Anwen­dung des Tail­o­red-Fiber-Pla­ce­ment-Ver­fah­rens in der Orthopädietechnik

A. Spickenheuer, N. Fittkau, S. Konze, E. Richter, M. Stommel
In der Patientenversorgung in ortho­pädietechnischen Werkstätten ist der Einsatz von Faser-Kunststoff-Verbundwerkstoffen (FKV) mit Endlosfaserverstärkung aufgrund der guten Eigenschaften des Werkstoffs nicht mehr wegzudenken. Durch den Einsatz von klassischen textilen Halbzeugen wie z. B. Geweben ist dies jedoch mit einem großen Materialverschnitt und hohem manuellem Aufwand verbunden. Der Einsatz generativer Fertigungsverfahren bietet demgegenüber für den Orthesenbau deutliche prozess- und werkstoff­spezifische Vorteile. In einer Reihe gemeinsamer Forschungsvorhaben zwischen dem Leibniz-Institut für Polymerforschung Dresden e. V. und verschiedenen Forschungspartnern wird daher das Potenzial des Tailored-Fiber-Placement-Verfahrens (TFP) untersucht und für anwendungs­nahe Prozessketten in der Orthopädietechnik weiterentwickelt.

Ein­lei­tung

Faser-Kunst­stoff-Ver­bun­de (FKV) mit End­los­fa­ser­ver­stär­kung haben in den letz­ten Jahr­zehn­ten den Sprung von Hoch­leis­tungs­an­wen­dun­gen, z. B. in der Luft- und Raum­fahrt, hin zu Ein­satz­ge­bie­ten mit direk­tem Bezug zum End­an­wen­der voll­zo­gen 1. Aller­dings wird das vol­le Poten­zi­al der Ver­stär­kungs­fa­sern, die bis­her meist nur in Form tex­ti­ler Halb­zeu­ge wie z. B. Gewe­be oder Gele­ge ein­ge­setzt wer­den, oft nicht voll­stän­dig aus­ge­nutzt. Zudem ist der Ein­satz die­ser Halb­zeu­ge größ­ten­teils mit einem hohen manu­el­len Her­stel­lungs­auf­wand und gro­ßem Mate­ri­al­ver­schnitt ver­bun­den. Durch Ein­satz des gene­ra­ti­ven Fer­ti­gungs­ver­fah­rens „Tail­o­red Fiber Pla­ce­ment“ (TFP) kön­nen pro­zess- und werk­stoff­spe­zi­fi­sche Vor­tei­le für den Pro­the­sen- und Orthe­sen­bau dage­gen deut­lich bes­ser aus­ge­nutzt wer­den. Am Leib­niz-Insti­tut für Poly­mer­for­schung Dres­den e. V. (IPF) in Zusam­men­ar­beit mit wei­te­ren Pro­jekt­part­nern wird das Poten­zi­al des TFP-Ver­fah­rens hin­sicht­lich anwen­dungs­na­her und neu­ar­ti­ger Pro­zess­ket­ten unter ande­rem in der Ortho­pä­die­tech­nik wei­ter­ent­wi­ckelt. Im Zen­trum der Bemü­hun­gen steht dabei das Ziel, auch klei­ne­ren ortho­pä­di­schen Werk­stät­ten den direk­ten Zugang zu die­ser noch jun­gen Tech­no­lo­gie mit hohem Anwen­dungs­po­ten­zi­al zu eröffnen.

Anzei­ge

Das Tail­o­red-Fiber-Pla­ce­ment-Ver­fah­ren (TFP-Ver­fah­ren)

Das Tail­o­red-Fiber-Pla­ce­ment-Ver­fah­ren (TFP-Ver­fah­ren) wur­de Anfang der 1990er Jah­re am Leib­niz-Insti­tut für Poly­mer­for­schung Dres­den e. V. als Ver­fah­ren zur end­kon­tur­na­hen und varia­be­laxia­len Abla­ge von Ver­stär­kungs­fa­ser­bün­deln (soge­nann­ten Rovings) ent­wi­ckelt 2. Das Ver­fah­ren, das heu­te zu den gene­ra­ti­ven Fer­ti­gungs­ver­fah­ren für tex­ti­le soge­nann­te Pre­for­men (Vor­form­lin­ge) gezählt wer­den kann, lässt sich nicht nur für Rapid-Pro­to­ty­p­ing-Anwen­dun­gen ein­set­zen. Für eine Viel­zahl anspruchs­vol­ler Leicht­bau­tei­le wird es bereits zur Seri­en­pro­duk­ti­on genutzt: Mit­tels TFP her­ge­stell­te FKV-Bau­tei­le fin­den sich heu­te bereits in der Luft- und Raum­fahrt (bspw. am Fens­ter­rah­men des Air­bus A350; Abb. 1a), im Maschi­nen­bau, in der Sport- und Frei­zeit­gü­ter­in­dus­trie (Pro­to­typ „Leicht­bau­bo­gen rec° 16“; Abb. 1b) sowie im Möbel­bau (Pro­to­typ „Leichtbau­hocker L1“; Abb. 1c).

Ein zen­tra­ler Vor­teil gegen­über dem Ein­satz tro­cke­ner tex­ti­ler Halb­zeu­ge auf der Basis von Gewe­ben, Gele­gen oder dar­aus her­ge­stell­ten Pre­pregs besteht dar­in, dass die ent­spre­chen­den Ver­stär­kungs­fa­sern, z. B. aus Koh­len­stoff, prä­zi­ser wie­der­hol­bar bezüg­lich Lage und Faser­ori­en­tie­rung plat­ziert wer­den kön­nen. Ver­schnitt­men­gen, die typi­scher­wei­se beim Zuschnitt von Faser­mat­ten anfal­len, kön­nen dadurch auf ein Mini­mum redu­ziert wer­den. Dar­über hin­aus ermög­licht eine akti­ve Faden­füh­rung, dass die Ver­stär­kungs­fa­sern in gekrümm­ten Bah­nen fixiert wer­den kön­nen. Die­se soge­nann­te varia­be­laxia­le Faser­ab­la­ge ermög­licht einer­seits die direk­te Erzeu­gung kom­ple­xer geo­me­tri­scher For­men; ande­rer­seits kön­nen hier­durch die aniso­tro­pen (rich­tungs­ab­hän­gi­gen) Werk­stoff­ei­gen­schaf­ten der ein­zeln abge­leg­ten Rovings best­mög­lich an die mecha­ni­schen Bean­spru­chun­gen eines FKV-Bau­teils ange­passt wer­den. Dadurch lässt sich das Leicht­bau­po­ten­zi­al des Ver­bund­werk­stoffs auf ein­zig­ar­ti­ge Wei­se aus­nut­zen 3.

Das TFP-Ver­fah­ren selbst basiert auf dem Ein­satz modi­fi­zier­ter indus­tri­el­ler Stick­au­to­ma­ten. Durch eine CNC-Steue­rung (CNC = Com­pu­te­ri­zed Nume­ri­cal Con­trol) kön­nen kom­ple­xe Faser­ver­läu­fe ent­lang eines zuvor mit­tels Com­pu­ter Aided Design (CAD) defi­nier­ten Lege­mus­ters auto­ma­ti­siert her­ge­stellt wer­den. Im Gegen­satz zu ande­ren addi­ti­ven Fer­ti­gungs­ver­fah­ren, etwa dem 3D-Druck mit End­los­fa­ser­ver­stär­kung, kön­nen dabei jedoch nahe­zu belie­bi­ge Ver­stär­kungs­fa­ser­ar­ten – bspw. aus Glas, Basalt, Koh­len­stoff oder Poly­me­ren, tro­cken oder als ther­mo­plas­ti­sches Hybrid­garn bzw. duro­plas­ti­sches Tow­preg (vor­im­prä­gnier­ter Roving) – in unter­schied­li­chen Faser­bün­del­stär­ken ver­wen­det wer­den. Die Ver­stär­kungs­fa­sern wer­den dabei mit­tels eines dün­nen Ober- bzw. Unter­fa­dens im Zick­zack-Stich auf einem frei wähl­ba­ren Trä­ger­ma­te­ri­al auf­ge­näht (Abb. 2a u. b). Durch den Ein­satz von Näh­fä­den gerin­ger Stär­ke wird sicher­ge­stellt, dass das abge­leg­te Faser­ma­te­ri­al nur wenig ondu­liert und somit eine Reduk­ti­on der effek­ti­ven mecha­ni­schen Kenn­wer­te so nied­rig wie mög­lich gehal­ten wird. Die tex­ti­le Bin­dungs­art ermög­licht – eben­falls im Unter­schied zum 3D-Druck mit End­los­fa­ser­ver­stär­kung – ein pro­blem­lo­ses Umfor­men der TFP-Pre­for­men und dadurch die Her­stel­lung anspruchs­vol­ler, räum­lich gekrümm­ter FKV-Bau­tei­le. Die­se Eigen­schaft in Ver­bin­dung mit einer für gene­ra­ti­ve Fer­ti­gungs­ver­fah­ren sehr hohen Pro­duk­ti­vi­tät durch den Ein­satz von TFP-Lege­au­to­ma­ten mit meh­re­ren Lege­köp­fen (Abb. 2c) macht es für eine Viel­zahl von Leicht­bau­an­wen­dun­gen sehr interessant.

Die vor­ran­gig mit­tels tro­cke­nen Faser­ma­te­ri­als her­ge­stell­ten TFP-Pre­for­men kön­nen mit bereits eta­blier­ten Vaku­um­in­fu­si­ons- bzw. Injek­ti­ons­ver­fah­ren pro­blem­los infil­triert und anschlie­ßend sowohl kalt- als auch warm­här­tend kon­so­li­diert werden.

Poten­zi­al der TFP-­Tech­­no­lo­gie für ­ortho­pädische Anwendungen

In der Orthe­tik gibt es breit gefä­cher­te Anfor­de­run­gen an die ver­wen­de­ten Bau­tei­le, die sich sowohl an den Bedürf­nis­sen des Pati­en­ten als auch an den medi­zi­ni­schen Indi­ka­tio­nen ori­en­tie­ren. Im Gegen­satz zur Anwen­dung in der Pro­the­tik, wo es häu­fig um die Erstel­lung sta­ti­scher Con­tai­ner oder um die sta­bi­le Anbin­dung modu­la­rer Kom­po­nen­ten geht, hat die Orthe­tik durch­aus unter­schied­li­che Ansprü­che an ein und das­sel­be Pro­dukt. Denn eine Orthe­se benö­tigt zum einen tei­le­las­ti­sche Berei­che, die in hoher Last­zy­klen­zahl teil­wei­se asym­me­trisch belas­tet wer­den, zum ande­ren rigi­de Teil­be­rei­che, die die auf­tre­ten­den Kräf­te auf­neh­men und somit mus­ku­lä­re und struk­tu­rel­le Insta­bi­li­tä­ten kom­pen­sie­ren müs­sen. In der Regel fin­det die Her­stel­lung eines ortho­pä­di­schen Bau­teils mit­tels eines indi­vi­du­el­len Gips- oder gefräs­ten PUR-Schaum­mo­dells statt. Die­ses kann ent­we­der im hän­di­schen Modell­ver­fah­ren oder mit­tels CAD gene­riert wer­den. Zur Fer­ti­gung einer FKV-Orthe­se ste­hen dabei ver­schie­de­ne Ver­fah­ren zur Auswahl.

Klas­si­scher­wei­se wer­den in vie­len Bau­tei­len Koh­len­stoff­fa­sern auf­grund ihrer her­vor­ra­gen­den mecha­ni­schen Eigen­schaf­ten in der Ortho­pä­die­tech­nik ein­ge­setzt. Glas- und Poly­mer­fa­sern, z. B. „Kev­lar“ und „Dynee­ma“, spie­len dabei nur eine unter­ge­ord­ne­te Rol­le, auch wenn ein­zel­ne Eigen­schaf­ten sich für einen par­ti­el­len Ein­satz in der tech­ni­schen Ver­sor­gung durch­aus emp­feh­len. Sehr häu­fig wird die klas­si­sche Harz­in­fil­tra­ti­on der Fasern mit­tels Schwer­kraft oder Vaku­um­un­ter­stüt­zung ange­wen­det, wobei Tro­cken­ge­le­ge aus tex­ti­len Faser­mat­ten zum Ein­satz kom­men. Dabei han­delt es sich um eine Tech­no­lo­gie, die durch­gän­gig in ortho­pä­di­schen Werk­stät­ten bekannt und üblich ist. In den letz­ten Jah­ren hat sich dane­ben aber auch das Pre­preg-Ver­fah­ren zuneh­mend eta­bliert, mit dem durch vor­im­prä­gnier­te Faser­mat­ten sehr leich­te und hoch­be­last­ba­re Bau­tei­le mit rela­tiv hohem Faser­vo­lu­men­ge­halt her­ge­stellt wer­den kön­nen 4.

Gera­de in der funk­tio­nel­len Ver­sor­gung der obe­ren Extre­mi­tät wer­den popu­lä­re 3D-Druck­ver­fah­ren wie Mul­ti-Jet Fusi­on (MJF) oder Selek­ti­ves Laser­sin­tern (SLS) der­zeit häu­fig ein­ge­setzt. Dabei kann der Vor­teil eines durch­ge­hend digi­ta­len Work­flows vor allem im Hin­blick auf sehr fili­gra­ne und auch mul­ti­funk­tio­na­le Bau­tei­le aus­ge­nutzt wer­den. Bei der Her­stel­lung von Orthe­sen für die unte­re Extre­mi­tät, die in der Regel deut­lich grö­ße­ren Las­ten aus­ge­setzt sind, kom­men die ein­ge­setz­ten 3D-Druck-Kunst­stof­fe aller­dings sehr schnell an die Gren­zen ihrer mecha­ni­schen Belast­bar­keit. Im Resul­tat wei­sen damit her­ge­stell­te Orthe­sen zu hohe Wand­stär­ken auf, was sich sowohl auf die Pati­en­ten-Com­pli­ance als auch auf die Bau­teil­mas­se nach­tei­lig aus­wirkt. Auch mit der Wei­ter­ent­wick­lung der Fused-Depo­si­ti­on-Mode­ling-Ver­fah­ren (FDM-Ver­fah­ren) mit endlosfaser­verstärkten ther­mo­plas­ti­schen Kunst­stof­fen kön­nen der­zeit noch kei­ne Bau­tei­le mit kom­ple­xen, räum­lich gekrümm­ten Geo­me­trien erzeugt wer­den, die den hohen dyna­mi­schen und opti­schen Ansprü­chen der Pati­en­ten gerecht werden.

Noch rela­tiv unbe­kannt sind dage­gen die Ein­satz­mög­lich­kei­ten des Tail­o­red-Fiber-Pla­ce­ment-Ver­fah­rens, das vie­le Vor­tei­le für die hand­werk­li­che Her­stel­lung ortho­pä­di­scher Bau­tei­le bie­tet: Die idea­le Faser­aus­rich­tung im Bau­teil wird bereits bei der TFP-Pre­form­her­stel­lung so vor­ein­ge­stellt, dass bei der Appli­ka­ti­on auf dem Infil­tra­ti­ons­mo­dell nicht mehr dar­auf geach­tet wer­den muss. Zudem kann der Ver­schnitt des Ver­stär­kungs­fa­ser­ma­te­ri­als durch end­kon­tur­na­he Fer­ti­gungs­mög­lich­kei­ten auf ein Mini­mum redu­ziert wer­den. Auch die nahe­zu unbe­grenz­te Lager­fä­hig­keit ein­mal her­ge­stell­ter TFP-Pre­for­men befä­higt hand­werk­li­che Unter­neh­men, den Fer­ti­gungs­pro­zess schnell und mit gleich­blei­ben­der Qua­li­tät durch­zu­füh­ren. In Abbil­dung 3 sind die typi­schen Her­stel­lungs­schrit­te bei der Anwen­dung einer TFP-Pre­form für den Orthe­sen­bau dargestellt.

Ver­fah­rens­ver­gleich

In der in Abbil­dung 4 gezeig­ten Gegen­über­stel­lung der zuvor beschrie­be­nen Tech­no­lo­gien wird ersicht­lich, dass das TFP-Ver­fah­ren im Bereich der Fer­ti­gung ortho­pä­di­scher Hilfs­mit­tel vie­le Vor­tei­le bietet:

  • Im Gegen­satz zum 3D-Druck ver­bleibt die eigent­li­che Fer­ti­gung im ortho­pä­di­schen Fach­be­trieb und der gesam­te Her­stel­lungs­pro­zess in den Hän­den des Anwen­ders. Dabei wird die TFP-Pre­form als Mate­ri­al­kom­po­nen­te bestellt und ent­spre­chend mit den eta­blier­ten Infil­tra­ti­ons­ver­fah­ren (Harz­guß) weiterverarbeitet.
  • Auch die MDR-kon­for­me (MDR = Medi­cal Device Regu­la­ti­on) Doku­men­ta­ti­on wird durch den Ein­satz eines digi­ta­len TFP-Lege­plans deut­lich erleich­tert, was den büro­kra­ti­schen Auf­wand reduziert.
  • Für die all­täg­li­che Anwen­dung in der ortho­pä­di­schen Werk­statt emp­feh­len sich seri­ell her­ge­stell­te Pre­for­men. Die­se kön­nen leicht adap­tiert und im Zuschnitt ggf. noch auf her­kömm­li­che Wei­se ange­passt wer­den. Für die Betrie­be besteht die Mög­lich­keit, eige­ne Lege­plä­ne und Schnitt­mus­ter digi­ta­li­sie­ren zu las­sen. Somit wer­den repro­du­zier­ba­re Stan­dards gene­riert, die die Qua­li­tät des End­pro­duk­tes ver­bes­sern und die Aus­schuss­quo­te reduzieren.
  • Zudem erleich­tert die ein­fa­che Anwen­dung vor­ge­fer­tig­ter Pre­for­men auch wenig erfah­re­nen Nut­zern den Ein­satz der Tech­no­lo­gie, was beson­ders hin­sicht­lich des aktu­el­len Fach­kräf­te­man­gels vor­teil­haft ist.

In Abbil­dung 5 sind die Pro­zess­schrit­te vom digi­ta­li­sier­ten Modell bis zur fer­ti­gen Orthe­se mit kom­ple­xer Geo­me­trie dargestellt.

Com­pu­ter­ge­stütz­tes ­Design von ­TFP-Bau­tei­len in der Orthopädietechnik

Eine wesent­li­che Her­aus­for­de­rung für die Her­stel­lung von TFP-Pre­for­men besteht in der effi­zi­en­ten Erstel­lung ent­spre­chen­der Lege­mus­ter. Aktu­ell wer­den für die Ortho­pä­die­tech­nik in die­sem Zusam­men­hang zwei ver­schie­de­ne Her­an­ge­hens­wei­sen ver­folgt, die im Fol­gen­den genau­er erör­tert werden.

Erstel­lung ein­fa­cher TFP-Legemuster

Ist es das Ziel, bis­her mit­tels tex­ti­ler Halb­zeu­ge her­ge­stell­te Orthe­sen zu sub­sti­tu­ie­ren, kann durch den Ein­satz des TFP-Ver­fah­rens sowohl der Mate­ri­al­ein­satz als auch der manu­el­le Auf­wand bei Zuschnitt und kom­pli­zier­ten Dra­pier­schrit­ten deut­lich redu­ziert wer­den. Die Lagen­di­cken und Faser­ori­en­tie­run­gen kön­nen dabei wei­test­ge­hend von den bis­her ein­ge­setz­ten Ver­stär­kungs­fa­ser­tex­ti­li­en über­nom­men wer­den. Durch wie­der­hol­tes Über­nä­hen ist es zudem mög­lich, meh­re­re Lagen inner­halb einer ein­zi­gen TFP-Pre­form zusam­men­zu­fas­sen. Durch den auto­ma­ti­sier­ten Lege­pro­zess wird gleich­zei­tig sicher­ge­stellt, dass die fina­le Pre­form des Bau­teils stets einen iden­ti­schen Lagen­auf­bau auf­weist. Feh­ler wäh­rend des hän­di­schen Dra­pie­rens kön­nen somit fast voll­stän­dig aus­ge­schlos­sen werden.

Die eigent­li­che Mus­ter­er­stel­lung kann dabei durch soge­nann­te Punch-Pro­gram­me erfol­gen, die auch in der klas­si­schen Stick­tech­no­lo­gie ange­wen­det wer­den, unter ande­rem „Pul­se“ oder „EPC­win“. Die­se Pro­gram­me stel­len eine Kom­bi­na­ti­on aus Anwen­dun­gen des Com­pu­ter Aided Design (CAD) und des Com­pu­ter Aided Manu­fac­tu­ring (CAM) dar und arbei­ten, wie das TFP-Ver­fah­ren selbst, in nur zwei Dimen­sio­nen (2D). Die expor­tier­ten CNC-Daten sind direkt von den TFP-Maschi­nen ver­ar­beit­bar. Ein alter­na­ti­ver Weg zur Erstel­lung der Ablage­pfade kann aber auch über klas­si­sche 2D-CAD- bzw. Desk­top-Publi­shing-Pro­gram­me (DTP-Pro­gram­me) wie bspw. „Draft­Sight“ oder die freie Soft­ware „Inks­ka­pe“ erfol­gen. Die Über­set­zung der Mus­ter­da­ten in ein für die TFP-Anla­gen les­ba­res CNC-Daten­for­mat kann dann bspw. mit der für die­sen Anwen­dungs­fall kon­zi­pier­ten TFP-CAM-Soft­ware „EDO­path“ erfolgen.

Alle Soft­ware­werk­zeu­ge zur TFP-Mus­ter­er­stel­lung benö­ti­gen als Ein­gangs­da­ten eine flach abge­wi­ckel­te Kon­tur der eigent­li­chen Orthe­se. Die Abwick­lung kann dabei auf zwei Arten erfolgen:

  • Sie kann zum einen auf klas­si­schem Wege erzeugt wer­den, z. B. mit­tels einer am Gips­mo­dell abge­nom­me­nen Papier­scha­blo­ne (vgl. Abb. 5). Die­se wird im Nach­gang per Scan oder Foto digi­ta­li­siert und ent­spre­chend ska­liert. Mit Hil­fe der zuvor genann­ten Punch- bzw. CAD-Pro­gram­me wird anschlie­ßend die Kon­tur­beran­dung nach­ge­zeich­net und zur wei­te­ren Flä­chen­fül­lung genutzt.
  • Zum ande­ren besteht die Mög­lich­keit, eine vir­tu­el­le Abwick­lung durch­zu­füh­ren, sofern auf einen 3D-Scan des Pati­en­ten zurück­ge­grif­fen wer­den kann. Zur 3D-Daten­auf­be­rei­tung ste­hen den meis­ten Werk­stät­ten bereits eta­blier­te Soft­ware­an­wen­dun­gen wie „Geo­ma­gic Free­form“, „Rodin4D Neo“ oder auch „Vor­um Can­fit“ zur Ver­fü­gung. Zur not­wen­di­gen 2D-Abwick­lung der meist dop­pelt gekrümm­ten Ober­flä­chen ist aller­dings der Ein­satz spe­zi­el­ler 3D-Model­lie­rungs­pro­gram­me wie „Solid­Works“ oder der frei­en Soft­ware „Blen­der“ not­wen­dig. Die auf die­se Wei­se abge­wi­ckel­ten Geome­trien kön­nen anschlie­ßend mit Hil­fe des 2D-CAD-Daten­for­mats DXF expor­tiert und zur Mus­ter­er­stel­lung wei­ter­ver­wen­det werden.

Mit Hil­fe der spe­zi­ell für das Com­pu­ter Aided Engi­nee­ring (CAE) von TFP-Bau­tei­len am IPF ent­wi­ckel­ten Soft­ware „EDOs­t­ruc­tu­re“ kön­nen eini­ge der oben genann­ten Ent­wick­lungs­schrit­te abge­kürzt wer­den. So kön­nen inner­halb des Pro­gramms impor­tier­te 3D-Scan-Daten direkt abge­wi­ckelt und unter ande­rem mit einer gleich­mä­ßi­gen Flä­chen­fül­lung ver­se­hen wer­den, wie in Abbil­dung 6 dargestellt.

Erstel­lung kom­ple­xer TFP-Legemuster

Soll das vol­le Poten­zi­al der TFP-Tech­no­lo­gie für Orthe­sen anhand eines varia­be­laxia­len bzw. bean­spru­chungs­ge­rech­ten Faser­lay­outs aus­ge­schöpft wer­den, ist der Ein­satz von Simu­la­ti­ons­soft­ware auf der Basis einer Fini­te-Ele­men­te-Ana­ly­se (FEA) not­wen­dig. Die ent­spre­chen­den FEA-Soft­ware­tools müs­sen dabei die Struk­tur­si­mu­la­ti­on mit aniso­tro­pen Mate­ri­al­mo­del­len beherr­schen; unter ande­rem ist dies mit „Ansys“, „Aba­qus“ oder „Nas­tran“ mög­lich. In Kom­bi­na­ti­on mit der Soft­ware „EDOs­t­ruc­tu­re“ kön­nen so zum einen bean­spru­chungs­ge­rech­te Faser­ver­läu­fe anhand von Haupt­span­nungs­t­ra­jek­to­ri­en erzeugt und zur wei­te­ren Edi­tie­rung mit­tels DXF-­For­mat expor­tiert wer­den. Dar­über hin­aus besteht anschlie­ßend die Mög­lich­keit, auf sehr ein­fa­che Wei­se rea­li­täts­na­he Simu­la­ti­ons­mo­del­le allein auf Basis der 2D-TFP-Mus­ter­da­ten für die zuvor genann­ten FEA-Anwen­dun­gen zu gene­rie­ren und mit die­sen anschlie­ßend eine simu­la­ti­ons­tech­ni­sche Struk­tur­be­wer­tung durch­zu­füh­ren 5.

Bei­spiel: Von der 3D-Abwick­lung bis zur fer­ti­gen TFP-Orthese

Im Rah­men des ZIM-Pro­jek­tes „TFPP­rint“ wur­de die vir­tu­el­le Abwick­lung drei­di­men­sio­na­ler Ober­flä­chen und deren Rück­füh­rung auf eine zwei­di­men­sio­na­le Ebe­ne zur TFP-Mus­ter­er­stel­lung unter­sucht. Am Bei­spiel einer gelenk­lo­sen AFO („ank­le-foot ortho­sis“) mit spi­ral­för­mi­ger Unter­schen­kel­an­la­ge ist dies sche­ma­tisch in Abbil­dung 7 dargestellt.

Fazit und Ausblick

Die viel­sei­ti­gen Anwen­dungs­mög­lich­kei­ten der Tail­o­red-Fiber-Pla­ce­ment-Tech­no­lo­gie in der Ortho­pä­die­tech­nik eröff­nen die Aus­sicht, zukünf­tig indi­vi­du­el­le Bau­tei­le noch bes­ser an die Bedürf­nis­se der Pati­en­ten anpas­sen zu kön­nen. Dabei kön­nen die eta­blier­ten Infil­tra­ti­ons­ver­fah­ren wei­ter ein­ge­setzt und bereits eta­blier­te hand­werk­li­che Ver­ar­bei­tungs­me­tho­den bei­be­hal­ten werden.

Neben den bereits zuvor beschrie­be­nen Vor­tei­len bie­tet das TFP-Ver­fah­ren auf­grund kon­ti­nu­ier­li­cher tech­no­lo­gi­scher Wei­ter­ent­wick­lun­gen auch künf­tig inter­es­san­te Per­spek­ti­ven. So wur­de im Rah­men des ZIM-Pro­jekts „TFPP­rint“ die TFP-Anlagen­tech­nik um einen auto­ma­ti­sier­ten Matrix­druck­kopf erwei­tert. Damit wird auf mate­ri­al­spa­ren­de Wei­se ermög­licht, Pre­for­men der zu pro­du­zie­ren­den Bau­tei­le gezielt lokal mit unter­schied­li­chen Kunst­stof­fen zu imprä­gnie­ren. Durch den bewuss­ten Ein­satz einer stei­fen und elas­ti­schen Kunst­stoff­ma­trix­kom­po­nen­te kön­nen mit dem zum Patent ange­mel­de­ten Ver­fah­ren in einem brei­ten Spek­trum sowohl sehr stei­fe als auch bie­ge­wei­che faser­ver­stärk­te Zonen in einem Bau­teil rea­li­siert wer­den. Die­se kön­nen z. B. als Fest­kör­per­ge­lenk oder wei­che Kan­ten an Orthe­sen oder Pro­the­sen dienen.

För­der­hin­weis

Die vor­ge­stell­ten Ergeb­nis­se stam­men aus For­schungs- und Ent­wick­lungs­pro­jek­ten, die mit Mit­teln des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Wirt­schaft und Ener­gie (BMWi) im Rah­men der ZIM-For­schungs­pro­jek­te „Flex­Or“ und „TFPP­rint“ (För­der­kenn­zei­chen ZF4028409AK7 und ZF4028414PO88) unter­stützt wur­den. Die Ver­ant­wor­tung für den Inhalt liegt bei den Autoren des Artikels.

Für die Autoren:
Prof. Dr.-Ing. Axel Spickenheuer 
Lei­ter des Clus­ters „Inte­gra­ti­ve Simu­la­ti­on“ und der Arbeits­grup­pe „Kom­ple­xe Strukturkomponenten“
Leib­niz-Insti­tut für Poly­mer­for­schung Dres­den e. V.
Hohe Str. 6
01069 Dres­den
Geschäfts­füh­rer
Com­plex Fiber Struc­tures GmbH 
Wigard­str. 21
01097 Dres­den
spickenheuer@ipfdd.de

Nor­man Fitt­kau, OTM 
Geschäfts­füh­rer
OMOD Euro­pe GmbH & Co. KG
Muns­ter­manns­kamp 1
21335 Lüne­burg
norman.fittkau@omod.eu

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Spi­cken­heu­er A, Fitt­kau N, Kon­ze S, Rich­ter E, Stom­mel M. Anwen­dung des Tail­o­red-Fiber-Pla­ce­ment-Ver­fah­rens in der Ortho­pä­die­tech­nik. Ortho­pä­die Tech­nik, 2022; 73 (4): 42–47
  1. Sau­er M. Com­po­si­tes-Markt­be­richt 2020 „Glo­ba­le CF – Produktions­kapazitäten“. Markt­ent­wick­lun­gen, Trends, Aus­bli­cke und Her­aus­for­de­run­gen. Ber­lin: Com­po­si­tes United e. V., 2021. https://composites-united.com/wp-content/uploads/2020/01/GER_CUeV_Marktbericht_2020_CFCap.pdf (Zugriff am 17.02.2022)
  2. Gliesche K, Fel­tin D. Bean­spru­chungs­ge­rech­te Tex­til­kon­struk­tio­nen für Com­po­si­te-Bau­tei­le. Tech­ni­sche Textilien/Technical Tex­ti­les, 1995; 38: 209
  3. Spi­cken­heu­er A. Zur fer­ti­gungs­ge­rech­ten Aus­le­gung von Faser-Kunst­stoff-­Ver­bund­bau­tei­len für den extre­men Leicht­bau auf Basis des variabel­axialen Faden­ab­la­ge­ver­fah­rens Tail­o­red Fiber Pla­ce­ment. Dis­ser­ta­ti­on, TU Dres­den, 2015. https://tud.qucosa.de/api/qucosa%3A28180/­attachment/ATT‑0/ (Zugriff am 17.02.2022)
  4. Flem­ming M, Zieg­mann G, Roth S. Faser­ver­bund­bau­wei­sen. Fer­ti­gungs­ver­fah­ren mit duro­plas­ti­scher Matrix. Ber­lin, Hei­del­berg: Sprin­ger, 1999
  5. Spi­cken­heu­er A. Varia­ble-axi­al fiber struc­tures: The future of an extre­me light­weight design? 16.09.2020 [Online-Vor­trag]. https://youtu.be/LBty6XLUt2s [Zugriff am 02.03.2022]
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