Bei der kombinierten Behandlungsform spielt unter anderem die Kompressionstherapie eine wichtige Rolle spielt. Ralph Martig ist Bereichsleiter und Prokurist der Schaub KG in Freiburg sowie Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Lymphologie (DGL). Als Experte für lymphologische Leistungserbringung berichtet er, wie es mit dem aktuellen Versorgungsstand aussieht.
OT: Herr Martig, welche Änderungen hat die Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses durch den GKV-Spitzenverband in der PG 17 (Hilfsmittel zur Kompressionstherapie) ergeben und welche Auswirkungen hat dies für die Praxis?
Ralph Martig: Grundsätzlich ist die Fortführung zu begrüßen. Neben den neuen Abstufungen in den Längen wurden auch teilweise bereits seit Jahrzehnten in der Lymphologie Anwendung findende Zusätze wie die Oberbeinerhöhung oder die Y‑Einkehrung nun offiziell aufgenommen. Krankenkassen, welche diese noch nicht vereinbart haben, müssen sie nun in ihre Verträge neu aufnehmen. Kassen, welche bisher noch keine Verträge abgeschlossen haben, bieten zunehmend Vertragsverhandlungen an. In der Definition der PG 17 sind einige weitreichende Erklärungen und Klarstellungen mitaufgenommen worden. So werden die Ödemgrade genauso aufgeführt wie Hinweise zu ärztlich zu veranlassende Maßnahmen wie Lymphdrainagen und Kompressionsbandagierung. Die leitliniengerechte Behandlung von Ödempatienten erfolgt leider vielerorts noch nicht entsprechend. Jede Aufklärung hilft dabei, die Qualität der ambulanten Versorgung zu verbessern, und hilft den Leistungserbringern bei der Argumentation gegenüber Ärzten und Krankenkassen.
OT: Können Sie uns Erfahrungen aus dem Zusammenspiel von Sanitätshäusern und Ärzten in der Versorgung von Lymphödempatienten nennen?
Martig: Die Gesetzgebung reglementiert zunächst die Zusammenarbeit mit Ärzten. Dabei ist gerade das Zusammenspiel der an der Behandlung der Patienten beteiligten Berufsgruppen Ärzte, Lymphtherapeuten und spezialisierte Leistungserbringer immens wichtig. Behandlungserfolge wie die Verringerung von Fibrosen, Wiederherstellung von Beweglichkeit einhergehend mit einer Ödemreduktion können nur durch das koordinierte Zusammenspiel der genannten Berufsgruppen stattfinden. Oberstes Ziel ist die Compliance des Patienten, die dazu führt, dass er die angebotenen Therapien annimmt und aus eigenem Antrieb fortführt. Dem Arzt kommt dabei als „Therapiemanager“ eine tragende Rolle zu. Er formuliert das Therapieziel und überwacht ob beispielsweise die Lymphdrainage leitliniengerecht durchgeführt, die verordnete Bandagierung entsprechend angelegt und die Passform der Bestrumpfung korrekt ist. Einfache Fragestellungen an den Patienten, ob etwa auch der Rumpf mitbehandelt wurde oder die Anforderung der Therapieberichte bei den behandelnden Therapeuten bringen schnell Klarheit.
OT: Was muss bei der Dokumentation der Versorgung beachtet werden?
Martig: Eine gute Dokumentation ist aus verschiedenen Perspektiven notwendig. Sie dient zuallererst der internen Dokumentation, um die Entscheidungsfindung bis zur Anfertigung darzulegen. Hinzu kommen vertragliche und rechtliche Anforderungen wie die Dokumentationspflichten der EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR). In den meisten Kassenverträgen ist der Erhebungsbogen der Bundesfachschule für Orthopädie-Technik (BUFA) als Dokumentation vorgeschrieben. Bilder der betroffenen Extremitäten können ebenfalls hilfreich sein, wenn es zu Prüfungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) kommt. Über allem schwebt dabei die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Der Patient muss schriftlich in die Erhebung, Speicherung und Weitergabe der Daten einwilligen. Dabei gilt der Grundsatz der „Datenhygiene“ – also auch nur das zu erfassen, was unmittelbar zur Versorgung notwendig ist.
OT: Welche Unterlagen sollte ein Betrieb in diesem Zusammenhang zum Kostenvoranschlag nutzen?
Martig: Die geforderten Unterlagen werden in den jeweiligen Verträgen festgelegt. Manche Kassen verlangen nur das Rezept und die Maßkarte, andere zusätzlich den Erhebungsbogen und den Kostenvoranschlag des Herstellers.
OT: Was passiert, wenn die Krankenkasse eine Leistung ablehnt?
Martig: Zunächst einmal muss man sich vergegenwärtigen, dass wir „lediglich“ der Lieferant der Kostenträger sind. Den originären Sachleistungsanspruch hat immer der Patient gegenüber seiner Krankenkasse. Diese bedient sich des Leistungserbringers, um dem Anspruch des Versicherten zu befriedigen. Grundsätzlich spricht nichts dagegen, sich als Leistungserbringer und Vertragspartner fachlich argumentativ mit der Kasse auseinander zu setzen. Oft hilft dies nach meiner Erfahrung schon weiter. Juristisch kann nur der Patient gegen seine Krankenkasse vorgehen. Dazu muss er innerhalb von vier Wochen einen Widerspruch bei seiner Kasse einreichen. Hilft dies nicht weiter, bleibt der Gang vor das Sozialgericht.
OT: Welche Empfehlung sprechen Sie den Patientinnen und Patienten im Fall einer Ablehnung aus?
Martig: Gerade chronisch kranken Patienten, welche dauerhaft immer wieder Ersatzprodukte benötigen, empfehle ich ihr Recht einmal richtig durchzusetzten. Dabei helfen oft auch Zusatzinformationen zur Erkrankung, welche der Kasse zum Zeitpunkt der Ablehnung nicht
vorlagen. In aller Regel kommt es dann in der Folge zu keiner weiteren Kürzung/Ablehnung mehr.
OT: Welche Besonderheiten der Arbeitszeitbewertung sind bei einer Versorgung mit Kompressionshilfsmitteln zu beachten?
Martig: Bis eine Versorgung abgerechnet werden kann, fallen eine Vielzahl an Arbeitsschritten an. Der Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik (BIV-OT) hat dazu ein umfangreiches Kalkulationshandbuch für die einzelnen Längengrößen herausgegeben. Darin werden die Arbeitsschritte aufgeführt und mit einer Arbeitszeit bewertet.
OT: Stichwort Selbsthilfe: Wie sehen die rechtlichen Rahmenbedingungen einer Gründung eines Lymphnetzwerkes aus?
Martig: Grundsätzlich bedarf es zur Gründung oder dem Betrieb eines Lymphnetzwerks keiner Rechtsform. Klar ist, dass sich die Teilnehmer an diverse Vorgaben wie Verträgen, dem Sozialgesetzbuch oder der DSGVO halten müssen. Grundsätzlich haben gesetzlich Versicherte einen Anspruch auf ein Versorgungsmanagement beim Übergang in die verschiedenen Versorgungsbereiche. Die betroffenen Leistungserbringer sollen dabei für eine sachgerechte Anschlussversorgung des Versicherten sorgen und sich gegenseitig die erforderlichen Informationen zur Verfügung stellen. Ab einem gewissen Vernetzungsgrad macht es durchaus Sinn, einen Verein oder eine GbR zu gründen. Das schafft Verbindlichkeit unter den Teilnehmern und Rechtssicherheit in der Zusammenarbeit, immer vorausgesetzt der Patient willigt in die Behandlung durch die Teilnehmer des Netzwerks ein.
Die Fragen stellte Heiko Cordes.