Im Ein­zel­fall schnel­ler und bes­ser versorgen

Das Sanitätshaus Klinz mit rund 100 Mitarbeiter:innen in zehn Filialen in Sachsen-Anhalt gilt als Vorreiter für ­additive Fertigung in der Branche. Seit 2016 ­etablierte ­Inhaber und Geschäftsführer Gerd Klinz Schritt für Schritt eine digitale Werkstatt. Sein Ziel damals wie heute: in besonderen Fällen Patient:innen schneller oder besser zu versorgen bzw. Hilfsmittel zu fertigen, die in Vergessenheit geraten sind wie Orthesen nach NYROP.

Sei­ne Inspi­ra­ti­on: ein Fern­seh­be­richt über Häu­ser im 3D-Druck. „Was für Häu­ser gilt, muss doch auch für unse­re Bran­che Mög­lich­kei­ten eröff­nen“, dach­te sich der Ortho­pä­die­tech­ni­ker-Meis­ter und begann, sich mit dem The­ma zu beschäftigen.

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Vom Frä­sen­raum zur digi­ta­len Werkstatt

Ergeb­nis: Ein ehe­ma­li­ger Frä­sen­raum wur­de 2016 zur digi­ta­len Werk­statt umge­baut. Die ers­te Mit­ar­bei­te­rin war eine Design­stu­den­tin, die als Werk­stu­den­tin ihre Mas­ter­ar­beit „Inte­gra­ti­on addi­ti­ver Fer­ti­gung in die Ortho­pä­die­tech­nik“ am Bei­spiel des Betriebs schrieb. Dafür betrieb sie cir­ca acht Mona­te umfas­sen­de Recher­chen im In- und Aus­land. In den Anfän­gen 2017 kon­stru­ier­te Maria Köhlitz Fin­ger­kor­rek­tur­or­the­sen, Dau­men­sat­tel­ge­lenks­or­the­sen, Klei­nert-Schie­nen, Spiral­orthesen sowie ver­schie­de­ne Braces. Ab 2018 nahm die ­digi­ta­le Werk­statt Fahrt auf: Das Spek­trum wur­de um sta­ti­sche und dyna­mi­sche Orthe­sen der obe­ren und unte­ren Extre­mi­tä­ten sowie Arm­pro­the­sen­schäf­te erweitert.

Inte­gra­ti­on in den Werkstattalltag

Im glei­chen Jahr wur­de die digi­ta­le Fer­ti­gung in den ortho­pä­die­tech­ni­schen Werk­statt­all­tag des Hau­ses inte­griert. Die räum­li­che Nähe bei­der Werk­stät­ten – bei­de Räu­me lie­gen neben­ein­an­der – för­der­te die enge Zusam­men­ar­beit von Orthopädietechniker:innen und dem digi­ta­len Kon­struk­ti­ons­team, den bei­den „Quer­ein­stei­ge­rin­nen“ Maria Köhlitz und Lisa Pabst. „Eine Inte­gra­ti­on digi­ta­ler Arbeits­wei­sen ist nur mög­lich, wenn Werkstattleiter:innen voll dahin­ter ste­hen und die Mitarbeiter:innen ent­spre­chend moti­vie­ren“, erklärt die Inge­nieu­rin. Anfangs sei der eine oder ande­re Ortho­pä­die­tech­ni­ker skep­tisch gewe­sen, ob sei­ne Arbeit durch digi­ta­le Pro­zes­se ersetzt wer­den wür­de. „Inzwi­schen wis­sen alle, dass die klas­si­sche Ortho­­pä­die-Tech­nik der­zeit nicht zu erset­zen sein wird, die addi­ti­ve Fer­ti­gung aber eine gute Ergän­zung sein kann“, betont Lisa Pabst.

Auch Pabst kam als Werk­stu­den­tin zum Unter­neh­men. Sie stu­dier­te Bio­me­di­zi­ni­sche Tech­nik im ­Bache­lor und im Mas­ter Elek­tro- und Infor­ma­ti­ons­tech­nik. Auf das Unter­neh­men Klinz wur­de sie durch einen Zei­tungs­ar­ti­kel über des­sen 3D-Erfah­run­gen auf­merk­sam. Ihre Master­arbeit zum Unter­neh­men „Ent­wurf eines gene­ra­tiv gefer­tig­ten ortho­pä­di­schen Inte­rims­schuhs mit inte­griertem Druck­warn­sys­tem für Dia­be­tes­pa­ti­en­ten mit aku­tem Fußul­cus“ ent­stand 2019. Seit Janu­ar 2020 ist die ­Inge­nieu­rin fest ange­stellt. 2020 war auch für die bei­den Werk­stät­ten ein ent­schei­den­des Jahr: Seit­her ver­ant­wor­ten die bei­den Frau­en unter ande­rem auch den For­men­bau für Sili­kon­pro­the­sen, Weich­teil­aus­gleich, Hand­orthe­sen als Kom­bi­na­ti­on aus ana­lo­ger und digi­ta­ler Fer­ti­gung (z. B. nach NYROP) sowie Unter­schen­kel­pro­the­sen. „Die Anschaf­fung und der Betrieb eines Laser­sin­ter- oder Mul­ti-Jet-­Fu­si­on-Dru­ckers wären bei unse­rem Durch­satz unwirt­schaft­lich.“ Aller­dings besitzt die Fir­ma seit 2021 ­einen FFF-Dru­cker, der ­neben dem Pro­to­ty­p­ing auch Sofort­ver­sor­gun­gen für den kli­ni­schen All­tag eben­so ermög­licht wie den For­men­bau für Sili­kon­pe­lot­ten und den Weichteilausgleich.

Hand in Hand inter­dis­zi­pli­när: Vom Brain­stor­ming bis zur Anpassung

Die Orthopädietechniker:innen des Sani­täts­hau­ses kom­men auf das Kon­struk­ti­ons­team zu, wenn sie den Ein­druck haben, eine digi­ta­le Lösung könn­te von Vor­teil sein. „Gemein­sam haben wir inzwi­schen einen Lern­pro­zess hin­ter uns gebracht und wis­sen, was in etwa geht und was nicht“, so Lisa Pabst. Effi­zi­en­ter und auch optisch anspre­chen­der sei­en die digi­ta­le Kon­struk­ti­on und Fer­ti­gung etwa bei Schäf­ten für myo­elek­tri­sche Arm­pro­the­sen. Bei DAFOs hin­ge­gen erge­be eine her­kömm­li­che Her­stel­lung in den meis­ten Fäl­len mehr Sinn, weil sie schnel­ler und kos­ten­güns­ti­ger sei.

Bei schwie­ri­ge­ren Fäl­len sei es immer eine Ein­zel­fall­ent­schei­dung, die aber im Team getrof­fen wer­de. „Die­ses gemein­sa­me inter­dis­zi­pli­nä­re Brain­stor­ming, wie wir für beson­ders kom­pli­zier­te Fäl­le eine Lösung fin­den kön­nen, macht mir am meis­ten Spaß“, erklärt die Inge­nieu­rin. Inso­fern set­ze sich der Lern­pro­zess immer wei­ter fort. Zum Lern­pro­zess gehö­ren auch die inzwi­schen geteil­ten Auf­ga­ben. Maria Köhlitz und Lisa Pabst sind für die Kon­struk­tio­nen am PC zustän­dig, wäh­rend die Orthopädietechniker:innen immer häu­fi­ger das Scan­nen und Model­lie­ren über­neh­men. Hier­für sei­en fort­lau­fen­de Schu­lun­gen in der Bedie­nung von Scan­nern, hap­ti­schen Ein­ga­be­ge­rä­ten und der ent­spre­chen­den Soft­ware not­wen­dig, so Pabst.

Häu­fig sei­en sie auch bei der Anpas­sung der gedruck­ten Hilfs­mit­tel dabei, sodass sie sich gemein­sam mit den Orthopädietechniker:innen das Feed­back der Patient:innen ein­ho­len kön­nen. Wobei die­ses fast durch­weg posi­tiv sei, aber natür­lich müss­te laut Papst genau wie bei klas­sisch gefer­tig­ten Pass­tei­len das eine oder ande­re nach­ge­schlif­fen wer­den, so. Die Patient:innen wür­den­be­reits die Abdruck­nah­me ohne Gips als posi­tiv bewer­ten, weil sie schnel­ler und ange­neh­mer erfol­ge als ein Gips­ab­druck. Zudem wür­den sie sich begeis­tert zei­gen, weil die digi­ta­le Fer­ti­gung eine schier gren­zen­lo­se Design-Gestal­tung zulas­se. Posi­tiv wür­den sie außer­dem beur­tei­len, dass gera­de bei Orthe­sen im 3D-Druck kaum Pols­ter not­wen­dig und die Mate­ria­li­en ange­nehm auf der Haut zu tra­gen sei­en, sodass die Patient:innen weni­ger schwit­zen wür­den. Außer­dem sei­en die addi­tiv gefer­tig­ten Hilfs­mit­tel leich­ter zu rei­ni­gen, was die Patient:innen eben­falls als Vor­teil anse­hen, wie Lisa Pabst berichtet.

Hohe Inves­ti­tio­nen nicht notwendig

Das Sani­täts­haus Klinz habe bis­her eini­ges inves­tiert: In der digi­ta­len Werk­statt ste­hen der­zeit zwei Lap­tops, vier hap­ti­sche Ein­ga­be­ge­rä­te „Geo­ma­gic Touch“ und drei Artec-­Scan­ner für die Scans, drei fes­te PCs für die Nach­be­ar­bei­tung der Scans, vier Lizen­zen für das Scan­ner­pro­gramm Artec Stu­dio, drei Lizen­zen für die Kon­struk­ti­ons­soft­ware Geo­ma­gic Free­form sowie ein FFF-3D-Dru­cker, hin­zu kom­men die Per­so­nal­kos­ten für die bei­den Mitarbeiter:innen.

Sani­täts­häu­sern, die in die digi­ta­le Fer­ti­gung ein­stei­gen wol­len, emp­fiehlt die Inge­nieu­rin eine schlan­ke und ver­gleichs­wei­se kos­ten­güns­ti­ge Grund­aus­stat­tung von einem Scan­ner, Scan- und Nach­mo­del­lie­rungs­soft­wares, einem Lap­top und einem Ein­ga­be­ge­rät. „Mit 15.000 Euro Inves­ti­ti­on soll­ten die Geschäftsführer:innen für den Anfang rech­nen“, meint Lisa Pabst. „Für die Auf­bau­pha­se wür­de ich auf Werkstudent:innen oder Praktikant:innen mit beson­de­rem Inter­es­se an digi­ta­len Pro­zes­sen set­zen, um die Per­so­nal­kos­ten schlank zu halten.“

Aller­dings sei das Fin­den von geeig­ne­ten Dienst­leis­tern eine ech­te Fleiß­auf­ga­be, wie Pabst betont. „Es gibt ver­schie­de­ne Kos­ten­rech­nungs­mo­del­le, das ist ver­wir­rend“, so die jun­ge Frau. „Die einen neh­men als Basis den Bau­raum, die ande­ren das Volu­men des zu dru­cken­den Objek­tes und wie­der ande­re das Gewicht.“ Für die Recher­che und die Erstel­lung von Test­dru­cken soll­te die Geschäfts­füh­rung viel Zeit ein­pla­nen. Vor­aus­set­zung für die erfolg­rei­che Inte­gra­ti­on digi­ta­ler Pro­zes­se in den Werk­statt­all­tag sei nach ihrer Erfah­rung, dass die Meister:innen und die Werk­statt­lei­tung zu 100 Pro­zent hin­ter die­sem Ziel ste­hen, sich der Betrieb Zeit für die Imple­men­tie­rung einer digi­ta­len Pro­zess­ket­te neh­me sowie min­des­tens ein Mit­ar­bei­ter oder eine Mit­ar­bei­te­rin kon­ti­nu­ier­lich am The­ma arbeite.

Fort­lau­fen­de Fort- und Weiterbildung

Das Team vom Sani­täts­haus Klinz bil­de sich bestän­dig fort, mit­hil­fe von Fach­zeit­schrif­ten und des Besuchs von Kon­gres­sen, Mes­sen oder ­Wei­ter­bil­dungs­ver­an­stal­tun­gen, etwa der Bun­des­fach­schu­le für Ortho­pä­die-Tech­nik (BUFA) in Dort­mund. „Dort hal­ten wir Vor­trä­ge, hören aber auch die von Kolleg:innen an und kön­nen uns so über neu­es­te Ent­wick­lun­gen aus­tau­schen“, meint Lisa Pabst.

In der nähe­ren Zukunft pla­ne das Unter­neh­men durch den wei­te­ren Aus­bau von Daten­ban­ken und Biblio­the­ken, sei­ne digi­ta­len Pro­zes­se noch schnel­ler und effi­zi­en­ter zu gestal­ten. Auf dem Pro­gramm ste­hen zudem die Teil­au­to­ma­ti­sie­rung von ein­zel­nen Arbeits­schrit­ten sowie der auto­ma­ti­sche Import von Maß­blät­tern. Denn: „Wir sind stets dabei, neue Ver­sor­gungs­ideen zu ent­wi­ckeln und am Pati­en­ten umzu­set­zen. Ohne Wei­ter­ent­wick­lung tre­ten wir irgend­wann auf der Stel­le und las­sen der Indus­trie immer mehr Raum, unser Hand­werk zu über­neh­men“, wie Pabst abschlie­ßend erklärt.

Ruth Jus­ten

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