Exklu­si­ve Ein­tritts­kar­te in die Welt der Paralympics

Heiko Cordes, Chef vom Dienst beim Verlag Orthopädie-Technik, hat zu Beginn der Paralympischen Spiele 2024 vor Ort ein Interview mit Ingo Pfefferkorn geführt, der als OTM Teil des internationalen Teams „Technischer Support“ in Paris war.

Alle zwei Jah­re fin­den abwech­selnd — jeweils im Som­mer bzw. im Win­ter — die Wett­kämp­fe der para­lym­pi­schen Spie­le statt. 2024 war Paris Gast­ge­ber für die Wett­be­wer­be bei­spiels­wei­se in der Para-Leicht­ath­le­tik, im Roll­stuhl-Rug­by oder Para-Rad­sport. Im Sta­di­on, Fern­se­hen oder Live­stream konn­ten die Zuschauer:innen die Athlet:innen bei ihrem Kampf um Best­lei­tun­gen, Medail­len und Sie­ge beob­ach­ten und anfeu­ern. Abseits der Kame­ras bzw. der Bli­cke der Öffent­lich­keit trai­nier­ten die Sportler:innen für ihren Erfolg. Eben­so unter dem öffent­li­chen Radar agier­ten die Orthopädietechniker:innen des Tech­ni­schen Sup­ports bei den Para­lym­pics. Doch mit ihren Repa­ra­tu­ren sorg­ten sie dafür, dass vie­le Sportler:innen über­haupt in ihren Wett­kampf star­ten konn­ten. Teil des inter­na­tio­na­len Teams in Paris war auch Ingo Pfef­fer­korn. Der Vor­sit­zen­de der Fort­bil­dungs­ver­ei­ni­gung für Ortho­pä­die-Tech­nik (FOT) und Kon­gress­prä­si­dent der OTWorld 2024 erklär­te im Inter­view mit OT-Redak­teur Hei­ko Cor­des zu Beginn der Para­lym­pics vor Ort, war­um er wie­der dabei war, was er von den Kolleg:innen aus dem Aus­land ler­nen kann und wo er Tipps und Tricks der deut­schen Ortho­pä­die-Tech­nik teilt.

OT: Wie sind Sie bei den Para­lym­pics in Paris gelandet?

Ingo Pfef­fer­korn: Sport gehört zu mei­nem Leben. Als Sport­ler ist es für mich inter­es­sant zu sehen, wie auch Men­schen mit einer Behin­de­rung ihrer Lei­den­schaft nach­ge­hen und Höchst­leis­tun­gen in den ver­schie­de­nen Diszi­plinen brin­gen kön­nen. Und natür­lich emp­fin­de ich eine gro­ße Freu­de dar­an, ein klei­nes Quänt­chen mit dazu bei­zu­tra­gen. Das ist für mich das Größ­te! Des­we­gen freue ich mich, dass ich nach Tokio zum zwei­ten Mal in der para­lym­pi­schen Werk­statt Sport­ler mit mei­nen ortho­pä­die­tech­ni­schen Fähig­kei­ten unter­stüt­zen kann.

OT: Ist die­ser Ein­satz ehrenamtlich?

Pfef­fer­korn: Ein Ehren­amt im stren­gen Sin­ne ist es nicht. Mei­ne Arbeit in der Werk­statt fin­det in mei­ner Frei­zeit statt. Dafür wer­de ich von mei­nem Chef frei­ge­stellt, was kei­nes­wegs selbst­ver­ständ­lich ist. Dafür bin ich sehr dankbar.

OT: Wel­che Bot­schaft möch­ten Sie ande­ren Handwerker:innen mit­ge­ben, die sich für ein ehren­amt­li­ches Enga­ge­ment bei solch einem gro­ßen Event interessieren?

Pfef­fer­korn: Machen! Zu Hau­se habe ich mei­ne Kol­le­gen und Pati­en­ten, das macht ohne Fra­ge Spaß. Aber hier tref­fe ich Ortho­pä­die­tech­ni­ker aus 41 Län­dern der Welt, die 32 Spra­chen spre­chen. Wir alle tei­len die Spra­che der Ortho­pä­die-Tech­nik. Wir ver­ste­hen uns vom ers­ten Moment an blind, denn wir alle wol­len Men­schen, die auf Hilfs­mit­tel für den All­tag oder den Sport ange­wie­sen sind, best­mög­lich ver­sor­gen. Hin­zu kom­men all die Begeg­nun­gen mit den Ath­le­ten und Ath­le­tin­nen aus aller Welt. Das ist eine unglaub­li­che Erfah­rung und auch Inspi­ra­ti­ons­quel­le. Ich kann nur jedem Kol­le­gen emp­feh­len, sich für die para­lym­pi­sche Werk­statt in Los Ange­les zu bewerben.

Inter­na­tio­na­le Zusammenarbeit

OT: Wie sieht die Arbeit in der Werk­statt aus?

Pfef­fer­korn: Gera­de vor unse­rem Inter­view kam ein Ath­let aus Mal­ta in die Werk­statt, weil das Vaku­um am Schaft, also an der Schnitt­stel­le zwi­schen Stumpf und Unter­schen­kel­pro­the­se, nicht mehr funk­tio­niert hat. Sei­ne Pro­the­se war eine sehr spe­zi­el­le Kon­struk­ti­on und die Repa­ra­tur daher eine gro­ße Her­aus­for­de­rung. Im Tan­dem mit einer Kol­le­gin aus Kenia konn­ten wir ihm hel­fen, sodass der Schaft wie­der per­fekt sitzt und er bei sei­nen Wett­kämp­fen antre­ten kann. Manch­mal ste­hen wir nur vor klei­nen Pro­ble­men wie eine feh­len­de Schrau­be oder ein geplatz­ter Rei­fen. Es kom­men aber auch Mate­ri­al­brü­che an Orthe­sen, Pro­the­sen oder an Roll­stüh­len vor. Wir sind eine Not­fall­werk­statt, die die Sport­ler wie­der wett­kampf­taug­lich machen soll. Dazu gehö­ren auch Repa­ra­tu­ren an deren All­tags­ver­sor­gun­gen. In den ver­schie­de­nen Län­dern gibt es unter­schied­li­che He­rangehensweisen an die Ver­sor­gung oder auch an die Mate­ria­li­en, die genutzt wer­den. Aber nicht alles, was auf der Welt ver­füg­bar ist, haben wir hier vor­rä­tig. Daher sind Impro­vi­sa­ti­ons­ta­lent und Krea­ti­vi­tät gefragt, um allen hel­fen zu kön­nen. Es ist hoch­in­ter­es­sant, wel­che Lösun­gen unse­re Kol­le­gen aus aller Welt für ihre Sport­ler fin­den. Das alles macht unse­re Arbeit hier so reizvoll.

OT: Sie sind seit Jahr­zehn­ten im Beruf. Gibt es trotz­dem noch Über­ra­schun­gen für Sie hier in Paris?

Pfef­fer­korn: Aber ja! Heu­te kam der deut­sche Roll­stuhl-Rug­by-Sport­ler Mar­co Herbst aus Han­no­ver mit sei­ner stark ver­schlis­se­nen Unter­arm­pro­the­se zu uns zur Repa­ra­tur. Er nutzt die­se Pro­the­se mit einem spe­zi­el­len Grip­be­lag zum Antrieb sei­nes rech­ten Rol­li-Rades. Rug­by ist eine Kon­takt­sport­art mit hef­ti­gem Roll­stuhl­kon­takt und impuls­ar­ti­gen schnel­len Bewe­gun­gen mit stän­di­gem Rich­tungs­wech­sel. Die Pro­the­se muss daher sehr robust und trotz­dem ange­nehm zu tra­gen sein. Bis­her hat er sich mit sei­ner Pro­the­se mit Tapen zur Fixie­rung behol­fen, jetzt soll­te ein schnell zu öff­nen­der Ver­schluss und wech­sel­ba­res Grip­ma­te­ri­al – da es schnell ver­schleißt – aus brei­ten Fahr­rad­rei­fen ein­ge­setzt wer­den. Zum Glück brauch­te er sei­ne Pro­the­se erst am fol­gen­den Tag wie­der für den Wett­kampf. So hat­ten wir Zeit für eine Lösung. In vie­len Fäl­len arbei­ten wir aller­dings unter Hoch­druck, weil Sport­ler, die nicht pünkt­lich zum Wett­kampf erschei­nen, dis­qua­li­fi­ziert werden.

Hoher Ver­sor­gungs­stan­dard

OT: Wie beur­tei­len Sie die Sport­ver­sor­gun­gen in Deutsch­land im inter­na­tio­na­len Vergleich?

Pfef­fer­korn: Euro­pa hat ins­ge­samt einen hohen Stan­dard. In Deutsch­land ist die Ver­sor­gung qua­li­ta­tiv beson­ders hoch. Das ist unse­rer breit auf­ge­stell­ten hand­werk­li­chen Aus­bil­dung mit einem hohen Pra­xis­an­teil geschul­det. In den Meis­ter­schu­len kom­men dann noch Spe­zia­li­sie­run­gen hin­zu. Die­se Art der Aus­bil­dung haben wir allen ande­ren Län­dern vor­aus. Sie ist ein gro­ßer Glücksfall.

OT: Die Para­lym­pics sind alle vier Jah­re ein Höhe­punkt für die Spitzensportler:innen. Wie sieht es eigent­lich mit der Ver­sor­gung für Breitensportler:innen in Deutsch­land im All­tag von Sani­täts­häu­sern und OT-Werk­stät­ten aus?

Pfef­fer­korn: Nicht jedes Sani­täts­haus hat Erfah­run­gen mit Sport­ver­sor­gun­gen. Bei einer Ver­sor­gung für die all­täg­li­che Mobi­li­tät muss man auf ganz ande­re Sachen ach­ten als bei einer Sport­ver­sor­gung. Für den Stra­ßen­ge­brauch ist etwa ein robus­ter, wen­di­ger und leich­ter Roll­stuhl not­wen­dig. Im Roll­stuhl-Rug­by hin­ge­gen benö­ti­ge ich einen schwe­ren Roll­stuhl. Ob Brei­ten- oder Spit­zen­sport – die Ath­le­ten gehen über alle Gren­zen hin­weg, das bekom­men auch die Hilfs­mit­tel zu spü­ren. Die Ortho­pä­die­tech­ni­ker müs­sen sich zudem in jede Sport­art reinden­ken. Es gibt Zen­tren, die auf die Ver­sor­gung von Sport­lern spe­zia­li­siert sind. Wer Sport­ler betreut, ver­fügt über eine extrem hohe Kom­pe­tenz. Das Pro­blem im Brei­ten­sport liegt nicht bei den Ver­sor­gungs­mög­lich­kei­ten, son­dern bei den Kos­ten. Men­schen mit Ein­schrän­kung, die gesetz­lich ver­si­chert sind, haben kein Anrecht auf eine Sport­ver­sor­gung. Die gesetz­li­chen Kos­ten­trä­ger müs­sen die Kos­ten für Hilfs­mit­tel über­neh­men, um Kin­dern und Jugend­li­chen den Schul­sport zu ermög­li­chen. Im Erwach­sen­al­ter ist Schluss damit. Die Sport­ler über 18 gehen ihrer Lei­den­schaft auf eige­ne Kos­ten nach oder fin­den Spon­so­ren. Letz­te­res ist aber eher im Spit­zen-Parasport der Fall. Da muss man erst hinkommen.

OT: Was müss­te in Deutsch­land pas­sie­ren, damit Brei­ten­sport für Men­schen mit Ein­schrän­kun­gen noch mehr in die Brei­te gehen kann?

Pfef­fer­korn: Da sind wir beim wun­den Punkt. Es muss immer einen geben, der die Rech­nung bezahlt. In Deutsch­land wird bis­her falsch gerech­net. Hier wer­den nur die Kos­ten für eine Sport­ver­sor­gung gese­hen. Was nicht berech­net wird, sind die Kos­ten, die durch den Sport gespart wer­den. Noch immer fas­sen die gesetz­li­chen Kran­ken­kas­sen in Deutsch­land den Begriff der Teil­ha­be zu kurz. Für sie ist jemand dop­pelt ver­sorgt, der bei­spiels­wei­se eine All­tags- und eine Sport­pro­the­se hat. Bei­des sind aber grund­ver­schie­de Din­ge. Brei­ten­sport gehört für die gesetz­li­chen Kran­ken­kas­sen nicht zur Teil­ha­be. Mit die­ser Auf­fas­sung ste­hen sie im Wider­spruch zur UN-Behin­der­ten­rechts­kon­ven­ti­on, die in Deutsch­land am 3. Mai 2008 in Kraft trat.

OT: Konn­ten Sie denn hier in Paris jen­seits der Werk­statt auch Wett­kämp­fe erleben?

Pfef­fer­korn: So viel Zeit muss sein! Leicht­ath­le­tik und Roll­stuhl-Fech­ten gehö­ren zu mei­nen Favo­ri­ten. Letz­te­res liegt auch dar­an, dass wir eine ukrai­ni­sche Fech­te­rin in Ros­tock ver­sor­gen und ich natür­lich neu­gie­rig bin, wie sie sich hier in Paris schlägt.

Die Fra­gen stell­te Hei­ko Cordes.

 

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