Inten­si­ver Aus­tausch beim VQSA-Dialog

Der Verein zur Qualitätssicherung in der Armprothetik (VQSA) lud Mitte November 2024 zum VQSA-Dialog nach Ulm ein. Dort erhielten die 70 Teilnehmenden aus Medizin, Technik und Rehabilitation einen intensiven Einblick in das Thema „Innovative Ansätze in der Amputationschirurgie“.

Die hoch­ka­rä­ti­gen Refe­ren­ten infor­mier­ten über die aktu­el­len Ent­wick­lun­gen in der Tumor­chir­ur­gie, bei moder­nen Ampu­ta­ti­ons­tech­ni­ken und inno­va­ti­ven pro­the­ti­schen Ver­sor­gungs­me­tho­den. Die Kom­bi­na­ti­on aus pra­xis­na­hen Fall­bei­spie­len und inter­dis­zi­pli­nä­ren Vor­trä­gen ermög­lich­te einen inten­si­ven fach­li­chen Austausch.

Dia­gnos­tik bil­det Basis

Dr. Juli­an Dei­sen­ho­fer von der Ortho­pä­di­schen Uni­ver­si­täts­kli­nik Hei­del­berg eröff­ne­te die Ver­an­stal­tung mit einem Vor­trag über Extre­mi­tä­ten erhal­ten­de The­ra­pie­an­sät­ze bei Weich­teil- und Kno­chen­sar­ko­men. Er stell­te die Dia­gnos­tik als Grund­la­ge der The­ra­pie­pla­nung in den Mit­tel­punkt. Moderns­te Bild­ge­bungs­ver­fah­ren wie MRT mit Kon­trast­mit­tel und Biop­sien ermög­li­chen eine prä­zi­se Dia­gno­se, die in inter­dis­zi­pli­nä­ren Teams zur Erstel­lung pati­en­ten­spe­zi­fi­scher Behand­lungs­plä­ne genutzt wird. Die voll­stän­di­ge Tumor­ent­fer­nung (R0-Resek­ti­on) hat dabei obers­te Priorität.

Dei­sen­ho­fer zeig­te, dass durch inno­va­ti­ve Rekon­struk­ti­ons­me­tho­den wie Trans­plan­ta­tio­nen oder inver­se Gelenk­implantate häu­fig ein Funk­ti­ons­er­halt erreicht wer­den kann. Die­se ermög­li­chen es, Beweg­lich­keit und Lebens­qua­li­tät auch nach gro­ßen Ein­grif­fen weit­ge­hend zu erhal­ten. Den­noch ver­deut­lich­te er, dass in bestimm­ten Fäl­len eine Ampu­ta­ti­on medi­zi­nisch not­wen­dig bleibt. Stu­di­en zei­gen, dass Ampu­ta­tio­nen ver­gleich­ba­re Lebens­qua­li­tä­ten erzie­len kön­nen wie Extre­mi­tä­ten erhal­ten­de Maßnahmen.

Dr. Jen­ni­fer Ernst von der Medi­zi­ni­schen Hoch­schu­le Han­no­ver (MHH) prä­sen­tier­te im Anschluss chir­ur­gi­sche Ver­fah­ren zur Opti­mie­rung der Pro­the­sen­steue­rung nach Extre­mi­tä­ten­ver­lust. Sie erläu­ter­te Tech­no­lo­gien wie Tar­ge­ted Mus­cle Rein­ner­va­ti­on (TMR), Rege­ne­ra­ti­ve Peri­phe­ral Ner­ve Inter­faces (RPNIs) und die Ago­nist-Ant­ago­nist Myo­neu­ral Inter­face (AMI) Ope­ra­ti­on. Dabei wur­de die AMI-Metho­de beson­ders her­vor­ge­ho­ben, da sie durch die Kopp­lung der Seh­nen von Ago­nis­ten und Ant­ago­nis­ten nicht nur die Steue­rung ver­bes­sert, son­dern auf­grund des Erhalts wich­ti­ger kör­per­ei­ge­ner Sen­so­rik auch die Proprio­zeption und den Mus­kel­auf­bau för­dert. Die­se Ver­fah­ren ermög­li­chen eine prä­zi­se­re Steue­rung von Pro­the­sen und redu­zie­ren Phan­tom­schmer­zen deut­lich. Ernst beton­te, dass moder­ne Ampu­ta­tio­nen nicht ein­fach nur das Ent­fer­nen von Extre­mi­tä­ten bedeu­ten, son­dern Teil eines umfas­sen­den Rekon­struk­ti­ons­pro­zes­ses sind, der Pati­en­ten eine hohe All­tags­kom­pe­tenz ermög­licht. Trotz tech­ni­scher Fort­schrit­te besteht jedoch wei­ter­hin Bedarf an inten­si­ver inter­dis­zi­pli­nä­rer Zusam­men­ar­beit zwi­schen Medi­zin und Technik.

Inno­va­tio­nen im Versorgungsfall

Die anschlie­ßen­den „How-to-Treat“-Sessions beleuch­te­ten inno­va­ti­ve Ver­sor­gungs­fäl­le. Boris Bert­ram aus der Tech­ni­schen Ortho­pä­die der Ortho­pä­di­schen Uni­ver­si­täts­kli­nik Hei­del­berg prä­sen­tier­te die Ver­sor­gung eines jun­gen, bila­te­ral unter­arm­am­pu­tier­ten Pati­en­ten. Durch moder­ne CAD-Tech­no­lo­gien und addi­ti­ve Fer­ti­gungs­ver­fah­ren wur­de eine indi­vi­du­el­le Pro­the­sen­lö­sung ent­wi­ckelt, die sowohl funk­tio­na­le als auch ästhe­ti­sche Anfor­de­run­gen erfüll­te. Bert­ram beton­te die Wich­tig­keit einer prä­zi­sen Stumpf­ver­sor­gung und die Rol­le soge­nann­ter „Ohn­hän­der­hil­fen“, die gera­de bei beid­seits betrof­fe­nen Pati­en­ten eine hohe Rele­vanz haben, um den All­tag zu bewäl­ti­gen. Im wei­te­ren Ver­lauf prä­sen­tier­te Kili­an Huß­mann von der Poh­lig GmbH die Vor­tei­le der Osseo­in­te­gra­ti­on in Ver­bin­dung mit einer Dau­men­pro­the­se aus Sili­kon. Durch knö­cher­ne Ver­an­ke­rung und indi­vi­du­ell ange­pass­te Pro­the­sen wur­de die Beweg­lich­keit und Kraft des Dau­mens wie­der­her­ge­stellt. Die­se Tech­nik ver­deut­licht, wie inter­dis­zi­pli­nä­re Ansät­ze zu umfas­send zufrie­den­stel­len­den Ergeb­nis­sen füh­ren kön­nen. Gleich­zei­tig wur­de jedoch auch klar, dass es sich hier in bei­den Fäl­len um sel­te­ne Erschei­nun­gen han­delt, die stets einer indi­vi­du­el­len Betrach­tung bedürfen.

Indi­vi­du­ell blieb es auch bei Prof. Dr. Jonas Kol­ben­schlag von der BG Kli­nik Tübin­gen. Die­ser stell­te die bio­ni­sche Rekon­struk­ti­on bei Ple­xus-Bra­chia­lis-Ver­let­zun­gen vor. Die Wie­der­her­stel­lung der Schul­ter­sta­bi­li­tät sowie von Ell­bo­gen- und Hand­funk­tio­nen erfolgt dabei durch eine Kom­bi­na­ti­on aus Ner­ven­re­kon­struk­tio­nen, Seh­nen­trans­fers und Neu­ro­plas­ti­ken. Kol­ben­schlag beton­te, dass nicht alle Ein­grif­fe die ursprüng­li­che Funk­ti­on wie­der­her­stel­len kön­nen. Oft müs­sen Prio­ri­tä­ten gesetzt wer­den, wobei die Sta­bi­li­tät der Schul­ter als essen­zi­ell her­vor­ge­ho­ben wur­de. Im kon­kre­ten Fall jedoch wur­de die­ser Ein­griff schluss­end­lich mit einer Unter­arm­am­pu­ta­ti­on kom­bi­niert. Trotz der rekon­struk­ti­ven und neu­ro­chir­ur­gi­schen Maß­nah­men konn­te auf­grund der Läsio­nen die Hand­funk­ti­on des Pati­en­ten nicht wie­der­her­ge­stellt wer­den. Die­sen Part soll­te nun die Ortho­pä­die-Tech­nik über­neh­men. So berich­te­te Wolf­gang Grö­pel (Nova­vis) in sei­nem anschlie­ßen­den Bei­trag von den Her­aus­for­de­run­gen bei der pro­the­ti­schen Ver­sor­gung nach der bio­ni­schen Rekon­struk­ti­on im vor­ge­nann­ten Fall­bei­spiel. Die an sich schon eher sel­te­ne Enti­tät mit der anschlie­ßen­den elek­ti­ven Unter­arm­am­pu­ta­ti­on spricht schon für sich und zeigt auf, wie wich­tig eine inter­dis­zi­pli­nä­re Pla­nung und The­ra­pie ist. Die ers­ten Tests mit dem Aus­blick auf eine myo­pro­the­ti­sche Ver­sor­gung, die mit smar­ter Steue­rungs­tech­nik basie­rend auf Ober­flä­chen-EMG Steue­run­gen erfolg­ten, waren unbe­frie­di­gend, da schwa­che EMG-Signa­le zu Fehl­steue­run­gen führ­ten. Schließ­lich erwies sich eine ein­fa­che und fast schon anti­quiert erschei­nen­de Zwei­ka­nal­steue­rung als robust und zuver­läs­sig. Grö­pel beton­te, dass Ver­trau­en und All­tags­taug­lich­keit oft ent­schei­den­der sind als hoch­kom­ple­xe Systeme.

Mehr Lebens­qua­li­tät dank ­inter­dis­zi­pli­nä­rer Zusammenarbeit

Der VQSA-Dia­log 2024 demons­trier­te ein­drucks­voll, wie inter­dis­zi­pli­nä­re Ansät­ze und tech­no­lo­gi­sche Inno­va­tio­nen die Lebens­qua­li­tät von Pati­en­ten nach Extre­mi­tä­ten­ver­lust ver­bes­sern kön­nen. Durch die Kom­bi­na­ti­on chir­ur­gi­scher, tech­ni­scher und reha­bi­li­ta­ti­ver Maß­nah­men eröff­nen sich neue Mög­lich­kei­ten und Funk­tio­na­li­tä­ten, um eine all­tags­re­le­van­te Funk­ti­on lang­fris­tig zu sichern. Die rege Betei­li­gung und Dis­kus­sio­nen der Teil­neh­men­den unter­strei­chen die Bedeu­tung der Ver­an­stal­tung für die Wei­ter­ent­wick­lung in der Ampu­ta­ti­ons­chir­ur­gie und in der Prothetik.

Der Vor­stand des VQSA bedankt sich bei den Akteu­ren für die durch­weg her­vor­ra­gen­den Bei­trä­ge sowie die tol­len Dis­kus­sio­nen und bei den Gäs­ten für ihre enga­gier­te Teil­nah­me. Im nächs­ten Jahr wird es um das Leit­the­ma der arm­pro­the­ti­schen Ver­sor­gung bei der Arbeit und im Sport gehen. Der nächs­te VQSA-Dia­log soll am 15. Novem­ber 2025 in Essen statt­fin­den. Wei­te­re Infor­ma­tio­nen fol­gen zu gege­be­ner Zeit unter vqsa.de.

Mer­kur Ali­mus­aj und Boris Bertram

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