Angereist war ein interdisziplinäres Publikum mit Experten aus den verschiedenen Fachbereichen sowie Studierende und Auszubildende, die dank des abwechslungsreichen Programms, das aktuelle Entwicklungen, Herausforderungen und Standards in der Technischen Orthopädie beleuchtete, gut informiert wurde. Wie in den Vorjahren war die Veranstaltung auch diesmal sehr gut besucht.
Das Symposium, das in Kooperation mit der Carl-Bosch-Schule Heidelberg und dem Max-Born-Berufskolleg Recklinghausen durchgeführt wurde, stellte die interdisziplinäre Zusammenarbeit in den Mittelpunkt. Unter der Leitung von Dipl.-Ing. (FH) Merkur Alimusaj und PD Dr. med. Cornelia Putz bot die Veranstaltung eine Plattform für den Austausch zwischen medizinischen, technischen und therapeutischen Experten.
Cornelia Putz sprach in ihrem Vortrag über die veränderte Wahrnehmung von Amputationen, die heute durch mediale Darstellungen und inklusives Spielzeug positiv beeinflusst wird. Sie erläuterte die Orthesenversorgung am Beispiel des Klumpfußes und die Ponsetti-Methode, bei der Orthesen nach Gips- und Operationsbehandlungen eine wichtige Rolle spielen. Zudem stellte sie neue postoperative Ansätze in der Klumpfußtherapie wie Orthesen mit verbesserter Fußfassung vor. Weitere Themen waren Hüftdysplasien, infantile Cerebralparese und deren orthopädietechnische, aber auch chirurgische Versorgung. Putz betonte, dass eine gute Amputation die Grundlage für eine optimale Prothesenversorgung bildet und hob die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit zwischen Vertretern aus Medizin, Physiotherapie und Orthopädie-Technik hervor.
Turbokurs in die instrumentelle Bewegungsanalyse
Prof. Dr. rer. nat. Sebastian Wolf (UKHD) führte mit einem Turbokurs in die instrumentelle Bewegungsanalyse ein. Er zeigte auf, wie Bewegungen und Gehen quantifizierbar werden, welche physikalischen Kenngrößen messbar sind und wie die Methodik dahinter aussieht. Eindrucksvoll demonstrierte Wolf anhand eines Fallbeispiels, welche enormen Leistungen ein Mensch mit einer Unterschenkelamputation im physikalischen Sinne vollbringt, um ein natürliches und unauffälliges Gangbild zu erreichen. Im späteren Verlauf wurde noch mehrmals auf diese Thematik eingegangen, um aufzuzeigen, wie moderne Prothesen und Prothesenkomponenten dazu beitragen können, die Belastungen zu reduzieren und dabei weiterhin einen biomechanisch günstigen Bewegungsablauf zu erlauben.
Dr. Stefan Hemmer diskutierte in seinem Beitrag die Behandlung der idiopathischen Skoliose und verglich Operation und Korsetttherapie. Er stellte die epidemiologischen Daten der Skoliose sowie die Auswirkungen auf die Lungenfunktion vor. Neue diagnostische Verfahren wie das biplanare Röntgen EOS ermöglichen eine bessere Planung und Darstellung der 3D-Krümmung. Dr. Hemmer betonte die Wichtigkeit der Patientenschulung und der Compliance bei der Korsetttherapie, wobei das Korsett konsequent getragen werden muss. Eine frühzeitige Intervention ist bei Patienten mit einem Cobb-Winkel über 40 Grad erforderlich, um die Lebensqualität und Lebenserwartung zu erhalten.
Embodiment wichtig für den Therapieerfolg
Dass der Therapieerfolg einer prothetischen Versorgung davon abhängt, eine Prothese als Teil des Körpers wahrzunehmen, erklärte Prof. Dr. Robin Bekrater-Bodmann (RWTH Aachen) in seinem Vortrag. Es zeigen sich deutliche Zusammenhänge bei Patientinnen und Patienten mit hoher Aktivität, bei denen gleichzeitig ein gutes „Embodiment“ der Prothese besteht. Es ist also auch für die Technikerinnen und Technikern von Relevanz, wie der Versorgte seine Prothese wahrnimmt, um eine erfolgreiche Versorgung zu ermöglichen. Eine funktionelle Versorgung, die im Alltag als hilfreich empfunden wird, trägt zusätzlich dazu bei.
Zukunftsweisende Entwicklungen im Bereich der Neuroprothetik stellte Prof. Dr.-Ing. Rüdiger Rupp (UKHD) vor. Die Arbeit dieser Fachgruppe zeigt jedes Jahr neue Fortschritte, wie z. B. die Entwicklung eines neuen implantierbaren neuroprothetischen Systems, das das Potenzial hat, in Zukunft auch bei hochgradig querschnittgelähmten Menschen eingesetzt zu werden. Das Projekt befindet sich derzeit in der Testphase an einem Tiermodell.
„Biomechanik in der Prothetik: Theorie oder Praxis?“ – dieser Frage ging Merkur Alimusaj (UKHD) in seinem Beitrag nach und beleuchtete dabei die Brücke zwischen biomechanischen Prinzipien und praktischer Anwendung. Wie wirkt sich die Konstruktion und der Aufbau einer Prothese biomechanisch aus und inwieweit beeinflusst sie den Anwender? Die Biomechanik kann helfen, diese Fragen zu beantworten, ohne am Patienten einen langwierigen empirischen Prozess zu durchlaufen, der möglicherweise nicht zu einem guten Ergebnis führt. Ein grundlegendes Verständnis der Biomechanik in der Prothetik hilft den Therapeuten und Technikern in jedem Fall in der Praxis.
Praktische Einblicke ergänzen Angebot
Ergänzt wurden diese Vorträge zu übergeordneten Themen der Technischen Orthopädie durch praxisorientierte Vorträge, wie z. B. von Physiotherapeut Tom Lemlein (UKHD) zum Prothesengebrauchstraining und von OTM Tobias Kuhn (UKHD) zur Prothetik der unteren Extremität. Hierbei wurden nicht nur technische Aspekte unterschiedlicher Versorgungsebenen diskutiert, sondern beide Redner betonten auch die Wichtigkeit, die Patienten „Hands On“ zu untersuchen. „Da muss man schon hinfassen“, erklärte Kuhn. Es wurde deutlich, wie wichtig die interdisziplinäre Arbeit an den Patienten ist. Technische und therapeutische Interventionen müssen gut koordiniert sein und Hand in Hand gehen, um zu einem bestmöglichen Ergebnis zu gelangen. Kuhn hob hervor, dass dabei trotz aller Digitalisierung und der Optionen digitaler Modellierung und weiterer moderner Methoden nichts darüber hinwegtäuschen darf, dass es letztlich nach wie vor den handwerklichen Geschicken der Techniker obliegt, den Testschaft an die Dynamik angepasst zu gestalten und die Konfiguration patientengerecht zu erstellen. Gleichwohl können digitale Instrumente jedoch Effizienz, Nachvollziehbarkeit und Struktur schaffen und erhalten.
Akzeptanz von Armprothesen
OTM Boris Bertram (UKHD) legte dar, wie individualisierte Ansätze auch im Bereich der Armprothetik den Alltag der Betroffenen verbessern können. Patienten sollen sich in den Versorgungsprozess nicht nur einbringen, sondern sich letztlich auch darin wiederfinden. Dies sind wichtige Punkte, die zu einer Akzeptanz von Armprothesen beitragen, ebenso wie der Schaftkomfort und natürlich die Funktion.
Erst wenn alle genannten Aspekte berücksichtigt werden, ist eine erfolgreiche Versorgung in diesem diffizilen Segment der Orthopädie-Technik möglich. OTM Claudia Weichold zeigte, wie Orthesen die Therapie unterstützen können, insbesondere bei neurologischen Grunderkrankungen wie der infantilen Zerebralparese. Modulare Orthesensysteme sind in der Lage, sich an verändernde Bedingungen anzupassen. Es handelt sich hier um Orthesensysteme, die der Entwicklung beispielsweise im postoperativen Verlauf gerecht werden können, indem sie der Dynamik und dem Heilungsverlauf folgen.
Weiterer Referent war M.Sc. Urban Daub (Fraunhofer IPA-Stuttgart), der mit dem Thema „Patientenbefragung als Teil der klinischen Routine“ die Möglichkeiten moderner Assessments in der Hilfsmittelversorgung aufzeigte. Dabei verdeutlichte er, dass nicht nur die reine Bewertung von Ist-Zuständen relevant ist, sondern vielmehr die Möglichkeit bestehen sollte, auch Patienten gegenüber zu spiegeln, wie sie sich verändern bzw. im Verlauf verbessern – wichtige Aspekte und Kriterien, die der Rehabilitation zuträglich sind. Abschließend zeigte Daub auf, wie solche Assessments in Form des laufenden Projekts AMP-Register, einem Projekt zur Schaffung eines bundesweiten Amputationsregisters der MetKo (Medizinisch-Technisches Kompetenzzentrum für Orthopädietechnik – Heidelberg/ Stuttgart), in der Praxis umgesetzt werden können. Dabei formulierte er auch und insbesondere die langfristig positiven Effekte für die Orthopädie-Technik, die sich aus der Schaffung einer evidenzbasierten Handlungsweise auf Grundlage derartiger Registerdaten ergeben.
Duc Nguyen als Vertreter des Bundesverbandes für Menschen mit Arm- oder Beinamputation e. V. (BMAB) rundete das Symposium mit seinem Bericht über das Jugend-Camp des BMAB ab. Er zeigte, welchen unschätzbaren Wert diese Aktivitäten und das ehrenamtliche Engagement des Verbands für Kinder und Jugendliche haben: gemeinsam mit Gleichgesinnten die eigenen Grenzen verschieben, gemeinsam spielen, Spaß haben und der Welt, aber auch sich selbst und den Eltern zeigen, was man ihnen zutrauen kann. Dies stellt ein großartiges und sehr förderungswürdiges Projekt dar, wie das Auditorium einhellig feststellte.
Das Symposium unterstrich die Bedeutung des interdisziplinären Austauschs entlang der gesamten Versorgungskette, mit dem Ziel, eine patientenorientierte und qualitativ hochwertige Behandlung zu gewährleisten.
Daniel Heitzmann und Merkur Alimusaj
- 12. Heidelberger Symposium der Technischen Orthopädie — 10. Januar 2025
- Personalrochade im QVH-Vorstand — 9. Januar 2025
- Pilotprojekt eVerordnung nimmt weiter Fahrt auf — 8. Januar 2025