: Die gesamtwirtschaftliche Ausbildungsbetriebsquote lag im Jahr 2020 mit etwa 20 Prozent deutlich niedriger.
Wer nicht ausbildet, tut das in der Regel nicht freiwillig: 25 Prozent der Betriebe gaben an, dass sie zum Beispiel nicht über die formalen Qualifikationen als Ausbilder verfügen. Insbesondere Klein- und Kleinstbetriebe könnten häufig aufgrund von Spezialisierungen nicht alle Ausbildungsinhalte vermitteln. Als zweithäufigster Grund folgte mit 22 Prozent der Bewerbermangel. Unsichere wirtschaftliche Perspektiven (11 Prozent), offene Nachfolgefragen bei älteren Betriebsinhabern (17 Prozent) und hohe Kosten der Ausbildung (12 Prozent) wurden ebenfalls genannt.
Beinahe jeder dritte Handwerksbetrieb war im Ausbildungsjahr 2022 auf der Suche nach neuen Auszubildenden (31 Prozent). Der ZDH spricht angesichts der demografischen Entwicklung in ganz Europa von einem „schrumpfenden Talente-Pool“: Weniger Jugendliche bedeuten schlicht weniger potenzielle Bewerber:innen. Dabei überlagert der Fachkräftemangel sogar in Teilen die Auswirkungen der Corona-Pandemie und der Energiekostenexplosion – ein deutliches Signal dafür, wie drängend das Nachwuchsproblem ist. In Zahlen stellt sich der signifikante Bewerbermangel so dar: Von den Handwerksbetrieben auf Azubisuche konnte jeder Zweite (49 Prozent) keinen der in diesem Jahr angebotenen Ausbildungsplätze besetzen. Bei weiteren 15 Prozent blieb zumindest ein Teil der angebotenen Plätze unbesetzt. Insbesondere Klein- und Kleinstbetriebe mit bis zu neun tätigen Personen hatten bei der Besetzung offener Ausbildungsplätze Schwierigkeiten. Erfreulich für den Bereich Gesundheit: Immerhin 39 Prozent der Ausbildungsbetriebe konnten alle offenen Stellen besetzen, womit dieser Bereich an der Spitze steht, noch vor Bauhauptgewerbe und Kfz.
Mehr Mitarbeiter:innen wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Das Statistische Bundesamt gab die Zahl von Menschen im erwerbsfähigen Alter (20 bis 66 Jahre) in Deutschland für 2018 mit 51,8 Millionen Menschen an. Bis zum Jahr 2035 wird diese Gruppe um etwa 4 bis 6 Millionen Menschen auf 45,8 bis 47,4 Millionen schrumpfen und sich auf diesem Niveau zunächst stabilisieren. Ohne Nettozuwanderung würde sie sich bereits bis 2035 um rund 9 Millionen Menschen verringern. Bis zum Jahr 2060 kann sie – je nach Höhe der Nettozuwanderung – auf 40 bis 46 Millionen sinken.
Dem muss das Handwerk begegnen – einige Lösungsvorschläge liegen schon auf dem Tisch. Der ZDH plädiert etwa dafür, die Attraktivität der beruflichen Ausbildung zu verbessern. Dabei seien die Betriebe, die Handwerksorganisationen und die Politik gefragt. Kampagnen, wie der Sommer der Berufsbildung, leisteten hier bereits einen ersten Beitrag.
Die Betriebe selbst wünschen sich bessere Rahmenbedingungen für die Besetzung von Ausbildungsplätzen im Handwerk. Dazu gehört eine verbesserte schulische Berufsorientierung (46 Prozent), etwa über die Wiedereinführung von Werkunterricht an allgemeinbildenden Schulen (33 Prozent). Ein vernünftiges ÖPNV-Angebot mit guter Taktung (19 Prozent) und zu günstigen Preisen für Auszubildende (20 Prozent) könnte die betriebliche Ausbildung in den ländlichen Räumen stärken. In den Ballungsräumen dagegen sehen 14 Prozent der Betriebe ihre Azubis vor enormen Mietkosten und wünschten sich kostengünstigen Wohnraum für Auszubildende. 14 Prozent der Teilnehmer regten an, den Berufsschulunterricht flexibler zu gestalten, zum Beispiel durch Distanzunterricht oder kleinere Lerngruppen – insbesondere in Gewerken, in denen der Berufsschulunterricht an wenigen Orten zentralisiert wurde.
Um das Ausbildungsgeschehen im Betrieb zu unterstützen, nannten die Handwerksbetriebe an erster Stelle die Vermittlung von Kernkompetenzen an allgemeinbildenden Schulen und die Qualität des Berufsschulsystems. 40 Prozent der Betriebe würden sich durch bessere Lese‑, Schreib- und Rechenkenntnisse der Ausbildungsinteressierten entlastet fühlen, 37 Prozent durch eine durchgängig hohe Lehrqualität und ausreichend Lehrkräfte an den Berufsschulen. 36 Prozent plädierten für eine Senkung der Ausbildungskosten, etwa durch eine steuerliche Entlastung von Ausbildungsbetrieben oder eine stärkere Förderung der Bildungszentren, die im Rahmen der Überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung (ÜLU) einen Beitrag zur Ausbildungsqualität liefern.
Wer erfolgreich Auszubildende angeworben hatte, hat laut der ZDH-Umfrage stark auf diese fünf Strategien gesetzt: die Übernahme durch den Betrieb nach Ende der Ausbildung in Aussicht stellen; Berufsorientierungsangebote wie Praktika oder Tage der offenen Tür; die Ausweitung der vom Betrieb genutzten Rekrutierungskanäle, zum Beispiel auf Social Media; finanzieller und/oder materielle Anreize; eine stärkere Profilierung als attraktiver Ausbildungsbetrieb.
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