Darin gelistet ist auch Reflex, eine Anwendung, die der Hilfsmittelhersteller Sporlastic speziell für Menschen mit Gonarthrose entwickelt hat. Im Gespräch mit der OT-Redaktion verraten Dr. Timo Schmeltzpfenning, Leitung Forschung und Entwicklung und Prokurist, Carolin Scherer, Business Development Managerin, und Torsten Schweizer, Leitung Marketing und Prokurist, wie der Weg bis zur Aufnahme ins Verzeichnis ablief, welche Hürden es dabei zu nehmen galt und warum die DiGA grundsätzlich noch nicht in der Versorgung angekommen ist.
OT: Wie sind Sie auf das Thema der Digitalen Gesundheitsanwendungen aufmerksam geworden?
Torsten Schweizer: Wir haben uns bei der Sporlastic GmbH schon mit dem Thema befasst, lange bevor die DiGA durch den damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn im Rahmen des Digitale-Versorgung-Gesetzes (DVG) ins Leben gerufen wurde. Wir verfolgen schon seit Jahrzehnten einen ganzheitlichen Behandlungsansatz, der auch physiotherapeutische Übungen berücksichtigt, und wollten diesen Ansatz digitalisieren. Für die Indikation Gonarthrose haben wir uns entschieden, da die Leitlinie die Sport- und Bewegungstherapie und deren Erfolgskontrolle ganz klar vorsieht und es eine sehr gute Studienlage hierzu gibt. Unsere Hypothese war es, durch angeleitete und kontrollierte Sport- und Bewegungstherapie die Beschwerden durch Gonarthrose zu lindern, dadurch eine TEP-Operation zu verschieben oder zu verhindern und somit den Kostenträgern einen Nutzen bieten zu können. Als Herr Spahn dann die DiGA in die Versorgungsrealität gebracht hat, waren wir schon parat.
OT: Was kann Reflex leisten?
Carolin Scherer: Die Anwendung bietet ein Trainingsprogramm, welches auf die Bedürfnisse und Ziele von Patienten mit Gonarthrose abgestimmt ist. Mittels Bewegungssensoren ist Reflex in der Lage, klare Anweisungen und Live-Feedback über korrekte und inkorrekte Ausführung der Übung zu geben, sowohl akustisch als auch visuell. Die Übungen setzen sich aus Mobilisations‑, Gleichgewichts‑, Kräftigungs- und Dehnungsübungen zusammen.
OT: Seit dem 29. September 2022 ist Reflex im DiGA-Verzeichnis gelistet. Beschreiben Sie bitte kurz den Weg von der Antragstellung bis zur Aufnahme.
Dr. Timo Schmeltzpfenning: Wie schon erwähnt, haben wir uns schon vor der Geburt der DiGA mit dem Thema beschäftigt und waren auch schon in einer RCT-Studie (randomisierte kontrollierte Studie, Anm. d. Red.) mit der Sportmedizin der Universität Tübingen, um die Wirksamkeit des App- und Sensorik-gestützten Trainingsprogramms zur Behandlung der Gonarthrose zu untersuchen. Nach dem ersten Beratungsgespräch mit dem Bfarm war uns klar, dass die Zulassung kein Kinderspiel – aber machbar – ist. Kern des Verfahrens sind die Prüfung der Herstellerangaben zu den geforderten Produkteigenschaften – vom Datenschutz bis zur Benutzerfreundlichkeit – sowie die Prüfung eines durch den Hersteller vorzulegenden wissenschaftlichen Nachweises für die mit der DiGA realisierbaren positiven Versorgungseffekte. Da wir die erste DiGA mit Sensorik im Bereich Muskel, Knochen und Gelenke bieten, waren wir natürlich bis zur letzten Minute gespannt, ob wir wirklich aufgenommen werden.
OT: Das Verfahren zur Aufnahme ins DiGA-Verzeichnis ist als zügiger „Fast-Track“ konzipiert: Wie bewerten Sie diesen Ansatz?
Schweizer: Grundsätzlich bewerten wir das DiGA-Fast-Track-Verfahren als sehr gut. Wir sind froh, dass es ein solch klar strukturiertes und geregeltes Verfahren gibt, um Innovationen in die Erstattung zu bekommen. Es ist schon zu Beginn klar, was im Rahmen des Verfahrens gefordert wird und welcher Nutzennachweis zu erbringen ist.
Gesundheitsdaten schützen
OT: Für eine Aufnahme ins DiGA-Verzeichnis des Bfarm müssen hohe Anforderungen an Datenschutz, Informationssicherheit und Interoperabilität erfüllt werden. Stellten diese Anforderungen große Hürden für Sie dar?
Scherer: Die Anforderungen sind wirklich hoch. Das hat aber auch einen guten Grund, denn wir haben es mit personenbezogenen Gesundheitsdaten zu tun, die es zu schützen gilt. Die Anforderungen sind klar formuliert und können deswegen auch gut erfüllt werden.
OT: Voraussetzung für die Aufnahme ist auch ein Nachweis über positive Versorgungseffekte. Diesen konnten Sie bislang noch nicht hinreichend erbringen. Reflex wurde deswegen zunächst nur vorläufig – bis zum 28. September 2023 – aufgenommen. Werden Sie den erforderlichen Nachweis innerhalb dieser Frist durch weitere wissenschaftliche Erhebungen und Analysen erbringen können?
Schmeltzpfenning: Das ist so nicht richtig. Wir haben uns bewusst dazu entschieden, erst eine Aufnahme auf Erprobung anzustreben, obwohl wir schon einen Nachweis über positive Versorgungseffekte erbringen konnten. Die RCTStudie zeigt bei Patienten mit fortgeschrittener Gonarthrose relevante und statistisch signifikante Behandlungseffekte in Bezug auf Schmerzreduktion und weitere arthrosespezifische Beschwerden. Im Rahmen der OTWorld 2022 wurden sogar die Ergebnisse vorgestellt. Aktuell läuft eine weitere RCT-Studie, die wir für die dauerhafte Aufnahme verwenden werden.
OT: Haben Sie mit Blick auf Ihre Erfahrungen Tipps für andere Hersteller, die eine Aufnahme anstreben?
Scherer: Wir können jedem nur raten, die Chance von Beratungsgesprächen mit dem Bfarm wahrzunehmen.
Strenge Zulassungsbedingungen
OT: Bislang sind insgesamt nur 48 DiGA gelistet, viele davon auch nur vorläufig. Liegt das am mangelnden Interesse der Anbieter?
Schmeltzpfenning: Ich glaube, man kann nicht von einem mangelnden Interesse sprechen. Ich denke, es liegt eher an den strengen Zulassungsbedingungen und auch dem damit verbundenen finanziellen Aufwand, der manches Start-up vor große Herausforderungen stellt.
OT: Die Kritik des GKV-Spitzenverbandes lautet, dass mit durchschnittlich 10.000 Versorgungen im Monat die DiGA nicht in der Versorgung angekommen sei. Wie sehen Sie das? Warum ist die DiGA noch so unpopulär bei den Mediziner:innen?
Schweizer: Ich kann mir gut vorstellen, dass manche Mediziner noch mit dem Nutzen der DiGA hadern. „Wo ist denn der Unterschied zwischen DiGA-Therapieübungen und Youtube- Videos?“, höre ich immer wieder. Bei Reflex sehen die Mediziner dann klar den Vorteil in der Sensorik. Dadurch kann die DiGA die Übungen nicht nur vormachen, sondern auch kontrollieren und korrigieren. Ich denke, dass die DiGA einfach noch nicht bei allen Medizinern angekommen ist. Wir müssen den Medizinern den Nutzen, den sie und ihre Patienten durch DiGA bekommen, aufzeigen.
OT: Wie lautet Ihr erstes Fazit? Hat sich der Aufwand im Hinblick auf die Verordnungsanzahl von Reflex gelohnt?
Scherer: Wir sind mit der Entwicklung zufrieden. Wichtiger als die Verordnungszahlen ist uns aber die Einbeziehung unserer Fachhandelspartner. Der Orthopädie- und Sanitätsfachhandel ist im originären DiGA-Verordnungsund Abgabeprozess nicht vorgesehen. Wir bei der Sporlastic
GmbH sind überzeugt, dass die etablierten Leistungserbringerstrukturen aber einen entscheidenden Mehrwert für die Patienten liefern können, und haben uns Modelle überlegt, wie wir gemeinsam mit innovativen Leistungserbringern die Versorgung noch besser machen können.
Die Fragen stellte Pia Engelbrecht.