Das Ergebnis: Persönliche Beratung im Sanitätshaus und hochwertige Hilfsmittel sind für die Umfrageteilnehmer:innen besonders wichtig. Die OT-Redaktion sprach mit Eurocom-Geschäftsführerin Oda Hagemeier über die Umfrage und darüber, was die Ergebnisse für die Branche bedeuten.
OT: Bereits zum dritten Mal führte das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Eurocom eine Umfrage über die Anwendung, den Nutzen sowie die Produktqualität medizinischer Hilfsmittel durch. Warum braucht es eine solche Umfrage?
Oda Hagemeier: Medizinische Kompressionsstrümpfe, orthopädische Einlagen sowie Bandagen und Orthesen zählen seit Jahrzehnten zum therapeutischen Repertoire von Allgemeinmedizinern, Phlebologen, Orthopäden, Unfallchirurgen und Sportmedizinern in der konservativen und postoperativen Therapie. Doch nutzen die Anwender ihre Hilfsmittel wie verordnet? Und wie bewerten sie deren Nutzen? Stimmt die Produktqualität? Und wie schätzen Patienten die Arbeit von Ärzten, Orthopädietechnikern und Fachhandel ein? Dazu gab es keine belastbaren Zahlen. Deshalb haben wir 2014 die repräsentative Patientenbefragung eingeführt. Die Antworten der rund 1.300 Befragten sind eindeutig und unterstreichen die positiven Effekte der Hilfsmittel – Linderung der Beschwerden und spürbare Steigerung der Lebensqualität vor allem. Um mögliche Veränderungen zu identifizieren, haben wir die Befragung wiederholt – 2019 und zuletzt in diesem Jahr. Bemerkenswert ist dabei insbesondere, dass die kontinuierlich hohe Patientenzufriedenheit mit ausgeprägter Therapietreue einhergeht. Patienten nutzen ihre Hilfsmittel täglich über viele Stunden. Adhärenz gilt als eine wesentliche Voraussetzung für therapeutischen Erfolg. Insofern unterstreichen die Befragungsergebnisse einmal mehr die hohe Relevanz der Hilfsmittel für Millionen von Menschen, denn immerhin sind orthopädische Beschwerden und Venenleiden Volkskrankheiten. Um genau zu sein: Rund 12,1 Millionen Menschen in Deutschland tragen orthopädische Einlagen, 5,9 Millionen medizinische Kompressionsstrümpfe, 6,8 Millionen Bandagen bzw. Orthesen.
OT: In den Zeitraum zwischen der letzten Umfrage und der aktuellen fällt die Hochphase der Corona-Pandemie. Hatte das Auswirkungen auf die Ergebnisse?
Hagemeier: Vor allem haben sich medizinische Hilfsmittel während der Corona-Pandemie als Therapiebrücke erwiesen. 58 Prozent der Träger von medizinischen Kompressionsstrümpfen berichten, dass diese gut geholfen haben, die Zeit während der Corona-Pandemie zu überbrücken, in der kein Arztbesuch stattfinden konnte. Für Bandagen und Orthesen bestätigen 61 Prozent der Befragten, dass ihnen das medizinische Hilfsmittel eine entscheidende Unterstützung gegeben habe. Bei orthopädischen Einlagen sieht jeder Zweite (53 Prozent) eine gute Überbrückungsmöglichkeit während der Corona-Pandemie.
OT: Sie fragen in der Umfrage auch die Erwartungen der Patienten an Produkte ab. Gibt es dort Ergebnisse, die Sie überraschen oder decken die sich mit Ihren Erwartungen?
Hagemeier: Die Messlatte der Patienten an Produktqualität und Alltagstauglichkeit ist hoch. Davon war auch auszugehen. Wesentliche Aspekte dabei: gute Verarbeitung, hoher Tragekomfort, einfache Handhabung. Dass die Erwartungen weitestgehend auch erfüllt werden, ist für uns Bestätigung und Ansporn für eine Hilfsmittelentwicklung und ‑versorgung, die im Sinne des Patienten konsequent auf Qualität setzt. Dass die Produktqualität bei Befragten ganz weit oben steht, bestätigt auch ihre Bereitschaft, in die bestmögliche patientenindividuelle Versorgung zu investieren. Von den Befragten, die sich für medizinische Kompressionsstrümpfe mit Mehrkosten entschieden haben, halten sieben von zehn Nutzern (67 Prozent) das Preis-Leistungs-Verhältnis für angemessen. Auch 74 Prozent der Anwender von Bandagen und Orthesen geben an, dass die höherpreisige Versorgung gerechtfertigt ist. Ein nahezu identisches Bild zeigt sich bei den Nutzern von orthopädischen Einlagen: 71 Prozent mit einem Produkt über die Grundversorgung hinaus finden das Preis-Leistungs-Verhältnis angemessen. Dies zeigt auch: Wahlfreiheit ist Patienten ein hohes Gut.
OT: Bei der DGIHV-Fachtagung im August 2023 wurde über die Qualität der ärztlichen Verordnung gesprochen. Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht die Beratung durch den Arzt für den Erfolg der Versorgung?
Hagemeier: Patientenedukation ist eine Grundvoraussetzung für den subjektiv wahrgenommenen Nutzen und somit für einen guten Therapieerfolg. Nur wenn die Patienten die Handhabung, die Wirkungsweise und den Nutzen der Produkte verstehen, können sie diese auch korrekt und konsequent anwenden. Das zeigen die Umfrageergebnisse. Die meisten Ärzte informieren ihre Patienten in einem Aufklärungsgespräch über die Wirkungsweise des medizinischen Hilfsmittels: Das berichten 84 Prozent der Träger medizinischer Kompressionsstrümpfe, 77 Prozent der Einlagennutzer und 83 Prozent der Befragten, die eine Bandage oder Orthese verordnet bekommen haben. Erfreulicherweise ist bei allen drei Gruppen der Anteil der Anwender mit einem ärztlichen Aufklärungsgespräch im Vergleich zur letzten Umfrage gestiegen. Unterscheidet man zwischen den Anwendern mit und ohne Aufklärungsgespräch, so sagen 88 Prozent der Patienten, denen der Arzt die Anwendung und den Nutzen der medizinischen Kompressionsstrümpfe erläutert hat, dass ihnen diese viel oder sehr viel helfen. Bei den Patienten, die von ihrem Arzt nicht vorab informiert wurden, bestätigen dies nur 82 Prozent. Auch bei den Einlagenträgern zeigt sich ein Unterschied: 88 Prozent der Nutzer mit ärztlichem Aufklärungsgespräch bescheinigen dem Hilfsmittel eine gute Wirkung. Von den uninformierten Anwendern sagen dies nur 78 Prozent. Bei den Bandagen- und Orthesenträgern ist die Differenz mit 12 Prozent besonders deutlich: So sagen 85 Prozent der ärztlich informierten Patienten, hingegen nur 73 Prozent der nicht informierten Patienten, dass ihre medizinischen Hilfsmittel ihnen viel oder sehr viel helfen. Kurzum: Ärztliche Aufklärung fördert den Therapieerfolg.
OT: Die Befragten wünschen sich persönliche Beratung im Sanitätshaus. Welche Rückschlüsse können Sie daraus für Ihre Mitglieder ziehen?
Hagemeier: Erste Adresse für den Erwerb von medizinischen Hilfsmitteln bleibt auch in 2023 das Sanitätshaus bzw. ein orthopädietechnisches oder orthopädieschuhtechnisches Fachgeschäft. Das bestätigen 85 Prozent der Träger medizinscher Kompressionsstrümpfe, 96 Prozent der Einlagennutzer und 80 Prozent der Bandagen- und Orthesenträger. Wie bei der ärztlichen Versorgung spielt auch die Beratung durch Sanitätshäuser und Fachgeschäfte eine wichtige Rolle hinsichtlich des Therapieerfolgs. Dass ihnen das Anziehen, Tragen oder Reinigen ihrer medizinischen Kompressionsstrümpfe erläutert wurde, sagen 88 Prozent der Befragten. Der sachgerechte Umgang mit der Bandage oder Orthese wurde 85 Prozent der Nutzer erklärt. Verglichen dazu wurden die Träger orthopädischer Schuheinlagen seltener beraten. Hier bestätigen nur 61 Prozent eine Unterweisung. Und ja: Die überwiegende Mehrheit legt großen Wert auf eine persönliche Beratung vor Ort. Dies bejahen 89 Prozent der Nutzer von medizinischen Kompressionsstrümpfen, 85 Prozent der Anwender von Einlagen und 81 Prozent der Bandagen- und Orthesenträger. Nur 7 bis 12 Prozent können sich auch eine Online-Beratung vorstellen. Aus diesem klaren Statement leiten sich für uns diese Erkenntnisse ab: Sowohl Hersteller und Fachhandel als auch Kostenträger müssen dem Anspruch der Patienten auf qualitativ hochwertige Hilfsmittel und eine fachlich qualifizierte Beratung und Versorgung Rechnung tragen und gerecht werden können. Keine leicht zu erfüllende Aufgabe angesichts des Mangels an qualifizierten Fachkräften. Dessen ungeachtet gilt im Jahr 2023: Die persönliche Beratung und Versorgung sind unverzichtbarer Therapiebaustein – und mit steigendem Individualisierungsgrad der Versorgung umso notwendiger. Im Kontext der Diskussionen rund um eine vermeintlich kostengünstigere Online-Versorgung heißt das auch: Die Versorgungsverantwortung ist nicht auf den Patienten übertragbar.
OT: Können Sie dank der nunmehr dritten Umfrage Trends erkennen und für die Hilfsmittelversorgung ableiten?
Hagemeier: Deutlich zeichnet sich ab, dass auch im Bereich der medizinischen Hilfsmittel – wie im gesamten Gesundheitswesen – digitale Systeme eine immer größere Rolle spielen. Insbesondere bei der Vermessung als wesentliche Voraussetzung für die exakte Passform der patientenindividuellen Versorgung. Im Vergleich zur letzten Befragung 2019 haben digitale Vermessungen signifikant zugenommen. Vor der Versorgung mit medizinischen Kompressionsstrümpfen wurden 19 Prozent (2019: 14 Prozent) der Patienten digital vermessen. Und auch bei Einlagenträgern ist die digitale Vermessung von 28 Prozent (2019) auf aktuell 36 Prozent deutlich gestiegen. Es ist davon auszugehen, dass sich dieser Trend fortsetzt.
Die Fragen stellte Heiko Cordes.
Die Ergebnisbroschüre „Medizinische Hilfsmittel: Wirkungsvolle und etablierte Therapie für mehr Lebensqualität im Alltag“ ist kostenlos hier abrufbar.
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