Eine frühzeitige konservative Versorgung der betroffenen Kinder sichert bei der Blount-Krankheit den Therapieerfolg, betont Orthopädietechnik-Mechaniker-Meister und Bandagisten-Meister Burkhard Püttmann im Interview. Der Geschäftsführer der Sanitätshaus Püttmann GmbH in Essen hat spezielle Orthesen für die Behandlung im frühen Stadium entwickelt.
OT: In Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Essen haben Sie eine konservative Therapie für Kinder mit der Blount-Krankheit auf den Weg gebracht. Wann begann diese Zusammenarbeit – und seit wann wird das Verfahren eingesetzt?
Burkhard Püttmann: Mit der Orthesen-Versorgung haben wir vor 15 Jahren begonnen. Zuvor wurden dort vornehmlich Kinder vorgestellt, die operiert werden mussten, weil sie für eine konservative Therapie schon zu alt waren. Im Laufe der Zeit haben wir die Orthesen weiter reduzieren können, damit sie für die Kinder möglichst wenig Beeinträchtigung darstellen.
OT: Welche Anforderungen erfüllen die dafür entwickelten Orthesen?
Püttmann: Die individuell angefertigten Orthesen ver¬hindern, dass aus einem frühen O‑Bein überhaupt ein Blount entsteht. Im Allgemeinen versorgen wir die Kinder mit Tagesschienen, die unter Belastung getragen werden können. Weil bei diesem Krankheitsbild nicht nur eine Verbiegung in ein O vorliegt, sondern ebenfalls eine Innenrotation zu korrigieren ist, müssen die Orthesen sehr rigide sein. Nach unseren Erfahrungen lassen sich mit der Carbonfasertechnik schnell gute Ergebnisse erreichen. Wir haben die Orthesen so konstruiert, dass sie entsprechend des Wachstums der Kinder verlängert werden können.
OT: Wurde diese Erkrankung nicht zuvor auch schon mittels Orthesen behandelt?
Püttmann: Ja, aber meist postoperativ. Ein echter Blount kann nur durch eine Operation therapiert werden. Nachdem wir dieses Krankheitsbild immer häufiger gesehen haben, sind wir zur rechtzeitigen Orthesen-Therapie und damit zur Vermeidung des Morbus Blount übergegangen.
OT: Ab welchem Alter beginnt bei Ihnen die Behandlung mit den speziellen Orthesen?
Püttmann: Etwa ab einem Alter von 18 bis 24 Monaten. Denn wir haben bislang kein ausgeprägtes Blount-Syndrom bei Kindern unter zwei Jahren gesehen. Also kann man bis zu diesem Alter die Entwicklung einer Tibia vara beobachten und bei einer fortschreitenden Verschlechterung schließlich mit der Orthesen-Versorgung beginnen.
OT: Wie ist der typische Verlauf einer Therapie?
Püttmann: Wir beginnen zunächst möglichst mit einer leichten Korrektur. Damit wollen wir Druckstellen vermeiden, aber vor allem die Belastung für die Kinder möglichst gering halten. Das erhöht die Akzeptanz für die Schienen bei den Kindern. Außerdem verbessert sich durch die Orthesen das Gangbild und die durch das O‑Bein verursachte Instabilität wird kompensiert. Dies erleichtert den Kindern ihr Alltag, das spüren sie auch. Je nach Ausgangslage müssendie Orthesen dann über 9 bis 24 Monate getragen werden.
OT: Welche Erfahrungen haben die von Ihnen betreuten Familien der erkrankten Kinder gemacht?
Püttmann: Sehr gute. Wenn sie früh genug von uns ver¬sorgt wurden, konnten wir bisher immer eine echte Blount- Erkrankung verhindern. Leider haben manche Kinder einen längeren Leidensweg hinter sich, bevor sie zu uns kommen. Kliniken schlagen oft eine operative Therapie mit sogenannten Blount-Klammern auf der anderen Seite der Tibia vor, was in meinen Augen das Wachstum komplett stört oder verhindert, aber nicht zu einer vernünfti¬gen Korrekturentlastung der betroffenen Seite führt.
OT: Warum ist eine frühe Therapie so wichtig?
Püttmann: Wenn die mediale Wachstumsfuge des Schien¬beins erst einmal zerstört ist, wird aus einer asymptomati¬schen Tibia vara des Kleinkinds die Blount-Krankheit, die zu einem dauerhaften o‑förmigen Wachstum der Schienbeine führt. Ist dieses Krankheitsbild einmal ausgeprägt, ist es nur schwer zu therapieren. Es benötigt viele Operati¬onen und führt häufig trotzdem nicht zu einem zufriedenstellenden Ergebnis. Durch eine rechtszeitige Orthesenver¬sorgung wird das vermieden.
OT: Was geschieht, wenn gar nicht behandelt wird?
Püttmann: Dann drohen Kniedeformitäten und schwere Bewegungseinschränkungen. Die Kinder bekommen ein vollständig instabiles Kniegelenk. Aus dem Friedensdorf Oberhausen bekommen wir oft Bilder von unbehandelten Kindern aus Afrika. Sie haben im Alter von etwa sieben Jahren eine O‑Bein-Deformität von knapp 90 Grad und können nur noch unter Gehstützen laufen. Die weitere Therapie besteht aus vielen Operationen mit Wachstumsbremsung des gesamten Unterschenkels und später Verlän¬gerung der Extremität. Trotz dieses Aufwands werden die Kinder nie ein vernünftiges Tibia-Plateau entwickeln und die Präarthrose ist schon da.
OT: Lässt sich die weitere Ausprägung eines Morbus Blount mit einer frühen konservativer Therapie immer verhindern – bzw. die Blount-Krankheit dadurch heilen?
Püttmann: Nach wie vor stellt das Krankheitsbild Tibia vara Blount eine orthopädietechnische Herausforderung dar. Doch bei rechtzeitigem, frühem Therapiebeginn beträgt der Therapieerfolg bei uns 100 Prozent. Selbst extreme Verbiegungen können wieder auswachsen, wie die Röntgenbilder beweisen. Für die betroffenen Kinder selbst ist die Behandlung zudem keine große Belastung. Man muss die Kinder lediglich früh genug behandeln.
OT: Wie viele Kinder haben Sie bislang in Ihrem Sanitätshaus behandelt?
Püttmann: Weit über 100.
OT: Gibt es Studien, die mit Ihren Orthesen durchgeführt wurden – und welche Ergebnisse wurden erzielt?
Püttmann: Bisher wurden keine Studien zu dieser Versorgung durchgeführt. Die Ergebnisse, die wir bisher erzielt haben, sind aber eindeutig: Alle Kinder, die wir behandelt haben, bevor es zu einem echten Blount kam, wurden vollständig ausgeheilt.
Die Fragen stellte Cathrin Günzel.
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