Gang­da­ten­bank bün­delt Wissen

Während der Corona-Pandemie entstand an der Universität Mainz die größte Datenbank für Ganganalysen gesunder Probanden – ein Meilenstein für Forschung, Diagnostik und Orthopädie-Technik.

Wäh­rend der Coro­na-Pan­de­mie stan­den vie­le Arbei­ten still. So auch im Insti­tut für Sport­wis­sen­schaft der Johan­nes-Guten­berg-Uni­ver­si­tät Mainz (JGU). Die Labo­re waren geschlos­sen, geplan­te Stu­di­en konn­ten nicht durch­ge­führt wer­den. Das Team aber wuss­te die Zeit sinn­voll zu nut­zen. Die Idee: Für bereits durch­ge­führ­te Stu­di­en zu Gang­ana­ly­sen eine Daten­bank auf­zu­bau­en, um die­se für Ana­ly­sen und wei­te­re Unter­su­chun­gen zu nut­zen. „Wir waren von der Sum­me der zur Ver­fü­gung ste­hen Daten über­rascht“, erin­nert sich Dr. Fabi­an Horst, stell­ver­tre­ten­der Lei­ter der Abtei­lung Trai­nings- und Bewe­gungs­wis­sen­schaft, und sah Poten­zi­al, das The­ma grö­ßer zu den­ken. „Was für uns einen Mehr­wert hat, hat die­sen viel­leicht auch für ande­re.“ Damit soll­te er recht behal­ten: Seit dem Start des Pro­jekts im Jahr 2021 ist die „Guten­berg-Gang-Daten­bank“, die welt­weit größ­te Samm­lung von Gang­ana­ly­se­da­ten gesun­der Pro­ban­den, wei­ter gewach­sen. Und nicht nur die JGU greift dar­auf zu. Nun ist es das Ziel, wei­te­re natio­na­le und inter­na­tio­na­le Daten­sät­ze öffent­lich zugäng­lich zu machen und zu verbinden.

Bio­me­cha­ni­sche Gang­ana­ly­sen sind als Werk­zeug zur Dia­gnos­tik und The­ra­pie ver­schie­de­ner Erkran­kun­gen und Fehl­stel­lun­gen des Bewe­gungs­ap­pa­ra­tes eta­bliert. Sie ermög­li­chen eine objek­ti­ve Beur­tei­lung von Gang­mustern, die­nen der Ver­laufs­do­ku­men­ta­ti­on in Reha­bi­li­ta­ti­ons­pro­zes­sen und lie­fern wert­vol­le Grund­la­gen für die Ent­wick­lung indi­vi­du­el­ler The­ra­pie- und Trai­nings­plä­ne. Zudem kön­nen die Daten zur Erfor­schung neu­er The­ra­pie­an­sät­ze sowie zur Opti­mie­rung ortho­pä­di­scher Hilfs­mit­tel bei­tra­gen. „Kli­ni­sche Gang­la­bo­re haben eine gute Daten­ba­sis für ihre Pati­en­ten­grup­pen“, berich­tet Horst. „Aber die meis­ten sind nicht öffent­lich zugäng­lich und auf­grund ver­schie­de­ner Schwer­punk­te nicht mit­ein­an­der kom­bi­nier­bar.“ Das Insti­tut für Sport­wis­sen­schaft der JGU bei­spiels­wei­se fokus­siert sich auf akti­ve, gesun­de Sport­ler zwi­schen 18 und 35 Jah­ren. Sol­len patho­lo­gi­sche Gang­mus­ter erforscht wer­den, muss auf exter­ne Daten zurück­ge­grif­fen wer­den. Von den Stu­di­en der JGU kön­nen wie­der­um Ein­rich­tun­gen pro­fi­tie­ren, die Ver­gleichs­wer­te von gesun­den Pro­ban­den benö­ti­gen – dar­un­ter neben kli­ni­schen Labo­ren eben­so Ortho­pä­die­tech­ni­ker und Physiotherapeuten.

Kraft­mess­plat­ten und Kamerasysteme

Im Main­zer Insti­tut kom­men über­wie­gend zwei Ver­fah­ren zur Gang­ana­ly­se zum Ein­satz: Kraft­mess­plat­ten zur Mes­sung der Boden­re­ak­ti­ons­kraft sowie Kame­ra­sys­te­me zur Ana­ly­se der Kör­per­seg­ment­be­we­gun­gen. „Auch wenn sich die ein­ge­setz­ten Kraft­mess­plat­ten oder deren Anord­nung zwi­schen Labo­ren leicht unter­schei­den, lie­fern sie in der Regel den­noch ver­gleich­ba­re Ergeb­nis­se“, erläu­tert Horst. Anders ver­hält es sich bei der Marker­platzierung zur Erfas­sung von Kör­per­seg­ment­be­we­gun­gen. Ana­to­mi­sche Punk­te wer­den teils unter­schied­lich ertas­tet, die Mar­ker dadurch leicht unter­schied­lich ange­bracht. Das kann zu Abwei­chun­gen in den Ergeb­nissen führen.

Alles ver­gleich­bar?

Seit Ver­öf­fent­li­chung der Guten­berg-Gang­da­ten­bank hat das Insti­tut sechs wei­te­re Stu­di­en durch­ge­führt. Bald sol­len die Daten der anfangs 350 um die der rund 200 neu­en Pro­ban­den ergänzt wer­den. Par­al­lel dazu ent­stand damals in Koope­ra­ti­on mit der Fach­hoch­schu­le St. Pöl­ten in Öster­reich ein wei­te­rer öffent­lich zugäng­li­cher Daten­satz (GaitRec) mit patho­lo­gi­schen Gang­mus­tern. Der Vor­teil: Wäh­rend es her­aus­for­dernd sein kann, Ergeb­nis­se ver­schie­de­ner Ein­rich­tun­gen ver­gleich­bar zu machen, wur­de für „GaitRec“ die glei­che Ver­ar­bei­tung vor­ge­nom­men – von den ana­lo­gen Signa­len, die die Kraft­mess­plat­ten auf­zeich­nen, bis hin zum For­mat, in dem die Daten spä­ter publi­ziert wer­den. Schwie­ri­ger gestal­tet sich das zum Bei­spiel bei der Ver­bin­dung mit ande­ren Daten­sät­zen, wenn bei­spiels­wei­se anders als bei den Ver­zeich­nis­sen aus Mainz und St. Pöl­ten die Wer­te nicht über im Boden ein­ge­las­se­ne Kraft­mess­plat­ten gemes­sen wer­den, son­dern auf dem Lauf­band. „Es gibt Stu­di­en, die Unter­schie­de zwi­schen den bei­den Unter­su­chungs­be­din­gun­gen bele­gen“, sagt Horst und zwei­felt des­we­gen aktu­ell an der Ver­gleich­bar­keit. „Je mehr Daten man inte­grie­ren will, des­to mehr Fra­gen und mög­li­che Feh­ler­quel­len erge­ben sich lei­der auch.“

Durch die Kom­bi­na­ti­on der Main­zer Daten­bank mit „GaitRec“ (2.295 Per­so­nen) sowie dem AIST-Daten­satz aus ­Japan (300 Per­so­nen) kann Horst für Ana­ly­sen mitt­ler­wei­le auf mehr als 87.000 Gang­ana­ly­sen von fast 3.000 Per­so­nen zurück­grei­fen. Zum Ver­gleich: „Die meis­ten bio­me­cha­ni­schen Stu­di­en arbei­tet mit 30 bis 40 Per­so­nen“, so der Sport­wis­sen­schaft­ler. Schaut man sich die indi­vi­du­el­len Unter­schie­de zwi­schen all den Per­so­nen an, zeigt sich zudem, dass man die­se anhand bio­me­cha­ni­scher Gang­da­ten zu 99 Pro­zent unter­schei­den kann. „Das hat mit 3.000 Per­so­nen natür­lich deut­lich mehr Aus­sa­ge­kraft als mit 40.“ Horst hofft, durch die wach­sen­de Samm­lung künf­tig wei­te­re Ein­fluss­fak­to­ren wie Alter und Geschlecht im Hin­blick auf die Bio­me­cha­nik bewer­ten zu kön­nen. Bei Tagun­gen und Kon­fe­ren­zen stellt er immer wie­der fest, dass sich die Fach­welt zuneh­mend der inter­nen Daten­men­gen bewusst wird und über das Poten­zi­al öffent­lich zugäng­li­cher Daten­sät­ze dis­ku­tiert. Ihm schwebt bei­spiels­wei­se eine gemein­sa­me inter­na­tio­na­le Initia­ti­ve vor. „Ich bin über­zeugt, dass es für alle von Vor­teil ist, wenn mehr Daten öffent­lich zugäng­lich sind“, betont er. „Wich­tig ist dabei, dass die Hür­de, die­se zu kom­bi­nie­ren, mög­lichst nied­rig bleibt. Ide­al wäre, wenn man nur ein paar Mal auf ‚Down­load‘ kli­cken müss­te, die Daten alle im glei­chen For­mat vor­lie­gen und sich direkt zusam­men­füh­ren lassen.“

Pia Engel­brecht

 

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