Nach der „Orthopädie Schuh Technik“-Messe Ende Oktober war alles weg. Jetzt ist die zweite Großcharge in Produktion. „Viele Unternehmen legen immer mehr Wert auf nachhaltige Produkte – und auch die Endkunden“, sagt Rudolf Cousard und war vom großen Andrang in Köln trotzdem überrascht. In den vergangenen Jahren tüftelte das Team der Afros-Schaumstoffe GmbH mit seinen Partnern an der Herstellung von Ethylen auf der Basis von Zuckerrohr für den Einsatz in der Orthopädie- und Medizintechnik. Seit Frühjahr 2023 kommt der Schaumstoff nun für Einlagen zum Einsatz. Weitere Anwendungsbereiche sollen folgen.
Für orthopädischen Schaumstoff wird aktuell meist Ethylenvinylacetat (kurz EVA, Hauptbestandteil Ethylen) verwendet. Gewonnen wir dieses aus Erdöl und ‑gas – natürliche Rohstoffe, aber keine nachwachsenden. Auch um dem steigenden Bedarf gerecht zu werden, suchte Afros nach einer Alternative. Entstanden ist dabei der Frässchaum „Biolon“. Das verwendete Ethylen wird auf der Basis von Zuckerrohr hergestellt, genauer gesagt aus dem Trester, der als Nebenprodukt bei der Zuckergewinnung anfällt. Für Cousard bietet die Pflanze viele Vorteile: „Sie ist schnell wachsend und wird bereits in großen Mengen angepflanzt. Zudem bindet sie während des Wachstums CO2 aus der Atmosphäre und trägt damit zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen bei.“ Ziel war es, die Eigenschaften herkömmlichen Ethylens beizubehalten. Das ist laut Cousard gelungen. „Biolon verfügt über die gleichen Trageeigenschaften, ist gut fräsbar und hat eine gute Rückstellkraft“, betont er. Durch Zufall trat ein weiterer positiver Nebeneffekt zutage. Während sich herkömmliches Ethylenvinylacetat statisch auflädt, verfügt das Zuckerrohrprodukt über einen natürlichen Anti-Dust-Effekt. Eine zusätzliche Behandlung entfällt also. Ebenfalls ein Plus: Der Fräs- und Schleifstaub ist fein und leicht und lässt sich daher gut absaugen. Zudem fällt weniger Abfall an. Beim von Afros entwickelten Fräsrohling „Hufling“ sind es 10, beim herkömmlichen Rohling 43 Prozent.
Das Granulat erhält Afros von einem Hersteller aus Südamerika und ist komplett auf Zuckerrohrbasis hergestellt. Im weiteren Prozess werden die üblich verwendeten Chemikalien beigemischt. Insgesamt liegt der erneuerbare Anteil bei 80 bis 85 Prozent, berichtet Cousard. Zuckerrohr in der Kunststoffproduktion zu verwenden, ist grundsätzlich nicht neu, aber: „Das Granulat allein tut es nicht. Es kommt darauf an, was man daraus macht“, sagt Cousard. Eine Rezeptur für orthopädietechnische Produkte zu finden, war mitunter auch von Hürden geprägt.
Aktuell setzt das Unternehmen das biologische Ethylen vor allem zur Herstellung von Einlagen ein. Auch eine weiche Variante ist entstanden – denkbar zur Polsterung bei Orthesen. Ob Biolon dafür tatsächlich zum Tragen kommen wird, ist letztlich eine Frage der Wirtschaftlichkeit, denn das Material ist rund 16 bis 20 Prozent teurer.
„Einer muss immer den Anfang machen“, betont Cousard mit Blick auf Innovationen sowie deren Etablierung und Weiterentwicklung. Wohin die Reise geht? Das bleibt abzuwarten. Unterdessen schwebt dem Diplom-Betriebswirt bereits ein weiterer Rohstoff zur Herstellung von Ethylen vor Augen: die Wasserlinse, im Volksmund auch „Entengrütze“ genannt. Das unscheinbare Wasserunkraut lagert sich auf der Oberfläche von stehenden oder langsam fließenden Gewässern ab und bildet dort oft regelrechte Teppiche. Im Vergleich zu Zuckerrohr, das in warmen Regionen wie Südamerika, Asien, Afrika und Australien angebaut wird, entstehen Wasserlinsen auch in Deutschland, und das nahezu überall. Für Cousard ein Potenzial, das es auszuschöpfen gilt.
Pia Engelbrecht
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