Ein Tra­di­ti­ons­un­ter­neh­men zwi­schen Brü­chen und Fortschritt

1919 gründete Otto Bock in Berlin-Kreuzberg die „Orthopädische Industrie GmbH“ – ein kleines Unternehmen, das sich darauf konzentrierte, Prothesen-Passteile industriell zu fertigen und damit eine Brücke zu schlagen zwischen traditionellem Handwerk und Serienproduktion. Schon bald wurde die Produktion nach Königsee in Thüringen verlegt, um den wachsenden Bedarf – insbesondere an Kriegsversehrten des Ersten Weltkriegs – zu bedienen.

Krieg, Ent­eig­nung und Neubeginn 

Der Zwei­te Welt­krieg und sei­ne Fol­gen bedeu­te­ten eine Zer­reiß­pro­be. Nach Kriegs­en­de wur­den das Pri­vat­ver­mö­gen der Fami­lie und der Pro­duk­ti­ons­stand­ort in König­see von der sowje­ti­schen Besat­zungs­zo­ne beschlag­nahmt. 1946/47 gelang – mit Hil­fe enga­gier­ter Mit­ar­bei­ter – ein Neu­an­fang in Duder­stadt (Nie­der­sach­sen). Dort bau­te Dr. Max Näder, Schwie­ger­sohn Otto Bocks, gemein­sam mit sei­ner Frau Maria Näder den neu­en Stand­ort auf.

Da König­see ver­lo­ren war, wur­de Duder­stadt zur Keim­zel­le eines neu­en Wachs­tums. Die Pro­duk­ti­on muss­te prak­tisch neu auf­ge­baut wer­den – eine schwe­re, aber letzt­lich erfolg­rei­che Pha­se der „zwei­ten Geburt“.

In den spä­ten 1940er Jah­ren folg­te ein tech­no­lo­gi­scher Durch­bruch: Das soge­nann­te Jüpa-Knie – ein Brems­knie­ge­lenk mit hoher Stand­si­cher­heit – brach­te der Fir­ma eine wirt­schaft­li­che Wen­de. In Kom­bi­na­ti­on mit einem neu­ar­ti­gen Balan­ce­ge­rät und wei­te­ren Appa­ra­tu­ren eta­blier­te sich das Pro­dukt auch auf dem US-Markt: 1955 wur­den bereits 500 Jüpa-Knie in die USA expor­tiert. Schon Ende der 1950er Jah­re begann die Inter­na­tio­na­li­sie­rung: 1958 grün­de­te Max Näder die ers­te Aus­lands­ge­sell­schaft in Min­nea­po­lis, USA.

Inno­va­ti­on und Konsolidierung 

In den 1960er Jah­ren setz­te Otto­bock ent­schei­den­de Impul­se in der Ortho­pä­die-Tech­nik. 1965 führ­te Max Näder myo­elek­tri­sche Arm­pro­the­sen ein, eine Tech­no­lo­gie, bei der Mus­kel­strö­me elek­tri­sche Impul­se erzeu­gen, die eine Pro­the­se steuern.

1969 paten­tier­te das Unter­neh­men den Pyra­mi­de­n­ad­ap­ter – ein Modul­bau­teil, das Fuß, Knie und Schaft ver­bin­det, sta­ti­sche Anpas­sun­gen erlaubt und den Aus­tausch von Modu­len erleich­tert. Die­ses modu­la­ri­sier­te Sys­tem leg­te das Fun­da­ment moder­ner Pro­the­sen­bau­wei­sen und wirkt bis heu­te nach.

Par­al­lel dazu begann Otto­bock, sei­ne inter­na­tio­na­le Prä­senz sys­te­ma­tisch aus­zu­bau­en, stra­te­gi­sche Part­ner­schaf­ten zu suchen und Export­märk­te zu erschließen.

Auch die Ver­knüp­fung von Mar­ke und Öffent­lich­keit wur­de rele­vant: Ab 1988 enga­gier­te sich Otto­bock erst­mals bei den Para­lym­pi­schen Spie­len, indem Tech­ni­ker vor Ort Unter­stüt­zung boten – der – bis heu­te andau­ern­de – Ein­satz unter dem Mot­to „Pas­si­on for Paralympics“.

Rück­kehr, Wachs­tum und tech­no­lo­gi­sche Sprünge 

Der Mau­er­fall und die deut­sche Wie­der­ver­ei­ni­gung boten Otto­bock eine his­to­ri­sche Chan­ce: In den frü­hen 1990er Jah­ren erwarb das Unter­neh­men das Grund­stück in König­see zurück und inte­grier­te es erneut in die Pro­duk­ti­ons­ket­te – ins­be­son­de­re für die Rollstuhlproduktion.

1990 über­gab Max Näder die Geschäfts­füh­rung an sei­nen Sohn Hans Georg Näder. Unter des­sen Lei­tung wur­de For­schung & Ent­wick­lung deut­lich gestärkt, das inter­na­tio­na­le Netz­werk rigo­ro­ser aus­ge­baut und das Mar­ke­ting professionalisiert.

Der größ­te Inno­va­ti­ons­coup folg­te 1997: Nach fünf Jah­ren Ent­wick­lungs­ar­beit prä­sen­tier­te Otto­bock das ers­te mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­te Knie­ge­lenk C‑Leg auf dem Pro­the­tik-Welt­kon­gress in Nürn­berg. Damit gelang der Sprung in eine neue tech­no­lo­gi­sche Dimen­si­on des Gehens mit Prothese.

In den Fol­ge­jah­ren wur­den Wei­ter­ent­wick­lun­gen wie Geni­um, Kene­vo und mecha­tro­ni­sche Pro­the­sen­fü­ße ein­ge­führt, mit denen erst­mals Rück­wärts­ge­hen, Hin­der­nis­über­win­dung oder Trep­pen­stei­gen mög­lich wur­den – für vie­le Betrof­fe­ne ein bedeu­ten­der Schritt zu mehr Mobi­li­tät und Normalität.

2009 setz­te Otto­bock auch archi­tek­to­nisch ein Aus­ru­fe­zei­chen mit dem Sci­ence Cen­ter Medi­zin­tech­nik in Ber­lin (nahe Pots­da­mer Platz). Neben Aus­stel­lun­gen und Kon­gres­sen soll­te das Gebäu­de auch Mar­ken­bot­schaft sein.

Her­aus­for­de­run­gen und Zukunftsvisionen 

2017 mar­kier­te einen mar­kan­ten Ein­schnitt: Der schwe­di­sche Pri­va­te-Equi­ty-Inves­tor EQT stieg mit 20 % bei Otto­bock ein. Ziel war eine wei­ter­ge­hen­de Pro­fes­sio­na­li­sie­rung und Vor­be­rei­tung auf einen mög­li­chen Börsengang.

Gleich­zei­tig tätig­te Otto­bock Akqui­si­tio­nen wie etwa die Über­nah­me der bri­ti­schen BeBio­nic-Pro­the­tik (Stee­per) und des US-Her­stel­lers Bio­nX (Fuß/Knöchelrobotik).

Doch schon 2019 kam ein Rück­schlag: Die US-Wett­be­werbs­be­hör­den unter­sag­ten den Wei­ter­be­stand der Über­nah­me von Free­dom Inno­va­tions, und Otto­bock muss­te das Unter­neh­men wie­der veräußern.

In der­sel­ben Deka­de wur­de der Bereich Exo­ske­let­te eta­bliert – 2018 über­nahm Otto­bock zunächst eine Mehr­heits­be­tei­li­gung an Poh­lig GmbH, und 2021 folg­te der Zukauf von SuitX, Exper­ten für Exoskelettlösungen.

Par­al­lel dazu ent­wi­ckel­te sich der geplan­te Bör­sen­gang zu einem poli­ti­schen und finan­zi­el­len Draht­seil­akt: Ursprüng­lich für 2022 vor­ge­se­hen, wur­de er mehr­fach ver­scho­ben – zuletzt 2025 neu angesetzt.

Im März 2024 erfolg­te ein eneu­ter Eigen­tü­mer­wech­sel: Die Näder Hol­ding kauf­te die Antei­le von EQT zurück – für rund 1,1 Mrd. Euro. Otto­bock kehr­te damit voll­stän­dig in Fami­li­en­hand zurück.  Die Manage­ment­struk­tur wur­de neu geord­net: Seit Juli 2022 lei­ten vier geschäfts­füh­ren­de Direk­to­ren das ope­ra­ti­ve Geschäft – unter ande­rem Oli­ver Jako­bi (CEO/CSO), Arne Kreitz (CFO), Arne Jörn (COO/CTO) und Mar­tin Böhm (CXO).

Mit einem Umsatz von rund 1,6 Mrd. Euro und über 9.100 Mit­ar­bei­ten­den in mehr als 45 Län­dern ist Otto­bock heu­te ein glo­ba­ler Tech­no­lo­gie­füh­rer in Pro­the­tik, Orthe­tik, Neu­ro­Mo­bi­li­ty und Exoskeletten.

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