Aus­wir­kun­gen der PG-17-Fortschreibung

Rund 120.000 Menschen leiden in Deutschland laut der Deutschen Gesellschaft für Lymphologie an einem Lymphödem. Ursache der Schwellungen ist eine Abflussstörung des Lymphsystems. Behandelt wird diese Krankheit, die sowohl erblich bedingt als auch durch Operationen oder Unfälle auftreten kann, meistens mit der Komplexen Physikalischen Entstauungstherapie (KPE).

Bei der kom­bi­nier­ten Behand­lungs­form spielt unter ande­rem die Kom­pres­si­ons­the­ra­pie eine wich­ti­ge Rol­le spielt. Ralph Mar­tig ist Bereichs­lei­ter und Pro­ku­rist der Schaub KG in Frei­burg sowie Geschäfts­füh­rer der Deut­schen Gesell­schaft für Lym­pho­lo­gie (DGL). Als Exper­te für lym­pho­lo­gi­sche Leis­tungs­er­brin­gung berich­tet er, wie es mit dem aktu­el­len Ver­sor­gungs­stand aussieht.

Anzei­ge

OT: Herr Mar­tig, wel­che Ände­run­gen hat die Fort­schrei­bung des Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis­ses durch den GKV-Spit­zen­ver­band in der PG 17 (Hilfs­mit­tel zur Kom­pres­si­ons­the­ra­pie) erge­ben und wel­che Aus­wir­kun­gen hat dies für die Praxis?

Ralph Mar­tig: Grund­sätz­lich ist die Fort­füh­rung zu begrü­ßen. Neben den neu­en Abstu­fun­gen in den Län­gen wur­den auch teil­wei­se bereits seit Jahr­zehn­ten in der Lym­pho­lo­gie Anwen­dung fin­den­de Zusät­ze wie die Ober­bei­n­er­hö­hung oder die Y‑Einkehrung nun offi­zi­ell auf­ge­nom­men. Kran­ken­kas­sen, wel­che die­se noch nicht ver­ein­bart haben, müs­sen sie nun in ihre Ver­trä­ge neu auf­neh­men. Kas­sen, wel­che bis­her noch kei­ne Ver­trä­ge abge­schlos­sen haben, bie­ten zuneh­mend Ver­trags­ver­hand­lun­gen an. In der Defi­ni­ti­on der PG 17 sind eini­ge weit­rei­chen­de Erklä­run­gen und Klar­stel­lun­gen mit­auf­ge­nom­men wor­den. So wer­den die Ödem­gra­de genau­so auf­ge­führt wie Hin­wei­se zu ärzt­lich zu ver­an­las­sen­de Maß­nah­men wie Lymph­drai­na­gen und Kom­pres­si­ons­ban­da­gie­rung. Die leit­li­ni­en­ge­rech­te Behand­lung von Ödem­pa­ti­en­ten erfolgt lei­der vie­ler­orts noch nicht ent­spre­chend. Jede Auf­klä­rung hilft dabei, die Qua­li­tät der ambu­lan­ten Ver­sor­gung zu ver­bes­sern, und hilft den Leis­tungs­er­brin­gern bei der Argu­men­ta­ti­on gegen­über Ärz­ten und Krankenkassen.

OT: Kön­nen Sie uns Erfah­run­gen aus dem Zusam­men­spiel von Sani­täts­häu­sern und Ärz­ten in der Ver­sor­gung von Lymph­ödem­pa­ti­en­ten nennen?

Mar­tig: Die Gesetz­ge­bung regle­men­tiert zunächst die Zusam­men­ar­beit mit Ärz­ten. Dabei ist gera­de das Zusam­men­spiel der an der Behand­lung der Pati­en­ten betei­lig­ten Berufs­grup­pen Ärz­te, Lymph­the­ra­peu­ten und spe­zia­li­sier­te Leis­tungs­er­brin­ger immens wich­tig. Behand­lungs­er­fol­ge wie die Ver­rin­ge­rung von Fibro­sen, Wie­der­her­stel­lung von Beweg­lich­keit ein­her­ge­hend mit einer Ödem­re­duk­ti­on kön­nen nur durch das koor­di­nier­te Zusam­men­spiel der genann­ten Berufs­grup­pen statt­fin­den. Obers­tes Ziel ist die Com­pli­ance des Pati­en­ten, die dazu führt, dass er die ange­bo­te­nen The­ra­pien annimmt und aus eige­nem Antrieb fort­führt. Dem Arzt kommt dabei als „The­ra­pie­ma­na­ger“ eine tra­gen­de Rol­le zu. Er for­mu­liert das The­ra­pie­ziel und über­wacht ob bei­spiels­wei­se die Lymph­drai­na­ge leit­li­ni­en­ge­recht durch­ge­führt, die ver­ord­ne­te Ban­da­gie­rung ent­spre­chend ange­legt und die Pass­form der Bestrump­fung kor­rekt ist. Ein­fa­che Fra­ge­stel­lun­gen an den Pati­en­ten, ob etwa auch der Rumpf mit­be­han­delt wur­de oder die Anfor­de­rung der The­ra­pie­be­rich­te bei den behan­deln­den The­ra­peu­ten brin­gen schnell Klarheit.

OT: Was muss bei der Doku­men­ta­ti­on der Ver­sor­gung beach­tet werden?

Mar­tig: Eine gute Doku­men­ta­ti­on ist aus ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven not­wen­dig. Sie dient zual­ler­erst der inter­nen Doku­men­ta­ti­on, um die Ent­schei­dungs­fin­dung bis zur Anfer­ti­gung dar­zu­le­gen. Hin­zu kom­men ver­trag­li­che und recht­li­che Anfor­de­run­gen wie die Doku­men­ta­ti­ons­pflich­ten der EU-Medi­zin­pro­duk­te-Ver­ord­nung (MDR). In den meis­ten Kas­sen­ver­trä­gen ist der Erhe­bungs­bo­gen der Bun­des­fach­schu­le für Ortho­pä­die-Tech­nik (BUFA) als Doku­men­ta­ti­on vor­ge­schrie­ben. Bil­der der betrof­fe­nen Extre­mi­tä­ten kön­nen eben­falls hilf­reich sein, wenn es zu Prü­fun­gen durch den Medi­zi­ni­schen Dienst der Kran­ken­ver­si­che­rung (MDK) kommt. Über allem schwebt dabei die Daten­schutz­grund­ver­ord­nung (DSGVO). Der Pati­ent muss schrift­lich in die Erhe­bung, Spei­che­rung und Wei­ter­ga­be der Daten ein­wil­li­gen. Dabei gilt der Grund­satz der „Daten­hy­gie­ne“ – also auch nur das zu erfas­sen, was unmit­tel­bar zur Ver­sor­gung not­wen­dig ist.

OT: Wel­che Unter­la­gen soll­te ein Betrieb in die­sem Zusam­men­hang zum Kos­ten­vor­anschlag nutzen?

Mar­tig: Die gefor­der­ten Unter­la­gen wer­den in den jewei­li­gen Ver­trä­gen fest­ge­legt. Man­che Kas­sen ver­lan­gen nur das Rezept und die Maß­kar­te, ande­re zusätz­lich den Erhe­bungs­bo­gen und den Kos­ten­vor­anschlag des Herstellers.

OT: Was pas­siert, wenn die Kran­ken­kas­se eine Leis­tung ablehnt?

Mar­tig: Zunächst ein­mal muss man sich ver­ge­gen­wär­ti­gen, dass wir „ledig­lich“ der Lie­fe­rant der Kos­ten­trä­ger sind. Den ori­gi­nä­ren Sach­leis­tungs­an­spruch hat immer der Pati­ent gegen­über sei­ner Kran­ken­kas­se. Die­se bedient sich des Leis­tungs­er­brin­gers, um dem Anspruch des Ver­si­cher­ten zu befrie­di­gen. Grund­sätz­lich spricht nichts dage­gen, sich als Leis­tungs­er­brin­ger und Ver­trags­part­ner fach­lich argu­men­ta­tiv mit der Kas­se aus­ein­an­der zu set­zen. Oft hilft dies nach mei­ner Erfah­rung schon wei­ter. Juris­tisch kann nur der Pati­ent gegen sei­ne Kran­ken­kas­se vor­ge­hen. Dazu muss er inner­halb von vier Wochen einen Wider­spruch bei sei­ner Kas­se ein­rei­chen. Hilft dies nicht wei­ter, bleibt der Gang vor das Sozialgericht.

OT: Wel­che Emp­feh­lung spre­chen Sie den Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten im Fall einer Ableh­nung aus?

Mar­tig: Gera­de chro­nisch kran­ken Pati­en­ten, wel­che dau­er­haft immer wie­der Ersatz­pro­duk­te benö­ti­gen, emp­feh­le ich ihr Recht ein­mal rich­tig durch­zu­setz­ten. Dabei hel­fen oft auch Zusatz­in­for­ma­tio­nen zur Erkran­kung, wel­che der Kas­se zum Zeit­punkt der Ableh­nung nicht
vor­la­gen. In aller Regel kommt es dann in der Fol­ge zu kei­ner wei­te­ren Kürzung/Ablehnung mehr.

OT: Wel­che Beson­der­hei­ten der Arbeits­zeit­be­wer­tung sind bei einer Ver­sor­gung mit Kom­pres­si­ons­hilfs­mit­teln zu beachten?

Mar­tig: Bis eine Ver­sor­gung abge­rech­net wer­den kann, fal­len eine Viel­zahl an Arbeits­schrit­ten an. Der Bun­des­in­nungs­ver­band für Ortho­pä­die-Tech­nik (BIV-OT) hat dazu ein umfang­rei­ches Kal­ku­la­ti­ons­hand­buch für die ein­zel­nen Län­gen­grö­ßen her­aus­ge­ge­ben. Dar­in wer­den die Arbeits­schrit­te auf­ge­führt und mit einer Arbeits­zeit bewertet.

OT: Stich­wort Selbst­hil­fe: Wie sehen die recht­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen einer Grün­dung eines Lymph­netz­wer­kes aus?

Mar­tig: Grund­sätz­lich bedarf es zur Grün­dung oder dem Betrieb eines Lymph­netz­werks kei­ner Rechts­form. Klar ist, dass sich die Teil­neh­mer an diver­se Vor­ga­ben wie Ver­trä­gen, dem Sozi­al­ge­setz­buch oder der DSGVO hal­ten müs­sen. Grund­sätz­lich haben gesetz­lich Ver­si­cher­te einen Anspruch auf ein Ver­sor­gungs­ma­nage­ment beim Über­gang in die ver­schie­de­nen Ver­sor­gungs­be­rei­che. Die betrof­fe­nen Leis­tungs­er­brin­ger sol­len dabei für eine sach­ge­rech­te Anschluss­ver­sor­gung des Ver­si­cher­ten sor­gen und sich gegen­sei­tig die erfor­der­li­chen Infor­ma­tio­nen zur Ver­fü­gung stel­len. Ab einem gewis­sen Ver­net­zungs­grad macht es durch­aus Sinn, einen Ver­ein oder eine GbR zu grün­den. Das schafft Ver­bind­lich­keit unter den Teil­neh­mern und Rechts­si­cher­heit in der Zusam­men­ar­beit, immer  vor­aus­ge­setzt der Pati­ent wil­ligt in die Behand­lung durch die Teil­neh­mer des Netz­werks ein.

Die Fra­gen stell­te Hei­ko Cordes.

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