Mit „3D Up!“ haben Stephan Morth, Stefan Biller und Marco Hoffmann 2022 ein Start-up gegründet, das auch kleineren Betrieben den Einstieg in die Additive Fertigung ebnen soll und großen Unternehmen eine Effizienzsteigerung bietet – natürlich immer mit dem Ziel, am Ende mehr Zeit am Patienten zu haben, um eine qualitativ hochwertige Versorgung zu gewährleisten. Wie das funktionieren soll, erklärt Mitgründer Marco Hoffmann, Orthopädietechniker-Meister und CEO bei Movimento Orthopädie & Rehatechnik GmbH in Kassel, im Interview mit der OT-Redaktion.
OT: Was war die Idee hinter der digitalen Prozessentwicklung mit eigener Software?
Marco Hoffmann: Wir arbeiten in unserem Orthopädie-Technik-Unternehmen Movimento in Kassel schon seit 2011 mit 3D-Scan-Technologien und haben uns daher früh mit digitalen Prozessen beschäftigt. 2020 haben wir uns dazu entschieden, unsere Produktion auf die digitale Fertigung umzustellen. Zeitgleich haben wir begonnen, intern eine Software zu entwickeln, die unsere Bedürfnisse und Ideen berücksichtigt. Dadurch haben wir gemerkt, dass wir durch Softwareentwicklung nicht nur uns, sondern der ganzen Branche viele Hürden auf dem Weg in die Additive Fertigung nehmen können. Wir verstehen uns als Partner und Begleiter, auch in Fragen zu neuen Prozessen in der Werkstatt. Der 3D-Druck ist das eine, doch wie geht man nun auch die anderen notwendigen Schritte? Diese Frage beantworten wir und optimieren unser Angebot stetig weiter. Passteil-Integration, verschiedenste Automatisierungen sowie eine Plattform mit weiteren Kooperationspartnern – wie etwa Druckdienstleister – werden in den nächsten Wochen und Monaten unsere bisherigen Tools „shape-up“ und „design-up“ ergänzen.
OT: Sie bieten eine Software an, die auch kleineren Betrieben den Einstieg in die Additive Fertigung ermöglichen soll. Warum haben Sie diesen Ansatz gewählt?
Hoffmann: Wir haben in den vergangenen Jahren den Trend der Additiven Fertigung in unserer Branche beobachtet und selbst seit 2020 zwei MJF-Drucker (Multi Jet Fusion, MJF, ist ein industrielles 3D-Druckverfahren. Anm. d. Red.) in unserem eigenen Sanitätshaus etabliert. Was uns durch Beobachtungen schnell auffiel, ist, dass es meist größere Unternehmen sind, die mit eigenen Abteilungen für die digitale Fertigung CAD-Software sowie spezialisiertes Personal für additiv produzierte Hilfsmittel anbieten. Man benötigt Mitarbeitende, die sich für das Thema interessieren, sich spezialisieren, und die sich in die Funktionen von verschiedenen Programmen und Abläufen einarbeiten. Dabei sind sie mit System- und Daten-/Informationsbrüchen konfrontiert und müssen zudem oftmals Pionierarbeit in den eigenen Betrieben leisten. Kleineren und mittleren Unternehmen fehlt es häufig an Zeit und Personal, sich in neue Technik – und besonders in nicht intuitive Prozesse – einzuarbeiten. Vor allem dann, wenn die Vorteile digitaler Prozesse nicht sofort auf der Hand liegen. Realität ist, dass Arbeitsabläufe, die in der Werkstatt Routine waren, oft direkt an CAD-Mitarbeiter:innen verlagert werden, die dann noch doppelt spezialisiert sein müssen – als Techniker:in und CAD-Anwender:in. Unsere Software soll für diese Unternehmen einen sinnvollen Einstieg bieten und eine Alternative zur Servicefertigung darstellen. Wichtig war uns auch, die Investitionshürde so gering wie möglich zu halten. Teure Lizenzen und überfrachtete Softwarelösungen machen es gerade den mittleren und kleineren Unternehmen schwer mitzuhalten. Mit neuartigen Funktionen in unserer Software haben zudem auch große Unternehmen einen Mehrwert und können ihre Produktivität steigern.
OT: Was sind aus Ihrer Sicht die Vorteile, sich für die Additive Fertigung zu entscheiden?
Hoffmann: Dabei gibt es mehrere Aspekte, die man berücksichtigen sollte. Im Vordergrund steht klar die Effizienz. Wer die Technik beherrscht, wird einen klaren Vorteil gegenüber der konventionellen Herstellung erfahren. Das Zweite, und nicht weniger Wichtige, ist die Optimierung der Hilfsmittel. Durch die Additive Fertigung verändern sich Design und Funktion. Hier sehen wir viele Vorteile gegenüber der konventionellen Herstellung, unter anderem auch beim Thema Dokumentation und Nachverfolgbarkeit. Es wird aber weiterhin auch ein Mix an digitalen und handwerklichen Arbeitsschritten benötigt. Ein zusätzlicher Punkt ist die Attraktivität des Berufsbildes. Neue Technologien ziehen junge Menschen an. Der Beruf wird, ohne die gewohnten Herstellungstechniken aufzugeben, weitaus interessanter.
Ausbildungsinhalte anpassen
OT: Wie verändert Additive Fertigung das Berufsbild des Orthopädietechnikers?
Hoffmann: Wir finden, dass die Ausbildung des Orthopädietechnikers unbedingt die neuen Technologien beinhalten muss. Es ist sinnvoll, wenn der oder die Techniker:in weiterhin Fertigungsprozesse wie Schweißen, Drehen oder Schränken erlernt und einen Überblick über die klassischen Verfahren erhält. Der Fokus aber sollte inzwischen auf modernen Methoden liegen. Wir werden immer den oder die Handwerker:in brauchen, speziell für Arbeiten außerhalb des Standards und für hohe Qualitätsanforderungen. Aber die Schwerpunkte verschieben sich zu der Beratung und der konzeptionellen Erstellung von Versorgungskonzepten. Es ist zudem eine große Chance, den Beruf des Orthopädietechnikers wieder interessanter zu machen. Der Mix aus traditionellem Handwerk und den neuen Technologien könnte vielen jungen Menschen wieder Lust auf eine Ausbildung im Handwerk machen. Der Weg zum digitalen Hightech-Handwerker ist bereitet.
OT: Ist das Outsourcen von einzelnen Herstellungsschritten aus Ihrer Sicht eine Möglichkeit, dem Fachkräftemangel zu begegnen?
Hoffmann: Dieser Trend ist bereits seit einiger Zeit zu erkennen. Servicefertigung, nicht nur in der Additiven Produktion, ist mittlerweile in vielen Häusern etabliert, nicht zuletzt durch personelle Engpässe. Wir möchten mit unserer Software hier einen anderen Ansatz verfolgen. Die Additive Fertigung kann im Vergleich zur klassischen Herstellung nicht problemlos im eigenen Haus stattfinden. Schon die Investition in einen eigenen Drucker wird sich nicht für jedes Haus lohnen. Somit ist der 3D-Druck sinnvollerweise ein ausgelagerter Prozess an Druckdienstleister. Mit der 3D-Up!-Plattform können aber alle anderen Schritte weiterhin in der eigenen Hand bleiben.
OT: Ganz konkret: Wie viel Zeit kann ein Orthopädietechniker durch die Nutzung der Additiven Fertigung bei der Herstellung beispielsweise einer Handgelenksorthese sparen?
Hoffmann: Wenn alle Prozesse wie das Scannen, CAD-Modellieren und ‑Konstruieren gut miteinander funktionieren, die Produktionsprozesse angepasst sind, ist in der Herstellung mit einer Effizienzsteigerung von circa dreißig Prozent zu rechnen. Dies ist aber individuell zu betrachten und der Change-Prozess muss, um dies zu erreichen, weitestgehend abgeschlossen sein. Wir sind der festen Überzeugung, dass es genau diese eingesparte Zeit ist, die wir dringend am Patienten benötigen. Denn an dieser Stelle wird tiefergehendes Know-how für immer komplexer werdende Krankheitsbilder und neue Technologien gefragt sein.
Neuer Technik eine Chance geben
OT: Geht mit der Entscheidung für ein Outsourcing von Fertigungsschritten nicht auch ein Teil der Handwerks-DNA verloren?
Hoffmann: Wir bieten mit unserer Plattform 3D-Up! die Möglichkeit, alle grundlegenden Produktionsprozesse im eigenen Haus zu behalten und nicht noch weitere Prozesse auszulagern. Lediglich der Druck wird in vielen Fällen außer Haus durchgeführt, alle anderen Schritte bleiben in eigener Hand. Dabei denken wir als Handwerker:innen und Orthopädietechniker:innen nicht zuletzt an die Stärkung unserer Branche und die des Handwerks. Wir dürfen uns jetzt den neuen Technologien gegenüber nicht verwehren, sondern müssen lernen, diese zu integrieren und damit umzugehen. Ob ich im Modellierraum stehe, um einen Gips zu modellieren oder dies digital tue, ist letztlich reine Übungssache und ein anderes Verfahren, welches zum gleichen Ergebnis führt. Handwerkliche Arbeitsschritte werden also zwangsläufig ersetzt werden, dies sind aber tendenziell zuerst diejenigen, die monoton sind und wenig Wissen oder Fähigkeiten benötigen.
OT: Sie bieten für Ihre Software auch einen Support an. Wird der von 3D-Druck-Spezialist: innen geboten oder beschäftigen Sie dafür Orthopädietechniker:innen?
Hoffmann: Wir haben neben 3D-Up! mit Movimento ein eigenes Sanitätshaus und sind spezialisiert auf neurologische Krankheitsbilder und individuelle Orthetik. Unsere Software lebt von unseren Erfahrungen und Ansätzen aus der täglichen Arbeit der Orthopädietechnik. Wer sich bei 3D-Up! meldet, wird schnell mit Techniker:innen im Gespräch sein. Wer Fragen zu Materialien und Eigenschaften hat, wird bei uns auf Expertisen aus Maschinenbau und Produktdesign stoßen. Uns ist es wichtig, die Kunden bei diesem Change-Prozess zu begleiten. Wir haben in Kassel mit unserem Kooperationspartner Movimento die Möglichkeit, den Wandel der „digitalen Werkstatt“ erlebbar zu machen. Kunden können die Veränderungen in der Produktion und die digitalen Prozesse im ganz normalen Arbeitsbetrieb erleben. Für viele ist das ein eindrucksvoller Aha-Effekt.
OT: Stichwort Datenschutz: Die Gesundheitsdaten von Patient:innen sind besonders gut zu schützen. Wie sieht das bei Ihrem Produkt aus?
Hoffmann: Wir arbeiten mit biometrischen Daten von Patient:innen. Das verpflichtet uns schon gesetzlich zur Einhaltung von hohen Standards. Daten werden von uns nur im Bundesgebiet gespeichert und verarbeitet. Die Dienstleister, die wir für unsere digitale Infrastruktur einsetzen, unterliegen durch Datenverarbeitungsverträge denselben Standards wie wir. Dies umfasst, neben Auskunftsrechten und Einschränkungen, welche Daten wir von unseren Kund:innen überhaupt anfragen können, vor allem die sichere Speicherung, Übertragung sowie Zugriffseinschränkungen.
OT: Auch die Krankenkassen leiden unter Kostendruck. Wenn nun eine Leistung schneller – dank Additiver Fertigung – erbracht werden kann, wird es sicherlich nicht lange dauern, bis der Wunsch nach einer Kostenanpassung seitens der Kassen kommt. Warum sollten die Betriebe trotzdem auf die Digitalisierung setzen?
Hoffmann: Mit dieser Frage beschäftigen wir uns ebenfalls intensiv und führen dazu Gespräche mit Verbänden. Für uns ist die Additive Fertigung nicht zwangsläufig mit günstigeren Produktionskosten verbunden. Der 3D-Druck ist je nach Materialeigenschaften kein unerheblicher Kostenfaktor. Was sich verändern wird, ist die Ressource Zeit. Wir können durch veränderte Produktionszeiten sowie angepasste Arbeitsplätze und Mitarbeiter:innen, die auch fachfremd sein können, ein besseres Zeitmanagement am Patienten realisieren – eben dort, wo unsere Expertise als Techniker:in zukünftig gebraucht wird, um neue Versorgungskonzepte zu entwickeln und die Möglichkeiten der neuen Technologien auch dementsprechend umzusetzen. Wir dürfen nicht den Fehler machen und denken, wir könnten nun individuelle Hilfsmittel zu Serienfertigungspreisen anbieten. Wir sind weiterhin beratend im Patientenkontakt und können die ohnehin bisher zu wenig vergütete Patient-Care-Zeit besser und adäquat nutzen. Und unsere Beratungsdienstleistung wird anhand neuer Technologien nicht im Geringsten weniger. Neue gesetzliche Anforderungen sowie der Kostendruck der Sanitätshäuser bei gleichbleibender oder steigender Qualität fordern Lösungen.
Die Fragen stellte Heiko Cordes.
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