Im Sanitätshaus, in den OT-Werkstätten, in der Verwaltung – überall werden nicht nur händeringend Spezialisten gesucht, sondern selbst Quereinsteiger sind Mangelware. Deshalb müssen Betriebsinhaber:innen häufig kreativ sein und sich auf neue Gegebenheiten in der Beziehung zu ihren Angestellten bzw. zukünftigen Beschäftigten einstellen. Um dabei eine Hilfestellung zu geben, startete der Verlag OT im Januar 2023 mit seiner Serie „Fachkräfteoffensive OT“. Anhand von Best-Practice-Beispielen aus der Branche sollten die Betriebe inspiriert werden, es ihren Kolleg:innen nachzumachen. Heiko Cordes, Chef vom Dienst im Verlag OT, berichtete von der Ausbildung im Verbund, die ein junger Betrieb erfolgreich in Kooperation mit anderen Betrieben in Ulm anbietet. Ein anderes Beispiel ist ein Betrieb, der sein bestehendes Personal über das Renteneintrittsalter hinaus dazu motivieren kann, für ein paar Stunden in der Woche noch in die Werkstatt oder das Büro zu kommen. „Mit diesen Beispielen wollten wir zeigen, was Betriebe aktuell schon erfolgreich umsetzen. Wichtig war uns, dass wir bewusst nicht nur die ‚Großen‘ mit umfangreichen Ressourcen vorstellen, sondern auch zeigen, dass selbst kleine Betriebe mit einer guten Organisation und Mut ihre Fachkräfte ausbilden und auch halten können“, so Cordes.
Was Auszubildende bewegt, das stellte Michael Blatt, Programmleiter des Verlags und in Doppelfunktion auch Moderator des Talks, anhand des Azubi-Barometers vor. Gemeinsam mit dem Max-Born-Berufskolleg in Recklinghausen hatte der Verlag 2023 Auszubildende nach ihrem Medienkonsum, ihrer Ausbildung und auch ihrem Betrieb befragt. Eine Erkenntnis: Viele junge Menschen können sich zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn nicht vorstellen, irgendwann einmal selbst in Führungsverantwortung zu gehen und einen eigenen Betrieb zu führen.
Diesen Eindruck bestätigt auch Lars Grun: „Wenn man mir früher einen Einstieg in die Führungsebene angeboten hätte, dann hätte ich mich unglaublich gefreut. Heute wird es eher abgelehnt und nicht als Chance, sondern als Last empfunden.“
Wie sehr sich die Arbeitswelt verändert, wurde auch am Beispiel „Ghosting“ sichtbar. Trotz unterschriebenem Arbeitsvertrag erscheint der Arbeitnehmer nicht zum vereinbarten Arbeitsstart – und das ohne jeden Hinweis. Heiko Cordes konnte ganz aktuell von Forschungsergebnissen aus dem Handwerk zu dem Phänomen Ghosting berichten und aufzeigen, welche Gründe dahinterstecken könnten. Ganz unfreiwillig konnte auch Lars Grun, als Geschäftsführer bei Schreiber und Ebert in Eschborn, aus der Praxis berichten, wie es ist, als Arbeitgeber „geghostet“ zu werden. „Leider hatten auch wir schon zwei Fälle, in denen jemand nicht aufgetaucht ist. Vor allem, wenn es sich um einen Auszubildenden handelt, ist es extrem ärgerlich. Wir haben uns aus den Bewerbern ja den vermeintlich besten Kandidaten ausgesucht. Wenn der nicht absagt, stehen wir zum Ausbildungsbeginn ohne Auszubildenden da, weil wir so kurzfristig ja niemanden mehr bekommen. Die anderen sind in der Zeit zwischen Bewerbung und Ausbildungsstart mit sehr großer Wahrscheinlichkeit woanders untergekommen. Bei uns hatte es die Konsequenz, dass wir einen Jahrgang nicht mit einem Auszubildenden besetzen konnten.“
Aber nicht nur aus der Branche, sondern auch darüber hinaus hatte die OT-Redaktion recherchiert nach Möglichkeiten, Fachkräfte zu binden oder zu gewinnen. Dabei wurden Benefits wie das Jobrad, Unterstützung bei der Kinderbetreuung oder Jobtickets vorgestellt. Wichtig dabei: Nicht immer sind diese Vergünstigungen auch wirklich Vergünstigungen – betrachtet sowohl aus Arbeitgeber- wie auch aus Arbeitnehmerperspektive. Steuerliche Faktoren müssen berücksichtigt werden, ebenso wie Freigrenzen. Ob es sich dennoch lohnt, sich mit diesem Thema zu beschäftigen? „Definitiv“, so Cordes. „Es ist eine Möglichkeit, seinen Arbeitnehmenden ein bisschen Wertschätzung entgegenzubringen, ohne an dem großen Gehaltsrad zu drehen. Natürlich – häufig ist das beste Gehaltsextra extra Gehalt, aber es gibt einen Mittelweg für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, der meiner Meinung nach beide Seiten zufriedenstellen kann, indem Benefits gewährt werden.“
Auch wenn sich alle Talk-Teilnehmer einig waren, dass in naher Zukunft – auch aufgrund der Verrentung der Babyboomer – weiterer Engpass bei den Fachkräften droht, will Lars Grun nicht nur die negativen Seiten sehen. „Wenn wir weiter kontinuierlich auf diesem Niveau ausbilden, dann haben wir meines Erachtens nach genug Fachkräfte. Die Schwierigkeit besteht allerdings darin, die Leute auch langfristig im Fach zu halten. Das wird nur klappen, wenn wir mit einer vernünftigen Vergütung den Wettbewerb mit anderen Berufsgruppen nicht mehr scheuen müssen. Hier ist die Politik gefragt, wie viel Versorgung und zu welcher Qualität wir uns in Zukunft leisten wollen. Wenn wir unseren deutschen Standard beibehalten wollen, dann wird das nur gehen, wenn wir mehr Geld zu Verfügung haben, um unsere Fachkräfte zu bezahlen.“
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